35
Alenia
Ich blickte eine Weile auf die Stelle wo der Dunkle Mond - Lillith - wie auch immer verschwunden war.
Dann riss ich mich los und lief zu Kova und Lexie. Kova hatte die Zähne zusammengebissen wegen ihrer verbrannten Hand und Lexie schluchzte immernoch wegen ihrem gebrochenen Arm. Ich kniete mich neben Lexie und fühlte vorsichtig ihren Arm. Mehrfach gebrochen.
"Geht zur großen Halle, lasst euch behandeln und sagt, dass es vorbei ist.", wies ich sie an, "Ich schaue mich um ob noch irgendwo andere Verletze sind."
Kova nickte, half Lexie hoch und zusammen gingen sie Richtung Haupthalle. Ich selber lief in die entgegengesetzte Richtung.
Lillith war der dunkle Mond? Die ganze Zeit? Wie konnte das sein? Ich hatte ihr ins Herz geschaut und nichts böses gesehen. Sie war so gut wie ich gewesen.
Hätte sie sich irgendwie dagegen schützen können? Nein, ich hätte den Widerstand gemerkt, oder?
Mein Blick huschte über das am Boden teilweise verteilte Blut.
Das hatte Lillith getan. Erinnerungen an einen anderen Boden mit Blut und der Leiche meines Vaters tauchten vor meinen Auge auf, aber ich wischte sie und die damit verbundene Trauer weg. Jetzt war keine Zeit dafür.
Mein Blick lag weiter auf dem Blut.
Ich schüttelte fassungslos den Kopf. Mein Gehirn wollte nicht begreifen, dass das kluge, freundliche und fröhliche Mädchen in Wahrheit das pure Böse sein sollte. Aber ich hatte gesehen wie sie gekämpft und was sie Kova und Lexie angetan hatte.
Plötzlich sah ich hinter einer Ecke zwei Füße hervoluken. Schnell rannte ich zu der Person hin und mir entdrang ein Keuchen. Die Glieder des blonden Mädchens waren grotesk verdreht und ihr Bauch war einmal quer aufgeschlitzt worden. Ihre Augen waren kalt und leblos.
Das war Lillith gewesen.
Ich wich rückwärts zurück und kämpfte gegen die leichte Übelkeit an. Dem Mädchen konnte ich nicht mehr helfen.
Plötzlich schoss mir ein furchtbarer Gedanke durch den Kopf.
Was wenn Cole oder Lenné drauf gegangen waren? Lenné hatte doch mit Lillith zusammen patrouliert!
Meine Schritte beschleunigten sich und ich suchte hektisch weiter. Am Ende des Ganges, in dem ich mich gerade befand, lag ein Junge. Im ersten Moment dachte ich es sei Cole und mein Herz setzte einen Schlag aus, aber dann sah ich dass der Junge schwarze Haare hatte und keine dunkelblonden.
In der Hoffnung Lillith hatte ihn nicht getötet lief ich zu ihm hin und kniete mich neben ihn. Seine Augenlieder waren halb geschlossen, aber er atmete noch. Er hatte keine Wunden, zumindest konnte ich keine sehen.
Als er mich sah öffnete er die Augen komplett und ich konnte Erleichterung in ihnen erkennen.
"Wo tut es weh?", fragte ich.
"Innen.", flüsterte er, "sie ist irgendwie in mich eingedrungen und..." Er vezog schmerzvoll das Gesicht.
Ich nickte und bewegte die Arme, sodass sich Luft unter seinem Körper bildete und ich ihn so, ohne ihn zu bewegen, hochheben konnte. Ich befürchtete, wenn ich ihn trug, würde es zu sehr weht tun. Ich konnte Lillith Werk nicht einschätzen.
Dann ließ ich ihn zur Haupthalle schweben, wo man ihn behandeln würde.
Ich setzte meine Suche fort und fand zu meinen Schrecken nur tote. Fünf, um genau zu sein. Allesamt grausam ermordet.
Lillith, was hast du nur getan?
Irgendwann hörte ich Schritte und ich drehte mich um. Zu meiner Erleichterung kam mir Cole entgegen. Es sah aus als hätte er keine Verletzungen erlitten.
Mit schnellen Schritten war er bei mir und ich umarmte ihn erleichtert. Er wirkte etwas überrascht aber dann erwiderte er die Umarmung.
Als wir uns voneinander lösten, musterte er mich einmal besorgt, dann fragte er: "Was ist passiert?" Cole Blick lag auf meinen Handgelenken, wo Lillith mich mit Finsternis festgehalten hatte und nun rote Striemen waren.
Ich atmete einmal ein und aus: "Ich habe den Dunklen Mond getroffen."
Cole riss die Augen auf und seine Brille verrutschte ein bisschen: "Hat er dir was getan? Ich habe die... Leichen gesehen."
Ich schüttelte den Kopf und murmelte: "Nein, ich bin gut davon gekommen."
Cole runzelte bei meiner bedrückten Stimme die Stirn: "Wer ist es?"
Ich schluckte und sagte leise: "Lillith."
Der Luft - Nachfahre starrte mich entgeistert an: "Was?!"
Ich seufzte und schaute weg: "Ja. Sie hat das alles getan." Ich machte eine allumfassende Handbewegung.
"Meinst du sie wusste es?"
Ich zuckte die Schultern: "Bin mir nicht sicher. Sie hat drei Wochen lang mit mir über den dunklen Mond geforscht und viel über ihn erfahren. Da könnte man meinen, man merkt es, wenn das Böse in einen wohnt." Ich wusste nicht ob Cole den Hauch Enttäuschung in meiner Stimme hörte.
Lillith hätte es wissen können. Vielleicht hatte sie es auch gewusst und uns alle einfach getäuscht.
Aber das spielte keine Rolle. Sie war der Dunkle Mond und ich die Scheinende. Ich werde sie töten müssen.
Cole schüttelte fassungslos den Kopf: "Ich kann es nicht glauben."
Wir schwiegen beide betroffen, dann sagte ich: "Lass uns weitere Verletzte suchen."
Eine Stunde später standen Cole und ich wieder in der Haupthalle. Der Bann war aufgelöst, die Gefahr vorbei und die Verletzten konnten behandelt werden. Viele lagen auf Pritschen, einige saßen mit blassen Gesichtern da. Es herschte ein düsteres Schweigen.
Die Direktorin stand am Rande und beobachtete alles mit dunklem Blick. Dann fiel ihr Blick auf mich und sie winkte mich zu ihr rüber. Als ich bei ihr war, schaute sie mich ernst an: "Wer ist es?"
Ich seufzte. "Lillith"
Die Direktorin schlug sich die Hand vor den Mund: "Aber- ich dachte wir..."
"Ich dachte auch ich könnte ihr vertrauen. Aber vielleicht wusste sie nicht, dass sie es war."
Ich hörte die Hoffnung in meiner Stimme selber. Sie war dumm, das wusste ich. Ich musste Lillith so oder so töten.
"Wo ist Lillith jetzt?", erkundigte sich Miss Hawkins. Ich zuckte die Schultern und biss mir auf die Lippe: "Keine Ahnung."
Miss Hawkins seufzte müde und rieb sich die Stirn: "Ok. Dann sorgen wir uns jetzt erstmal um die Schüler und danach kannst du dich auf die Suche nach ihr machen."
Ich nickte und ging quer durch die Halle zu einem leeren Schlafsack und setzte mich drauf. Müde und geschafft zog ich die Beine an die Brust und legte den Kopf auf meine Knie.
Während ich so dasaß, beobachtete ich die verletzten Schüler, die behandelt wurden. Die meisten hatten das Gesicht vor Schmerz verzerrt oder sie bissen die Zähne aufeinander.
Was ich schlimmer fand, war, dass so viel Schüler gestorben sind. Ich zählte die Pritschen, wo man die Leichen gebettet und zugedeckt hatte. Zumindest so weit, dass man den Kopf noch sah und die Person so erkennen konnte.
Es waren fünfzehn Leichen. Fünfzehn.
Ich hätte das alles verhindern können. Ja, keine von ihnen wäre getorben, hätte ich Lillith vorher ausfindig gemacht! Wäre ich besser und schneller gewesen, hätten sie heute nicht ihr Leben gelassen.
Ich zog meine Beine enger an mich.
Ich hatte versagt.
Während ich weiter über mein Versagen grübelte und über Lillith oder wie es weiter gehen sollte, setzte sich Cole neben mich. Ich hörte das rascheln, was der Schlafsack machte, als Cole sich drauf fallen ließ und ich drehte den Kopf zu ihm.
"Was ist los?", wollte er wissen und schaute mich aufmerksam an.
"Nichts."
Cole zog forschend eine Augenbrauen hoch: "Nimm mich nicht auf den Arm."
Ich lächelte leicht. Er kannte mich besser als ich dachte, was kein Wunder war, da wir teilweise zusammen trainiert hatten. Unsere Väter hatten sich gekannt und manchmal hatte Cole mich besucht. Dann haben wir zusammen
Luft - Bändigen geübt. Meine anderen Fähigkeiten habe ich ihn natürlich nicht gezeigt. Für ihn war ich schon immer eine
Luft - Elementes gewesen.
Er wusste, dass mein Vater gestorben war, aber nicht, dass die Hunter schuld waren. Er glaubte es sei jemand gewesen, dem der guten Ruf mein Vaters im Weg stand. Ich hatte es niemanden erzählt bis auf Lillith. Sie war die Einzige, die meine Vergangenheit kannte, zumindest einen Teil davon und gerade sie war der Dunkle Mond.
Das hast du toll gemacht Alenia. Du hättest dir niemand besseren aussuchen können.
Je besser der Feind dich kannte, desto leichter konnte er dich angreifen. Diese Lektion hatte mir Vater immer wieder eingeschärft.
"Ok", seufzte ich müde. Ich würde ihm nichts vorlügen können.
"Ich hätte diese ganzen Leute beschützen sollen. Ich bin gut und ich hätte es auch gekonnt aber... Sie sind trotzdem tot und Lillith ist verschwunden."
Cole schaute mich aus seinem blauen Augen warm an: "Es ist nicht deine Schuld, dass sie gestorben sind. Du hättest es nicht ahnen können."
Sein Blick wurde intensiver: "Dich trifft keine Schuld."
Ich glaubte ihm nicht wirklich. Vielleicht würde er anders denken, wenn er wüsste, dass ich die Scheinende war. Es war meine Aufgabe gewesen, dass genau das nicht passiert. Dass ich die anderen beschützte. Vater hatte mich ausgebildet und ich hatte es nicht geschafft. Erstmal sollte es keiner wissen, dass ich die Scheinende war. Sie würden alle entäuscht von mir sein und den Glauben in die Scheinende verlieren. Sie sollte aber weiterhin eine Hoffnung für sie sein. Später würde ich Lexie und Kova auch um Diskretion beten. Nachdem sie behandelt wurden.
Ich lächelte Cole an: "Danke, aber ich hätte es verhindern können. Oder zumindest dafür gesorgt, dass nicht so viele sterben." Mein Blick fiel auf die zugedeckten Leichen und einige Schüler, die schluchzend neben ihnen saßen.
Cole presste die Lippen aufeinander: "Du hast getan was du konntest."
Damit stand er auf und ging zu Lance, der düster die Halle beobachtete.
Auch ich stand auf und gesellte mich zu Lexie und Kova, die schweigend nebeneinander saßen. Vermutlich geschockt.
"Hey."
Sie beide hoben fast synchron den Kopf. Ich lies mich im Schneidersitz vor ihnen nieder und schaute sie eindringlich an: "Erzählt es niemanden."
Sie wussten auch ohne, dass ich es direkt nannte, welches Geheimnis ich meinte und nickten ernst.
"Wieso eigentlich nicht?", fragte Kova. Sie hatte einen Verband um die Hand und ich roch den Hauch einer Creme. Irgendeine Brandsalbe vermutlich. "Es ist doch was gutes."
"Je weniger es wissen desto besser. Lillith hat mir gezeigt, dass ich nicht jeden vertrauen sollte. Es kann an Hunter weitergegeben werden und mich aber auch andere womöglich in Gefahr bringen.", erwiderte ich.
Kova sah traurig aus: "Ich fasse es nicht, dass Lillith es war." Lexie neben Kova schaute auf ihren Arm, der verbunden und geschient war und dann auf Kovas Hand: "Ich will nicht glauben, dass Lillith die Schüler getötet hat. Es scheint so unreal."
Ich wusste genau was sie meinte.
"Ich glaube das wollen wir alle nicht glauben.", pflichtete ich ihr bei und schaute auf den Boden, "aber es ist nunmal so."
Lexies Blick ruhte eine Weile auf mir, Dann fragte sie leise: "Wirst du sie töten müssen? Du bist die Scheinende."
Müde schaute ich sie an: "Ja ich denke das muss ich."
Sie beide schauten mich mitleidig an und ich drehte den Kopf weg. Ich mochte solche Blicke nicht, sie würden nicht helfen. Mir wurde dieses Schicksal aufgebürdet und ich hatte damit zu leben. So war es von Anfang an gewesen.
Von klein auf war mir meine Bestimmung bewusst gewesen und es war eine schwere Last, die da auf meinen Schultern lag. Aber ich war nunmal von einen der ersten Mächte des Universums erwählt worden.
Gerade fragte ich mich, ob sie die richtige Entscheidung mit mir getroffen hatte.
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