52 | Pläne
"Es ging alles so schnell. Serafino veränderte sich. Ich glaube rückblickend, dass er eine Obsession entwickelt hat. Er kam mir aggressiv vor. Vollkommen wahnsinnig. Von jetzt auf gleich."
Frisch geduscht saß ich im Bademantel auf einem Sessel in diesem sonst spärlich eingerichteten Hotelzimmer. Mein Onkel Cecilio saß mir gegenüber. Er wollte alles genau wissen. Wollte wissen, was auf der Insel passiert war. Ich versuchte es so gut es ging zu erklären.
"Von einer Angestellten habe ich die Wahrheit erfahren. Ich hab erfahren, dass er mich wirklich isolieren wollte. Das er mir nur vorgespielt hatte, mich zu mögen. Dass alles geplant war. Von Anfang an. Selbst Malinos Unfall war nur von Serafinos Taten ausgelöst worden."
Erste Tränen stiegen in meine Augen. Die Dusche tat mir gut. Ich sah die Dinge klarer.
"Dann-", schluchzte ich überfordert und blickte meinem Onkel tief in seine Augen. Er sprach kaum mehr ein Wort, seit er mich gefunden hatte. Er gab mir Raum, wie ich es brauchte und wartete, bis ich bereit war, mich zu öffnen. Ich schämte mich vor ihm schwach zu wirken, doch ich konnte meine angestauten Gefühle nicht mehr zurückhalten. "-habe ich sie getötet."
Als ich die Worte aussprach, spürte ich erneut den Griff des Messers in meiner Hand. Ich stand ruckartig auf und schnappte nach Luft.
"Ich hab sie getötet und es kommt mir vor, als hätte ich mich in einem Film befunden. Es kommt mir nicht echt vor. Ich fühle mich nicht wie jemand, der getötet hat! Ich fühle gar nichts Cecilio!", wurde ich immer lauter, während immer mehr Tränen meine Wangen herabliefen. Er saß einfach nur da und schwieg. Sein Verhalten machte mich wütend. "Warum sagst du nichts! Du solltest mich anschreien! Mir erklären, wie falsch es ist, Menschenleben zu beenden! Du solltest mich dafür bestrafen! Stattdessen sitzt du da und tust so, als hättest du nichts falsch gemacht! Doch du hast mich im Stich gelassen! Du hast mich allein gelassen!"
Meine Unterlippe zitterte. Wie ein Reflex legten sich meine Finger an mein Handgelenk. Nervös begann ich an diesem zu kratzen. Erst, als Cecilio sich erhob, stoppte ich und sah zu ihm auf.
"Dein Opa ist gestorben. Dein Bruder liegt im Koma. Du wurdest gezwungen zu heiraten, während dir jeden Tag mit dem Leben deines kleinen Bruders gedroht wurde. Dann bist du auf einer Insel. Isoliert von allen anderen und erfährst, dass alles die Schuld des Mannes ist, dem du für einen kurzen Moment vertraut hast." Er erklärte es so, als würde er es selbst ordnen wollen. "Es ist vollkommen normal, dass du nichts fühlst. Ein Verstand braucht Zeit, um Geschehens zu verarbeiten. Kinder, die in schlechten Verhältnissen aufwachsen. Geschlagen und missbraucht werden - die lieben ihre Eltern trotzdem. Erst, wenn sie älter werden, begreifen sie, was passiert ist und wie falsch es war. Ein Trauma kommt, wenn der Verstand begreift, was deinem Körper wiederfahren ist."
"Also war es doch falsch, diese Frau zu töten?"
"Nein, aber ich verspreche dir, dass du damit zu kämpfen haben wirst. Du wirst sie sehen und hören, wenn du die Augen schließt."
Ich nickte und wischte meine Tränen weg. Cecilio trat an meine Seite und musterte mich nachdenklich.
"Aber Wut war nicht der Grund, warum du sie getötet hast, oder?"
"Nein", gab ich zu und schüttelte meinen Kopf. "Sie hat mir ein Geheimnis verraten und ich wollte nur verhindern, dass Serafino davon erfährt."
"Dass er eine Tochter hat?"
Verwundert starrte ich Cecilio an. Dieser atmete tief durch und lief an mir vorbei zur Minibar des Zimmers. Er holte zwei Flachmänner heraus, von denen er mir einen reichte. Ich nahm diesen an mich und öffnete den kleinen Deckel.
"Ich war nicht untätig, auch wenn du denkst, ich hätte dich im Stich gelassen."
"Aber woher weißt du das? Und woher wusstest du, wo ich bin?"
Er nahm einen Schluck der kleinen Flasche.
"Ich war bei den Familien, die Zeugen für eure Hochzeit sind. Mir war klar, dass Serafino zu töten keine Option wäre und so, wie ich die Bianchi Familie einschätze, wusste ich, dass er nie loslassen würde."
"Sie sind alle so wie er?"
Er nickte. "Giovanna. Seine Tante. Sie war besessen von Dario. Ich hörte es nur von anderen, da ich zu der Zeit nicht in Italien war, aber deine Mutter hat mir die Geschichte erzählt. Sie war so besessen von Dario, dass sie deine Mutter töten wollte. Genau wie ihre Schwester Ambra, die besessen von Rachegedanken sogar ihre eigene Tochter im Stich gelassen hat."
"Du wusstet also, dass er irgendwann sein wahres Gesicht zeigt."
"Si."
"Und du hast mir nichts davon erzählt", warf ich ihm vor und trank anschließend einige Schlucke. "Du hast mich ins offene Messer laufen lassen."
"Weil ich mehr von dir erwartet habe."
Verwundert zog ich meine Augenbrauen zusammen.
"Ich habe dir so viel beigebracht. Darüber, dich niemals manipulieren zu lassen. Das große Ganze nie aus den Augen zu verlieren. Doch dann fängst du an, dir einreden zu lassen, dass du deiner Familie egal wärst. Du steigst sogar mit ihm in einen verdammten Jet und lässt zu, dass er sie gesamte Kontrolle übernimmt."
"Weil ja auch alle gegen mich sind!"
"Keiner ist gegen dich!", erwiderte er mir mit einem dunklen Unterton in seiner Stimme. Er war sicher sauer auf mich, aber auch auf sich selbst, da er zu viel von mir erwartet hatte. "Das meine ich, Nives! Du siehst nur, was Serafino dich sehen lässt! Denkst du, du bist deiner Mutter nicht wichtig?! Natürlich bist du das! Aber du hast ihr doch nie die Chance gegeben, Nähe aufzubauen! Sie hat gelernt dir Freiraum zu geben und jetzt setzt du es als Waffe ein, um ihr vorzuwerfen, dich ungeliebt zu fühlen."
Wütend wandte ich mich von ihm ab. Ich begann auf meiner Lippe zu kaufen und umfasste den Flachmann fester. Mein Blick fiel zum Fenster. Es war nicht groß. Das Hotelzimmer nicht teuer.
"Ich weiß, dass ich Fehler gemacht habe. Ich weiß, dass ich naiv und dumm war. Dass ich vermutlich auf Ewigkeiten Alpträume haben werde, da ich nun eine Mörderin bin, genau wie mein Bruder", erklärte ich mit einem Kloß im Hals. "Aber ich will, dass es ein Ende hat! Ich will ihn los werden und nie wieder sehen! Ich will, dass diese scheiß Vergangenheit meiner Eltern, auch meine Vergangenheit wird!"
Ich drehte mich zu ihm. Er rückte gerade sein Tanktop zurecht und sah mich abwartend an.
"Also, woher wusstest du, dass ich hier bin. Ich will keine Lügen mehr! Wegen diesen ganzen Lügen habe ich Blut an meinen Händen!"
"Ich war schon kurz zuvor wieder in Palermo. Doch ich wollte nicht, dass Serafino davon erfährt. Ich habe ihn beschattet und gesehen, dass ihr in einen Jet steigt. Du kannst heutzutage Leute für alles bezahlen. Ich habe Geld genommen, es dem Mann gegeben, dem der kleine Flugplatz gehörte und so erfahren, wo ihr hinfliegt. Da dies hier der nächste Hafen ist, bin ich heute Nacht hergeflogen und heute mittag, da wollte ich mir ein Schiff kaufen, um in deine Nähe zu kommen und-"
"Da stand ich plötzlich vor dir", beendete ich seinen Satz und ließ mich auf dem dunkelgrünen Sessel nieder. "Du hast gesagt, du hast die Familien besucht. Was hast du erreicht?"
Hoffnungsvoll blickte ich zu ihm auf. Seine strengen Gesichtszüge ließen mich aber bereits nichts Gutes erahnen.
"Sie wissen, dass die Ehe erzwungen war, akzeptieren sie aber trotzdem. Aber wie ich schon sagte, sind Menschen käuflich. Das Problem ist aber, dass sie keine Geschäfte mit mir machen wollen. Ich wäre nur der Bastard der Familie und sie haben kein Vertrauen in mich. Das Gleiche gilt für deinen Vater. Er hat damals den Krieg mit den Bianchis begonnen. Er hat aus seiner Impulsivität heraus alles explodieren lassen. Sie fürchten sich vor einer Zusammenarbeit mit so jemandem."
"Also bringt es nichts, mit ihnen zu verhandeln. Sie bleiben auf Serafinos Seite, mit dem ich verheiratet bleibe, bis wir im hohen Alter verrecken."
Missmutig stützte ich mein Kinn auf meine Hände, um tiefe Atemzüge zu nehmen.
"Wir könnten seine Tochter entführen und ihn erpressen", murmelte ich nach kurzer Zeit in die Stille.
"Um noch jemand unschuldiges für die Taten ihres Vaters in diesen Krieg zu ziehen?", entgegnete mir Cecilio. "Das sollten wir als letzte Möglichkeit in Betracht ziehen. Aber es gibt noch eine, die ich im Grunde auch lieber nicht tun würde."
"Und die wäre?", fragte ich nach und sah auf zu ihm. Er legte ein abwertendes Lächeln auf, als würde er sich vor seinen nächsten Worten sträuben.
"Ich könnte die Waffengeschäfte abgeben, damit sie mit jemand anderem zusammenarbeiten können."
"Aber du meintest gerade, dass sie mit Padre auch nicht arbeiten wollen."
"Aber mit jemandem, der ruhig und beständig ist. Der diese Geschäfte schon einmal geleitet hat, von dem ich mir aber sicher bin, er würde es unter keinen Umständen noch einmal tun. Dario."
"Dio Mio", flüsterte ich überfordert. Ich schreckte im nächsten Moment zusammen, als es plötzlich an der Tür klopfte. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich sprang auf, bereit, aus dem Fenster zu springen wenns sein müsste.
"Ganz ruhig", meinte Cecilio und ich konnte nicht verstehen, wie er so ruhig bleiben konnte. Ich sah Serafinos Wahnsinn bereits wieder vor Augen und machte mich aufs Schlimmste gefasst. "Ich habe mich gestern Abend mit jemandem getroffen, dem ich ebenfalls alles erzählt habe. Da deine Eltern genug mit deinen Geschwistern zu tun haben, musste ich eine Alternative finden. Auch wenn ich in kurzen, flüchtigen Momenten dieser Alternative gerne das Herz rausreißen würde."
Ich verstand nicht, was er meinte, bis die Tür aufging und ich Ayaz erkannte.
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