66 / Drück ab
Ich riss die Tür auf und rannte Ayaz voraus in den breiten Hauseingang. Es roch nach Rauch, was mich meine Nase rümpfen ließ. Mein Blick fiel zurück zu Ayaz, der sich seine Wunde hielt und auf mich zu taumelte.
"Halt durch", wies ich ihn an und eilte zur Haustür. Ich nahm die Klinke fest zwischen meine Finger und versuchte die Tür zur Freiheit zu öffnen. Allerdings war sie abgeschlossen. "Scheiße!", fluchte ich und probierte es hektisch weiter, bis ich hinter mir einen dumpfen Schlag hörte. Mit großen Augen drehte ich mich um, wobei mir der Atem stockte. "Ayaz!"
Panisch lief ich zu ihm. Er lag auf dem Boden und rührte sich nicht mehr. Ich schnappte mir seine Schulter und drehte ihn auf den Rücken. Seine Augen waren geschlossen. Als ich meine Hand an seine Wange legte, entstand ein sanftes Lächeln auf seinen Lippen.
"Wie schaffst du es jetzt noch zu lächeln", fragte ich leise und wischte mir mit meiner freien Hand meine Tränen weg. Ich war verzweifelt. Hatte keine Ahnung, wie ich uns lebend hier rausbringen sollte.
"Weißt du noch, als ich dir angeboten habe, Serafino umzubringen und mit dir abzuhauen?" Ayaz öffnete seine Augen und sah zu mir auf.
"Ja", flüsterte ich.
"Von da an wusste ich, dass es ein Paralleluniversum gibt. Dort hast du Ja gesagt. Dort sitzen wir glücklich auf einer Couch und sehen uns Bilder unserer Reisen an."
"Halt den Mund", warnte ich ihn, da es mir durch seine Worte lebenswichtig wurde, diese Vorstellung wahr zu machen. Viel zu lange hatte ich ihm den einen Fehler vorgehalten, den er nicht rückgängig machen konnte. Viel zu lange hatte ich mich manipulieren lassen. Ich hasste es, dass mein Stolz mein Herz so kalt handeln ließ, dabei wusste ich immer schon, dass ich ihn liebte. Ihn und seine Art, mit mir umzugehen. Ich wollte damit nicht aufhören. Wollte noch so viele Erinnerungen schaffen. Dies würde nicht der Tag werden, an dem unsere Geschichte enden würde.
"Steh auf", wies ich ihn an und erhob mich.
"Ich kann nicht", entkam es ihm. Er schob mit seiner zitternden Hand den Pullover etwas an. Ich sah das Blut, akzeptierte jedoch nicht, dass er es hinnehmen würde. Wie oft hatte ich ihn vor den Kopf gestoßen. Wie oft gegen ihn angekämpft. Er gab mich nie auf, obwohl es jeder andere getan hätte.
"Du wirst nicht hier liegen bleiben und dich dem Schicksal hingeben! Nicht heute, wo ich alles klar sehe und endlich weiß, was ich will!", wurde ich unter Tränen lauter und beugte mich herab, um seinen Arm zu umfassen. "Also steh auf!"
Mit ganzer Kraft half ich ihm hoch. Er war blass und stützte sich an mir.
"Wie ironisch", sprach ich und gemeinsam liefen wir langsam in einen Raum, der als großes Wohnzimmer diente. Ayaz humpelte und stöhnte immer wieder vor Schmerzen.
"Was ist ironisch?"
"Das ich dich als Bodyguard nie gebraucht habe, du mich aber anscheinend." Ich lächelte und blieb stark, obwohl ich innerlich zerbrach. Ich wollte ihm auf keinen Fall zeigen, wie hoffnungslos ich mich fühlte. Ich musste stark sein, damit auch er weiterkämpfte.
"Pech im Job, Glück in der Liebe", entgegnete er mir, während ich ihn weiterhin stützte und einen Fuß vor den anderen durch das dunkel eingerichtete Wohnzimmer setzte. Wir hatten es nicht mehr weit bis zur Terassentür dieser hässlichen Villa.
"Das nennst du Glück in der Liebe?", fragte ich nach. "Wenn das Glück ist, will ich nicht wissen, was Unglück bedeutet."
Ich wollte gerade Ayaz helfen, sich kurz an die Wand zu lehnen, da ertönte eine Stimme hinter uns.
"Dreh dich um, Nives."
Wieso hatte ich bloß von Unglück gesprochen ...
Langsam ließ ich Ayaz los, der sich mit dem Rücken an die Wand lehnte und seine Hand fest auf seinen Unterbauch legte. Er röchelte, stand aber aufrecht. Ich drehte mich zu Serafino, der eine Waffe auf mich richtete und neben Bianca im Türbogen stand.
"Was ist euer scheiß Problem?!", regte ich mich auf und zeigte auf Ayaz. "Er stirbt, wenn ihr uns nicht gehen lasst! Ist es das, was ihr wollt? Das Blut unschuldiger an euren Händen?"
"Kollateralschaden", entgegnete Bianca mir und kam einige Schritte auf mich zu. Ich stoppte sie, in dem ich ebenfalls auf zu zulief.
"Lasst ihn gehen! Ruft einen Krankenwagen!", verlangte ich mit lauter Stimme, doch beide sagten nichts. Sie sahen sich flüchtig an, wobei Serafino immer noch auf mich zielte. Ich nahm ihn ins Visier. "Du bist der dreckigste Abschaum. Du zielst auf mich? Ist das dein Ernst?"
"Sag, wer es war, dann-"
"Halt deine dämliche Fresse!", unterbrach ich Bianca. "Du kriegst von mir keinen Namen, denn du willst gar keinen! Du willst mich so oder so leiden lassen und suchst nur einen beschissenen Grund, mich hier festzuhalten wie ein Tier! Du willst mich brechen? Tue es! Von mir aus, sperr mich ein und spiel deine Psychospielchen! Aber lass ihn gehen! Ruf einen verfickten Krankenwagen!"
"Nein", erwiderte sie mir mit einem triumphierenden Lächeln.
Ich setzte ebenfalls ein Lächeln auf, denn der Wahnsinn überkam mich, wie so oft. Dieses Mal empfing ich ihn voller Freude. Entschlossen lief ich weiter auf sie zu und blieb erst stehen, als mein Gesicht genau vor ihrem war.
"Ich sage dir etwas. Stirbt er, habe ich nichts mehr zu verlieren. Ihr habt mein ganzes Leben zu einer Lüge gemacht. Ihr hab es geschafft, dass mein Bruder nie wieder mit mir reden wird, während mein Herz vermutlich nie wieder aufwacht. Stirbt Ayaz, mache ich euch das Leben zur Hölle!"
Meine Augen suchten die von Serafino. Er sah an mir vorbei zu Ayaz. Auch ich drehte mich zu ihm. Er stand genau wie zuvor an der Wand und atmete flach durch. Erneut sah ich Serafino an.
"Du musst nicht enden, wie er", sprach ich ihm zu, woraufhin sich Bianca einmischte und lachte.
"Ich werde schon aufpassen, dass er keine Kugel in den Körper gejagt bekommt.
Ohne meine Augen von Serafino zu nehmen, ging ich auf ihn zu. Er hielt die Waffe genau auf mein Gesicht.
"Ich meine nicht wie Ayaz", flüsterte ich. "Du musst nicht enden wie dein Vater, Serafino. Du musst nicht ein Erbe weitertragen. Du musst nicht der Böse in dieser Geschichte sein."
Er schluckte und wich meinem Blick aus. Ich wusste, dass er nicht von Grund auf böse war. Er hat mir so oft das Gefühl gegeben, mich zu verstehen. So oft gezeigt, dass vieles nur Fassade war. Er wollte Rache, um jeden Preis. Doch er ging nur so weit, weil Bianca ihn dazu formte. Sie hatte im Gegensatz zu ihm jedoch eine Familie. Sie wurde von Menschen großgezogen, die ihr alles ermöglicht hatten. Sie war böse. Sie war der Drahtzieher.
"Denkst du ernsthaft, er würde auf deiner Seite stehen?" Bianca grinste dreckig. Ich wich einen Schritt zurück.
"Ist mir egal, auf welcher Seite er steht. Ich werde dir niemals einen Namen sagen."
"Gut", lächelte sie und stellte sich an Serafinos Seite. "Erschieß sie, damit wir anschließend den Bodyguard ins Krankenhaus fahren können. Bist du damit einverstanden, Nives?"
"Nein!", hörte ich Ayaz hinter mir, zu dem ich mich umdrehte. Er riss seine Augen auf und wollte auf mich zu. Ich wandte mich an Serafino.
"Wenn ihr ihn rettet, dann nur zu. Drück ab."
😭😭😭
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro