63 | Wer ?
Wahnsinn nahm mich immer mehr ein. Die Dunkelheit machte mir zu schaffen. Dazu kam, dass ich keine Ahnung mehr hatte, wie viel Zeit verging. Es hätten Stunden sein können, oder auch nur Minuten, in denen ich ins Nichts starrte. Ich suchte nach etwas, worauf ich mich konzentrieren konnte. Etwas, dass mich ablenken würde.
Doch es gab nichts.
"Du solltest etwas schlafen", flüsterte Ayaz, der meine Hand immer noch fest in seiner hielt. Ich atmete tief durch.
"Als könnte ich jetzt schlafen", gab ich ihm zurück. "Leg du dich hin. Ich passe schon auf."
Sein Lachen hallte plötzlich durch den Raum und ich erschrak, da ich mich an die absolute Stille gewöhnt hatte. Ich sah zu ihm auf, ohne ihn erkennen zu können.
"Was gibt's zu lachen?"
"Dass du der Überzeugung bist, ich würde schlafen und dich alleine wach lassen."
"Was wäre daran denn schlimm? Ich kann schon alleine auf mich aufpassen."
"Das weiß ich. Immerhin sagst du es mir immer wieder."
Ich stieß mich von der Wand ab und drehte mich in seine Richtung. Auch wenn ich nichts in der Finsternis erkannte, stellte ich ihn mir vor. Seine dunklen Augen blitzten in meinem Verstand auf.
"Warum hast du dann gelacht?", hakte ich nochmal nach und spürte, dass auch er sich zu mir drehte, um mir genau gegenüber zu stehen. Seine Präsenz war greifbar, auch wenn ich ihn nicht sah.
"Wegen mir", behauptete er. "Ich habe auf ganzer Linie versagt."
"Weil du mich nicht beschützen konntest?"
"Ja..."
"Das ist nicht deine Schuld Ayaz." Sanft streichelte ich über seine Haut, was ein vertrautes Gefühl in mir auslöste. Ich vermisste unsere Nächte am Strand. "Meine Familie hätte mir die Wahrheit sagen sollen. Von Anfang an. Dann hätten sie bestimmt eingesehen, dass ich niemanden gebraucht hätte, der sich schützend vor mich stellt."
"Dann hätten wir uns aber nie kennengelernt."
"Wäre das schlimm für dich?" Abwartend stand ich da und schloss meine Augen, als seine Finger sich sanft um mein Kinn legten. Er kam mir näher.
"Ich würde es nicht ertragen. Vielleicht wünsche ich mir aber manchmal, dich nie getroffen zu haben. Dann hätte ich dir viel Schmerz erspart und damit auch mir."
"Ich bin stark genug, es zu überwinden", flüsterte ich und stellte mich auf meine Zehenspitzen. Ich ließ seine Hand los und ertastete sein Gesicht. Seine Bartstoppel kitzelten meine Fingerspitzen. "Zeit heilt alle Wunden, nicht wahr?"
"Ich hoffe es so sehr", hauchte er. Sein Atem prallte an meine Stirn und ich wusste wir würden uns gleich küssen. Mein Magen überschlug sich. Ayaz löste dieses angenehme Ziehen aus, dass ich so vermisste. Immer schneller klopfte mein Herz, dass vor Sehnsucht gegen meine Rippen donnerte. Dann aber, erschrak ich und wich zurück.
"Zeit wird euch hier nicht rausbringen."
Ich zog meine Hände von Ayaz Gesicht, drehte mich zur Mitte des Raumes und streckte meine Arme aus. Serafinos Stimme war näher, als noch zuvor. Er saß nicht mehr an seinem Platz auf der anderen Seite. Er musste aufgestanden und auf uns zugekommen sein. Da ich ihn nicht in Ayaz Nähe wollte, stellte ich mich schützend vor ihn. Mich würde Serafino in dieser Dunkelheit nicht töten. Ayaz schon.
"Ach, und was sonst?", fragte ich und drehte meinen Kopf, als Serafinos Stimme plötzlich von links erklang. Er bewegte sich lautlos, trotz seiner vielen Verletzungen.
"Köpfchen", erklärte er. "Bianca ist nicht schlau. Zumindest nicht so schlau wie du. Das einzige, was sie geschafft hat, war Cecilios Privatdetektiv zu täuschen und meine Tochter zu entführen. Sie wusste, dass du die fertig machen würdest, deswegen hat sie mich geschickt."
"Weil du ja so hoch intelligent bist", lachte Ayaz provokant. "Wärst du es, wäre Nives nicht entkommen. Eine junge Frau, die alleine auf einer Insel sitzt und du hast es nicht geschafft, sie zu halten."
"Hast du es geschafft, sie zu halten? Immerhin ist sie vor dir abgehauen und dadurch meinen Leuten vors Auto gerannt."
"Wenigstens musste ich sie nie zu etwas zwingen!"
"Ja, ist ja nicht schon erschreckend genug, dass du in deinem Alter eine 18 jährige nimmst! Die sind noch gut zu manipulieren, oder?"
"Du-"
"Meine Güte!", regte ich mich auf. "Hört auf! Ihr seid schlimmer als meine Brüder, und das soll schon was heißen!"
Ayaz hinter mir sagte nichts mehr. Er wusste, dass es mich nur weiter aufregen würde. Serafino kam zum vorherigen Thema zurück.
"Nives, ich sage dir jetzt etwas", begann er und ich hörte an seiner Stimme, dass er sich zur rechten Seite des Raumes bewegte. "Sie will nur denjenigen, der ihre Mutter Ambra getötet hat. Mehr nicht. Ein Leben für ein Leben. Kriegt sie keinen Namen, wird sie einen nach dem anderen töten. Ich sollte es herausfinden. Mich bei dir einnisten. Doch ich konnte dich nicht weiter in Gefahr bringen."
"Erspar mit das. Denk nicht, ich würde dir auch nur ein Wort glauben. Oder dass ich dir dankbar wäre! Du hättest Elio in Sicherheit bringen sollen! Stattdessen liegt er wegen dir im Koma! Alleine-"
"Ich war es nicht!", wehrte er sich, wodurch mein Hass nur noch weiter wuchs. Ich wollte einen Schritt in Richtung seiner Stimme machen, da riss Ayaz mich an den Hüften zurück. Ich prallte an seine harte Brust, an der er mich gefangen hielt. Er schlang seine Arme fest um mich. Legte seinen Kopf auf meiner Schulter ab. "Ich habe Bianca nur die Informationen geliefert, die ich gesammelt habe! Sie hat einen ihrer Männer angewiesen, Malino die Wahrheit zu sagen!"
"Warum hast du dann auf der Insel behauptet, du wärst es gewesen?! Warum?!", wurde ich lauter.
"Weil sie meine Tochter hatte! Und immer noch hat!"
Ich schnaubte wütend aus und eine kurze Stille kehrte ein. Ayaz Hände lagen fest um meinen Bauch. Seine Wange schmiegte sich an meine. Ich gab mich seiner Umarmung hin und dachte an Elio, der alleine war. An Malino, der mich so sehr hasste. Wut stieg in mir auf, doch Ayaz Nähe ließ sie nicht aus mir heraus.
"Nives." Ich riss meine Augen auf, als ich bemerkte, dass Serafino genau vor mir stand. Es waren nur wenige Zentimeter, die sein Gesicht von meinem trennten. Auch Ayaz spannte sich hinter mir an. Seine Brustmuskeln drückten sich an meinen oberen Rücken. "Sag mir nur, wer Ambra getötet hat. Wer war es? Glaub mir, es wird besser für dich ausgehen, wenn du ehrlich bist. Es ist ein Opfer. Ein Verlust. Sagst du es mir nicht, wird Bianca systematisch einen nach dem anderen foltern. Denk nicht, sie könnte es nicht. Sie hat mit mir zusammen geschafft, dass du dich vollkommen isolierst. Dass deine Brüder am Ende sind ... Beende das alles für eine Person. Ich bitte dich. Sie hat meine Tochter."
Sprachlos stand ich da und hielt still, als Serafinos Daumen über meine Wange streichelte. Ich bewegte mich nicht, da ich nicht wollte, dass Ayaz auf ihn losgehen würde.
"Wer war es?"
Cecilio, dachte ich, sprach es aber nicht aus. Niemals würde ich meinen Onkel verraten. Ich wusste es nicht zu 100 Prozent und selbst wenn, würde ich es mit ins Grab nehmen.
"Ich weiß es nicht."
"Du weißt es." Serafino legte seine Hand an meine Wange, da umfasste ich aber sein Handgelenk und drückte ihn weg.
"Hat er dich angefasst?", wollte Ayaz hinter mir wütend wissen und drückte mich nach vorne, um sich zwischen mir und der Wand hinauszudrängen. Ich ließ es aber nicht zu und stemmte mein Gewicht an seine Brust zurück.
"Nein! Ich habe alles unter Kontrolle!"
"Sag mir den Namen", setzte Serafino nach. "Meine Tochter kann für diese Rache nichts. Willst du ihr Blut an deinen Händen?!"
"Du müsstest langsam wissen, dass ich nicht gerade ein Mensch bin, der viel Mitgefühl in sich hat. Du hast so lange Zeit mit mir verbracht. Glaubst du im ernst, ich würde meine Familie verraten? Außerdem weiß ich es wirklich nicht!"
"Nives... Ich meine es gut mit dir. Sag den Namen oder du wirst es bitter bereuen."
Wieder wehrte ich mich, ihm eine Antwort zu geben. Ich dachte, er würde mich endlich in Ruhe lassen und mir glauben, dass ich es nicht wusste, da sprang plötzlich das Licht über uns an. Ich presste meinen Augen zusammen, da es blendete und suchte anschließend den Raum ab. Es hatte sich nichts verändert, nur dass mir alles noch enger und kleiner vorkam. Mein Blick fiel vor mich auf Serafino. Er wirkte gleichzeitig sauer und verzweifelt.
"Du hast meine Tochter auf dem Gewissen."
"Serafino!", sprach ich und wollte auf ihn zu. Ayaz hielt mich zurück. "Ich weiß nicht wer es war! Außerdem kannst du mir nicht die Schuld geben! Bianca hat sie, nicht ich!"
"Du hättest sie aber befreien können."
"Also warst du wirklich nur hier, um uns zu belauschen!", stellte ich fest und drehte mich zu Ayaz um. Ich sah zu ihm auf, wobei unsere Augen sich trafen. Ich hatte keine Ahnung, wieso, aber er legte ein sanftes Lächeln auf. Angesichts der Situation vollkommen unpassend, aber ich erwiderte es, aus Erleichterung, ihn sehen zu können.
Ich wandte meine Augen erst wieder von seinem Gesicht, als ich die Tür hörte, die sich öffnete ...
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