51 | Offenes Meer
Ich bekam kaum noch Luft. Drehte mich im Kreis. Starrte aufs dunkle Meer hinaus und erschrak darüber, was ich überhaupt getan hatte.
Nur langsam begriff ich alles. Mein vernebelter Verstand schien es jetzt erst zu verarbeiten. Diese Stille trieb mich an, meine Handlungen zu überdenken.
Diese Frau. Ich hatte sie wirklich getötet. Dazu Serafino angeschossen, was zur Folge hatte, dass ich vermutlich niemals mehr von dieser Insel kommen würde. Wieso handelte ich so impulsiv?! Wieso dachte ich nicht vorher darüber nach?! Ich fühlte mich wie eine Marionette. Gefangen in einem Körper, der sein Eigenleben entwickelte. Unfähig, die Dinge aus der Ferne zu betrachten.
Mit dem Blick herab auf den Hasen in meiner Hand gerichtet, dachte ich über mein Leben nach. Ich war schon immer so ...
Es dauerte nur wenige Augenblicke, in denen ich mich entschieden hatte, meinen Bruder zu einem Mörder zu machen. Nur wenige Augenblicke, in denen Ayaz mich dazu brachte, mich in ihn zu verlieben. Nur wenige Augenblicke, in denen ich den Vertrag unterschrieb, in den Jet stieg und eine Frau tötete.
Im Nachhinein betrachtet, musste ich zugeben, dass etwas mit mir nicht stimmte. Vor allem, weil mir die Taten so wenig ausmachten. Ich sollte heulen. Weinend auf die Knie fallen und um Vergebung bitten. Doch ich tat es nicht. Stattdessen setzte ich meinen Weg den Strand entlang fort und suchte nach einer Möglichkeit, dieser Stille zu entkommen. Dieser Stille, die meine Gedanken immer lauter machte. Die Stimme in meinem Kopf wechselte in ihren Emotionen. Mal wollte sie mich dazu bringen, zurück zu gehen und Serafino eine Kugel direkt in den Kopf zu verpassen. Dann aber schrie sie mich an, in die Wellen zu rennen und um mein Leben zu schwimmen. Ich schloss meine Augen. Versuchte angestrengt nachzudenken, bis ich plötzlich etwas poltern hörte.
Neugierig riss ich meine Augen wieder auf und erkannte tatsächlich ein Boot. Es schwankte in den Wellen leicht hin und her. Befand sich angebunden an einem kleinen Steg bei den Hütten, wo Nächte zuvor noch das Lagerfeuer brannte.
Ich überlegte nicht lange und rannte zu dem Steg. Der Sand war uneben, sodass ich stolperte. Ich hielt jedoch mein Gleichgewicht und tapste durchs kalte Wasser.
"Nives!", hörte ich Serafinos Stimme weit entfernt. Trotzdem schlug sie ein wie eine Bombe. Mein Puls begann zu rasen, denn ich wollte ihm keinesfalls nochmal begegnen. Entweder würde ich ihn töten und damit meine Familie einer Blutrache aussetzen, oder er würde mich wie ein Tier gefangen halten. Beides kam nicht in Frage.
"Scheiß Bastard", fauchte ich und schmiss das Kuscheltier und die Pistole ins kleine, hölzerne Boot, dass nicht mehr besaß, als zwei Plätze und zwei Paddel. Hektisch riss ich an dem dicken Seil, um den Knoten zu lösen. Eine Herausforderung, die schnell erledigt war.
"Du kannst mir nicht entkommen!" Ich starrte in die Richtung, aus der seine Stimme kam. Doch ich erkannte nichts außer Dunkelheit. Der Mond strahlte kaum, was mir Schutz vor seinen Blicken gab.
Ich schob das Boot etwas weiter ins Wasser und sprang drauf, um sofort sie Paddel in die Hände zu nehmen. Ungeschickt bewegte ich sie, doch die Wellen machten es mir schwer, mich weg vom Strand zu bewegen.
"Nivesssss!"
"Halts Maul", zischte ich und ruderte mit aller Kraft, bis ich einen Schuss hinter mir hörte und über meine Schulter zum Strand blickte. Ich befand mich mittlerweile ein gutes Stück entfernt, trotzdem erkannte ich Serafino. Er humpelte auf den Steg und hielt eine Waffe in seiner unverletzten Hand.
"Du wirst da draußen sterben! Komm zurück!"
"No!", schrie ich. "Lieber verrecke ich für mich alleine, als an deiner Seite!"
"Denk an Antonio!" Die Bedrohung aus seiner Stimme herauszuhören, war leicht. Doch ich konnte nicht mehr umdrehen. Ich konnte es einfach nicht und hasste mich, dass ich meinen kleinen Bruder damit in Gefahr brachte. Ich riss mich zusammen und konzentrierte mich nur noch aufs Paddeln. Mein Vertrauen lag voll und ganz bei meinem Vater. Er würde Antonio zu beschützen wissen. Er würde nicht zulassen, dass ihm etwas passiert.
Doch er konnte Elio, Malino und Stella auch nicht davor bewahren, durch Serafino bestraft zu werden.
Für einen flüchtigen Moment hielt ich inne. Das Boot wackelte in den Wellen. Immer wieder schwappte etwas Wasser ins Boot.
"Komm bitte zurück! Wir können über alles reden!"
Ich verharrte in meiner Position. Tausend Gedanken flogen umher. Einer unklarer als der andere. Die Luft um mich herum wurde dünner. Ich fühlte mich überfordert, entschied mich anschließend dafür, zu gehen, ganz gleich welche Konsequenzen folgen würden. Ich ruderte weiter, was Serafino wohl bemerkte. Erneut fiel ein Schuss und dieses Mal hörte ich ihn neben mir ins Wasser einschlagen.
"Dreh um!"
"Du erschießt mich nicht!", brüllte ich und das war das letzte, was ich mit diesem Bastard kommunizierte, ehe ich mich immer weiter in die dunklen Wellen stürzte.
_____
Die Nacht verging und wo ich zuvor dachte, sie würde mir auf dem offenen Meer Angst machen, so stellte ich fest, dass es morgens viel beängstigender war.
So weit meine Augen reichten, erkannte ich nichts als Wasser. Die Insel war weg. Kein Festland in Sicht. Meine Haut erwärmte stetig weiter und ich wusste, dass ich aus reinem Zorn heraus eine falsche Entscheidung getroffen hatte.
Mal wieder.
Meine Arme schmerzten, sodass ich nicht mal mehr dazu in der Lage war, weiter zu paddeln. Ich saß da und starrte auf das Kuscheltier, welches zwischen meinen Füßen lag. Sonst ging mein Onkel Nunzio mir oft auf die Nerven. Er sprach viel. Benutzte manchmal nichtmal Pausen und vergaß Punkt und Komma. Hier sitzend wünschte ich mir nichts lieber, als seine Stimme zu hören.
Die Wellen waren ruhig. Doch das Meer machte mir keine Angst. Diese Stille wirkte viel schlimmer auf mich. Da war nichts. Rein gar nichts. Kein Vogelgezwitscher. Kein Lärm. Das Wasser, welches gegen das Boot schwappte, war zu leise, als dass ich es überhaupt wahrnahm.
"Du bist so eine Idioten", regte ich mich über mich selbst auf. Ich ließ mich nach hinten fallen. Lag in diesem Boot und starrte dem hellblauen Himmel entgegen. "Du wirst entweder verdursten oder vor Wahnsinn ins Wasser springen und untergehen."
Ich sprach mit mir selbst. Wusste dabei nicht, ob ich schon verrückt geworden war oder einfach nur diese Stille unterbrechen wollte. Meine Augen geschlossen, atmete ich die salzige Luft ein und verlor mein Gefühl für Raum und Zeit. Ich bemerkte nicht mehr, ob das Boot sich in eine bestimmte Richtung bewegte. Konnte nicht ausmachen, ob Stunden oder Minuten vergingen. Bereute immer mehr, diese Freu getötet und damit mein Schicksal besiegelt zu haben. Doch ich bereute nicht, Serafino angeschossen zu haben.
Die Sonne bereitete mir immer mehr Probleme. Meine Haut brannte. Meine Kehle fühlte sich trocken an. Öfters beugte ich mich über den Rand, um meinen Kopf ins Wasser zu tauchen. Wenigstens kühlte es für einen kurzen Moment. Dann nahm ich meine letzte Kraft zusammen und begann erneut zu paddeln. Ich hatte die Orientierung verloren. Sah mich um, doch alles sah gleich aus.
"Dio Mio", hauchte ich angestrengt und biss die Zähne zusammen. "Mein Vater würde diese Stille hassen."
Meine Hände schmerzten und schon nach kürzester Zeit, gab ich das Paddeln wieder auf. Es hatte keinen Sinn, da ich nicht wusste, ob ich mich überhaupt bewegte. Erneut legte ich mich auf meine Seite und schloss meine Augen. Verrecken in wohliger Wärme. Ein Ende, dass ich mir so nicht vorgestellt hatte. Ich wollte in Aktion sterben. Nicht sinnlos und alleine auf dem Ozean. Auch etwas, für das ich Serafino die Schuld gab und umso mehr Durst ich beka, desto mehr wünschte ich mir, er hätte mich mit einer der Kugel getroffen.
Leise Musik weckte mich aus meinem Schlaf. Der Geschmack von Salzwasser haftete auf meinen Lippen. Die Sonne brannte sich in meine Haut. Ich öffnete meine Augen und gewöhnte mich nur langsam ans Licht. Irritiert setzte ich mich auf, um mich neugierig umzusehen. Für einen Moment war ich der Überzeugung, nur geträumt zu haben, doch dann erkannte ich plötzlich eine Yacht weiter weg.
"O Gott!", brachte ich hervor und stand wacklig auf. Beinahe wäre ich zur Seite umgefallen. Ich fing mich jedoch. "Hey!!!", schrie ich und wedelte wie eine Wahnsinnige mit den Armen, doch sie hörten mich nicht. Ich versuchte es weiter. Schrie so laut, dass meine Kehle kratzte. Egal wie oft ich es versuchte. Keiner blickte in meine Richtung. "Verdammte Hippies!", regte ich mich über sie und ihren hässlichen Musikgeschmack auf. Bob Marley. Vermutlich waren sie high und würden nichtmal bemerken, wenn ein Hai mich angreifen würde.
Frustriert sah ich herab und entdeckte die Pistole. Ich nahm sie an mich. Entsicherte sie und schoss in Richtung Himmel. Da endlich erkannte ich, dass einer der Typen sich zu mir umdrehte.
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"Thank you!"
Wir kamen an einem Hafen in Griechenland an. Die Typen waren wirklich hilfsbereit, auch wenn wir nicht viel sprachen. Sie konnten weder english, noch italienisch und ich verstand ihre Sprache ebenso wenig. Trotzdem nickten sie freundlich und halfen mir sicher auf den breiten Steg abzusteigen. Bestimmt fragten sie sich, wieso ich eine Waffe besaß. Solange sie nicht die Polizei rufen würden, war es mir egal. Sie sollten einfach nur im Glauben bleiben, ich wäre eine Irre die mitten im Meer gelebt hat.
Ich wank ihnen zu und drehte mich zum Ende des Stegs. Dort fuhren Autos eine Straße entlang. Ich erkannte einen Markt auf der linken Seite. Hörte Menschen und sogar Vögel über mir zwitschern. Ein breites Lächeln legte sich auf meine Lippen und erschöpft lief ich auf die Straße zu. Da mit dir Jungs essen und trinken angeboten hatten, freute ich mich jetzt nur noch darauf, ein Telefon zu finden.
Kaum, dass ich am Markt ankam, begutachtete ich den vielen Fisch den eine ältere Frau verkaufte. Ich bekam überhaupt nicht mit, dass sich jemand nah hinter mir befand. Zu spät, bemerkte ich am Boden den Schatten eines Mannes genau neben meinem. Ich wollte dir Waffe nach oben ziehen, da wurde sie mir von hinten aus der Hand gerissen.
"Fuck", entkam es mir wütend, da Serafino mich gefunden hatte, bevor ich überhaupt richtig frei war. Ich drehte mich um und war bereit ihm seine hässliche Visage zu zerkratzen, da hielt ich den Atem an und spürte mein Herz, dass sich mehrmals überschlug.
"Es gibt nichts, was gruseliger wirkt, als eine Frau, die gleichzeitig ein Kuscheltier und eine Pistole in den Händen hält."
"Vielleicht war es meine Absicht, gruselig zu wirken."
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