46
Devon
Das war zu leicht gewesen.
Wir hatten Lillith in der Gasse überrascht, aber sie hatte sich und ihre Freunde sofort verteidigt. Hat alle Angriffe abgewehrt und das so, dass die Familie hinter ihr nicht getroffen wurde. Ihr schien etwas an diesen Leuten zu liegen, sonst würde sie sie nicht beschützen. Sie hatte es nämlich selbst dann noch getan, als Max alles nach und nach offenbart hatte.
Sie hat sie also nicht beschützt, damit ihr Geheimnis nicht aufflog.
Ich hielt meinen Blick auf den Wald vor uns gerichtet, während Lillith und John auf einem Pferd hinter mir trabten.
Aber als ihre Freunde vor ihr geflüchtet waren, hatte sie die Verteidigung ersterben lassen. Sie hatte nicht mehr für sich gekämpft, aber für ihre Freunde vorher schon. Auch wenn es ihr Leben war, das auf dem Spiel stand.
Sie hatte in dem Moment aufgehört zu kämpfen, als die anderen wegrannten. Lillith hatte nie für sich selbst gekämpft, nur für die Leute, die sie jetzt vielleicht hassten oder fürchteten. Sie hatte auch nicht aufgehört die Kuppel aufrecht zu erhalten. Das hatte Lillith erst getan, als sie sicher sein konnte, dass ihre Freunde aus der Gefahrenzone fliehen konnten.
Inzwischen war es schon recht dunkel geworden, deswegen hielten wir bei einer kleinen Lichtung an und stiegen von unseren Pferden. John hievte Lillith runter und packte sie sofort an einem Arm, damit sie keinen Fluchtversuch startete. Das war aber eigentlich unnötig. Lillith hatte sich überhaupt nicht angespannt oder sich irgendwie gewehrt. Sie stand einfach mit schlafen Gliedern neben John, der einen guten Kopf größer war als sie.
„Devon. Pass auf sie auf. Ich werde die Zelte aufbauen.", sagte John und schob Lillith zu mir rüber. Sie ging mit und dabei rasselten ihr schwarzen Fesseln. Die breiten Ringe um ihren Handgelenken waren mit eine Kette aus dem selben Gestein miteinander verbunden und eben diese Kette klimperte bei jedem ihrer Schritte.
Wir nannten diesen Stein Trackles. Er unterband jede Art von Magie, sogar die von Lillith.
Auch ich hielt sie am Arm fest, auch wenn es unnötig schien. Es könnte sein, dass sie nur so tat damit unsere Wachsamkeit nachließ und sie sich davon stehlen konnte.
Aber tief im Inneren glaubte ich das nicht. Warum auch immer.
Trotzdem führte ich sie zu einem umgestürzten Baumstamm und sie setzte sich schweigend hin. Ich blieb vor ihr stehen, die Hände griffbereit in der Nähe meiner Messer.
Sie saß einfach da. In ihren weißen Kleid vom Fest und von Zöpfen durchzogenen schwarzen, kurzen Haar. Ihre Augen waren ins Leere vor ihr gerichtet. Ich konnte nicht ausmachen, welche Farbe sie genau hatten, ihre Augen wurden von den langen Wimpern verdeckt.
Ich schaute schnell woanders hin. Ich sollte mir das garnicht so genau ansehen.
Ich verschränkte die Arme und schaute den anderen zu. Ellie und Max entzündeten das Feuer, während John die Zeltplanen rausholte.
Lillith neben mir bewegte sich und ich fuhr herum, um sie aufzuhalten. Meine Alarmbereitschaft war allerdings unbegründet, sie hatte nur die Sitzposition geändert und schaute nun auf ihre beiden Hände. Die Hände, die fünfzehn Schülern das Leben gekostet hatten.
Plötzlich hob Lillith den den Kopf und richtete ihre Augen auf mich.
„Wann wollt ihr mich töten?"
Die Frage veschlug mit kurz den Atem. Es war nicht, dass sie fragte ‚Wieso töten ihr mich nicht?'. Sie fragte wann. Nicht ob wir sie töten sondern wann.
Sie war bereit zu sterben, sie hatte es akzeptiert. Und sie schien sich nicht davor zu fürchte, es sogar zu wollen.
Nachdem ich meine Sprache wieder gefunden hatte, antwortete ich: „Wir werden dich nicht töten."
Überraschung tauchte in ihren Augen auf und kurz darauf Verwirrung. Wie als könnte sie das nicht verstehen.
„Warum?" ich habe es verdient. Sie sprach es nicht aus, aber ich hörte die ungesprochenen Wörter trotzdem.
„Wir bringen dich zu unserem Lager, zu mehr Huntern. Das ist unser Auftrag."
Lillith wandte den Kopf ab und schaute an mir vorbei zu den anderen: „Und dort tötet man mich."
„Das wissen wir nicht. Uns wurde nur gesagt, dass wir dich dahin bringen sollen. Befehl von Er."
„Wer ist Er?"
Etwas an ihrer Stimme war anders. Sie hörte sich nicht so an, wie als ich sie zum ersten Mal angegriffen habe. Diese Stimme war lebhafter gewesen. Jetzt... ist da nichts. Es ist nur eine Stimme. Ohne Gefühle.
„Er ist unser Anführer. Keiner abgesehen von seinem engen Kreis bekommt ihn zu Gesicht.", kam ich auf ihre Frage zurück zu. Das reichte ihr wohl als Antwort, sie sagte nämlich sonst nichts mehr. Sie begann wieder zu schweigen und ins Leere zu starren.
Irgendwas an ihre Stille war anders. Es war keine normale Stille, aber ich konnte es nicht beschreiben. Diese Stille war irgendwie verletzlich und... und warum mache ich mir so viele Gedanken über sie? Sie ist meine Feindin. Eine Prodigia.
Ich wandte mich ab und verbot mir solche Gedanken.
Lillith
Devon stand rechts vor mir und hatte mir den Rücken zugekehrt. An seinen Gürtel steckten Messer und ein Schwert, seine Hand hing griffbereit daneben. Im Dunklen des Waldes waren seine Haare eher ein dunkles Braun, als ein rotbraun, wie es im Wald gewesen war.
Da hatte er mich nun. Mit drei weiteren Huntern als Verstärkung, ohne Magie und wollte mich nicht töten? Ich dachte genau das wäre seine Auftrag gewesen?
Ich konnge es nicht verstehen warum dieser Er seine Pläne geändert hatte. Ein Monster sollte man doch beseitigen, so lange man noch konnte.
Ich starrte auf das Feuer, dass gerade von Ellie und Max entfacht wurde, ohne es wirklich zu sehen. War ja auch egal, was sie mit mir machten. Die Hunter hatten mich jetzt, alle anderen waren außer Gefahr vor mir.
Nach einer Weile -ich wusste nicht wie lange ich dort gesessen hatte- sprach Devon mich an: „Wir essen jetzt."
Ich hob den Kopf und meine Augen trafen auf seine braunen. Kurz blieb ich an ihnen hängen, dann stand ich auf und folgte ihm zum Feuer.
Die anderen Hunter saßen schon um das knisternde Feuer herum und teilten sich irgendein Fleisch, dass sie gefangen haben mussten. Ohne etwas zu sagen setzte ich mich wie Devon hin, meine Fesseln klapperten bei jedem Schritt. Die Dinger sorgten für ein drückendes Gefühl auf meiner Brust und ich spürte, wie etwas um meine Magie gelegt wurde, sodass ich nicht mehr drauf zugreifen konnte. Wie eine Art Mauer. Mir war es recht. Von mir aus konnte das Monster gerne für immer eingesperrt sein.
Mir wurde ein Stück Fleisch unter die Nase gehalten und ich zuckte erschrocken zurück.
„Keine Sorgen, es ist tot.", Devon grinste und wartete bis ich es nahm. Ich nahm es, auch wenn ich nicht wirklich hungrig war, und biss hinein.
„Was wenn wir es vergiftet haben?"
Ich schaute zu dem dunkelblonden, der mir die Fesseln umgelegt hatte.
Ich zuckte zur Antwort nur die Schultern und biss nochmal in das Fleisch. Wenn es vergiftet war, dann starb ich eben früher. Letztendlich würden mich die Hunter so oder so töten, da war ich mir sicher.
Ich spürte Devons überraschten Blick von der Seite und Ellie schnaubte. „Liegt dir denn garnichts an deinem Leben?"
Mein Blick glitt zu ihr. Sie sah ganz anders aus in den zum Zopf geflochtenen Haaren und der Lederkluft, die auch die anderen Hunter anhatten. Diese Ellie war die echte Ellie. Nicht das schüchterne Küchenmädchen.
Ich dachte über eine Antwort auf ihre Frage nach. Und die Antwort erschreckte mich selber sogar.
„Nein."
Sie wurden still und schauten sich an. Der blonde schien abzuwägen, ob ich log. Devons Blick lag immer noch auf mir und ich drehte meinen Kopf zu ihm. Er schaute nicht weg.
„Warum?", wollte er wissen und schaute mich interessiert an. Ich musste den Blick senken und richtete ihn auf den Boden vor mir.
Weil ich sie getötet habe. Weil ich ein Monster bin, das tot sein sollte. Ich habe es verdient zu sterben. Deswegen liegt mir nicht mehr daran zu leben.
Die altbekannte Kälte breitete sich in mir aus und das Loch in meiner Brust war deutlich zu spüren. Dort wo eins Gefühle gewesen waren klaffte ein dunkles schwarzes Loch, das mich irgendwann überwältigen würde.
Aber ich konnte das alles nicht aussprechen, also schwieg ich.
Die Hunter warteten, aber sie bekamen keine Antwort.
Der braunhaarige, der der auch offenbart hatte, wer ich wirklich war, verdrehte die Augen.
„Wem interessiert's was sie denkt? Sie ist der Dunkle Mond und damit die gefährlichste Prodigia überhaupt."
Er hatte recht. Ich war gefährlich. Wie ich mich fühlte war nicht wichtig.
„Es schadet nicht seinen Feind zu kennen, Max" meinte der blonde nun und biss in sein Fleisch.
Max hieß er also. Ellie und Devon kannte ich schon, na ja, wenn Ellie ihr richtiger Name war.
„Wie heißt ihr?", fragte ich, mein Blick lag nun auf Ellie.
Sie drehte gerade ein zweites, kleineres Stück Fleisch im Feuer und schaute auf zu mir: „Ellie. Mein Name war nicht erlogen."
Ich schaute den dunkelblonden an.
„John.", sagte er, „Ich bin hier der Anführer, aber du wirst auf alle hören."
Ich nickte wieder und richtete meinen Blick wieder auf das Feuer.
Ich konnte seine Wärme spüren, aber im Inneren war mir trotzdem kalt. Die Kälte von fünfzehn Leben, die ich ausgelöscht hatte.
Ich wurde plötzlich von Max aus meinen Gedanken gerissen. Er war neben mir aufgetaucht und zerrte mich am Arm unsanft hoch.
„Ich zeig dir, wo du schlafen wirst.", meinte er und zog mich bevor ich richtig stand weiter. Stolpernd folgte ich ihn zu den Zelten. Es waren drei, also entweder ich schlief mit einem von ihnen in einem Zelt oder draußen.
„Du schläfst bei mir.", bestimmte Max und schubste mich in das Feld links. Mit einem überraschten Aufschrei strauchelte ich und fiel letztendlich in das Zelt. Mit einem uff landete ich auf dem Zeltboden.
Max setzte sich neben mich und schaute mich amüsiert an. Er saß auf einen Haufen Decken, das ihm wohl als Matratze diente. Ich hatte natürlich nichts abbekommen. Warum auch? Ich bin die Gefangene.
Ich drehte mich, ohne dabei etwas über sein Grinsen zu sagen, mit dem Rücken zu ihm und versuchte eine bequeme Position zu finden. Der Boden war hart und ich spürte den einen oder anderen Ast unter mir, aber ich regte mich nicht darüber auf, dass ich so schlafen sollte. Ich hatte es, wie so vieles, verdient.
Ich öffnete meine Augen und sah die weiße Zeltdecke über mir. Ich richtete mich leise auf und verließ das Zelt. Dabei achtete ich darauf, mit meinen rasselnden Ketten nicht Max zu wecken.
Als ich aus dem Zelt kam, schien mir die frühe Morgensonne entgegen. Es war früh und außer mir keiner wach.
Mit gefesselten Händen ging ich rüber zu dem Baumstamm, wo ich auch schon gestern gesessen hatte.
Ich könnte fliehen. Meine Hände waren zwar gefesselt, aber nicht irgendwo angekettet. Nichts würde mich daran hindern, jetzt im Wald zu verschwinden.
Aber ich wollte nicht. Es würde mir nichts bringen, schließlich müsste ich dann irgendwo anders meine Identität erschwindeln. Außerdem brachten mich die Hunter ja zu diesem Lager, wo man mich bestimmt töten würde... und seltsamerweise hatte ich nichts dagegen. Vielleicht lag es daran, dass ich mich selber als ein Monster sah, dass fünfzehn Elementes ermordet und seine Freundin verletzt hatte. Eine Freundin die mir vertraut hatte.
Der bekannte Hass auf mich machte sich bemerkbar und mit ihm das Loch in meiner Brust. Ich zog die Knie hoch und presste sie an mich. Wie als könnte ich so das Loch verschließen.
So saß ich eine Weile dar und hielt mich fest, während ich den Sonnenaufgang beobachtete.
„Guten Morgen."
Ich zuckte zusammen und fuhr herum. Hinter mir stand Devon. Mit vom Schlaf zerzausten rotbraunen Haar und belustigt funkelnden braunen Augen. Seine Jagdkluft hatte er noch nicht an, aber dafür ein weißes Stoffhemd, eine braune Hose und die gleichen Stiefel wie gestern. Er ging um den Baumstamm herum und setzte sich neben mich, wenn doch mit etwas Abstand. Aus eigener Sicherheit oder Höflichkeit war schwer zu sagen. Ich glaubte eher die erste Theorie.
„Guten Morgen", erwiderte ich nach kurzem Zögern dann auch und schaute wieder der aufgehenden Sonne zu. Sie war inzwischen über den Baumwipfeln.
„Wie hast du geschlafen?"
Ich schaute ihn von der Seite an: „Warum willst du das wissen? Es kann dir egal sein."
Er wandte seinen Kopf zu mir und legte ihn leicht schief. Dabei fiel ihm eine Strähne ins Gesicht.
„Spricht etwas dagegen, dass ich normal mir die Rede?", wollte er wissen.
Ich schaute wieder zum Sonnenaufgang.
„Ich bin der Feind", erklärte ich schlicht und Devon seufzte.
„Stimmt. Aber deswegen müssen wir uns nicht todschweigen."
Ich schaute ihn wieder an, sein Gesicht war immer noch mir zugekehrt. Ich verstand ihn nicht.
„Wieso redest du so freundlich mit mir? Ich bin der Dunkle Mond."
Devon legte den Kopf in den Nacken: „Mag schon sein."
Ich wartete auf seine Erklärung, warum er so freundlich war, aber da kam nichts. War ja auch egal, soll er doch machen was er wollte.
Devon öffnete gerade dem Mund um irgendetwas zu sagen, da rief eine Stimme: „Guten Morgen, Devon!"
Darauf drehte der Begrüßte sich um und ich blickte ebenfalls in die Richtung.
„Morgen John", erwiderte Devon den Gruß und stand auf, „Was steht auf dem Plan?"
John, nickte zu den Zelten: „Weck du Max und Ellie auf. Es gibt Reste von gestern und dann brechen wir auf. Je eher wir da sind, desto besser."
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro