85
Myalo führte mich über weitere Brücken und Plattformen zu einer sehr großen. Hier stand ein weiteres Haus, genauso gebaut wie die anderen, sogar größer als das Herz.
Die Türen waren weit geöffnet und Innen konnte ich Stühle und Tische erkennen. Dazu stieg mir der Duft von Essen in die Nase. Mein Magen knurrte zur Antwort.
Myalo steuerte direkt darauf zu und ich folgt ihm. Von vier weiteren Brücken, die an diese Plattform anschlossen, kamen andere Elementes. Sie redeten ausgelassen miteinander sodass mich eine lockere Atmosphäre umgab. Ich ließ meine Augen über die vielen verschiedenen Menschen wandern. Es gab vor allem junge Gesichter. Ich entdeckte auch einige in Hunter-Montur, aber eigentlich sollte mich das nicht überraschen. Von Devons Vater wussten wir, dass einige Hunter verdeckt die Saver unterstützten. Der Angriff in den Bergen, wo man mich größtenteils verschont hatte, war Beweis genug.
Der Saver vor mir blieb stehen und drehte sich zur Seite, um mich anzusehen.
„Setz dich hin wo du willst. Das Essen gibt es da vorne", jetzt deutete er auf das Buffet am Rande des Raumes. Es gab Salate, Brötchen, Suppen und noch mehr. Es waren schlichte, einfache Sachen, die es in jedem Haushalt gab. Aber Essen hatte noch nie so köstlich ausgesehen. Mein Magen meldete sich erneut.
Myalo hatte es gehört und seine Mundwinkel zuckten beinahe:„Lass den anderen noch was übrig."
Er drehte sich um und ging zu einem Tisch in der Ecke. Dort warteten andere auf ihn, die freundschaftlich begrüßten. Myalo hielt sich allerdings zurück und seine düstere Miene änderte sich kaum.
Nachdem ich mir Brötchen, Obst und einen Tee geholt hatte, setzte ich mich auf einen leeren Tisch.
Die Tische waren alle eckig und boten jeweils Platz für sechs Leute. Es gab noch ein paar wenige
Vierer-Tische dazwischen, aber die meisten waren gut gefüllt.
Ich aß alleine, aber das störte mich diesmal nicht. Es war laut genug, dass meine Gedanken übertönt wurden. Außerdem war ich vollends damit beschäftigt das Brötchen herunterzuschlingen. Ich hatte einfach Hunger und es tat gut zu essen.
Meinen Teller räumte ich zu den anderen, die auf einen Tisch am Rand gestapelt waren. Dann verließ ich den immer noch gefüllten Raum und trat nach draußen.
Das Abendlicht schien mir ins Gesicht und ließ mich blinzeln. Ich zog meine Strickjacke enger um mich. Es war zwar sonnig, aber trotzdem frisch. Die Arme um mich geschlungen, zum einen wegen der frischen Luft, zum anderen wegen der Kälte in meinem Inneren, ging ich auf die nächste Brücke.
Bevor ich entscheiden konnte, was ich tun sollte, kam mir Kai entgegen. Sein Blick heftete sich direkt auf mich, also nahm ich an er wollte mit mir reden.
Ich hatte recht. Er blieb vor mir stehen und wandte sich auf der Mitte der Brücke mir zu. Ich drehe mich ebenfalls zu ihm und lehnte mich leicht an das Seil, das als Geländer diente.
„Verena schickt mich", Kai fing direkt an und wieder durchbohrten mich seine grünen Augen, „Ich soll dir deine neue Bleibe zeigen."
Als ich verstehend nickte ging er los und ich folge ihm. Er schlug ein gemütliches Tempo an, er schien keine Eile zu haben. Sein Gesicht blieb geradeaus gerichtet und er schien etwas geistesabwesend zu sein.
„Kai?"
Er drehte fragend den Kopf zu mir.
„Was meintest du mit ‚ich fühle nichts' bei Verena?", ich bezog mich auf das Gespräch bei meiner Ankunft. Er hatte mich angestarrt und hatte aus gesehen, als könnte er etwas nicht begreifen.
Seine Stirn runzelte sich ein wenig und er fuhr sich durch das kurze blonde Haar: „Meine Fähigkeit sind die Gefühle von Menschen. Ich kann spüren, wie sich jemand fühlt und ich kann es auch beeinflussen."
Unter uns schwankte die Brücke sanft und unsere Schritte wurden stellenweise vom Moos abgedämpft. Gerade erreichten wir eine Plattform und gingen direkt weiter zur nächsten Brücke. Es kam uns niemand entgegen, weil die meistens immer noch beim Essen waren.
„Aber bei dir kann ich das nicht.", gestand er und er schien verärgert darüber, „In dir ist einfach nichts. Stille."
Ich schluckte. Das lag schlichtweg daran, dass ich wirklich nichts fühlte.
„Aber ein Mentales Schild scheinst du auch nicht zu haben. Zumindest nicht um deine Gefühle herum."
Ich lenkte meine Gedanken von der Kälte fort und fragte stattdessen: „Mentales Schild?"
Kai warf mir kurz einen Blick zu, dann richtete er seine Augen wieder nach vorne: „Das wird die Myalo erklären. Er ist dein neuer Trainer."
„Myalo? Wieso das? Er mag mich nicht mal."
Darauf musste Kai grinsen: „Es würde mich überraschen wenn er überhaupt jemanden wirklich mag... außer Verena vielleicht. Aber das ist was anderes. Sie ist für ihn wie eine Art Mutter."
Ich nickte. Myalos Augen waren in ihrer Gegenwart wärmer gewesen. Ich spürte, dass da eine längere Geschichte hinter steckte, aber das war der falsche Moment um danach zu fragen. Es ging mich eigentlich sowieso nichts an.
„Aber er ist dein Trainer, weil er Gedanken lesen kann wie du."
Ich horchte auf. Er konnte Gedanken lesen?!
Hattet er gehört, was ich gedacht hatte? Was wenn er eigentlich alles wusste? Wie viel hatte ich ihm verraten? Panik machte sich breit, aber wurde sofort verschluckt und von Kälte ersetzt.
Myalo weiß nichts.
Wieder fuhr ich zusammen und presste die Zähne aufeinander. Dunkel sah ich meine Handgelenke an, wo die Fesseln fehlten.
Ich habe ihn daran gehindert in deinen Kopf einzudringen.
„Ist was?", Kai sah mich nachdenklich an, aber ich schüttelte schnell den Kopf.
„Es ist etwas kalt", murmelte ich und schlang meine Arme um mich. Als meine Hände leicht zitterten, nahm er an, es lag an der Kälte.
Myalo ist stark, aber ich bin stärker. Ich bin mächtiger als jeder hier in diesem Dorf und das sollen sie wissen. Du willst es doch auch! Lass mich dich übernehmen. Zusammen können wir es alle hier zeigen!
Ich merkte wie er seinen Blutdurst auf mich übertragen wollte, aber sofort schleuderte ich ihn weg. Seine Stimme verschwand und mit ihm der Drang nach Macht.
Vorsichtig schielte ich zu Kai. Hatte er etwas mitbekommen?
Doch er ging unbeirrt weiter und verzog keine Miene. Es war also alles gut.
Irgendwann blieben wir vor einer Hütte stehen. Sie sah genauso aus wie die anderen. Mittelgroß und mit Spiegelscherben und Glas versehen, das in der Brise pendelte.
Kai zog einen Kupferfarbenen Schlüssel aus seiner Hosentasche und ließ ihn in meine Hand fallen. Dann lächelte er leicht: „Mach es dir bequem."
Er wandte sich zum gehen, aber ich hielt ihn noch kurz zurück: „Warte! Eine Sache habe ich bei dem Gespräch mit Verena vergessen."
Er drehte sich halb zurück und nickte wartend.
„Devon. Einer von meinen verletzten Freunden. Er wollte hierbleiben, auch wenn er kein Prodigia ist. Bitte lasst ihn bleiben." Mein Herz schlug schneller, weil ich unbedingt wollte, dass er bleiben durfte. Ich hatte völlig vergessen zu fragen. Was wenn sie jetzt Nein sagten?
Kai sah mich an und er kniff die Augen zusammen: „Da war etwas! Nur ganz kurz hast du..."
Er blinzelte und schien sich dann wieder an die Frage zu erinnern.
„Er wird sicher bleiben können. Ich rede noch mit Verena, aber sie wird es bestimmt erlauben."
Als er gegangen war, schloss ich das Haus auf und trat ein. Der Boden war aus weichem Moos und an den Wänden schlangen sich grüne Ranken empor. Sie trafen sich in der Mitte des Runden Raumes und hangen geflochten herab. An ihrem verdrehten Ende hing eine Laterne, die man anzünden konnte.
Sonst war der Raum ausgestattet mit Bett, Schrank, Kommode und Regal. Da ich aber keinerlei Habseligkeiten dabei hatte, würde das Regal leer bleiben. Ich ging zum Holzschrank und öffnete ihn. Zu meiner Überraschung hingen ein paar Kleider darin. Größtenteils lockere, mit Dreiviertel Ärmel versehene Hemden und ein paar Hosen. Nicht sonderlich bunt. Nur in weiß, grau und beige. Ansonsten gab es noch ein weißes Kleid und ein Schwarzes.
Als mir klar wurde, wofür sie gedacht waren, schlug ich den Schrank abrupt zu. Das waren die Kleider für das Erschaffungsfest.
Hastig ging ich davon weg und ließ mich stattdessen auf das Bett fallen. Dort rollte ich mich auf dem weißen Laken zusammen und sah zum Fenster, das direkt daneben war. Das Licht fiel orange herein und malte einen Streifen durch das Zimmer. In diesem Streifen konnte ich einzelnen Staub tanzen sehen.
Jetzt war ich also hier und Devon durfte wahrscheinlich auch hier bleiben. Ich war erleichtert und traute mich für einen winzigen Moment lang zu hoffen. Ich würde mit ihm hier Zeit verbringen können. So würde ich ihn noch besser kennenlernen, außerdem stand unser Schwertduell noch aus. Vielleicht würde ich mir auch über die Wärme, die mich manchmal in seiner Gegenwart überkam und mein schneller schlagendes Herz klar werden.
Valor hatte gesagt wir seien verliebt. Aber waren wir das? Es war schwer in meiner Situation Gefühle zu erfassen, von paar Ausnahmesituation abgesehen fast unmöglich sogar. Außerdem würde ich mich nicht auf die Meinung meines korrupten Vaters einlassen. Ich wollte das selber herausfinden und entscheiden.
Ich hoffte so sehr hier zu heilen. Ich hoffte es so sehr, dass es wehtat. Aber gleichzeitig hatte ich Angst. Was würde ich tun, wenn es keine Heilung gab und ich kaputt bleiben würde? Würde ich überhaupt jemals wieder fühlen können?
Deine Strafe wird es sein mit dir selbst zu leben. Mit den menschlichen Reste deiner verdorbenen Seele.
Alenias Stimme aus meinen Albtraum ertönte in meinen Kopf und ich rollte mich noch mehr zusammen.
Bitte lass es mich aus diesem dunklen Loch schaffen, das mich nach und nach verschlang.
~•~
Mir schien die Sonne direkt ins Gesicht, als ich aufwachte und ich richtete mich mit erhobener Hand auf. Ich trug noch immer mein Kleid und Strickjacke, weil ich so eingeschlafen war. Die Gedanken hatten mich in den Schlaf getragen. Geplagt von Albträumen und Erinnerungen, aber das war nicht mehr ungewöhnlich.
Ich stand etwas verschlafen auf und öffnete den Schrank. Dabei vermied ich den Blick auf das schwarze und weiße Kleid. Schnell griff ich mir ein graues Hemd und eine schwarze Hose. Dazu die braunen Schnürstiefel.
Angezogen suchte ich in der Kommode und fand tatsächlich eine Bürste. Damit kämmte ich mir das Haar, sah aber nicht in den Spiegel. Ich denke, ich wollte einfach nicht die leeren Augen, die leicht eingefallen Wangen und die blasse Haut sehen.
Als ich die Tür öffnete, um mich auf dem Weg zum Frühstück zu machen, stand Alenia vor mir. Sie hatte auch neue Kleidung bekommen. Beiges Hemd und braune Hosen, sowie Stiefel. Ähnlich dem, was ich trug. Ihre blonden Haare waren nach hinten geflochten und um ihre Schultern hing eine gefüllte Tasche. An ihrer Hüfte ein Schwert und ein Dolch.
„Du willst gehen.", erkannte ich mit dem Blick auf die Tasche, „Sie haben dir Proviant gegeben."
Das sie ein Schwert gekriegt hatte überraschte mich. Vertraute man uns genug, um uns Waffen in die Hand zu drücken?
Alenia nickte und sah mich aus ihren hellblauen Augen traurig an: „Ich habe mich schon von Devon verabschiedet und von einen Saver. Er hat mir das Armband gegeben und wir haben noch kurz geredet."
Ich schloss die Tür hinter mir und kam zu ihr ins Freie.
„Bist du denn schon fit genug?", ich ließ meinen Blick prüfend an ihr hoch und runter gleiten.
„Die Heilung hat bei mir besser funktioniert. Ich bin die Scheinende, ich heile sowieso schneller."
Die Nennung ihres Namens erinnerte mich an das Schicksal, das wir nicht erfüllt hatten. Sie hatte mich nicht getötet und ich lebte noch.
Ich atmete aus: „Wie wird es für dich weiter gehen?"
„Ich werde zum Internat fliegen. Ich bin schon viel zu lange weg. Man wird sich fragen wo ich bin.", sie zuckte die Schultern, „Werde wieder zur Schule gehen. Auf Missionen muss ich dann ja nicht mehr."
Ich nickte. Weil sie Miss Hawkins erzählen würde, ich sei tot.
„Wirst du etwas gegen Valor unternehmen? Er hat meine Magie und du sagtest bereit, wie schlimm das ist."
Alenia tippte nachdenklich an ihr Kinn: „Ich muss sehen wie sich die Situation entwickelt. Vorerst kann ich nicht viel tun, wir haben kein Plan wo er ist oder was er damit vorhat. Dann sehen wir weiter, aber etwas dagegen tun werde ich auf jeden Fall."
Ich nickte. Sie war die Scheinende, das war ihre Aufgabe. Sie würde mit ihrem Leben weiter machen, weiter gehen.
„Wirst du mich mal besuchen?", fragte ich vorsichtig.
Sie lächelte sanft und zog mich in eine Umarmung. Ich erwiderte sie und legte meinen Kopf auf ihrer Schulter ab.
„Bestimmt. Irgendwie muss ich mir nur eine Ausrede einfallen lassen, warum ich für länger als eine Woche weg bin. Der Flug hin und zurück dauert ziemlich lange."
„Verstehe ich. Aber ich will dich einfach irgendwann wiedersehen.", murmelte ich an ihrer Schulter und drückte sie fester, „Bis dahin werde ich dich vermissen."
Wir ließen voneinander ab hielten uns aber noch an den Händen.
„Ich hoffe du findest wieder zu dir.", sagte Alenia leise. Ihre Augen waren dabei sanft und warm, „Ich hoffe du kannst hier mit allem klarkommen."
Ich versteifte mich ein wenig und das merkte sie. Sie drückte noch einmal meine Hände, dann stieß sie sich ab und schwebte leicht über dem Boden.
„Danke. Das hoffe ich auch.", wir ließen uns los und sie flog mit einem letzten Wink davon. Ich sah ihr noch eine Weile nach.
Sie würde jetzt zu ihren normalen Leben zurück kehren. Ich konnte es mir kaum vorstellen, wie es aussah. So vieles war passiert, mein Leben in der Schule kam mir unwirklich vor. Hatte es echt mal eine Zeit gegeben, wo meine größten Sorgen Schule gewesen war?
Ich drehte mich um und begann den Weg zum Frühstück. Viel war passiert, viele Dinge, die Spuren hinterlassen hatten. Körperlich und Seelisch. Aber hier erwartete mich eine Chance auf Heilung und die Möglichkeit weiterzugehen. Ich würde daran arbeiten das Blut an meinen Händen zu akzeptieren und lernen mit allem umzugehen. Irgendwie würde ich diese Weg schaffen.
Ein neuer Abschnitt begann hier und jetzt.
Ein Neuanfang.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro