61 | What ...
Es roch vermodert, als wäre jahrelang kein Fenster geöffnet worden. Durch die Glasscheiben konnte ich nicht nach draußen sehen. Die dicke Staubschicht hinderte mich daran.
"Geht es dir gut? Bist du verletzt?" Ayaz stand auf der anderen Seite des Raumes. Da sich vor den Fenstern Gittern befanden und die Tür abgeschlossen war, hörten wir auf, nach einem Ausweg zu suchen. Stattdessen liefen wir schweigend im Raum auf und ab. Es gab einen Tisch in der Mitte, an dem mehrere Stühle standen. Sonst nichts. Kahle Wände. Ein dunkler Holzboden. Hier war kein Trost zu finden.
"Mir geht es bestens...", gab ich Ayaz kühl zurück. "Ich bin gerne eingesperrt. In absoluter Stille. Dazu hat dieser Typ mich so grob aus dem Auto gezerrt, dass mein Unterarm immer noch weh tut."
"Sicher, dass es an ihm liegt, dass dein Arm schmerzt?" Ich wandte mich an Ayaz, der langsam auf mich zukam. Fragend blickte ich in seine dunklen Augen, bis er vor mir zum Stehen kam. Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf meine Hand. Er nahm sie vorsichtig in seine und drehte mein Handgelenk, wodurch ihm die tiefen Kratzer ins Auge stachen. Überfordert von seiner Nähe zog ich meinen Arm schnell zurück und drehte mich von ihm weg. "Ich hasse es, dass du das tust."
"Tja", platzte es nervös aus mir heraus. "Hass es ruhig. Mir bringt es inneren Frieden."
"Weißt du, was mir Frieden bringen würde?"
Ich blickte über meine Schulter zu ihm.
"Wenn ich wüsste, dass du wenigstens kurze Momente hast, in denen du glücklich bist. Ich meine so richtig glücklich, ohne dieses wehmütige Glänzen in deinen Augen."
"Es gab diese Momente", erklärte ich und dieses Mal lief ich auf ihn zu. Ich umfasste die Bändel seines Kapuzen Pullovers und wickelte sie um meine Finger. Ayaz beobachtete mich dabei. "Doch die sind vorbei. Alle, die mich glücklich gemacht haben, sind entweder in der Psychiatrie, liegen im Koma oder sie haben mich so sehr belogen, dass ich nicht drüber hinweg komme."
"Ich bin dann wohl Letzteres", sprach Ayaz mit leiser Stimme, woraufhin ich zu ihm aufsah. Ich hob mein Kinn und ließ seinen Bändel los.
"Dass du ein Lügner bist, steht außer Frage. Wer sagt aber, dass du mich je glücklich gemacht hast?"
"Du", antwortete er ohne zu überlegen, während wir uns intensiv musterten. "Du hättest es nichtmal aussprechen müssen. Ich kenne das Funkeln in deinen Augen, wenn du alles um dich herum vergisst und den Augenblick genießt."
Nach einem tiefen Atemzug, der Ayaz vertrauten Geruch mit sich trug, nickte ich kaum merklich.
"Weißt du, was ich hasse?" Fragend blickte er zu mir herab. "Dass ich die Zeit zurückdrehen will und mir im Klaren bin, es nicht zu können."
Ich verlor mich in seinen Augen, während er seine Hand hob, um mir mit dem Daumen sanft über meine Wange zu streichen.
"Ich würde alles dafür tun, die Zeit zurückdrehen zu können", hauchte er und sofort überkam mich das Bedürfnis, ihm noch näher zu kommen. Ich spürte dieses angenehme Ziehen in meinem Bauch. Die prickelnde Gänsehaut auf meinen Armen. Auch Ayaz spürte sie. Ich erkannte es in seinem Blick. So sah er mich jedes Mal an, bevor er mich küsste.
"Ayaz ...", wisperte ich, mir bewusst darüber, dass ich ihm jeden Moment nachgeben würde. Ich schloss meine Augen. Schmiegte mein Gesicht in seine Hand und hoffte aus ganzem Herzen, ihm nach einiger Zeit verzeihen zu können.
"Prinzessin..." Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen. Die Luft im Raum stand still. Wir waren gefangen. Hier und ineinander. So verbunden hatte ich mich ihm noch nie gefühlt und es war mir egal, wieso ich plötzlich so empfand. Vielleicht dachte man anders über die Dinge, sie einem passierten, wenn man in Aussicht hatte, bald zu sterben.
Vorsichtig hob ich meine Fersen, um mich auf meine Zehenspitzen zu stellen. Ich brannte darauf, Erlösung von seinen Lippen zu erhalten. Ein Geräusch von der Tür aus ließ mich jedoch zurückschrecken. Ich öffnete die Augen und fühlte mich, als würde ich aus einem zu lang ersehnten Traum erwachen. Ayaz starrte bereits zur Tür, was ich ihm anschließend gleichtat.
Ein Mann betrat den Raum, den ich als den identifizierte, der mich an meinen Haaren nach hinten gerissen hatte.
"Ey, du Arschloch!", sprach ich ihn wütend an und lief um den Tisch herum. "Sag mir sofort-"
Ohne mich ausreden zu lassen, holte er plötzlich aus und gab mir eine heftige Ohrfeige. Fassungslos darüber, starrte ich ihn mit zusammengebissenen Zähnen an, da kam auch schon Ayaz angelaufen, der mich zur Seite drängte. Schützend stellte er sich vor mich. Er spannte seine Arme an und wollte bereits ausholen, da zog der Bastard aber eine Waffe und zielte auf ihn.
"Keinen Schritt weiter!", warnte der Typ. Ich hielt mir meine pochende Wange, hörte jedoch auf, als Ayaz trotz seiner Warnung einen Schritt nach vorne machte.
"Ayaz!", mahnte ich und umgriff seinen Arm. Er riss sich los und stellte sich so nah vor den Kerl, dass der Lauf an seine Stirn drückte. Mein Herz überschlug sich von diesem Anblick, weswegen ich erneut nach seinem Arm fasste. "Hör auf! Bist du verrückt!?"
"Fass sie noch ein einziges Mal an und du wirst deine Hände verlieren. Selbst diese Waffe wird mich davon nicht aufhalten!"
"Oh, wie romantisch." Eine sanfte Frauenstimme lenkte meine Aufmerksamkeit an dem Typ vorbei zur Tür. "Ich habe schon gehört, dass ihr verliebt seid. Es aber mit eigenen Augen zu sehen, ist faszinierend."
"O mein Gott", hauchte ich und kam hinter Ayaz Rücken hervor, um mich nah an seine Seite zu stellen. Der Mann nahm die Waffe runter und ging einige Schritte zurück. Kurz überkam mich Erleuchtung. Dafür kam aber die Frau mit den blond gefärbten Haaren in den Raum gelaufen, die ich so lange nicht mehr gesehen hatte. "Bianca..."
"Nives", lächelte sie und musterte mich von oben bis unten. Auch ich betrachtete ihre schwarze Kleidung, ehe ich meine Augen wieder auf ihre richtete. "Früher habe ich deine Mutter in dir gesehen. Scheint, als hätte dein Vater sie komplett aus deinen Gesichtszügen vertrieben."
"Und du siehst immer noch so hässlich aus wie früher", entkam es mir ohne Ausdruck. Jennifer, Nunzio und die anderen behandelten sie wie ein Teil unserer Familie. Trotzdem verließ sie uns. Cecilio warnte mich vor ihr. Jetzt wusste ich, wieso er es tat. Sie hatte die Fäden in der Hand und hielt sich bis heute im Hintergrund. Sicher ahnte sie, dass Cecilio sie überwachen ließ.
Auf meine Aussage hin, lächelte sie nur müde. Sie sagte nichts. Starrte mich einfach an, als wäre ich ein Gemälde in einem Museum. Zu lange und zu intensiv. Es wurde mir bereits unangenehm, da wandte sie ihre Aufmerksamkeit auf Ayaz neben mir.
"Der Bodyguard, oder sollte ich lieber sagen, der Ehebrecher?"
"Ayaz reicht vollkommen", gab er ihr zurück und griff gleichzeitig nach meiner Hand, um seine Finger fest mit meinen zu verschränken.
"Gut, Ayaz", sprach Bianca so amüsiert, dass es mir Angst machte. "Wir haben viel zu besprechen. Wollen wir drei uns nicht setzen?"
"Wo ist Serafino?" Die Frage brachte sie dazu, wieder mich zu betrachten. Kurz schien sie irritiert. Sie hob ihre Augenbrauen und runzelte ihre Stirn.
"Warum fragst du?"
"Weil ich es wissen will. Immerhin leben wir in wilder Ehe. Sollte ich da nicht wissen, wo er ist?"
"Fein", sagte sie und wandte sich an den Mann neben sich. "Bringt ihren Ehemann her."
Er nickte und verschwand hinter ihr die Tür hinaus. Bianca warf ihre blonden Haare über die Schulter und zeigte anschließend zum Tisch neben uns.
"Jetzt setzen bitte."
Mein Blick fiel auf zu Ayaz. Er fixierte sie angespannt. Jederzeit bereit, auf sie loszugehen. Ich führte meine Hand an seinen Arm, wodurch er meinen Blick erwiderte. Sofort wurden seine Gesichtszüge sanfter, als seine Augen meine trafen. Ich nickte zum Tisch. Er verstand, dass wir erstmal nachgeben und uns anhören sollten, was sie zu sagen hatte. Vermutlich dachte er, ich würde ausrasten. Mit ihm an meiner Seite fühlte ich mich jedoch wesentlich ausgeglicher. Wäre ich alleine in dieser Situation, hätte ich den Tisch bereits nach Bianca geworfen.
Ayaz zog mich an meiner Hand mit zu den Stühlen. Einen davon stellte er so, dass ich Platz nehmen konnte. Als Bianca sich dann mit gegenüber niederließ, setzte sich Ayaz neben mich.
"Ich will ganz ehrlich sein", begann Bianca und legte ihre Hände auf den Tisch. "Du warst immer die, die ich am meisten gehasst habe. Kannst du dir vorstellen warum?"
"Weil ich besser aussehe? Schlauer bin? Mutiger? Weil Kleider mir besser stehen?", provozierte ich sie und hörte erst auf, als ich bemerkte, dass Ayaz mich von der Seite aus anstarrte.
"Wenn es doch so wäre", erwiderte Bianca mir. Ein falsches Grinsen zierte ihre rot geschminkten Lippen. "Ich hasse dich nicht deinetwegen, sondern weil du etwas hast, wovon ich nur träumen konnte. Eine Mutter, die jeden Abend an deiner offenen Zimmertür stand und dich beim Schlafen beobachtet hat. Du weißt es nichtmal ... Ich aber, denn immer dann, wenn ich bei euch übernachtet habe, habe ich sie gesehen."
"Dir geht es also nur darum, dass ich eine Mutter hatte? Deswegen entführst du mich?"
"Nein!", wurde sie kurz etwas lauter, bis sie sich wieder fing. "Es geht mir darum, dass ihr mir meine genommen habt."
Ein lautes Geräusch ertönte im Flur, woraufhin wir alle drei zur offenen Tür sahen. Neugierig lehnte ich mich vor, bis ich plötzlich Serafinos erkannte. Doch nicht so, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Sein Gesicht... So viele frische Blessuren. Seine Hände, auf dem Rücken gefesselt. Der Mann hinter ihm schubste ihn so rücksichtslos in den Raum, dass Serafino stöhnend auf die Knie fiel. Ich riss ungläubig meine Augen auf und erhob mich, um auf ihn zuzulaufen.
"Was habt ihr mit ihm gemacht?!"
"Warum bist du sauer?", fragte Bianca so gleichgültig, dass ich sie fassungslos anstarrte, ehe ich vor Serafino in die Hocke ging. Ich hob sein Gesicht behutsam an, woraufhin seine dunklen Augen flehend zu mir aufsahen. "Er hat dir nur Schlechtes getan. Du solltest ihn erlösen."
Bianca hab ihrem Handlanger ein Zeichen, der sich neben mich stellte und mir eine Waffe reichte. Ich konnte es kaum fassen und schüttelte den Kopf.
"Was soll das Alles?!", entkam es mir hysterisch, da spürte ich Ayaz hinter mir, der mich an den Armen wieder auf die Beine zog.
"Naja. Er sollte dich leiden lassen. Er fand es jedoch angebrachter, dich auf eine Insel zu entführen, um dich vor mir in Sicherheit zu bringen ... Zu schade, dass ich seiner Tochter dafür eine Narbe verpasst habe, die ihr Gesicht ein Leben lang prägen wird."
Mit weit aufgerissenen Augen blickte ich erneut herab zu Serafino.
"Ohhhh, die Wahrheit tut weh, nicht wahr?!" Bianca erhob sich und sah genau wie ich herab zu ihm. "Hätte er sich an den Plan gehalten, wäre es nie so weit gekommen."
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