6 | Männer meines Lebens
Nervös lief ich im Wohnzimmer auf und ab. Jeder Gedanke in meinem Verstand schien vergiftet. Grenzenloser Hass floss durch jede Ader meines Körpers. Die Aussicht auf Rache war das Einzige, dass mich noch auf den Beinen hielt.
"Setz dich bitte", hörte ich meine Frau hinter mir, doch ich schüttelte den Kopf.
"Ich kann nicht."
"Bitte", flehte sie erneut. Als mein Blick dabei auf sie fiel, schmerzte mein Herz noch mehr, als sowieso schon. Diese vielen Tränen in ihren so wunderschönen Augen. Mit zitternder Hand hielt sie ein Taschentuch vor ihr Gesicht. Keine Hoffnung darauf, dass sie je wieder strahlen würde. Trotzdem konnte ich ihr keinen Beistand leisten. Nicht jetzt, wo meine ganze Welt in Dunkelheit stürzte.
"Anatra-" Ich unterbrach mich selbst, als Cecilio aus dem Büro zurück ins Wohnzimmer kam. Er hielt sich als einziger mit uns im Erdgeschoss auf. Die anderen suchten meine Tochter, außer meine Söhne, die sich oben befanden. "Sag mir sofort, dass du etwas raus gefunden hast!"
Ich ging mit Herzrasen auf ihn zu, da schüttelte er den Kopf und versetzte mir einen Stich mitten ins Herz. Alles um mich herum wurde finster. Jeder Gedanke in meinem Verstand löste sich in tiefes schwarz auf.
"Keine Kamera hat sie aufgezeichnet. Keiner hat etwas gesehen. Ich habe alle Autos überprüfen lassen. Habe-" Ich schnappte mir blind vor Wut seinen Kragen, um ihn hinter sich an die Wand zu donnern.
"Wo ist sie?!", schrie ich meine gesamte Wut heraus und spürte dabei Tränen in meine Augen steigen. "Ich will, dass du mir auf der Stelle sagst, wo verdammt noch mal sie ist! Ich will wissen, welcher Bastard sie mir genommen hat!"
"Gino", hörte ich meine Frau hinter mir, doch ich sah weiterhin zornig in die Augen meines Cousins. Er wehrte sich nicht gegen meinen Griff. Das lag nicht daran, dass er Angst hatte, sondern daran, dass er selbst verzweifelte. Er zeigte es nicht. Handelte ruhig und bedacht. Doch ich wusste genau, dass Nives sein kleiner Sonnenschein war.
"Wir müssen sie finden ...", hauchte ich und ließ dabei Cecilio los, um die einzelnen Tränen von meinen Wangen zu wischen. "Ich fahre nochmal los."
"Aber wohin denn?!" Ludovica kam zu uns und stellte sich genau an meine Seite, um mit ihrem von Schmerz verzerrten Gesicht zu mir aufzusehen. "Wir wissen doch nicht mal, ob sie noch in Palermo ist."
"Sie ist noch hier! Sie muss noch hier sein!", wurde ich meiner Frau gegenüber lauter. Als sie auf meine Worte hin bitterlich anfing zu weinen, tat es mir augenblicklich wieder leid. "Ich wollte nicht lauter werden", erklärte ich ihr mit bebender Stimme. Ich nahm ihre Wangen sanft in meine Hände, um ihr tief in die Augen zu blicken. "Ich weiß nicht wohin mit mir. Ich will ausrasten! Ich will alles zerstören! Ich will-"
"Ich weiß", unterbrach sie mich und legte ihre zitternden Hände ebenfalls an meine Wangen. "Ich will das alles auch. Aber wir müssen uns jetzt zusammensetzen und nachdenken. Es bringt nichts, in der Nacht draußen alleine herumzufahren. Nunzio und Adamo würden anrufen, wenn etwas wäre."
Ich musste ihr Recht geben, auch wenn es mir zuwider war, nichts zu tun. Lieber wollte ich jeden Bastard hier in Palermo foltern, bis ich herausfinden würde, wo Nives sich aufhielt, als hier zu sitzen und einen Plan zu schmieden.
"Sie ist genauso stark wie du. Ihr wird nichts passieren", versuchte Ludovica mich zu beruhigen und strich sanft mit ihrem Daumen über meine Haut. Ich sah zu ihr herab. Das Atmen fiel mir schwer.
"Ihr wird nichts passieren." Ich wiederholte ihre Worte, um sie anschließend fest an mich zu ziehen. Ihr Geruch gab mir Halt und Sicherheit. Trotzdem war es nur eine Frage der Zeit, bis mein Hass mich wieder an meine Grenzen bringen würde.
Ein Klingeln an der Tür brachte mich zum Luft anhalten. Sofort löste ich mich von Ludovica, um mich zum Flur zu drehen. Cecilio lief bereits auf die Haustür zu, um diese zu öffnen. Gespannt starrte ich ihm nach. Als ich jedoch Yavuz und Ayaz erkannte, wandte ich mich wieder meiner Ente zu.
"Geh nach oben. Die Jungs brauchen dich. Ich verspreche dir, in 10 Minuten nachzukommen."
"Du fährst nicht nochmal weg?"
"Nicht, wenn du mich brauchst", hauchte ich an ihre Stirn und nachdem ich ihr einen sanften Kuss gab, führte ich sie an ihrem Rücken noch bis zum Türbogen, um in diesem innezuhalten. Ludovica verschwand, dafür kamen meine Angestellten auf mich zu, die noch gar keine Ahnung hatten, was passiert war.
Yavuz stellte sich genau vor mich. Kurz sah er irrtiert meiner Frau nach, um anschließend mich fragend ins Visier zu nehmen. Allein sein Blick offenbarte mir, dass er das Schlimmste schon ahnte.
"Wer?", fragte er, ohne seinen Blick von mir zu nehmen. Auch Cecilio und Ayaz traten nun vor mich. Mir fiel auf, wie bösartig Cei diesen Bodyguard musterte, doch es war mir schnell wieder egal.
"Nives."
"Was?!", entkam es Yavuz mit großen Augen, der sich sofort an Ayaz wandte. Dieser begriff wohl nicht, um was es ging. Er runzelte seine Stirn, wobei sein Blick zu mir fiel.
"Sie wurde heute Mittag entführt." Yavuz fasste sich an die Stirn und lief an mir vorbei ins Wohnzimmer. Fassungslos schüttelte er seinen Kopf mehrere Male. Auch Ayaz schien von dieser Situation eingenommen. Ich bemerkte, dass seine Hände anfingen zu zittern, wobei er leichenblass wurde.
"Wer hat sie entführt?!", fragte er mit fester Stimme nach. Ich hatte allerdings keine Kraft mehr, alles nochmal gedanklich zusammenzufassen.
"Cecilio wird euch gleich sagen, was zu tun ist. Ich möchte bis morgen früh nicht gestört werden, außer es hat mit Nives zu tun." Ich lief an ihnen vorbei in den Flur und nahm die Treppe nach oben. Im Flur hörte ich Antonio weinen, dessen Zimmer ich auch sofort aufsuchte.
"Ai, kleines Küken", sprach ich, als ich in sein Zimmer eintrat und ihn alleine im Bett liegen sah.
"Kommt Nives wieder?", schluchzte er und verkroch sich halb unter seiner Star wars Decke. Ich schlüpfte aus meinen Schuhen, während ich gleichzeitig mein schwarzes Jackett auszog und es beiseite legte.
"Natürlich kommt sie wieder", sprach ich und konnte das Zittern in meiner Stimme nicht unterdrücken.
"Aber wann?"
Ich lief auf sein Bett zu, um mich direkt an seine Seite zu legen. Er krallte seine kleinen Hände fest in mein Schmerzes Hemd, um sich weinend an mich zu klammern. Meinen Arm unter seinen Nacken legend, zog ich ihn eng an mich.
"Schon ganz bald wird sie wieder hier sein. Ich verspreche es."
Das Blut in meinen Adern gefror. Die Offenbarung von Giuliano traf mich mit einer Wucht, der ich kaum standhielt. Mein erster Instinkt trieb mich dazu, auf mein Motorrad zu steigen und die ganze Welt nach ihr abzusuchen. Meine Beine bewegten sich jedoch keinen Zentimeter. Gefangen in diesem Zustand verharrte ich an Ort und Stelle, während meine Atmung mir Probleme bereitete.
"Du scheinst besorgt", sprach mich Cecilio an, der sicherlich immer noch die Absicht besaß, mich zu töten. Er wusste es nicht besser. Doch er war mir egal. Alles um mich herum wurde mir egal. Ich wollte nur noch eins. Nives sicher nach Hause bringen.
"Ich will sie finden, also sag mir, wo wir anfangen", gab ich ihm zurück, während Yavuz die angespannte Stimmung zwischen uns bemerkte. Er trat nah an uns heran. Cecilio fixierte mich weiterhin ausdruckslos, genau wie ich ihn. Nach diesem kurzen Blickduell, fasste er sich und atmete tief durch.
"Ein Mercedes. Zwei Männer. Wir haben ihr Handy an der Kreuzung zur Stadt gefunden."
"Zeugen?", fragte Yavuz, was auch mir Hoffnung gab, doch Cecilio vernichtete diese gleich wieder.
"Weder auf den Kameraaufzeichnungen war etwas zu erkennen, noch haben wir Zeugen gefunden."
"Aber irgendjemand muss doch etwas gesehen haben", warf ich ein und spürte mein Herz, dass sich mehrere Male überschlug. Mir wurde unerträglich heiß, allein beim Gedanken daran, dass sie sich in den Händen von Feinden befand. Allein die Tatsache, dass sie wegen mir abgehauen war. Wegen mir flüchtete sie aus der Villa. "Ich brauche Luft."
"Ayaz!", rief Yavuz mir nach, doch ich lief schnellen Schrittes zur Haustür, um nach draußen in die Dunkelheit abzuhauen.
"Fuck!", schrie ich und umfasste den Kragen meines Pullovers, um mir Platz zum Atmen zu machen. Nur langsam floss der Sauerstoff in meine Lungen. Ich fühlte mich gefangen, als würde mir jemand die Kehle zuschnüren. All die unvergesslichen Moment mit ihr - ihre Stimme - ihr Geruch... Sie nahm jeden Gedanken ein. Ließ mich nicht mehr klar denken. Ich musste sie zurückholen. Musste ihr erklären, dass es nicht so war, wie sie dachte. Niemals wollte ich sie in diese Situation bringen.
Doch ich hatte es getan und es war meine Schuld, dass sie weg war.
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