41 | Flüchten
Schweigend saß ich neben Ayaz in seinem Wagen. Leise Musik drang aus dem Radio, während ich stur geradeaus blickte. Wir befanden uns nicht weit weg von der Villa. Obwohl ich mich an seiner Seite wohl fühlte, stand vieles weiterhin zwischen uns. Das Gefühl, hin und her gerissen zu sein, nahm mich immer mehr ein.
"Du hast mich gefickt", sprach ich das erste aus, was mir in den Sinn kam. Ich wollte dieses unerträgliche Schweigen endlich brechen, nachdem wir sicher schon 30 Minuten hier verweilten. Ich atmete tief durch. Spürte dabei seine Blicke auf mir. Jedoch starrte ich weiterhin in die Dunkelheit hinaus.
"Das ist deine Ansicht dafür, was gerade passiert ist?" Seine Frage kam mir vor, als wäre sie ein Vorwurf.
"Wie sollte ich es sonst sehen?", stellte ich ihm eine Gegenfrage und drehte mich ohne Ausdruck zu ihm. Er lehnte mit dem Rücken seitlich gegen seinen Sitz. Eine Hand lag am Lenkrad. Die andere ruhte auf seinem Oberschenkel. Ich versuchte seinen Augen auszuweichen. Als mir allerdings bewusst wurde, dass eine Aussprache sein musste, wandte ich meinen Blick auf. Sofort fixierten seine Augen die meinen. Er verengte seine ein klein wenig, als würde er sich auf etwas konzentrieren. Vielleicht wollte er auch nur anhand meiner Mimik deuten, ob ich meine zuvorigen Worte ernst meinte. "Du bist gekommen. Hast den Alkohol gesehen und dann-"
"Warte!", wurde er lauter und lehnte sich etwas vor, um mich noch intensiver zu betrachten. Sein Geruch strömte in meine Nase. Ich verzog keine Miene, obwohl er mir so vertraut war und ich am liebsten die Augen geschlossen hätte, um ihn zu genießen. "Willst du mir jetzt wirklich unterstellen, ich hätte dich ausgenutzt?"
Ich zuckte, stur und ignorant, wie ich so oft war, mit meinen Schultern. Ayaz schüttelte den Kopf und offenbarte mir einen Ausdruck, der mir an ihm vollkommen neu war. Abwertend und tief verletzt.
"Weißt du was, Nives?", fuhr er fort und nahm seinen Blick dabei von mir. Er legte seine Hände ums Lenkrad. War bereit zu gehen, während er durch die Windschutzscheibe auf die Straße starrte. "Ich bin zu dem verdammten Strand gekommen, um dir meine Situation zu erklären. Um dir zu erklären, wieso ich den Fehler gemacht habe, dir weh zu tun. Ich wollte es wieder gut machen, weil ich es nicht ertragen habe, ohne dich zu sein."
Flüchtig blickte er zu mir rüber. Er sah mich aber nicht an. Nur an mir vorbei, als könnte er meinen Anblick in diesem kurzen Augenblick nicht ertragen.
"Aber wenn du so von mir denkst, war alles umsonst. Das glaube ich aber nicht. Du wählst einfach nur den leichten Weg, so wie du es immer tust."
"Ich wähle den leichten Weg?", wiederholte ich ihn ungläubig, da nickte er und hob sein Gesicht an. Unsere Augen trafen aufeinander. Ich verlor mich in ihnen und vergaß für einen Moment, worüber wir überhaupt stritten ... bis er weitersprach.
"Es ist leichter, mich zu hassen, nachdem, was passiert ist. Leichter, als dir einzugestehen, dass du immer noch Gefühle für mich hast."
"Natürlich ist es leichter, Ayaz! Du solltest es doch am besten verstehen!" Ich erhob vor Überforderung meine Stimme und lehnte mich vor, um meine Hand auf seine zu legen. Er ließ das Lenkrad los. Umfasste meine Hand mit seiner, woraufhin ich mit meinem Daumen über seine Haut strich. "Wie soll ich damit umgehen, außer mit Hass und Wut?! Wie soll dieses Chaos weitergehen?! Ich bin gefangen! Verstehst du das?! Natürlich ist es leichter, dir jetzt die Schuld zu geben! Wem soll ich sie sonst geben?"
Erste Tränen der Verzweiflung bildeten sich in meinen Augen. Jede einzelne spiegelte wieder, wie sehr ich mein Leben bereits hasste. Im Grunde bereute ich jede Entscheidung, die ich in den letzten Wochen getroffen hatte.
"Aber ich muss nach Hause. Ich muss zu einem Mann ... zu meinem Mann, der mich und meine gesamte Familie zerstören will. Wenn ich es schaffen soll, das durchzustehen, darf keine Hoffnung in mir sein. Wenn da auch nur ein Funken übrig bleibt, der mich zu dir führt, dann ertrage ich keinen Tag länger in Gefangenschaft. Ich überstehe keine Nacht mehr mit ihm in einem Zimmer liegend, wenn ich weiß, dass ich neben dir liegen könnte."
"Du musst es nicht länger ertragen", entkam es Ayaz, der meine Hand los ließ, um mein Kinn zu umfassen. Zärtlich wischte er mir mit seinem Finger einzelne Tränen weg, während ich ihn schweigend betrachtete. "Ein Wort von dir und ich bringe ihn um. Ich bin bereit dazu. Von mir aus soll mich seine Familie durch ganz Italien jagen. Ich gehe mit dir überall hin. Wir können-"
"Hör auf", unterbrach ich ihn mit einem Kloß im Hals. Ich zog mein Gesicht zurück, sodass seine Hand von meinem Kinn abließ. "Es geht nicht. Meine Brüder sind die ersten, die mir laut seinem Vertrag genommen werden würden."
"Es wird keine Blutrache geben, Nives. Ich bin keiner von euch."
Ein bitteres Auflachen entkam mir.
"Du bist so erwachsen und doch so naiv. Denkst du im ernst, dass es so leicht wäre? Wäre es so einfach, wäre mein Onkel nicht gegangen. Er hätte diese Lösung schon längst in Betracht gezogen und jemand Fremdes beauftragt, Serafino aus dem Weg zu räumen. Er ist aber gegangen. Vermutlich, weil er genauso gut wie ich weiß, dass es hoffnungslos ist."
Stille kehrte ein. Erneute Stille, die unerträglich auf mich wirkte. Ich ergriff die Initiative und schnallte mich ab. Bevor ich den Griff der Tür zu fassen bekam, umfasste Ayaz mein Handgelenk.
"Gib uns nicht auf, okay? Ich lasse mir etwas einfallen."
Ich entzog ihm meine Hand und öffnete anschließend die Tür, um eilig auszusteigen. Ehe ich die Tür wieder schloss, sah ich ein letztes Mal zu Ayaz. Dieser wirkte, als würde er etwas sagen wollen. Er schwieg jedoch. Genau wie ich. Ich schloss die Tür und lief los, ohne mich nochmal umzudrehen. Hätte ich mich umgedreht, wäre ich zurück zu ihm gerannt und hätte sein Angebot angenommen, zusammen abzuhauen.
____
Kaum im Hausflur der Villa stehend, lauschte ich auch hier der Stille. Niemand schien mehr wach zu sein. Die Lichter waren aus. Das Wohnzimmer leer. Sicher befand sich mein Vater mit meinen Onkeln im Club. Der Rest schlief. Hoffentlich auch Serafino.
Nur langsam nahm ich die Stufen nach oben und versuchte dabei so leise wie möglich zu sein. Ich suchte meine Zimmertür auf, öffnete diese zögerlich und verschwand ins Innere. Dadurch, dass es dunkel war, erkannte ich kaum etwas. Schnell schloss ich die Tür und bewegte mich lautlos einige Schritte ins Zimmer, da spürte ich aber etwas auf meinem Mund, das mich zu Tode erschrak.
"Ach, meine Frau ist also endlich zu Hause." Serafino drängte mich nach hinten, wodurch ich mit dem Rücken an den Schrank prallte. Ich schlug nach ihm und versuchte seine Hand von meinem Mund zu reißen, doch ich hatte keine Chance. "Wie war dein Spaziergang? Befriedigend?"
"Arschloch!", presste ich unter Herzrasen hervor. Allerdings konnte ich mein eigenes Wort durch seine Hand hindurch kaum verstehen. Ich nahm meine gesamte Kraft zusammen und schubste ihn von mir. Das wenige Licht des Mondes, das durchs Fenster fiel, offenbarte mir zumindest die Umrisse seines Körpers. Er taumelte einige Schritte rückwärts. "Fass mich bloß nicht an! Dämlicher Wichser!"
Ich wollte schnell zur Tür, da riss er mich aber am Nacken zurück und donnerte mich erneut an den Schrank. Dieses Mal mit der vorderen Seite meines Körpers. Hätte ich meine Hände nicht ausgestreckt, hätte dieser Wahnsinnige mir meine Nase damit gebrochen.
"Hast du sie noch alle?!", regte ich mich auf, da drückte er sich an meinen Rücken, um mich zwischen sich und dem Schrank einzukeilen.
"Du solltest ganz ruhig sein jetzt", warnte er mich und ich erkannte ihn überhaupt nicht wieder. Womöglich offenbarte er mir endlich sein wirkliches Gesicht. Wie der Vater, so der Sohn. Doch ich war nicht meine Mutter. Würde er versuchen mir wehzutun, würde ich ihm seine Pulsadern aufkratzen. "Ich gebe dir alle Freiheiten. Benehme mich wegen dir wie ein verfickter Teenager und breche meine eigenen Regeln! Und du? Du gehst dich von dem Bodyguard ficken lassen!"
Ein überhebliches Lachen entkam mir, bis er mich enger an den Schrank drückte und mich damit wütend machte.
"Ich hab mich nicht ficken lassen und jetzt lass mich sofort los!"
"Ach, hast du nicht?"
Er drehte mich grob an meiner Schulter herum. Da er mir so nah stand, erkannte ich trotz der Dunkelheit sein Gesicht. Wut zierte seinen düsteren Ausdruck.
"Habe ich dir je weh getan? Habe ich deiner Familie je etwas angetan? Nein, oder?!"
Ich schüttelte meinen Kopf. Jedoch nicht, um ihm zuzustimmen, sondern einfach nur, weil er sich verhielt, als würde er gleich durchdrehen. Ich erkannte ein abfälliges Lächeln auf seinen Lippen.
"Merk dir eins, liebste Ehefrau. Alles hat Konsequenzen und du wirst damit leben müssen. Immerhin hast du den Vertrag gebrochen. Leugnen bringt dir nichts. Ich kann den Bastard und sein billiges Aftershave an dir riechen."
"Wenn du Antonio auch nur anfasst, dann-", wurde ich lauter, da umfasste er mein Kinn und zog mich näher an sich. Seine Augen fixierten mich. Ich hatte das Raubtier in ihm geweckt und obwohl ich Angst haben sollte, dachte ich in dem Moment nur an die Stunden mit Ayaz zurück. Wo ich zuvor dachte, Hoffnung zu haben wäre schlecht, so war es jetzt das einzige, was mich davon abhielt, vollkommen durchzudrehen.
"Keine Sorge ... Nicht Antonio bekommt die Konsequenzen", flüsterte Serafino an meine Wange und nahm mit seinen Fingern eine meiner Haarsträhnen. "Sondern du."
"Ich? Was willst du mir noch antun, was ich nicht schon ertragen müsste?"
"Du musst etwas ertragen?", wiederholte er mich. "Das einzige, was du von mir und dem Vertrag hast, ist mein Nachname. Das ändert sich aber jetzt."
Er ließ von mir ab und holte sein Handy hervor. Ich sah herab auf den hellen Display, auf dem er einen Chatverlauf öffnete.
"Eine Nachricht von mir, und egal ob Antonio, dein Vater oder selbst dieser Bodyguard sind Geschichte. Aber soweit lässt du es sicher nicht kommen", erklärte er und sah mir genau in meine Augen. "Denn du wirst ab jetzt meine Frau sein. Das heißt nicht nur meinen Nachnamen teilen. Wir schlafen zusammen in einem Bett. Du wirst mir jeden Morgen und jeden Abend einen Kuss geben. Du wirst zu mir stehen, sollte jemand gegen mich sprechen und vergiss nicht Nives ... Ich meine es wirklich ernst, wenn ich dir sage, dass ich für dich meine eigenen Regeln gebrochen habe. Ich ertrage viel, sogar den Vertragsbruch, den du heute Nacht begangen hast, obwohl ich den Typen gerne in der Luft dafür zerreißen würde. Aber ich tue es nicht. Also hör du auch endlich auf, deine Zeit an Menschen zu verschwenden, für die du nur der schnelle Fick bist, während ich hier sitze und auf dich warte, in der Hoffnung, du siehst irgendwann mehr in mir, genau wie ich in dir."
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