47. Kapitel
„Was ist los? Was machst du hier?", fragt er mich wieder. Ich atme flach und schnell. Harry ist hier? Wo bin ich? Harry ist hier. Ich blicke ihn an und meine Brust zieht sich zusammen. Mein Körper fühlt sich an, als wäre ich durch Schlamm gekrochen. Meine Lunge brennt und meine Muskeln zittern. Glaube ich, keine Ahnung. „Ich... ich muss nach Hause... ich muss duschen", murmle ich. „Was ist passiert?", fragt Harry erneut. Ich mustere ihn. Er trägt Sportkleidung. War er joggen? Es ist mitten in der Nacht. Harry geht joggen?
„Wo bin ich?" – „Sehr weit von deinem Zuhause entfernt." Nein. Doch. „Warst du bei Oliver?" Ich nicke leicht und streiche mir die Haare zurück. „Geht es dir gut? Hat er dir was getan?" – „Nein, er... nein." Harry sieht mich an, er betrachtet mich. „Ein Knutschfleck? Wirklich?" Ich fasse mir an den Hals. Harry schüttelt den Kopf und lacht bitter. „Ich hoffe, du glaubst nicht, dass ich mich jetzt um dich kümmere, nachdem du offenbar Sex mit wem anders hattest." – „Ich... nein. Kein Sex." – „Zumindest seid ihr euch sehr nahe gekommen. Heute Morgen hast du mir noch etwas anderes gesagt."
Harry sieht mich enttäuscht an und ein beißendes Gefühl macht sich in mir breit. Er ist enttäuscht von mir. Oh Gott. „Kann ich..." – „Was? Mit zu mir." Ich bleibe stumm. Ich glaube, das wollte ich sagen, aber ich weiß es nicht mit Sicherheit. „Du willst mir zu mir? War Oliver etwa nicht gut genug? Kann er nicht gut küssen? Oder willst du nur wieder einen Blowjob von mir?" – „Nein, es..." Ich verstumme. Wieso will ich mit zu ihm. Ich taumle und stütze mich an der Laterne ab, unter der wir stehen. Eine Laterne, natürlich. „Mir ist schlecht", bringe ich heraus, gehe einige Schritte rückwärts und der Alkohol verlässt meinen Körper. Ich bekomme keine Luft, meine Augen füllen sich mit Tränen du sie rennen meine Wangen hinab. Fuck.
„Du musst dringend schlafen, Louis", höre ich ihn sagen. Das macht es nur schlimmer. Ich übergebe mich erneut. Mein Magen krampft sich zusammen und bevor ich es verhindern kann, überrollt mich das Gefühl der Panik. Ich kann nichts dagegen tun. Nein! Nicht vor ihm! „Ich rufe Noah an." – „Nein!", widerspreche ich sofort. Neo hat mich gestern schon abgeholt. Ich würge schon wieder. Ich gehe einige Schritte weiter und lasse mich auf den Boden nieder. Einfach aussitzen, einfach warten, bis es vorbei ist
„Ich kann dich hier schlecht so sitzen lassen." Mein Körper zittert und ich zucke mit den Schultern. „Mach ruhig. Geh wieder. Das... es wird gleich besser." – „Und da bist du dir sicher?" Ich nicke und lache bitter. Dann schnappe ich wieder nach Luft. Ruhig atmen. „Ist – ist ja nicht das erste Mal." – „Du hast das öfter?" Er kommt mir näher und ich rieche sein Parfum. Sofort dreht sich wieder alles. Es hört nicht auf, es ist schlimmer als sonst. Die Welt um mich herum bricht zusammen, sie stürzt auf mich ein. „Du... geh. Geh wieder." – „Vergiss es." – „Ich habe Oliver geküsst, du solltest gehen." Er schweigt. Ich zittere, mir ist eiskalt.
Plötzlich erscheint eine Hand in meinem Sichtfeld. „Steh auf. Ich bringe dich nach Hause." Ich schlucke und lege meine Hand in seine. Sofort steht mein Körper in Flammen. Er zieht mich hoch und ich stolpere in seine Arme. Seine Nähe bringt meine Sinne durcheinander. Ich lehne mich an ihn. Zuhause. „Louis, komm mit. Du musst ins Bett. Du musst nach Hause." – „Bin ich", nuschle ich unverständlich. „Wir stehen mitten auf einer Straße in Tampa.", widerspricht er. Ich nicke nur. Dann höre ich ihn seufzen. Ich schließe die Augen und lehne meinen Kopf gegen seine Brust. Er riecht so gut. „Du bist betrunken. Du solltest nichts tun, was du später bereust." – „Habe ich heute schon. Oliver." – „Du bereust Oliver?" – „Keine Ahnung. Es war okay." – „Okay?" – „Keine Ahnung", wiederhole ich kraftlos und völlig erschöpft.
„Ich werde nie wieder lieben können. Nie wieder." – „Das stimmt nicht, Louis. Du kannst lieben." – „Nein." Ich schüttle den Kopf. Fuck. Dumme Idee. „Nein, nie wieder. Du hast alles kaputt gemacht." Harry schweigt, legt einen Arm um meine Hüfte und wir gehen die Straße entlang. „Du musst schlafen Du bist übermüdet und du hattest... uhm..." – „Das nennt man Panikattacke." Er nickt und sei Griff um mich wird fester. Mir ist kalt, mein ganzer Körper schmerzt und für einen kurzen Augenblick denke ich darüber nach, ihn zu küssen. Nein, das ist ekelig. Ich habe gerade gekotzt.
„Hier, steig ein." – „Was?" Verwirrt sehe ich ihn an. „Ich habe einen Uber gerufen, setzt sich in das Auto." Umständlich klettere ich auf die Rückbank und halte mir den Kopf. Mein Schädel dröhnt. Harry seufzt und murmelt irgendetwas. Keine Ahnung, was. Dann sitzt er plötzlich neben mir. „Ist dein Haus in dieser Richtung? Warst du nicht joggen?" – „Meine Güte, wie viel hast du getrunken?" – „Bisschen", nuschle ich unbeholfen. „Nein, mein Hotel ist nicht in dieser Richtung, aber ich bin gerade nicht sicher, ob du es alleine aus dem Uber zu deiner Haustür schaffst. Und ja, ich war joggen." – „Wieso machst du nicht weiter?" – „Hätte ich an dir vorbeilaufen und dich in diesem Zustand durch die Nacht irren lassen sollen?", fragt er irritiert und schüttelt den Kopf. „Nein, du hast... deine Hand war an meinem Rücken." Er stockt in seiner Bewegung. Was habe ich gerade gesagt? Ach, war bestimmt nicht so wichtig.
„Du warst nicht im Hattricks." – „Richtig." – „Wieso warst du nicht da?", frage ich unüberlegt. „Du bist früher immer mitgegangen." – „Ich bin deinetwegen mitgegangen." – „Was?" – „Ich wollte von Anfang an mit, um Zeit mit dir zu verbringen, wusstest du das nicht?" Ich schüttle stumm den Kopf. Harry schluckt und sieht zur Seite. „Du warst der Grund, Louis. Du bist immer der Grund gewesen." Schon wieder fange ich an zu heulen. Nein. Er lügt! „Du hast mich allein gelassen." Er nickt. „Ja, ich weiß, aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt darüber zu reden. Du bist nicht in der richtigen Verfassung dazu." – „Du kennst mich nicht." – „Du bist betrunken, übermüdet und überfordert." – „Du kennst mich nicht!", wiederhole ich lauter und möchte ihm gegen die Brust schlagen, aber stattdessen landet meine Hand sanft auf seinem Shirt.
Er legt seine darauf und hält sie fest. „Ich war nicht im Hattricks, weil ich wusste, dass Oliver da sein wird." – „Oliver ist... nett." – „Kann schon sein, aber Oliver steht auf dich." – „Vielleicht." Ich zucke mit den Schultern. „Es war schlimm genug mitzubekommen, als er dich in der Pause geküsst hat. Deswegen bin ich nach Hause gefahren und nicht mitgegangen." – „Es... was? Es war schlimm? Ich dachte, der Kuss war okay?" – „War er das?", fragt er mich. „Ich glaube schon. Er küsst ganz gut, aber..." Ich beende den Satz nicht. „Du bist deswegen nicht mitgegangen?", frage ich erneut nach. „Richtig. Ich werde mir nicht ansehen, wie du jemand anderen küsst. Am liebsten würde ich es überhaupt nicht wissen." Wieso will er es nicht wissen? Mein Gehirn arbeitet zu langsam. Ich verstehe es nicht.
„Du verstehst es wirklich nicht, oder?" Ich schüttle den Kopf. „Es tut mir weh, Louis." – „Wieso?" – „Was?" – „Wieso tut es dir weh? Du hast mich verlassen, du bist gegangen, du –" Schon wieder. Ich bekomme keine Luft mir, kleine Punkte tauchen vor meinen Augen auf und ich fasse mir an die Brust mein Herz schlägt viel zu schnell, Blut rauscht in meinen Ohren und meine Umgebung verschwindet. „Louis, atme! Louis!", höre ich ihn sagen. Es ist, als wären meine Ohren voller Watte. „Weg.", murmle ich. Vor meinem inneren Auge sehe ich mein leeres Bett. Ich reiße die Schranktüren auf und seine Klamotten sind verschwunden. Alles ist weg. „Er ist weg." Meine Stimme ist leise, fast nicht vorhanden. „Louis, ich bin hier! Schau mich an!" Er nimmt mein Gesicht in seine Hand und dreht meinen Kopf zu sich. Harry.
„Ich bin hier, Louis! Du musst ruhig atmen, hörst du?" Ich blinzle einige Male. Er ist hier? „Atme mit mir zusammen, okay? Langsam. Tief einatmen." Seine Stimme klingt so nah. Ich mache mit. Ich schaue ihn an und mache mit. Es klappt. Ich werde ruhiger. Mein Herzschlag wird langsamer. Ich sehe wieder richtig. Wir sind in einem Auto? Ach ja, das ist ein Uber.
„Okay, geht's wieder?" – „Mhm." Ich glaube schon, vielleicht. Ich sehe aus dem Fenster. Die Straßen kommen wir bekannt vor. Plötzlich stehen wir vor meinem Haus. Harry steigt zuerst aus und zieht mich aus dem Auto auf die Beine. „Schlüssel?" Ich hole ihn mit zitternden, kraftlosen Fingern aus meiner Hosentasche. Er schließt die Tür auf, es ist schön warm hier drin. Zielsicher führt er mich in die Küche, holt ein Glas heraus und reicht es mir. „Trink das." – „Was ist das?" – „Wasser. Los, trink das aus." Okay. Ich komme seiner Anweisung nach. Es tut gut. Ich bin zuhause. Nein, ich bin in meinem Haus. Ich sehe Harry an. Das hier war einmal unser Zuhause.
„Geht es wieder?", fragt er mich ruhig und mustert mich kritisch. „Ähm... ich denke schon." Ich räuspere mich und fülle das Glas erneut auf. Ich merke erst jetzt, wie viel Durst ich habe. Die Watte in meinem Kopf verschwindet nach und nach. Ich komme wieder zu mir. Was ist passiert? „Du bist hier." – „Wie betrunken bist du noch?" – „Geht so." – „Gut, dann sollte ich gehen." – „In das Hotel?" – „Ja. Ich sollte nicht hierbleiben. Das hier ist nicht mehr mein Zuhause, das hast du mir klar zu verstehen gegeben. Deswegen werde ich jetzt gehen. Du solltest das mit Oliver klären." – „Mhm. Ich weiß." Harry zögert. Ich sehe ihn fragend an. Dann fällt mein Blick auf seine Lippen. Herr Gott, ich will ihn küssen!
„Du solltest schauen, dass du dir Hilfe suchst, Louis." – „Ich brauche keine Hilfe! Schon gar nicht von dir! Du bist doch der Grund dafür, dass es mir so geht wie es mir geht!" Dieses Thema ist wie ein rotes Tuch. Ich denke nicht darüber nach, was ich sage, die Wörter sprudeln aus meinem Mund, ohne, dass ich es verhindern kann. „Alleine du bist schuld! Du kannst mir nicht helfen und du sollst mich nicht helfen!" – „Also hätte ich dich gerade stehen lassen sollen?" – „Fuck, ja! Wäre ja nicht das erste Mal gewesen!" Harry stockt, dann antwortet er: „Gut, du scheinst auszunüchtern. Geh ins Bett, Louis. Ich werde nach Hause verschwinden... schlaf gut." Die Tür fällt ins Schloss, als er gegangen ist. Er... was? Ich springe unter die Dusche. Ich fühle mich eklig, dreckig, schmutzig. Ich wasche meinen ganzen Körper so gründlich es nur geht.
Vor meinem inneren Auge fliegt die heutige Nacht vorbei. Ich sehe die Szenen wie ein Film, aber immer wieder werden die Ausschnitte von schwarzen Lücken unterbrochen. Er hat mich gefunden. Ich hatte eine Panikattacke. Ich bin in meinem Haus. Oliver hat mich geküsst. Er hat mir geholfen. Harry hat mir geholfen.
-- -- -- -- --
Heute mal ein etwas längeres Kapitel. Louis hatte mal wieder eine Panikattacke und Harry hat es mitbekommen. Könnte das vielleicht sogar ganz gut sein? Und wird Louis sich am nächsten Tag daran erinnern?
Love, L
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro