viii. berühre mich
Juliet
Dieser Mistkerl!
Dieses gottverdammte Arschloch, der mir leider tiefer unter die Haut geht, als ich es mir eingestehen will.
Der einzige Grund, der mir einfällt, ist der, dass ich sein Kind in mir trage. Ein Teil von ihm...
Das ist es, oder?
Juliet:
Ally, ich drehe durch!
Ich muss nicht einmal eine ganze Minute warten und schon ertönt ein kleines Piepen, das eine neue Nachricht einläutet.
Ally:
Lass mich raten... Das unverschämt gutaussehende Arschloch?
Juliet:
100 Punkte für Gryffindor...
Juliet:
Ich wollte gerade mit ihm reden – vernünftig reden, doch er... Ich weiß nicht, warum es immer so eskalieren muss
Ally:
Was ist das zwischen euch?
Was das zwischen uns ist?
Ich weiß es selbst nicht und Chris sicherlich noch weniger. Wir sind beide Erwachsene, benehmen uns aber wie Kinder.
Kann es nicht einfach sein?
Aber es war für mich noch nie einfach, immer habe ich Arschlöcher angezogen, wie Motten zum Licht... oder Fliegen zu Scheiße.
Juliet:
Wenn ich das wüsste, dann könnten wir ein auf Happy Familie machen...
Ally:
Ist es das, was du willst. Einen auf ›Happy Family‹ machen?
Ich stocke für einen kurzen Augenblick. Ich war so sehr beschäftigt Chris irgendwie zu verstehen, ihn zu analysieren, dass mir nie so wirklich der Gedanke gekommen ist, was ich wirklich will.
Ich habe gesagt, dass ich es alleine schaffe – aber was bleibt mir auch anderes übrig?
Mir war von Anfang an klar, dass ich den mysteriösen Mann nie wieder sehen werde, der mir eine so kostbare Nacht geschenkt hat, dass ich fast vergessen habe, was für Mistkerle-Typen überhaupt sein können. Ich war bereit, das Kind alleine mit meiner Familie aufzuziehen - ohne Vater, aber mit vielen liebenden Onkels... doch Chris ändert jetzt alles.
Ally:
Bist du noch da??
Ally:
Hallo?
Ally:
?
Das erneute Piepen meines Handys reißt mich aus meinen Gedanken. Ich schüttle meinen Kopf und versuche, ins Hier und Jetzt zurückzukommen.
Juliet:
Ja, Entschuldigung. Ich habe gerade nachgedacht... Danke!
Ally:
Zu welchem Entschluss du auch immer gekommen bist, gerne!
Ich schließe meine Nachrichten und lege mein Handy auf den Tisch vor mir. Seit dem Gespräch von Chris und mir, das wie immer dieselbe Wendung genommen hat – warum wundert es mich noch? - habe ich ihn nicht mehr gesehen.
Er ist genauso weggestürmt, wie ich es bin. Was schon eine gute halbe Stunde her ist. Die Glastür, die zu der großen, sonnendurchfluteten Terrasse führt, steht offen und das fröhliche Vogelgezwitscher hallt in mir nach. Anders als ich mich fühle.
Ich will schreien, weinen, um mich herum treten und auf der anderen Seite fleht mich ein klitzekleiner Teil in mir an, es sein zu lassen, ihn versuchen lesen zu wollen. Ihn zu verstehen. Meine Gefühle sind so sehr durcheinander, erinnern sich an seine Berührungen und vermissen sie... Weil es sich nach Ewigkeiten nach wirklichem Sex angefühlt hat und ich nicht gezwungen wurde.
Mein Bauch zieht sich zusammen, als ich automatisch an meine erste Liebe Will denken muss.
Ich dachte, er wäre alles für mich – und ich für ihn.
Will hat alles getan, damit es mir gut geht. Hat mich auf Händen getragen, doch die Manipulationen, die hinter jeder seiner Handlungen gesteckt hat, habe ich einfach nicht gesehen. Ich wollte sie nicht wahrhaben. Weil es sich so perfekt angefühlt hat, weil ich mir die perfekte Welt vorgegaukelt habe.
Doch nichts im Leben ist perfekt. Keine Beziehung. Keine Familie. Nur manche wollen es nicht sehen, verschließen ihre Augen davor und träumen weiter.
Vielleicht sind Chris und ich uns gar nicht unähnlich – wir beide stehen für unsere Meinungen ein. Koste es, was es wolle. Ob es so gut ist, sei jetzt einmal dahingestellt.
Ich bin hin und hergerissen. Normalerweise versuche ich alles um mich herum so harmonisch wie möglich zu halten, so schwer wie das auch ist. Es ist ein verdammter Drahtseilakt, aber so habe ich das Gefühl, die Kontrolle zu behalten.
»Du kennst ihn nicht, also lass dir nicht von ihm die Meinung vermiesen«, spreche ich leise zu mir selbst.
Selbst ist die Frau – mein neues Motto.
Vielleicht werden Chris und ich es hinbekommen. Vielleicht aber nicht. Das kann nur die Zeit zeigen, aber ich weiß, dass das alles kein Zufall sein kann. Irgendjemand hat seine Finger mit im Spiel und mischt die Karten komplett neu.
Ich verbiete mir den Gedanken an den gottähnlichen Mann, verbiete mir, daran zu denken, wie gut wir uns in dieser Nacht angefühlt haben.
Ein altbekanntes Kribbeln jagt durch meinen Körper.
Verräter.
Ich tue es damit ab, dass meine Hormone durchdrehen und außerdem hat mir Henry nicht als fast Allererstes eröffnet, dass bei einigen die sexuelle Lust ansteigt?
Es mag sein, dass sich mein Körper irgendwie nach Chris verzehrt. Immer wieder spüre ich diese Anziehung zwischen uns, doch unsere Gespräche machen sie jedes Mal zunichte.
Ein Ruck geht durch meinen Körper. Als würde er selbstständig handeln, bewege ich mich auf mein Zimmer, schäle mich schnell aus meinen Sachen und ziehe mir meinen neuen Bikini an, den ich mir kaufen musste, als meine Brüste angefangen haben zu wachsen.
Er ist schlicht und dennoch fühle ich mich wohl in ihm.
»Na, kleine Bohne, wie geht es dir?«
Vor dem Spiegel bleibe ich stehen. Mein Blick ist auf die kleine Wölbung gerichtet, in der gerade ein kleines Wunder heranwächst.
»Ich weiß, so richtig lebensfähig bist du noch nicht, dennoch bin ich mir ziemlich sicher, dass du bald ziemlich viel mitkriegen wirst...«
Ich rede mit der kleinen Bohne im Bauch, obwohl mir klar ist, dass es mich noch nicht hören kann. Dennoch ist es ein unbeschreibliches Gefühl, eines, das ich einfach nicht beschreiben kann.
Das muss wohl das Glück der Mutter sein. Man liebt sein Kind. So einfach kann es manchmal sein.
»Ich glaube, dein Vater ist nicht so ein Arschloch-« Ich stocke sofort und starre mich mit weit aufgerissenen Augen an.
»Bohne, das sagt man nicht, ich meine natürlich den viel zu gut aussehenden Nachbild eines Hinterteiles.«
Während ich mit meinem Ungeborenen rede, zeichne ich kleine Muster auf der Haut. Mich überkommt eine innere Ruhe, die ich so noch nicht kenne.
»Na komm, lassen wir uns nicht die Laune verderben und gehen baden!«
Das kühle Nass schmiegt sich an mich wie eine zweite Haut. Genüsslich verlässt ein Seufzen mein Mund. Schon früher habe ich es geliebt, mich einfach im Wasser treiben zu lassen. Dieses Gefühl ist einfach unbeschreiblich und erinnert mich an meine Kindheit.
Ich weiß, dass es Kinder gibt, die keine schöne Kindheit haben. Alleine TikTok erzählt tausende Storys, eine grausamer und widerwärtiger als die andere. Meine Kindheit war schön. Streits gehören in jeder Familie dazu, so auch in meiner, aber am Ende haben wir immer zu uns gehalten.
Ich war sechzehn, als ich das erste Mal mitbekommen habe, dass es nicht so ist. Dass nicht jedes Kind eine schöne Kindheit hat. Doch niemals ist dies eine Ausrede für einige Taten.
Die Sonne wärmt mein Gesicht, auf dem ich ein Lächeln trage, als sich eine Wolke dazwischen schiebt und ein Schatten auf mich wirft.
Als ich aber meine Augen öffne, muss ich feststellen, dass es keine Wolke ist, sondern es sich um Chris handelt.
»Chris«, keuche ich erschrocken, weil ich mit dem Dunkelblonden am wenigsten gerechnet habe.
»Juliet.«
Er sagt nur meinen Namen. Doch er kommt so bittersüß über seine vollen Lippen, dass sich alles in mir zusammenzieht.
Wir starren einander an, als würde es die Umwelt um uns nicht geben. Kein Vogel, der eine fröhliche Melodie in den Wald schreit, kein Wind, der durch die Blätter rauscht. Nur wir beide.
»Ich sehe es so...«, beginnt Chris, während er sich auf seine Knie gleiten lässt, sich leicht über die Kante des Beckens beugt, dass er sich direkt über mir befindet.
Wie paralysiert finden meine Augen seine. Zwei strahlend blaue Lapislazuli blitzen mir entgegen und in dem Moment, als unsere Iriden aufeinandertreffen, bebt mein gesamter Körper.
»Wir missverstehen uns immer und immer wieder...«, seine Stimme ist plötzlich so rau und so dunkel, dass ich nicht anders kann, als ihm nur zuzuhören. Als wäre er meine persönliche Muse.
»Aber ich weiß, dass du es auch spürst.«
Er streckt seine Hand aus, schnappt sich eine Strähne meiner hellen Haare und dreht sie zwischen seinem Zeigefinger, während er dem intensiven Augenkontakt standhält.
»Dass du es auch fühlen kannst, seit dieser Nacht.«
Er flüstert nur noch. Dennoch tobt in mir eine Naturgewalt.
»Ja...«, wimmere ich leise. Zu mehr bin ich nicht imstande, fühle mich wie Schokolade, die in seiner Gegenwart schmilzt.
Berühre mich, bitte. Berühre mich so, wie in der einen Nacht. Zeig mir, wie wunderschön dieses Gefühl sein kann. Lass uns endlich wieder gemeinsam vergessen.
Vergesst nicht zu voten, wenn es euch gefallen hat.
danke (:
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