59 | Telefon
Erschöpft nippte ich an einem Glas Wein, während ich nachdenklich den Tisch betrachtete.
"Was, wenn es nicht Toni im Schrank gewesen wäre?" Cecilio unterbrach die Stille zwischen uns. Ich sah zu ihm, genau wie Nunzio und Ayaz. "Er hätte euch beide ausgeschaltet, ohne dass ihr euch hättet wehren können."
"Wir hatten zwei Pistolen", entgegnete ich. Mein Blick fiel zu Ayaz. "Also er hatte die Waffen."
"Und ich hätte geschossen, wenn er es gewesen wäre", fügte dieser hinzu.
Cecilio starrte uns nachdenklich an. Ich wusste, er glaubte uns nicht. Er hielt mich für schwach und Ayaz genauso. Doch ich war der Überzeugung, dass Ayaz nicht gezögert hätte.
"Jennifer ist weg." Nunzios flüstern hörte man kaum. Trotzdem verstand ich jedes Wort. Ich runzelte meine Stirn und beobachtete, wie er gedankenversunken seine Finger auf dem Weinglas tanzen ließ.
"Weg? Was meinst du mit weg?", wollte ich wissen, da trafen seine dunklen Augen auf meine. Er atmete tief durch, ehe er sich im Stuhl zurücklehnte und die Arme verschränkte.
"Sie ist nach Frankreich. Dort lebt einer ihrer Brüder. Einer, der mit dem Bianchis schon lange nichts mehr zu tun haben will."
"Aber warum ist sie weg? Wann kommst sie wieder?"
"Wenn das mit Serafino vorbei ist", erklärte er. "Ich habe sie weg geschickt. Ich wollte nicht, dass sie in die Fronten gerät. Wer weiß schon, was er für kranke Dinge plant. Wenn er nur halb so schlimm ist wie sein Vater... Wenn er weiß, dass Jennifer schwanger von ihm war... Wenn er weiß, dass sie ihn gemeinsam mit Ludovica die Klippe runtergeschmissen hat. Ich wollte kein Risiko eingehen."
"Und jetzt fühlst du dich schlecht, weil du Jennifer in Sicherheit gebracht hast und wir alle auf dem Silbertablett sitzen?", fragte Cecilio, während er sich eine Zigarette anmachte. Ich sah zu, wie er einen tiefen Zug nahm. Meine Mutter hasste es, wenn im Wohnzimmer geraucht wurde. Bei dem, was heute alles passiert war, würde sie sicher ein Auge zudrücken.
"Nein, um ehrlich zu sein bin ich froh, mir um sie keine Sorgen machen zu müssen. Heute war ich der Meinung, Toni nie wieder zu sehen. Es zerreißt mich und ich habe keine Ahnung, wie lange wir diese Angst im Nacken noch durchhalten können."
"Wir sollten ihn ausschalten." Ayaz Worte kamen mir richtig, und doch unmöglich vor. Keiner wusste, wo Serafino sich befand.
"Das werden wir auch, sobald wir ihn ausfindig gemacht haben. Ich habe übrigens nach seiner Tochter in Rom rumgefragt. Es stimmt. Es gibt sie, doch man hat sie seit Wochen dort nicht mehr gesehen. Er scheint sie aus dem Land gebracht zu haben, seit er beschlossen hat, uns das Leben zur Hölle zu machen."
"Super", entkam es mir ironisch. Ich hob mein Glas, nahm einen Schluck und erhob mich von meinem Stuhl. "Ich werde schlafen gehen. Elio erwartet mich morgen früh."
"Was ist mit Dario? Ihr meintet, dass wir die Zeugen auf unsere Seite holen könnten, sollte er die Geschäfte wieder übernehmen." Wir alle blickten zu Nunzios. Die dunklen Ringe unter seinem Augen offenbarten, welch Sorgen er durchstand.
"Die Zeugen brauchen wir nicht mehr. Der Vertrag ist gebrochen." Cecilio erhob sich ebenfalls. Ich sah herab zu Ayaz und warf ihm ein müdes Lächeln zu, ehe ich als Erste das Wohnzimmer verließ und das Obergeschoss aufsuchte.
In Tonis Zimmer brannte noch Licht. Ich spähte hinein und erkannte meinen Vater, der neben ihm im Bett lag und aus einem Buch vorlas. Meine Mutter stand am Fenster und beobachtete die beiden.
"Gute Nacht."
"Gute Nacht, mein Schatz", erwiderte mir meine Mutter. Sie kam auf mich zu und umarmte mich fest. "Schlaf gut."
____
Am nächsten Morgen zog ich mir ein schwarzes Kleid und eine Lederjacke an. Ich band meine schwarzen Haare zu einem hohen Zopf und ließ einige Strähnen offen um mein Gesicht tanzen.
"Gut geschlafen?" Meine Mutter tauchte in meinem Türrahmen auf. Sie betrachtete meine Aufmachung und setzte ein mildes Lächeln auf.
"Ich träume immer wieder von ihr", gab ich zu und schnappte mir meine Handstasche vom Schreibtisch.
"Du meinst von Elif? Sie ist weg hab ich gehört."
"Nicht von Elif." Ich spannte mich an und stellte mich vor meine Mutter. Sie erkannte wohl die Belastung in meinem Gesichtsausdruck, denn ihrer änderte sich von glücklich zu besorgt. "Die Frau, die ich getötet habe. Sie taucht immer wieder auf."
"Oh ... Nives", flüsterte meine Mutter und nahm mein Gesicht in ihre Hände. Sie sah mir tief in meine Augen. Ich schaute ihre Sommersprossen an, die mir so vertraut waren und erwiderte anschließend ihren Blick. "Sie wird dich sicher noch eine ganze Weile begleiten."
"Wann hören die Alpträume auf, Mama?"
"Ich kann es dir nicht sagen."
"Wann hast du nicht mehr von Fernando geträumt?"
Sie ließ mein Gesicht los und holte tief Luft. Ihr Blick fiel an mir vorbei zum Fenster, auf welches sie langsam zulief. Ihr roter Seiden Pyjama schimmerte in den wenigen Sonnenstrahlen, die durch meine halb geöffneten Vorhänge schienen.
"Ich träume heutzutage noch von ihm", gab sie mit einem zittern in der Stimme zu. "Sein Gesicht ist nur noch eine verzehrte Maske. Seine Stimme hat sich verändert. Doch er ist immer noch ein Teil von mir. Ein Teil, der mich nicht loslassen will und mit dem ich lernen musste zu leben."
"Aber macht dich das nicht kaputt?"
"Nein", antwortete sie sofort und drehte sich zu mir. "Denn immer, wenn ich aufwache, liegt dein Vater neben mir. Ich höre dich und deine Brüder im Haus. Ich weiß, wie viel Liebe ich in meinem Leben habe und ich lasse nicht mehr zu, dass die Vergangenheit mich anderes glauben lässt."
Ich schöpfte zwar Hoffnung, doch auch Angst, dass ich selbst in 20 Jahren noch an diese Frau zurückdenken würde. Meine Mutter legte ihre Hand auf meinen Rücken und lief mit mir gemeinsam in dem Flur.
"Sag deinem Bruder schöne Grüße. Ich werde ihn heute mittag besuchen."
"Mache ich." Es tat gut, so zu sprechen, als würde Elio mich hören können. Als würde er mitbekommen, wie oft wir an seiner Seite saßen. Ich verschwand aus dem Haus. In der Einfahrt standen zwei Wachmänner, die mit zu einem Wagen folgten. Einer hielt mir die hintere Tür auf, während der andere sich ans Lenkrad setzte.
Wir fuhren in Stille los. Mein Blick fiel aus dem Fenster.
Ich dachte viel darüber nach, wann Serafino wohl zuschlagen würde. Vor allem auch darüber, wie er es machen würde. Ob er selbst zur Tat schreitet, oder seine Männer schickt. Lauert er mir auf, oder hatte er es wirklich auf Toni abgesehen?
Unbewusst kratzte ich an meinem Handgelenkt. Meine Haut brannte, doch ich hörte dieses Mal nicht mehr auf. Kein Ayaz war bei mir, der mir Mut zusprach. Kein Malino, der mich mit einem dummen Spruch aus diesem Loch befreite. Kein Elio, der mir das Gefühl bedingungsloser Liebe gab.
"Signora. Wir sind da."
Erst, als der Fahrer mich ansprach, schaute ich herab zu meiner Hand. Bluttropfen sammelten sich auf den Kratzern. Es tat weh, doch es fühlte sich befreiend an, den ganzen Druck zumindest ein bisschen loszuwerden. Ich schloss kurz meine Augen und sammelte mich, ehe ich ausstieg und auf das Krankenhaus zulief. Die zwei Männer meines Vaters folgten mir auf Schritt und Tritt, bis wir vor Elios Tür ankamen, vor der weitere Männer standen und Kaffe tranken.
Ich betrat Elios Zimmer und ließ alles andere draußen.
Kaum machte ich die Tür hinter mir zu, entdeckte ich neue Blumen auf dem Beistelltisch neben meinem Bruder.
"Zita", flüsterte ich kopfschüttelnd. Natürlich konnte sie es nicht gut sein lassen, ganz gleich wie oft ich ihr erklärte, dass Elio den Duft von Blumen nicht mochte. Ich ignorierte die roten Rosen und setzte mich auf die Bettkante, um meine Hand auf Elios zu legen. "Hallo, Sonnenschein."
Ein Lächeln entstand auf meinen Lippen, als ich Elios Gesicht ansah. Er schlief und doch, kam er mir lebendig vor.
"Du siehst gut aus." Meine Finger strichen über seine Wange. "Soll ich dir heute etwas vorlesen?"
Ich wollte gerade ein kleines Buch aus meiner Handtasche holen, da klingelte das Telefon neben Elios Bett. Es stand auf dem Beistelltisch, direkt unter dem Blumenstrauß. Irrtiert blickte ich es an, bis es aufhörte zu klingeln. Sicher hatte sich jemand verwählt.
Erneut durchwühlte ich meine Tasche, da klingelte es erneut.
Obwohl ich nicht wollte, nervte mich dieses penetrante Klingeln und ich stand auf, um auf das Telefon zuzulaufen. Ich nahm den Hörer zur Hand.
"Hallo?"
"Nives." Ein eiskalter Schauer jagte mir den Rücken hoch. Meine Atmung stockte. Ohne zu zögern knallte ich den Hörer auf und fasste mir an meine Brust. Das musste eine Halluzination sein. Ich wich einen Schritt zurück. Schaute mit großen Augen den Hörer an. Als dieser zum wiederholen Male klingelte, blickte ich zu meinem Bruder und schwor mir, dass er niemals wieder in solch eine Gefahr geraten würde. Ich sammelte all meinen Mut, schüttelte die Angst ab und führte den Hörer an mein Ohr.
"Was willst du noch? Haben die Kugeln auf deiner Psycho Insel nicht gereicht? Brauchst du noch mehr?"
"Nives! Alles, was ich dir gesagt habe, ist wahr. Ich will mit dir abhauen! Alles hinter uns lassen. Ich habe nichts mehr zu verlieren... Bitte komm mit mir. Bleib bei mir. Ich werde dich beschützen und-"
"Hast du den Verstand verloren?!", wurde ich lauter und schüttelte meinen Kopf. "Du bist nicht ganz dicht, wenn du denkst, dass ich mit dir auch nur einen Schritt zusammen irgendwo hingehe!"
"Es ist nicht so, wie du denkst! Wenn du wüsstest, was ich für dich alles auf mich genommen habe!"
"Was hast du auf dich genommen? Zwei Kugeln, mehr nicht! Arschloch! Wenn du auch nur ein einziges Mal in die Nähe meiner Brüder kommen wirst, töte ich dich!"
Wütend legte ich auf und riss das Kabel des Telefons raus. Dieser Mistkerl musste aus meinem Leben verschwinden.
"Alles okay?" Ertappt drehte ich mich zu Ayaz, der mit zwei Kaffe Bechern in der Hand ins Zimmer eintrat. "Ich dachte, du könntest einen gebrauchen."
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Würde mich sehr über Kommentare freuen ❤️
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