1 : It Was Damn Close
Einige Abende zuvor:
Der Wind wehte kalt und auch der Anblick der süßen Stadt Odivelas bei Nacht konnte den Luftzug nicht wettmachen, der unter die Schichten seiner wohl doch zu dünnen Kleidung kroch. Und dennoch strahle Felix bis über beide Ohren. Sein Blick fest auf die unweit stehende Halle Pavilhão Multiusos de Odivelas gerichtet, in welche er schon in wenigen Tagen zum Kampf antreten sollte.
Er hatte es tatsächlich geschafft, er war hier. Hier in Odivelas, hier beim ersten internationalen Tunier des Jahres und des ersten internationalen Turnier seines Lebens.
Hätte man ihm vor einem Jahr gesagt, dass er auf der nächsten Teilnehmerliste des Grand Prix Portugal stehen würde, hätte er die Person ausgelacht und innerlich geweint, weil eine tatsächliche internationale Karriere wie ein unerreichbarer Traum gewesen schien. Zum Greifen nah und doch immer einige Zentimeter zu weit entfernt. Dabei hatte er die ganze Zeit das Potenzial dazu besessen, er war bloß, wie ein Rohdiamant gewesen, den man nicht genug geschliffen hatte. Sein Trainer hatte ihn nicht derart gefordert - nicht fördern können - wie er es gebraucht hätte, nicht mal ansatzweise.
Doch aus Zufall war Felix auf Chan, einen alten Kindheitsfreund, welcher bereits im internationalen Judo-Wettbewerb mitspielte, getroffen. Chan erkannte sein verstecktes Potenzial und alles änderte sich danach schlagartig für ihn. Felix wechselte auf seinem Rat hin Trainer, wurde nebenbei von ihm ebenso unter die Fittiche genommen und schoss endlich national völlig in die Höhe, als Spätzünder - die Nachrichten hatten internationale Schlagzeilen gemacht.
Schließlich hatte er es letzten Monat geschafft, sich für das Nationalteam der Judo Australia - der nationale Judobund Australiens - zu qualifizieren. Manchmal fühlte er sich noch immer wie im Traum, aber die Kälte der Nachtluft Odivelas traf real an sein Gesicht.
"Felix?", der Blonde drehte sich zur Stimme um. Chan und Seungmin - einen weiteren internationalen Judoka, den er durch Chan kennengelernt hatte und jetzt befreundet war - waren zwar weiter gelaufen, warteten nun aber an der nächsten Biegung auf ihn. "Kommst du?", hängte Seungmin fragend an.
"Klar! Sorry."
Mit einem letzten Blick hinter sich auf die Halle beeilt er sich aufzuholen, damit sie ihren Weg fortsetzen konnten. Ihr Ziel: die inoffizielle Auftaktfeier des Grand Prix.
Vor dem ersten internationalen Turnier jeden Jahres - dem alljährlichen Grand Prix Portugal - wurde diese Party von vielen Athleten und Athletinnen gesponsert sowie organisiert. Von Jahr zu Jahr schalteten sich immer wieder mal auch Trainer ein oder besuchten zumindest diese Festivität. So auch Chan, welcher zum ersten Mal als Trainer der australischen Junioren - unter 21-Jährige - statt als aktiver Judoka dabei sein würde.
Und Felix war mehr als bereit, ebenfalls ein Teil dieser Tradition zu werden und eventuell auch etwas beisteuern zu können. Also hakte er sich erfreut bei Chan und Seungmin ein, sobald er zu ihnen aufgeschlossen hatte.
"Minho hat mir übrigens gesteckt, dass er dieses Jahr wohl auch kommen wird", grinste Chan breit und nicht nur die Augen von Felix, sondern auch die von Seungmin wurden groß. Trotz seines jungen Alters war er bereits Coach der Nationalmannschaft der Senioren - der über 21-Jährigen - Koreas und das schon seit mehreren Jahren. Dass dies hauptsächlich daran lag, dass Minho nicht aktiv seine Judo-Karriere aufgrund eines Sportunfalls weiterführen konnte, verlieh dem Ganzen allerdings einen bitteren Beigeschmack. Nichtsdestotrotz war er nun als Judo-Trainer ein möglicherweise noch größerer Star als zu aktiven Zeiten und da war er bereits in aller Munde.
Sich weiter darüber unterhaltend, welche Trainer realistisch gesehen noch auf der Party auftauchen könnten, näherten sie sich der Location unweit der Halle.
Als sie ihre Jacken bei der Garderobe abgegeben hatten, waren sie noch zu dritt. Kaum drei Meter weiter, hatte das Dreiergespann schon Chan verloren und auch Seungmin wurde von Judoka seiner Gewichtsklasse begrüßt. Also machte sich Felix alleine weiter auf zum Festsaal. Die überdimensionierten geöffneten Türen gaben Blick auf einen Saal frei, der deutlich schnuckeliger wirkte, je näher Felix ihm kam.
Das Licht war angenehm gedimmt und brachte eine wohlige Atmosphäre in den hoch nach oben gezogenen Festsaal. Verschiedene Tische und Sitzmöglichkeiten waren über die gesamte Fläche - von Bar zu Bar - verteilt und bereits von schick gestylter Judoka umwimmelt. Von irgendwoher spielte ebenfalls Musik und verwandelte die Kulisse zu einem lebendigen Gemälde. Kaum trat er über die Schwelle, fühlte er sich wie automatisch in den Flair eingebunden.
Er ließ beeindruckt den Blick schweifen, doch er kam nicht weit. Seine Augen blieben wie magnetisch angezogen an einem Mann hängen.
Lässig an einem der hohen Tische gelehnt, stand er, mit einem Sektglas in der Hand. Der Blondhaarige blinzelte. Er trug schwarzes Leder, Ton in Ton mit seinen locker gestylten, dunklen Haaren. Silberner Schmuck an seinen Ohren, Hals und Fingern, gepaart mit einer passenden Brille, komplimentierten glänzend das elegante Outfit. Sein Gesicht hatte weiche Züge und seine Lippen ... Felix könnte sich in seinem Anblick verlieren.
Er sah unfassbar attraktiv aus, aber es war der erwiderte Blickkontakt, der Felix völlig in den Bann zog - sodass er nicht wegschauen wollte, nicht wegschauen konnte. Denn seine Augen lagen mit demselben intensiven Funken Neugier auf ihm, wie Felix es in seinem eigenen Blick vermutete.
Es war Anziehung auf den ersten Blick - sexuelle Anziehung.
Als sie sich so in die Augen sahen, hatte Felix ehrlich gesagt befürchtet, gleich hart zu werden. Ein Schauer zog von seiner Kopfhaut direkt zu seiner Mitte - warm, kalt, heiß, prickelnd. Dieser impulsive Gefühlsumschwung war wie ein lächerlicher Flashback in seine blutige Teenagerzeit, verbunden mit einer guten Prise Selbstscham obendrauf.
"Lee Felix?"
Dankbar für die unbekannte Stimme hinter ihm, riss er sich vom Blickkontakt los und drehte sich um. Ein Mann mit ähnlich blondierten Haaren stand breit lächelnd vor ihm. Er hatte noch etwas Jungenhaftes an sich, nicht etwa Babyspeck oder der Gleichen. Es lag vielmehr an seiner Unbeschwertheit, die er ausstrahlte. Und im nächsten Moment musste auch Felix lächeln, als er ihn erkannte. Es war Yang Jeongin, einer der Top-Junioren derzeit und unter anderem langjähriger Freund Seungmins.
"Yang Jeongin? Wie schön, dich endlich kennenzulernen."
"Das bin ich." - Er hatte ein ansteckendes Lächeln - "Freut mich ebenfalls."
Und so nahm der Abend seinen Lauf. Der Blondhaarige fand sich langsam in das Geschehen ein, redete mit vielen verschiedenen Judoka, Idolen von ihm und stellte sich auch Minho vor. Er hatte jede Menge Spaß, und vor allem mit Jeongin an seiner Seite war er in guter Begleitung.
Dennoch suchten seine Augen immer wieder den Saal nach dem mysteriösen Dunkelhaarigen ab, und immer und immer wieder kreuzten sich dabei ihre Blicke. Das schmale Lächeln auf seinen vollen Lippen löste definitiv zu viel Interesse bei Felix aus. Aber er kam von dem Gefühl nicht los, dass dies auf Gegenseitigkeit beruhte. Denn der Austausch ihrer Blicke zog sich über den ganzen Abend, obwohl keiner einen Schritt machte. Warum? Es war bereits interessant, so wie es war - zumindest für Felix. Allerdings hatte der Australier von Blickkontakt zu Blickkontakt das stärker werdende Gefühl, ihn definitiv kennen zu müssen. Sicherlich waren irgendwo die Judoka alle bekannte Gesichter. Aber obwohl er vom Aussehen Koreaner sein könnte, wäre er sich nicht bewusst, ihn für Süd Korea antreten zu sehen.
Der Australier löste sich aus seiner derzeitigen Gesprächsgruppe, in der er gerade Changbin, einen unglaublich frundlichen und liebenswerten Judoka, kennengelernt hatte, um noch etwas zu trinken zu holen. Er war unweit von der Bar entfernt, als jemand - eine der wenigen Leute, die definitiv viel zu tief ins Glas geschaut hatten - Felix derart anrempelte, dass er das Gleichgewicht verlor.
Es war dramatisch gewesen, nahezu filmreif. Die betrunkene Frau war auf ihr eigenes Kleid getreten und deshalb kreischend mit Felix kollidiert. Es lief alles in Sekundenschnelle ab und bevor er irgendwie anders hätte reagieren können, kippte er haltlos nach hinten und damit gegen jemand Weiteres.
Oder vielmehr fing jemand seinen Sturz geschickt ab. Er spürte, wie ihn jemand an Schultern und Taille hielt und so vor dem sicheren Aufschlagen bewahrte. Zögerlich öffnete er seine Augen, die er zu gekniffen hatte.
Er befand sich in den Armen von niemand Geringerem als dem dunkelhaarigen Mann.
Dieser sah auf ihn mehr überrascht als wirklich schockiert hinunter, als wäre er sich auch nicht ganz sicher, wie sie in dieser Situation gelandet waren. Mit dem runden Lampenlicht direkt hinter seinem Kopf glich er einem Schutzengel mit Heiligenschein. Dann entglitt seinen Lippen ein kleines, verblüfftes Lachen: "Alles okay?"
Sein, "Ja", war eher wie ein automatischer Reflex, als dass Felix das wirklich mit Verstand gesagt hätte. Aber bis auf sein drastisch schnell schlagendes Herz, welches laut in seinem Schädel pochte, schien es ihm gutzugehen. Der Fremde half ihm, sich aufzurichten und aus dem Augenwinkel realisierte Felix, dass sein Kopf nicht nur gegen den Boden schlagen hätte können, sondern sogar noch viel eher auf den hohen Tisch aus Metall.
"Danke", lächelte Felix ihn seicht an, sobald er wieder seinen Körper in Balance gebracht hatte. Andere Gäste hatten die betrunkene Frau bereits auf die Beine gebracht und schienen mit ihr in Richtung Bad zu gehen.
"Warte mal kurz."
Er wusste nicht, worauf der Andere hinaus wollte, als er sich leicht seitlich von ihm stellte. Doch mit dem Kommenden hatte er definitiv nicht gerechnet.
Die Berührung war federleicht, in welcher die Finger des Dunkelhaarigen prüfend über seinen Nacken zum Hinterkopf strichen. Auf einmal war Felix sich nicht sicher, ob sein Herz wirklich nur das Tempo noch vom Schock hielt.
"Ich weiß nicht, ob dir bewusst ist, wie knapp du der Tischkante entkommen bist. Es war wirklich haarscharf.", nachdem er sich versichert hatte, dass wirklich nichts passiert war, ließ er wieder von ihm ab, "Scheint alles okay zu sein." "Danke, wirklich", wiederholte Felix dankbar und deutete eine Verbeugung an. "Jeder hätte in der Situation so gehandelt", tat der Andere das Ganze mit einem Lächeln ab, bevor er seinen Weg fortsetzte - als wäre nichts gewesen.
Langsam ließ der Blondhaarige selbst seine Finger über den Hinterkopf fahren, während er dem Fremden nachschaute obwohl er schon in der Menge verschwunden war.
Zu dem Zeitpunkt war ihm nicht bewusst, dass er Hwang Hyunjin war. Der Hwang Hyunjin, welcher der strahlende Stern in der amerikanischen Judo-Szene war. Der Hwang Hyunjin der ihm in seinem ersten großen Finale zum Verhängnis werden würde.
Sicher hatte er schon von dem Koreaner gehört, welcher in Kindheitstagen in die USA gezogen war und seit Anbeginn seiner internationalen Judo-Karriere in reicher Debatte und Wechsel zwischen Korea und den USA stand, da er beide Staatsangehörigkeiten besaß - mittlerweile hatte er sich für die USA entschieden. Wer hatte aber auch nicht davon gehört? So eine Story aus der Judo-Welt nicht zu kennen, wäre unvorstellbar. Aber er hatte nicht Namen und Gesicht zusammen bringen können, zumindest nicht, bis sie sich am nächsten Tag auf der Tatamimatte gegenüberstanden.
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