70 | Akzeptanz
Alles lag hinter mir. Ich fühlte mich frei. Frei von einer Vergangenheit, die nichts mehr in meiner Zukunft zu suchen hatte. Ich ließ Serafino ziehen. Ließ ihn am Leben. Ein Geheimnis, dass ich mit ins Grab nehmen würde.
Mit meinem Koffer neben mir, stand ich vor der Villa und blickte hinauf zu meinem Fenster. Es kam mir so unwirklich vor, wie wenig Zeit vergangen war und wie sehr ich mich verändert hatte. Vor kurzem saß ich noch auf meinem Bett und regte mich auf, in die Schule zu müssen. Meine einzigen Sorgen waren, gut anzukommen und einen gewissen Ruf aufzubauen.
Das war nicht mehr wichtig. Nichts davon zählte. Ein Leben bestand aus mehr. Zumindest meins.
"Ai, dio mio." Ich nahm meinen Blick von meinem Fenster und sah zur Haustür. Ein strahlendes Lächeln lag auf dem Gesicht meines Vaters, als er schnellen Schrittes auf ich zukam.
"Padre", hauchte ich und ließ mich in seine Arme fallen. Wir hatten uns im Krankenhaus jeden Tag gesehen und doch, war es etwas anderes, endlich wieder Zuhause zu sein.
"Ich wollte dich schon suchen gehen", flüsterte er in meine Haare und drückte mich fest an sich. Der Duft seines Aftershaves wehte in meine Nase. Ich spürte seine Hände auf meinem Rücken, wie er mich festhielt, als würde er mich nie wieder loslassen wollen. "Wo warst du so lange?"
Er löste sich von mir und nahm mein Gesicht in seine Hände, um mich eindringlich zu mustern.
"Ich habe den Taxifahrer gebeten, noch eine Runde zu fahren."
"Du hättest anrufen können."
"Und du hättest dir keine Sorgen machen müssen", entgegnete ich ihm, woraufhin er in meine Wange kniff. Er ließ von mir ab und nahm sich meinen Koffer.
"Alle sind da und warten auf dich", erzählte er. Als er daraufhin zur Haustür laufen wollte, umfasste ich seinen Arm und zwang ihn stehen zu bleiben.
"Können wir reden, bevor wir reingehen?" Er drehte sich zu mir und legte einen irritierten Ausdruck auf.
"Ai, sag mir nicht, es ist doch etwas auf der Heimfahrt passiert." Er merkte wohl, wie nervös ich war. Ich schüttelte meinen Kopf, ließ seinen Arm los und atmete tief durch.
"Du musst mich akzeptieren", sprach ich dann das aus, was mir die letzten Tage im Kopf herum ging. Er hob eine Augenbraue und wollte etwas sagen. Ich kam ihm jedoch zuvor. "Nicht als deine Tochter. Ich weiß, dass du mich genauso sehr liebst, wie ich dich. Du musst aber akzeptieren, dass ich eine Frau bin und kein kleines Mädchen mehr. Ich will meine eigenen Entscheidungen treffen und dabei nicht das Gefühl haben, dich jedes Mal auf Neue zu enttäuschen." Er hörte mir aufmerksam zu, obwohl ich ihm ansah, dass ihm meine Worte nicht passten. "Du wirst immer mein Vorbild sein. Das ist etwas, das sich niemals ändern wird. Wenn ich aber verletzt werde oder mich mich verliebe, hast du die Aufgabe, hinter mir zu stehen - nicht vor mir. Du musst mir versprechen, mich mein eigenes Leben leben zu lassen. Ich habe nicht die Hölle durchgemacht, um mich hinter dir zu verstecken."
Abwartend auf seine Reaktion, musterte ich ihn unsicher. Er fuhr sich durch seine Haare, atmete tief durch und blickte an mir vorbei ins Nichts. Er schien nachzudenken. Womöglich, wie man am besten einen geeigneten Käfig für mich bauen könnte. Nach mir endlos vorkommenden Minuten, fiel sein Blick zu mir zurück.
"Du willst also, dass ich zusehe, wenn du verletzt wirst? Wenn dir ein Mann weh tut, soll ich mich zurücklehnen und Däumchen drehen?"
"Genau das will ich", hauchte ich und hoffte, er würde es akzeptieren. Natürlich war dem nicht so.
"Ich kann nicht", antwortete er und kam mir näher, um erneut mein Gesicht in seine Hände zu nehmen. "Wie soll ich zulassen, dass dir jemand wehtut? Wie soll ich das ertragen?"
"Indem du dir klar machst, dass sie einen Teil von dir in sich trägt." Ruckartig ließ mein Vater mich los, um genau wie ich zur Haustür zu blicken. Von einem wunderschönen, braunen Kleid umgeben, kam meine Mutter auf uns zu. Ihre Augen lagen auf denen meines Vaters. Ein Lächeln entstand auf ihren Lippen. Als sie an seiner Seite ankam, nahm sie seine Hand fest in ihre und küsste seine Wange. Mein Vater schloss seine Augen und genoss ihre Nähe, wie er es immer tat, um ihr anschließend einen Kuss auf die Stirn zu hauchen.
Als sie sich voneinander lösten, legte er seinen Arm um ihre Schulter. Sie sah zu ihm auf.
"Sie wird ohne uns klarkommen. Sogar sehr gut, und das liegt auch daran, dass du ihr Vater bist. Vertrau darauf." Ihr Hand legte sich auf seine Brust, während ihr Blick zu mir fiel. Sie schenkte mir ein Zwinkern, ehe sie ein sanftes Lächeln auflegte. "Also, lasst uns reingehen und essen. Die anderen warten."
"Ihr bringt mich um, dass wisst ihr, oder?" Mein Vater schüttelte den Kopf und schien immer noch angespannt. Trotzdem nahm er meinen Koffer und sagte nichts mehr dazu. Während er uns voraus in die Villa lief, legte meine Mutter ihre Hand auf meinen Rücken und führte mich ins Innere.
"Danke, dass du zu mir gehalten hast", flüsterte ich ihr zu.
"Ich halte immer zu dir", antwortete sie und drückte mich kurz an sich. Gemeinsam liefen wir in den Wohnbereich. Sofort erkannte ich meine Familie am Tisch, sie sich unterhielten und amüsierten. Nunzio, Jennifer, Dario und Felice waren die Ersten, die mich in Empfang nehmen. Die freuten sich, dass ich heil wieder nach Hause zurückgekehrt war. Auch Zita, Adamo und Cecilio lächelten mir aufmunternd zu.
"Komm her, bitch!" Stella klopfte auf den Stuhl neben sich, auf dem ich direkt Platz nahm. Sie zeigte mir ihr Handy und einige Nachrichten eines älteren Mannes, mit dem sie sich heimlich getroffen hatte. Ich freute mich, sie so zu sehen. Ihr ging es besser. Sie blühte wieder auf. Das war die Hauptsache für mich.
Wir fingen an zu essen, wobei ich meinen Brüdern lauschte, die über den Club und alles mögliche sprachen. Adamo erwähnte einmal Serafino. Sie alle schienen erleichtert, dass er nicht mehr existierte. Ich wusste es besser und tat aber so, als würde es mich ebenso freuen. Bloß Cecilio starrte mich nachdenklich an. Ich schüttelte auf seinen Blick hin kaum merklich meinen Kopf. Er zuckte mit den Schultern und hob sein Glas Wein, um mir zuzuprosten.
Ich machte mir nichts daraus und wollte mir gerade auch Wein einschenken, da ging die Haustür auf. Neugierig sah ich an meiner Mutter vorbei und erstarrte, als ich Ayaz und Yavuz erkannte. Ersterer hielt einen Blumenstrauß in der Hand und brachte allein bei seinem Anblick mein Herz zum rasen.
"Dio mio", hörte ich meinen Vater flüstern, woraufhin Adamo anfing zu lachen.
"Daddy ist back."
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