62 | Türen
Gefangen in meinen Gedanken, stand ich in der Mitte des Raumes. Mein Verstand arbeitete auf Hochtouren. Ich musste hier raus. Einen Ausweg finden, um Elio und den Rest meiner Familie zu schützen. Doch es gab nichts. Nur eine verschlossene Tür und vergitterte Fenster.
Flüchtig sah ich herab zu meiner linken Seite. Serafino saß auf dem Boden, mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Blessuren zogen sich über sein Gesicht. Das Hemd am Kragen zerissen.
Ein tiefes Ausschnaufen brachte mich dazu, in die andere Richtung zu sehen. Ayaz stand an der Wand gelehnt. Die Arme demonstrativ verschränkt, fixierte er mit einem vernichtenden Blick Serafino. Er wollte zuvor schon auf ihn los, kaum dass Bianca den Raum verlassen hatte. Ich ließ es jedoch nicht zu und drängte mich zwischen die Beiden. Wut und Rachegedanke würden uns hier nicht rausbringen. Dafür mussten wir alle die Vergangenheit für einen Moment ruhen lassen und uns auf die Zukunft fokussieren.
Natürlich merkte auch ich, dass die dunkle Seite meines Vaters durchdringen wollte. Blitze schossen mir durch den Kopf. Sie wollten mich zwingen auf Serafino loszugehen. All den Hass herauszulassen, der sich unter der Oberfläche versteckte und verzweifelt bettelte, rauskommen zu dürfen. Doch ich blieb ganz ruhig. Stand einfach da und starrte die Tür an.
"War es dir das wert?", hörte ich Ayaz, der sich von der Wand abstieß und hinter mir vorbei lief.
"Meine Tochter lebt. Alles andere zählt nicht", gab Serafino röchelnd von sich. Ich beachtete die beiden nicht. Lauschte nur.
"Du hast Malino bewusst die Wahrheit gesagt! Nicht nur das! Du wusstest, dass Stella bei ihm war. Ein junges Mädchen, schwanger. Und trotzdem hast du -"
"Ich habe meine Tochter beschützt!", wurde Serafino lauter und stellte sich kraftlos hin. Vermutlich wollte er sich nicht unterlegen fühlen. "Ich habe auch Nives weggebracht, um sie aus der Schussbahn zu holen!"
"Das hast du ja wunderbar hinbekommen", flüsterte Ayaz kopfschüttelnd und wollte sich abwenden, da ging Serafino trotz seiner Verletzungen auf ihn zu und schubste ihn.
"Das musst du gerade sagen! Es ist doch nur dir zu verdanken, dass ich sie überhaupt entführen konnte! Dir und deiner Frau!"
"Sie ist nicht meine Frau!", regte Ayaz sich auf und schubste Serafino ruckartig zurück. Ich verdrehte meine Augen und holte tief Luft, um mich ihnen anschließend zuzuwenden. Ich brauchte Stille.
"Er hat mich angelogen. Du hast mich entführt. Ihr habt mich beide hintergangen und jetzt sitzen wir hier in dem Keller fest! Könnt ihr das hinter euch lassen oder nicht?! Eure Diskussionen machen mich wahnsinnig! Entweder schlagt ihr euch also, bis nur noch einer aufsteht, oder ihr hört auf!"
Sie fixierten sich immer noch und es war Ayaz, der zuerst nachgab und zurück auf die andere Seite lief. Serafino suchte flüchtig meinen Blick, wandte sich jedoch auch wieder der Wand zu und setzte sich wieder auf den Boden.
Stunden mussten vergangen sein. Draußen war es stockdunkel und hier drinnen brannte nur ein kleines Licht, das immer wieder flackerte. Meine Position veränderte sich nicht. Ich stand immer noch da und starrte zur Tür. Ich stellte mir bereits vor, wie sie aufging und ich demjenigen, der eintrat, meine Faust ins Gesicht schlagen würde. Es zerrte an meinen Nerven, dass Hunger und Durst einsetzten. Auf die Toilette musste ich auch.
Als hätte Serafino meine Gedanken gehört, sah er auf zu mir. "Sie werden dich gleich holen."
"Woher weißt du das?"
"Ich weiß, wie Bianca mit Gegangenen umgeht."
"Weißt du auch, was sie genau will? Will sie nicht töten?"
"Nein. Sie will ein Geständnis. Sie will wissen, wer ihre Mutter getötet hat und ihn auf die gleiche Weise töten."
Von den ganzen Entführungen genervt, verschränkte ich meine Arme und zuckte aber zusammen, als ich einen Schlüssel in der Tür hörte. Sie schwang im nächsten Moment auf und sofort stellte Ayaz sich nah an meine Seite. Ein Mann tauchte auf. Ganz in schwarz. Er zeigte auf mich und nickte, wodurch ich auf ihn zu wollte. Ayaz hielt mich aber am Arm zurück.
"Ich komme mit", forderte er den Typen auf, der aber grinsend den Kopf schüttelte. Ayaz wollte bereits wütend auf ihn zu, da hielt ich ihn dieses Mal auf.
"Schon gut. Ich komme gesund und munter wieder."
Ich sah ihm an, wie angelangt er war und ging in den Flur, während seine Blicke sich in meinen Rücken brannten. Konzentriert sah ich mich um. Kein Wachmann befand sich in dem Gang. Mehrere Türen. Wenig Licht. Keine Kameras.
"Beweg dich", meinte der Kerl, nachdem er die Tür wieder verschlossen hatte und schubste mich leicht in Richtung einer der Türen am ende des kahlen Flurs. Er öffnete sie und ich erspähte ein kleines Badezimmer. Schnell trat ich ein.
"5 Minuten."
Er blieb draußen und zog die Tür zu. Ich vergeudete keine Zeit und lief zum Fenster. Es ließ sich zwar öffnen, doch auch hier befanden sich dicke Gitterstäbe davor.
"Verdammt!", zischte ich und schaute mich weiter um. Nur ein Waschbecken, eine Toilette und eine offene Dusche. Alles sah verdreckt aus. Ich ekelte mich, doch es brachte nichts, sich aufzuregen. Ich erleichterte meine Blase. Wusch mein Gesicht und meine Hände gründlich und trank von dem Wasserhahn, um meinen Durst zu stillen.
Mir stach der Spiegel vor mir ins Auge. Ich betrachte mich und atmete tief durch. Mein Verstand schien vernebelt.
"Beeil dich!" Ein lautes Klopfen an der Tür ließ mich meine Fäuste ballen. Wie gerne ich ausrasten würde. So verdammt gerne. Doch ich schloss meine Augen, beruhigte mich und lief zurück zur Tür, um diese aufzuziehen. Er brachte mich zurück zu den Raum und kaum, dass er verschwand und abschloss, ging auch das Licht aus. Nur schwarze Dunkelheit blieb zurück, während ich wusste, dass Ayaz und Serafino sich um mich befanden. Gleichzeitig war diese Erkenntnis beruhigend und beängstigend. Serafino traute ich kein Stück. Es könnte gespielt sein. Eine Ratte, der Ayaz und mich belauschen sollte. Trotzdem wollte ich, dass Ayaz ihn in Ruhe ließ.
Da ich die Tür nicht mehr Beobachten konnte, lief ich vorsichtig über den harten Boden in die Richtung, in der ich Ayaz eben noch gesehen hatte. Er wusste, dass ich auf ihn zukam. Meine Schritten hallten durch die Finsteris, obwohl ich versuchte leise zu sein. Meine Hände streckten sich nach vorne und bevor ich ihn ertasten konnte, spürte ich plötzlich seine Hand, die in der Dunkelheit nach mir suchte. Ich ergriff sie und er zog mich näher an sich.
"Ward ihr auch draußen, als ich im Bad war?", flüsterte ich zu ihm auf. Er legte seine Hand um meine Hüfte.
"Ja, ein anderer Mann kam. Aber nur ich. Serafino hat den Raum nicht verlassen."
Ich nickte, obwohl ich wusste, dass er es nicht sehen konnte. Durch das Kleid wurden meine Beine langsam kalt. Ich ignorierte die Gänsehaut.
"Er ist nur hier, um uns eine Falle zu stellen." Meine Stimme war so leise, dass ich sogar das Gefühl bekam, Ayaz hätte mich nicht verstanden. Doch er antwortete mir.
"Glaube ich auch."
Ich drängte mich an ihm vorbei, um mich neben ihn die Wand zu stellen. Schulter an Schulter standen wir da und schwiegen. Seine Hand suchte meine und ich nahm sie, ohne darüber nachzudenken, was zuvor alles zwischen uns passiert war.
"Kannst du mir etwas versprechen?", flüsterte ich in die Stille, woraufhin ich spürte, dass er sich zu mir drehte. "Lüg mich nie wieder an. Verschweig mir nie wieder etwas und wenn du nochmal vorhast, meinem Vater meine Geheimnisse zu offenbaren, dann rede zuvor mit mir darüber."
Ich lehnte meinen Kopf an seine Brust und sofort schlangen sich seine Arme um mich. Ich hatte das Kämpfen satt. Fühlte mich müde, ausgelaugt und hungrig. Bianca war der Feind. Nicht Ayaz. Wenn ich schon wieder in einem Keller darauf warten musste, ob das Schicksal es gut mit mir meint, wollte ich wenigstens diesen Krieg mit Ayaz in meinem Kopf beenden.
"Ich verspreche es", hauchte er an meinen Haaransatz und hielt mich fest an sich.
"Was ist aus deinem Vorsatz geworden, mich gehen zu lassen."
"Ich werde dich nicht wegschicken, wenn du bei mir sein willst", antwortete er und irgendwie erleichterten mich seine Worte, auch wenn ich das nie zugeben würde. In Griechenland hatte ich das Gefühl, um es kämpfen zu wollen, dass mich nicht mal mehr wollte, obwohl ich wusste, wie schlecht es für mich war. Jetzt und hier hatte ich aber das Gefühl, dass alles gut werden könnte, wenn ich nur einmal im Leben dazu bereit war, meinen Stolz beiseite zu packen. Er verletzte mich. Und das nicht nur einmal. Aber er stand trotz meiner Launen immer noch an meiner Seite. Trotz meiner Ausraster und Vorwürfe war er nie wirklich bereit zu gehen. Ich war der Meinung, er würde mich kaum kennen. Dass es hauptsächlich Sex war, der uns Verband. Doch er kannte mich. Er hatte mich gesehen. Am Strand. Im Club. Nach der Insel und im Wald, als ich meinem Vater zusah, wie er jemanden tötete. Ayaz war immer an meiner Seite.
"Wir müssen hier raus", erklärte ich und krallte meine Fingernägel in seinen Pullover, als könnte ich ihn so überzeugen, wie ernst mir meine Worte waren. "Bring mich hier raus."
"Ich bringe dich hier raus. Ich verspreche es", erwiderte er mir und ich stellte mir seine Augen vor, während ich nach oben blickte und nur Dunkelheit erkannte. Behutsam hob ich meine Hand an und erfühlte seine Wange. Ein warmes Gefühl entstand unter meinen Fingerspitzen, als ich seine Haut entlangstrich.
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