-35- Von Träumen und dem Untergang II
Der Schritt, den er aus meinen Gedanken machte, fühlte sich wie das Erwachen aus einem Traum an. Ob es ein guter oder schlechter Traum gewesen war, vermochte ich nicht zu sagen. Was blieb, war ein Gefühl des Alleinseins. Ich wollte wieder zurück, dorthin, wo ich gewesen war, in eine bessere Welt. Hier stand ich allein da. Ich war wieder nur ich. Fast. Es gab kein nur ich mehr für mich. Ich hatte ihn damals sofort erkannt, als ich ihn das erste Mal gesehen hatte. Niemals könnte ich ihn vergessen. Und doch hatte ich es, irgendwie.
Siehst du jetzt, was ich alles auf mich genommen habe? Für dich? Ein kleiner Machtwächter, der nie einer gewesen war, richtete so gewichtige Worte an mich.
Ich wollte nicht, dass er sich von mir löste. Die Verbindung zwischen meinen und seinen Gedanken war so natürlich, wie es sonst nichts war. Diese Ordnung nun zu stören, war falsch. Ich war dankbar dafür, dass er mir die Erinnerungen gezeigt hatte. Für jede einzelne. Obwohl sie schmerzten, mich an etwas erinnerten, dass ich hatte vergessen wollen. An etwas, das es mir leicht gemacht hatte, alles hinter mir zu lassen.
Ja. Es war falsch. Ich hätte nicht schweigen sollen. Ich sehe es. Was ich wollte, war nicht richtig! Ich habe die Notwendigkeit der Gegensätze aus den Augen verloren, wollte das vermeintlich Schlechte nicht mehr. Diese Erkenntnis riss an mir wie das Ungleichgewicht nun an den Welten zerrte. Ich habe mich über dich gestellt. Weil ich dachte, ich bekäme dadurch einen Vorteil.
Vielleicht war also all das eine Lektion gewesen, die ich lernen musste.
Ich wusste, es war mir eigentlich nicht egal gewesen, was die anderen über Mocurix gesagt hatten. Ich wusste, er musste existieren, so wie ich existieren musste. Alles bestand aus Licht und Schatten, Positivität und Negativität, alles, das Große und das noch so Kleine. Doch die Stimmen der Drachen gegen Mocurix wurden so laut, dass ich mich nicht einmischen wollte, anfangs. Nicht noch mehr Chaos entstehen lassen und dafür sorgen, dass sie mich auch nicht mehr mochten. Also nutzte ich den Moment und stellte mich als das reine Gute dar. Was ich nicht war, wie gerade diese Handlung zeigen sollte. Dabei wäre es mir, selbst wenn ich gewollt hätte, nicht möglich gewesen, ihnen vollkommen zu widersprechen. Die niederen Götter hatten recht, denn er war für den Schatten in den Universen verantwortlich. Nicht nur für den Schatten, sondern für die pure Finsternis. Dabei konnte sie ohne Licht nicht existieren und das Licht gab es nicht ohne Dunkelheit, so, wie er es bereits gesagt hatte. Ich wusste es die ganze Zeit über. Ich hatte sie weiterreden lassen. Erst später, in der Einsamkeit, hatte ich meine falsche Ansicht fast erkannt. Bis ich mir vor Augen führte, was er mir angetan hatte. Vielleicht hatten die Drachen doch nicht so unrecht. Ich vertraute Mocurix nicht mehr, nicht mehr so wie zuvor. Tat ich es jetzt? Konnte ich es je wieder? Konnte er mir vertrauen?
Wer entschied, wer von uns gut und böse war? War es so einfach, beides zu trennen? Nein, das war es nicht.
Damals hatte ich es nicht erkannt. Aber jetzt, im Nachhinein, war ich mir dem Grund für mein Abkapseln von ihm bewusst. Warum ich geschwiegen hatte. Weil ich geblendet war von der Vorstellung, dass sie allein mir zu Füßen liegen. Ich habe mich über dich erhoben. Du hast mich nicht zerstört. Das waren die anderen Götter, mit ihrem beschränkten Denken, dem ich mich angeschlossen habe. Dadurch habe ich mich selbst zerstört, weil ich nicht mehr wusste, wer ich war. Wer wir waren. Ich habe zugelassen, dass die anderen so über dich redeten. Ich habe diese neue Weltordnung der Drachen übernommen, einfach so. Weil ich mich für besser hielt als dich, weil ich ihnen recht gab.
Sogar ich war der Macht erlegen. Mir das ihm gegenüber einzugestehen, kostete mich Überwindung, als wollte Sarah einen hohen Berg hinaufklettern. Es war anstrengend, aber die Aussicht lohnte sich. Ich werde nicht mehr vor dir fliehen. Wir gehören zusammen. Ich weiß, dass das Sein dich und mich braucht. Das wir uns brauchen. Als gleichwertige Wesen.
Reue erfüllte mich. Es war meine Schuld, all das. Weil ich ihn im Stich gelassen hatte. Weil mir der Gedanke gefiel, dass alle nur mir huldigten, während sie ihn verdammten. Obwohl es falsch war. Egoistisch. Egal. Nichts davon hatte etwas mit dem großen Ganzen zu tun, das wir waren.
Mocurix bekam hier meine Reue, die er sich gewünscht, die er erwartet hatte. Ich spürte seinen inneren Triumph, als wäre es mein eigener, so deutlich, als würde eine Fanfare ihr Eintreffen ankündigen. Es gab also keinen Grund mehr, mich länger hier festzuhalten. Lässt du mich jetzt gehen?
Gleichzeitig kroch es in mir auf. Ein Bedürfnis nach Rache für das, was er mir angetan hatte. Das Verlangen, den Dolch tief in ihm zu versenken.
Seine Augen wanderten durch die Umgebung, als wisse er nicht, wohin er seine Antwort richten solle. Schließlich richtete er seinen Blick auf einen Punkt, der mich mit voller Wucht traf. Ein Faustschlag, der den anderen k.o. gehen ließ, begleitet von vernichtenden Worten. Nein. Nie wieder!
Mocurix starrte mich eine Sekunde länger an, bevor Asirs Gestalt verschwand. So plötzlich, wie er aufgetaucht war. Er löste sich auf. Nein, er verschwand durch die Mauern. Ich spürte ihn noch immer deutlich, außerhalb meines Gefängnisses. Als wäre ich ein kleine Maus in einer Falle und wusste um die Katze, die draußen auf mich wartete. Er konnte mit unser beider Macht alles unternehmen, während ich hier festsaß.
Kurz strahlte ein Gedanke so hell in mir auf, dass er mich blendete und ich mich fragte, wie ich ihn bisher hatte übersehen können. Selbst, wenn ich die Augen verschloss, strahlte das Licht durch die geschlossenen Lider, die ich nicht mehr hatte. Es gab einen Ausweg aus diesem Gefängnis, die Mauern waren nicht so dicht, wie ich dachte. Wenn es für ihn einen Ausweg gab, könnte ich ihn auch finden!
Ich finde ihn! Und dann bin ich frei! Und er wird büßen! Es war mehr als ein Gedanke. Es war der Anfang eines Plans.
Einer, der von mir gespült würde, als Mocurix' Perspektive wieder über mich fiel, gleichermaßen willkommen und abstoßend, und meine eigene Wahrnehmung und Gedanken unter sich begrub.
~•~
Er hockte noch immer vor Sarahs leerer Hülle, es war merkwürdig. Die ganze Zeit über war sie besiedelt gewesen von dem, was er suchte. Sie war das Wertvollste für ihn, was er kannte. Nun war dieser Mensch nichts anderes als ein lebloses Etwas, das Wertvolle von ihr, war das, was er an den Fingern trug.
Mocurix stand auf, blickte zurück auf das Blut, das eine Pfütze bildete. So bedeutungslos. Und doch nicht. Dieses Blut war Teil der falschen Wahrheit, die er gesponnen, in deren Netz er Sarah hoffnungslos verwickelt hatte. Es war so einfach gewesen, sie glauben zu lassen, was eine falsche Wahrheit war. Nicht nur sie, sondern alle, die ihm nützlich waren. Er war der Erbauer dieser Bühne, bei jeder Szene hatte er seine Finger im Spiel. Sie alle waren nichts weiter als Marionetten und er ihr Puppenspieler. Alles für diesen Moment.
Es war das Theater wert. Animera war nun bei ihm und sie erkannte, das ihr Handeln falsch war. Wie gut es sich anfühlte. Er empfing ihre Reue mit offenen Armen suhlte sich darin. Sie sah ihren Fehler ein. Und er verfügte nun über ihre Macht, konnte sie durch sein Gefängnis steuern.
Es hatte eine Zeit gegeben, da war ihm die Ewigkeit wie die Hölle vorgekommen, und er stellte sich vor, wie es wäre, wenn er für sich selbst alles beenden könnte, so, wie er es für die Drachen getan hatte. Jetzt verschwendete er keinen Gedanken mehr daran. Er war nicht mehr allein. Nie mehr!
Mit schiefgelegtem Kopf blieb sein Blick an Sarah hängen. Animera war es, die ihn zuerst verriet, durch ihre Worte, und war überrascht, als er darauf reagierte? Und er sollte der Böse sein?
Einem Impuls folgend ließ er sich ein letztes Mal zu ihr herab. Er fragte sich selbst, was genau er tat, als er ihr das Haar aus dem Gesicht strich. „Wenn du nicht so dumm gewesen wärst, hätte es nicht so enden müssen. Aber irgendwoher müssen die Menschen ihre Dummheit haben. Das war wohl dein Verdienst." Er setzte sie aufrecht hin und küsste ihre Stirn, obwohl nichts mehr von Animera in ihr war. Er sah die menschliche Hülle lange an, bevor er sich abwandte. Dabei war dieser Körper nicht mehr als das: eine leere Hülle. Und doch hatte sie ihrer Seele so lange als Heimat gedient. Vielleicht war auch er ein wenig zu lange Mensch gewesen, wenn auch kein richtiger.
Er wandte sich ab, musste beim Weggehen aufpassen, nicht in der Blutpfütze auszurutschen, machte einen großen Schritt über Arokins Überreste und lief zur Haustür.
Die Hand, an der er die Ringe trug, ballte er zur Faust, bevor er auch sie küsste.
Zeit, diese Welt untergehen zu lassen, mit Pauken und Trompeten. Bisher gab er sein Bestes, um die Erde zusammenzuhalten, damit sie ein letztes Mal hier sein konnte, bevor sie unterging. Er hatte nie verstanden, was Animera an den Menschen fand.
Er gab seine letzte Anstrengung auf und verließ diese Welt.
Eine Weitere, deren Zerstörung keine Rolle spielte. Seine war wieder ganz.
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