71 | Gespräche
Mein Vater erhob sich, doch ich stand ebenfalls auf und warf ihm einen warnenden Blick zu. Er fixierte erst mich, dann Ayaz. Es drohte zu eskalieren, da Adamo zuvor schon seinen Mund nicht halten konnte.
»Hey«, begrüßte Ayaz uns als Erster, der aber von niemandem wahrgenommen wurde. Alle sahen zu mir und ich, ich sah nur Ayaz an. Er stand da. Blumen in der Hand und ein sanftes Lächeln auf den Lippen. Dieses Lächeln, dass mich schon so lange begleitete.
»Ciao«, sagte er. Ich fand es irgendwie süß, dass er mich so begrüßte.
»Ciao«, erwiderte ich ihm, während er einen Schritt auf den Tisch zukam.
»Können wir reden? Bitte?« Er richtete diese Frage an mich, doch es war mein Vater, der darauf reagierte.
»Sag, was du zu sagen hast«, antwortete er und stellte sich vor ihn. »Du kannst es ihr hier sagen. Vor mir.«
»Bei allem Respekt.« Ayaz wandte sich meinem Vater zu, während ich den Atem anhielt und an den Rand des Tisches lief.
»Aber meine Frage war an Nives gerichtet.«
Mein Vater hob seine Augenbrauen und grinste gefährlich. Er steckte seine Hände lässig in seine Hosentaschen, ohne Ayaz aus den Augen zu lassen.
»Ach, ist das so?« Seine Stimme verfinsterte sich. Ich wollte weiter auf die beiden zu, bis mich jemand am Handgelenk packte. Fragend sah ich herab zu Cecilio. Er schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Wenn er sich nicht selbst durchsetzen kann, wird er nie akzeptiert werden«, sprach er so leise, dass nur Elio und ich ihn hören konnten.
»Ja«, entgegnete Ayaz meinem Vater und hielt seinem Blick stand. »Sie ist alt genug und hat die Hölle ganz allein durchquert. Sollte sie nicht im Stande sein, selbst zu entscheiden, ob sie mit mir sprechen möchte?«
»Alt genug, eine Frau zu sein«, entkam es meinem Vater. »Aber sicher nicht alt genug für einen über 30 jährigen Mann.«
»Wie viel Jahre liegen zwischen dir und deiner Frau?« Ayaz schaute flüchtig zu Ludovica, ehe er meinen Vater ansah und auf eine Antwort wartete. Dieser wirkte zu meiner Verwunderung ruhig. Nicht so, als würde er jeden Moment auf ihn los. Aber man konnte nie wissen, was sich hinter der Fassade abspielte.
»Acht Jahre«, mischte sich Adamo ein und warf meiner Mutter ein Zwinkern zu. »Wenn wir aber von der emotionalen Stabilität gehen, müssten beide gleich alt sein. Etwa im Alter eines Grundschülers.«
»Und du dann auf dem Niveau eines Kindergarten Kindes nehme ich an?«, sagte Cecilio, woraufhin Adamo auflachte.
»Ihr könnt es einfach nicht lassen, oder?«, fragte meine Mutter und verdrehte ihre Augen.
»Du stehst doch drauf, Principessa.«
Mein Vater drehte sich zum Tisch. Erst mahnte er Adamo mit seinem Ausdruck. Anschließend wandte er seine Augen auf meine.
»Ihr könnt in den Garten... Wo ich euch sehen kann.«
»Danke.« Während mein Vater Adamo auf den Hinterkopf schlug und sich wieder neben Nunzio setzte, kam Ayaz auf mich zu. Ich ging neben ihm her zur Terrassentür, wobei ich mitbekam, wie sich alle am Tisch in Gespräche vertieften.
Kaum draußen, reichte Ayaz mir die Blumen. Es waren rote Rosen. Gewöhnlich, doch auch romantisch und das Zeichen davon, jemanden wertzuschätzen.
»Die Blumen wären nicht nötig gewesen.« Ich nahm auf einer der Liegen Platz und schloss meine Augen, um an den Rosen zu riechen. Ayaz setzte sich mir gegenüber.
»Ich finde schon«, meinte er, woraufhin ich ihn ansah. »Und trotzdem können sie nicht im Ansatz ausdrücken, wie sehr mir alles leid tut.«
»Du redest von Elif, oder?«
Er atmete tief durch und sah kurz in den Garten. Seine Gedanken schienen zu kreisen.
»Das war nur die Spitze des Eisbergs«, erklärte er. »Wir haben ... Ich habe falsch angefangen.«
Sein Gesicht wandte sich wieder meinem zu. Ich runzelte meine Stirn, weil ich keine Ahnung hatte, wovon er sprach. Vorsichtig legte ich die Blumen neben mir ab, wodurch ich automatisch durch die Fensterfront nach innen blickte. Niemand, außer Malino, beachtete uns. Er aber umso intensiver. Irritiert davon neigte ich meinen Kopf. Malino biss sich auf die Unterlippe und trank anschließend einen Schluck seines Getränks. Seine Augen permanent auf meine gerichtet. Eindringlich. Intensiv.
»Er hat Angst.« Ayaz entriss mich meiner Starre. Ich ließ Malino los und richtete Miene Aufmerksamkeit wieder auf den Mann vor mir.
»Angst?«, wiederholte ich ihn und setzte ein falsches Lächeln auf. »Malino hat nur Angst vor Gott. Genau das ist sein Problem.«
»Das schätzt zu falsch ein«, widersprach Ayaz mir. »Er hat das Blut seines Kindes an den Händen. Er hat den Wagen gefahren, wodurch Stella ihr Kind und Elio sein Bewusstsein verloren hat. Er war hier, auf der Party, als dieser Bastard dich missbrauchen wollte. Ich denke, er wird nie wieder zulassen, dass euch etwas passiert.«
Ich dachte über Ayaz Worte nach und blickte nochmals flüchtig zu Malino. Immer noch hielt er mich gefangen. Er saß seitlich neben Elio, der sich mit Nunzio unterhielt.
»Was meintest du damit, dass du falsch angefangen hast?« Neugierig auf seine Antwort, überkreuzte ich meine Beine und lehnte mich etwas vor.
»Naja.« Ayaz zog seine Schultern hoch und schmunzelte. »Ich dachte, alles muss schnell gehen.«
»Schnell?«
»Ja, schnell.« Er lehnte sich ebenfalls vor, sodass unsere Gesichter nur wenige Zentimeter trennten. »Ich dachte, wenn ich dir Zeit gebe, wird dir klar, dass ich dir nicht gerecht werde. Ich war der Meinung, ich müsste alles überstürzen, um dich zu beeindrucken. Das hattest du aber nicht verdient. Du hättest es verdient gehabt, auszugehen. Wo auch immer du hin wollen würdest. Lange Gespräche am Abend. Spazieren am Strand. Blumen und Aufmerksamkeiten. Nicht einen Mann, der eine Gabel fallen lässt, um zwischen deine Beine zu schauen. Keinen Mann, der sich hinter versteckten Türen auf dich stürzt. Keinen Mann, der so viel Angst vor seiner Vergangenheit hat, dass er sie versteckt und glaubt, er würde damit durchkommen.«
Atemlos starrte ich ihn an. Vor Monaten hätte ich ihn ausgelacht. Meine Unsicherheit mit blöden Sprüchen oder Arroganz überspielt. Doch das war ich nicht mehr. Ich schreckte nicht mal zurück, als Ayaz eine Strähne meiner Haare zwischen seine Finger nahm und sie sanft hinter mein Ohr strich.
»Aber vor allem hättest du einen Mann verdient gehabt, der Serafino losgeworden wäre. Gleich von Anfang an.«
»Das mit Serafino hatte nichts mit dir zu tun.«
»Und trotzdem fühle ich mich schuldig.« Er ließ meine Strähne los und lehnte sich wieder nach hinten, um Abstand zwischen uns zu bringen.
»Weißt du«, begann ich und lächelte, was auch ihm ein kleines Lächeln entlockte. »Ich würde sehr gerne mit dir auf ein Date gehen. Aber bitte nicht in ein Fitnessstudio und auch nicht an die Hütte am Strand. Ich will einen Ort nur für uns.«
»Nur für uns?«, wiederholte er mich, während sein Lächeln breiter wurde und seine Fältchen zur Geltung kamen.
»Nur für uns.«
»Hey.« Mein Lächeln verschwand, als Malino zu uns nach draußen kam. Er stellte sich an meine Seite. Vorwurfsvoll sah er zu Ayaz, dann mit einem weicheren Ausdruck zu mir. »Alles okay?«
»Was sollte nicht okay sein?«, fragte ich und stand auf. »Was soll das? Geh rein und –«
»Komm mit rein.« Er wirkte nervös und Wölfe mein Handgelenk umfassen. Ich zog es zurück und schaute ihn verwirrt an.
»Ich komme gleich!«
»Jetzt.« Er nahm erneut Ayaz ins Visier. »Und du kannst gehen. Vielleicht zu deiner Frau?«
»Malino. Hör auf«, warnte ich, bis Elio und Stella ebenfalls zu uns stießen. Letztere zwinkerte Ayaz vergnügt zu.
»Na, Cowboy.«
Ich schlug meine Hand vor mein Gesicht, doch Ayaz nahm es entspannter auf. Er erhob sich und nickte Stella zu.
»Ich habe noch einiges zu erledigen«, teilte er schließlich mir mit und sah anschließend zu Malino. »Einen schönen Abend euch.«
»Tschüss.« Malino sah ihm ausdruckslos nach, während ich mir wünschte, keiner hätte uns bei unserem Gespräch gestört. Aber so war meine Familie. Keine Privatsphäre. Keine Ruhe.
»Er hat trainiert, oder?« Stella kam auf mich zu und nahm sich die Blumen zur Hand. »Geschmack hat er auch. 10/10.«
»Die sind wirklich schön«, mischte sich Elio ein, der sich neben Stella stellte. Nur Malino und ich fixierten uns immer noch.
»Was ist dein Problem?«
»Nur er.«
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