7 | Keller
Überfordert verharrte ich auf dieser Terrasse. Mein Blick bohrte sich in Serafinos Rücken. Auch er regte sich nicht. Sein Kopf neigte sich leicht zur Seite, um zu mir nach hinten zu spähen. Er dachte wohl, ich würde seiner Bitte ohne Gegenwehr nachkommen, doch ich tat es nicht.
"Nein", sprach ich mit fester Stimme. Der kalte Wind streifte durch meine Haare. Wehte mir einige Strähnen ins Gesicht.
"Nein?", wiederholte er mich und ich hörte, dass er sich amüsierte. "Zieh es aus, Nives."
Mit einem bösartigen Grinsen drehte er sich zu mir um. Ich wusste, er würde sicher wieder einen seiner Gorillas auf mich hetzen, würde ich seiner Aufforderung nicht nachkommen. Sollte er doch. Es war eine Sache körperlich angegriffen zu werden, aber eine ganz andere, sich vor Fremden zu entblößen.
Mein Blick fiel neben mich zum Strand. Die Augen der Wachmänner lagen auf mir. Sie warteten, genau wie Serafino.
"Warum?", entkam es mir, wobei meine Augen seine suchten. "Warum ist dieses Kleid dir so wichtig? Erst zwingst du es mir auf, dann soll ich es wieder ausziehen. Geht es dir darum, zu beweisen, dass ich dir ausgeliefert bin?!"
"Nein", antwortete er kühl und machte eine Handbewegung. Das grün seiner Augen durchbohrte mich weiterhin. Gefährlich und doch ohne jegliche Emotion. Ich ließ seinen Blick nicht los. Auch dann nicht, als ich jemanden hinter mir stehend bemerkte. "Ich möchte nur mein Kleid zurück."
"Aber-"
"Jetzt."
Wütend blickte ich ihm entgegen. Im klaren darüber, dass ich nichts außer meinem Slip unter dem Kleid trug, umfasste ich nur widerwillig meine Schultern. Ich streifte mir den dünnen Stoff herunter. Es fühlte sich falsch und erniedrigend an. Doch ich zeigte meine Gefühle in keiner einzigen Sekunde. Erhobenen Hauptes sah ich Serafino an, während von der Kälte meine Nippel erhärteten. So etwas hatte ich in meinem ganzen Leben nicht erlebt.
"Geht doch", hauchte er zufrieden, wobei mir auffiel, dass er nicht ein einziges Mal seinen Blick von meinem Gesicht nahm. Es ging ihm weder darum, mich zu erniedrigen, noch darum, sich an mir aufzugeilen. Was hatte dieser scheiß Kerl nur vor?
Ich konnte ihn nicht fragen, da er mir den Rücken zukehrte und ins Innere verschwand. In die Dunkelheit neben mir blickend, spürte ich förmlich, wie diese Wachmännern mich musterten. Angewidert rümpfte ich meine Nase, um anschließend meine Hände fest auf meine Brüste zu legen.
"Gafft gefälligst woanders hin, Arschlöcher!", warnte ich sie und erschrak, als ich plötzlich jemanden hinter mir wahrnahm. Mit großen Augen drehte ich mich um. Der Gorilla starrte kalt zu mir herab, während die Angestellte vom Tisch zu uns trat und das Kleid aufhob.
"Ich bringe dich auf dein Zimmer." Der Kerl mit den breiten Schultern lief mir voraus ins Innere. Ich folgte ihm nicht gleich, sondern nahm die Frau mit dem Kleid in der Hand ins Visier.
"Was hat er mit dem Kleid vor?" Sie wich meiner Frage aus und flüchtete. Meine Augen verdrehten sich gestresst. Nur langsam setzte ich einen Fuß vor den anderen, um dem Gorilla zu folgen. Er stand schon in dem großen, kalt eingerichteten Wohnbereich und schien genervt von mir.
Als wir anschließend den Flur zu dem mir auferlegten Zimmer lang schritten, kam uns ein Mädchen entgegen. Ihre glasigen Augen verrieten mir, dass sie sicher nicht freiwillig hier war. Auch die Handschellen um ihre Gelenke wiesen darauf hin. Mir fielen bei ihrem Anblick tausend Dinge auf. Am meisten jedoch, dass sie mir so ähnlich sah, wie kaum jemand anders.
Ihre Figur...
Ihre schwarzen, langen Haare....
Selbst ihre Lippen...
Eine Kopie...
Das konnte kaum ein Zufall sein.
Ich stoppte in meiner Bewegung. Immer noch meine Brüste umfassend, zählte ich alles in meinem Kopf zusammen. Der Wein. Dieses Essen. Der Moment, in dem Serafino so nah vor mir stand. Es war inszeniert. Er hatte mich aufgenommen. Uns aufgenommen, um es für Außenstehende wirken zu lassen, als würden wir ein romantisches Dinner teilen.
Dieses Kleid. Dieses verfluchte Kleid. Er würde es diesem Mädchen anziehen. Doch was dann? Was genau...
"Dio Mio", hauchte ich überfordert und erst da kam ich zurück in die Realität. Erschrocken sah ich mich um, doch das Mädchen war verschwunden. Nur der Gorilla vor mir blieb zurück. "Ich will sofort zu Serafino!", blaffte ich ihn an, da es nicht um mich ging. Dieses Arschloch wollte diese Videos und Aufnahmen von mir nutzen, um meine Familie zu erpressen. Das würde ich nicht zulassen. Nur über meine fucking Leiche!
"Er ist beschäftigt..."
Ich hörte ihm nicht weiter zu. Scannte alles um mich herum ab. Eine Kommode fiel mir ins Auge. Eine Waffe darin zu finden wäre undenkbar, also blendete ich sie aus und sah den breiten Flur entlang. So viele Türen. Einige sicher verschlossen. Diesem Gorilla zu entkommen - schwierig - nicht aber unmöglich. Meine Augen suchten auch ihn ab. Eine Pistole ragte kaum ersichtlich unter seinem Jackett hervor. Ob sie geladen war, würde ich erst merken, wenn sie in meiner Hand liegen würde. Falls nicht, wäre es dann schon zu spät.
"Beweg dich jetzt!", mahnte er und ich zögerte nicht. Selbst wenn die Waffe keine einzige Patrone enthielt, musste ich dieses Risiko trotzdem eingehen. Ruckartig machte ich einen Schritt auf ihn zu. Er war sich sicher, ich würde weiter mit ihm den Gang entlanglaufen. Als er sich zur Seite drehte, schnappte ich zu. Ich entriss ihm die Waffe, spürte sofort an ihrer Schwere, dass sie geladen war und entsicherte sie schneller, als er mich überhaupt hätte ansehen können.
"Geh zurück!", wurde ich lauter und hielt ihm den Lauf der Pistole vor sein hässliches Gesicht. "Wird's bald!"
"Du weißt, dass wenn du abdrückst, die anderen dich erledigen werden."
"Das ist einzig und allein meine Sorge! Und jetzt verpiss dich endlich an die Wand!" Er setzte eine finstere Miene auf, tat allerdings das, was ich verlangte. Mein Puls raste, als ich ihm zusah, wie er sich an die Wand lehnte. Weiterhin zielte ich in sein Gesicht. Ich fühlte mich bereit abzudrücken, falls er auch nur eine falsche Bewegung machen würde. Alleine mit meinem düsteren Ausdruck sorgte ich dafür, dass er wissen würde, wie bereit ich war. "Wo ist er?! Ich frage ein letztes Mal!"
Mein Kiefer spannte sich an. Meine Hände begannen langsam zu schwitzen. Dieses miese Schwein achtete aber nicht länger auf die Waffe. Ich beobachtete angespannt, wie er genüsslich damit anfing, meine Brüste zu begutachten. Ein fieses Grinsen legte sich auf seine Lippen.
"Ekelhafter Wichser", flüsterte ich und zielte auf seine Kniescheibe. "Ich gebe dir eine aller letzte Chance, es mir zu sagen!"
Er nickte hinter mich. Nur flüchtig wandte ich meinen Blick von ihm ab. Ich starrte den Flur entlang, der durch das gedämmte Licht bis in den Wohnbereich ersichtlich war.
"Eine Treppe hinter der Küche führt in den Keller."
Mein Blick schnellte zurück zu dem Gorilla. Er machte sich eine Zigarette an und musterte mich anschließend ohne Ausdruck.
"Du wirst mir folgen, oder?"
"Sobald ich aufgeraucht habe."
Flüchtig starrte ich die Zigarette an. Vier Minuten. Mehr Zeit würde mir nicht bleiben. Mein Herz pochte unregelmäßig gegen meinen Brustkorb. Ich drehte mich um und rannte barfuß über das dunkle Parkett, um mich im düsteren Wohnbereich konzentriert umzusehen. Nur der Mond schien hinein. Die Wachmänner draußen sahen mich nicht. Keiner hielt sich hier auf. Nur ich. Doch auch nicht mehr lange.
Mit schnellen Schritten flitzte ich um die dunkle Kücheninsel. Dort erspähte ich am anderen Ende das Geländer einer Wendeltreppe. Stufe für Stufe nahm ich nach unten. Der Geruch von Zitrone wehte umher. Ich wusste nicht, woher er kam. Doch das erschien mir auch nebensächlich.
Den Flur absuchend, entdeckte ich mehrere Türen. Das Licht hier unten war einer einzigen Deckenlampen zu verdanken. Gerade hell genug, Umrisse zu erkennen. Ohne Zeit zu verschwenden hielt ich die Waffe vor mich und umschloss mit meinen Fingern die Klinke der ersten dunklen Tür. Ich zählte innerlich bis drei. Anschließend öffnete ich sie.
Nur ein dunkles Badezimmer mit schwarzen Fliesen und einer Pflanze am Rand. Frustriert zog ich die Tür zu und schritt weiter. Ein Schrei unterbrach mich jedoch, der genau aus der hintersten Tür kam. Er hallte von den Wänden wieder. Brachte meine Atmung zum Stocken.
Langsam näherte ich mich der Tür. Ich lauschte, hörte jedoch keinen Mucks mehr. Mein Puls beschleunigte sich. Es fühlte sich falsch an, in die Höhle des Löwen reinzuplatzen. Ich sollte Angst haben. Todesangst. Die Waffe in meiner Hand ließ mich jedoch stark fühlen.
Mutig öffnete ich die Tür und trat sofort ins Innere, um die Waffe hektisch in alle Richtungen zu schwenken. Es war ein düsterer Raum. Die Wände kalt. Die Decke bestand aus Spiegeln. Ein Bett stand direkt vor mir. Ein rundes, dass sich inmitten dieses Zimmers befand. Gedämmtes Licht schien von der Beleuchtung an den Seiten. Offenbarte mir den Anblick des Mädchens. Sie saß auf den Knien im Bett. Trug dabei das Kleid, welches ich zuvor noch am Körper liegend hatte.
"Was zum Teufel", hauchte ich und wollte einen Schritt vor, da erstarrte ich aber, als ich etwas Kaltes an meinem Hinterkopf bemerkte. Ich hörte das Klicken der Waffe. Spürte seine Präsenz genau hinter mir. Ein Schauer zog mir über meinen entblößten Rücken. Eines war mir jedoch klar. Dieser Bastard brauchte mich noch.
"Du drückst nicht ab", flüsterte ich mit einem Grinsen und drehte mich dabei zu ihm um. Genau wie er richtete ich meine Waffe genau auf sein Gesicht.
"Du ebenso wenig." Seine dunkle Stimme bebte nicht. Genauso wenig wie meine. Keiner von uns beiden zeigte Anzeichen von Angst oder Panik, als wir uns tief in die Augen sahen. Da war nur Hass. Purer Hass, der aufloderte wie unbändiges Feuer. Ich liebte diese Hitze. Hatte mich auf Ayaz Couch selbst mit einer Kerze zur Extase gebracht. Ich war die Flammen gewohnt und würde nicht diejenige sein, die ihre Waffe ablegen würde. Er wäre es.
"Nimm die Pistole runter. Dann reden wir", sprach ich ihm zu. Er legte ein Schmunzeln auf. Machte sich damit über mich lustig. Ich würde es ihm aus der Visage kratzen, wenn ich mit ihm fertig wäre.
"Ich glaube, keiner von uns beiden wird seine Waffe runternehmen."
"Könnte ziemlich langweilig werden auf lange Sicht", gab ich ihm zurück. Er nickte dem Mädchen hinter mir zu. Hektisch sah ich zu ihr, da ich mit einem Angriff von hinten rechnete. Sie lief jedoch mit gesenktem Kopf an uns vorbei, um das Zimmer zu verlassen und die Tür zu schließen.
"Ich habe so viel Geduld. Immerhin warte ich schon lange Jahre auf meine Rache. Du siehst allerdings nicht wie eine Frau aus, die je auf etwas warten musste. Daddys kleine Prinzessin, die alles, was sie begehrt, auch sofort bekommt."
"Du hast wirklich einen Vaterkomplex", erwiderte ich ihm, woraufhin sein Lächeln ihm endlich verging. Ich genoss es, seine Schwachstelle zu kennen. Er kannte meine jedoch auch.
"Ich meinte mit Daddy nicht deinen Vater", meinte er und da platzte beinahe meine Geduld. Dieser Mistkerl forderte die Kugel in seinem Kopf heraus. Er wollte sie! Er wollte mich dazu bringen, den Abzug zu betätigen. Ich tat es nicht. Atmete stattdessen tief durch.
"Was wolltest du mit diesem Mädchen machen?" Ich lenkte mit dieser Frage vom Thema ab. Hauptsächlich, weil ich es wissen wollte. Doch auch, weil jeder Gedanke an Ayaz mir Schmerzen bereitete.
"Sie so hart ficken, bis sie ohnmächtig zusammenbricht."
Angewidert zog ich meine Augenbrauen zusammen. Schnell merkte ich aber, dass er einen Schritt auf mich zumachte. Wenn er meinte, ich würde zurückweichen, täuschte er sich. Standhaft verharrte ich in meiner Position. Er kam mir so nah, dass meine Waffe nur Zentimeter von seinem Gesicht entfernt war. Genau wie seine vor meinen Augen.
"Willst du ihren Platz einnehmen?", hauchte er gefährlich und ich erkannte dieses Aufflackern in seinen giftgrünen Augen.
"Nur über meine Leiche ... ", flüsterte ich und das meinte ich auch so. "Aber ich habe etwas besseres für dich. Wir brauchen nur einen Revolver."
Er hob wissend eine Augenbraue.
"Russisch Roulette."
"Hast du Angst, Serafino, deinen Vater doch schneller als gedacht wiederzusehen?"
"Hast du Angst, deinen nie wieder zu sehen?"
Wir fixierten uns weiterhin, wobei seine Augen plötzlich gefährlich nah zu meinen Brüsten schweiften. Ihm schwirrte sicher sein Vorschlag noch durch den Verstand. Als er an meinem Hals ankam, blickte er wieder auf.
"Ich besorge einen Revolver."
"Und ich fange an."
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