35 | Gute Nacht
"Sie sind bereits gegangen, Signora."
Verblüfft starrte ich den Mann vor mir an. Anschließend spähte ich an ihm vorbei zum Eingang der Gebäudes, in dem die Gala stattfand.
"Das ist nicht möglich. Ich bin nur 20 Minuten weg gewesen. Sie hätten mich nicht alleine gelassen."
"Du hast sie doch gebeten, Ruhe haben zu wollen", mischte sich Serafino ein. Ich warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Er legte ein Lächeln auf. Lehnte sich dabei mit dem Rücken an das Geländer, um amüsiert an mir vorbei zur dunklen Straße zu sehen.
"Wie gesagt. Sie sind gegangen."
Ich verdrehte genervt meine Augen. Innerlich brodelte ich vor Wut. Ja, ich hatte sie quasi dazu gezwungen, mich alleine zu lassen. Es schmerzte trotzdem, dass sie nicht länger darauf gewartet hatten, ob ich zurückkehren würde.
"Na dann. Tschüss", erwiderte ich dem Typen mit bissigem Unterton. Mein Kleid hob ich leicht an, um elegant die Treppen runter zur Straße zu laufen. Natürlich folgte Serafino mir. Wie eine streunende Katze, die penetranter nicht hätte seien können.
"Ist dir bewusst-"
"Halt den Mund!", rief ich über meine Schulter hinweg und überquerte die leere Straße, um zur anderen Seite zu kommen. Ich hörte weiter entfernt Autos. Lauschte nebenbei dem Wind und musterte die düstere Umgebung.
"Du-"
Als Serafino erneut etwas sagen wollte, blieb ich abrupt stehen. Ich drehte mich ohne Ausdruck zu ihm um. Er stoppte ebenfalls und wartete gespannt, was ich zu sagen hätte.
"Hör auf mit mir zu reden! Und hör auf mir zu folgen. Dein ganzer Plan fällt ins Wasser und es gibt nichts, was du noch tun kannst."
"Wie kommst du darauf, dass mein Plan ins Wasser fallen würde?" Selbstsicher kam er einen Schritt auf mich zu. Mein Blick fiel herab auf seine Hand. Er hob sie an, um mein Kinn zu umfassen. Ich reagierte ohne nachzudenken und schlug seine Hand beiseite. Erneut fixierte ich ihn wütend.
"Meiner Mutter bist du egal. Meinem Vater bist du egal. Die Einzige, die du mit deiner Anwesenheit belastest, bin ich! Ich habe aber weder dir, noch deinem Vater etwas getan! Also verpiss dich einfach! Wir lösen diesen dämlichen Vertrag auf und jeder kann sein Leben leben."
"Ist dir eigentlich bewusst, wer du bist?" Er stellte mir selbstsicher diese Frage, woraufhin ich ihn nur irritiert anstarrte. Erneut hob er seine Hand an, um sanft über meine Wange zu streichen. Ich zog meinen Kopf zur Seite und wehrte mich gegen seine Nähe.
"Ich weiß, wer ich bin!"
"Vielleicht wusstest du es mal", erwiderte er mir. Er nickte zu dem Gebäude, hinter sich. "Aber du hast dich verloren. Verloren in einer Familie, die dich behandelt, als wärst du ein bockiges Kind. Verloren wegen einem Mann, der dich nicht im Geringsten verdient hat. Ist dir bewusst, gegen wie viele Vertragsregeln du schon verstoßen hast?" Seine Augen fixierten mich, als er mir noch einen Schritt näher kam. "Mehr als genug. Doch ich sehe mehr in dir. Du bist kein Stück Papier mehr. Kein Druckmittel. Ich sehe dich als die Frau, die auch wirklich bist und obwohl ich ein echt beschissenes Schicksal hatte, empfinde ich im Moment mehr Mitleid mit dir, als mit jedem anderen."
Mir fehlten die Worte. Auch wenn ich ihm nie im Leben Recht geben würde, beschämten mich seine Aussagen. Noch nie musste jemand Mitleid mit mir haben, doch er empfand so. Wahrscheinlich sah mein Vater mich genauso und ließ mir deswegen keine Freiheiten was Männer anging.
"Halt einfach den Mund", gab ich Serafino patzig zurück und kehrte ihm den Rücken zu. Er umfasste meinen Unterarm, um mich wieder zu sich zu drehen.
"Merkst du nicht, dass wirklich alle dich hintergehen?"
"Lass mich los!", warnte ich ihn, wobei ich ihn wütend anfunkelte. Er nahm sofort seine Hand von meinem Arm. Musterte mich aber weiterhin eindringlich.
"Sie alle entscheiden hinter deinem Rücken über dein Leben. Sie alle lassen dir nicht eine Chance dazu, selbst zu bestimmen. Sie lügen dich an. Sie verbergen ihre Vergangenheit. Wie kannst du so naiv sein, wenn du eigentlich so schlau bist?!"
"Weil es nicht so ist!", wehrte ich seine Vorwürfe ab. "Sie wollen mich beschützen!"
"Ayaz auch? Schützt er dich, in dem er seine Ehefrau fickt?" Er schaffte es, mich mit dieser Frage aus dem Konzept zu bringen. Ich haspelte kurz. Dieblieb mir im Hals stecken. Ich brauchte einen Moment, um mich zu sammeln, ehe ich Serafino meinen Mittelfinger zeigte.
"Du kannst mich mal!" Wütend lief ich ihm voraus in Richtung der Villa.
"Du wirst schon begreifen, dass ich die Wahrheit sage", hörte ich ihn noch hinter mir. Danach sprachen wir kein Wort mehr miteinander. Ich lauschte seinen Schritten hinter mir. Verdrängte dabei meine aufgestaute Wut und wollte nur noch nach Hause und mir eine Flasche Rotwein besorgen.
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"Er hat was getan?" Kaum war ich an der Villa angekommen, offenbarte mir meine Mutter, was im Club passiert war. Entsetzt darüber starrte ich sie an. Ihre Gesichtszüge deuteten mir ihre Sorge gegenüber allem. Sie wollte ihre Hand auf meine Schulter legen, doch ich wich einen Schritt zurück. Mein Blick fiel zu Serafino. Seine Augen durchbohrten mich. Er hatte es mir angedroht. Mir weismachen wollen, dass alle mich hintergehen würden. Dass sie Entscheidungen ohne mich treffen würden. Ich konnte es trotzdem nicht einsehen. "Das hat er nicht gemacht. Er hätte mich niemals so hintergangen!"
Mein Herz raste vor Aufregung, als ich meinen Blick zur anderen Seite schweifen ließ. Meine Brüder nickten und gaben mir damit die Bestätigung, dass meine Mutter die Wahrheit behauptete. Ayaz offenbarte sich meinem Vater. Ausgerechnet jetzt, wo sowieso alles in meinem Leben so aus den Fugen geriet.
Während meine Atmung immer heftiger ging, hörte ich hinter mir Schritte. Es war Serafino, der sich nah an meine Seite stellte. Sofort veränderte sich der Ausdruck meiner Mutter. Statt besorgt wie zuvor, wirkte sie wütend, als ihr Blick flüchtig Serafino traf.
"Verpiss dich! Das hier geht dich nichts an!", regte sich Malino auf und wollte auf Serafino zu, da grinste dieser nur.
"Es geht mich etwas an. Immerhin geht es um meine Frau."
"Bald Exfrau", mischte Elio sich ein, da ertönte aber die Stimme meines Vaters hinter uns, die mir einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte.
"Alle raus. Ich muss mit meiner Tochter sprechen", befahl er und umfasste meinen Arm, um mich mit sich zum Esstisch zu ziehen. "Setz dich hin!"
"Gino", sprach meine Mutter ihn an. Ihre Blicke trafen sich. "Ruhe und Geduld. Hast du mich verstanden?" Er nickte auf ihre Worte hin. Ich setzte mich derweil auf einen der Stühle. Meine Mutter verschwand mit meinen Brüdern aus dem Wohnzimmer. Serafino verharrte jedoch am Rande des Türbogens. Erst, als ich ihm mit einem Nicken deutete, dass er gehen sollte, verließ auch er das Wohnzimmer.
Unangenehme Stille kehrte ein. Ich saß nur da und starrte auf die dunkle Tischplatte. Mir fielen einige Schrammen auf. Auch die von meinem Vater, als er ein Messer reingerammt hatte. Ich strich mit einem Finger über die Rille. Zog meinen Arm jedoch zurück, als mein Vater mir gegenüber am Tisch Platz nahm.
Seine dunklen Augen fixierten mich. Da war so viel Hass. So viel Wut. Sicher ausgelöst von Ayaz, der nicht das Recht hatte, mich ohne Vorwarnung so auszuliefern. Gerade jetzt, wo Serafino meinem Vater schon den letzten Nerv raubte, hätte er sich zurückhalten müssen.
"Hast du mir etwas zu sagen?"
Meine Augen trafen erneut auf die meines Vaters. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Nahm dabei eine Zigarette zwischen seine Finger und spielte mit dieser herum.
"Nein, denn anscheinend hat jemand anders schon alles gesagt, was es zu sagen gab."
Erneut kehrte Stille ein. Von oben hörte ich Geräusche. Sicher meine Brüder oder Stella, die sich über den Abend unterhielten.
"Nives ..." Mein Vater lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Er lehnte sich vor und atmete tief durch. "Ich stelle jede Frage nur ein einziges Mal und überlege dir ganz genau, wie du antwortest. Ich merke, wenn du lügst und glaube mir, heute Nacht willst du mich nicht weiter reizen."
"Ich habe doch noch nichtmal angefangen, dich zu reizen. Immerhin war ich-"
Er schlug plötzlich direkt auf den Tisch vor mir, doch ich zuckte nicht einmal. Ich wusste schon, dass er es tun würde, bevor er es selbst wusste.
"Hast du, oder hast du nicht, mit diesem Türken ein Verhältnis gehabt?!"
Ich wich ihm aus und sah hinaus in den Garten. Da schlug er aber erneut mit der flachen Hand auf den Tisch. Sofort wandte ich meine Augen auf seine.
"Dio Mio! Ja, hatte ich! Zufrieden?!" Ich verschränkte meine Arme, während er sich mit der Hand überfordert durchs Gesicht fuhr. Ich spürte die Wut, die in ihm aufbrodelte.
"Und du hast es beendet?!"
"Ja!", antwortete ich patzig. Er schüttelte den Kopf, als würde er mich verurteilen. Diese Geste machte mich sauer, sodass ich mich nicht länger zurückhalten konnte. "Aber nicht wegen dir, sondern weil ich es nicht mehr wollte! Würde ich ihn noch wollen, würde ich noch mit ihm zusammen sein!"
"Ach, würdest du das?!" Er hob seine Augenbraue.
"Ja, würde ich!"
"Mit einem 30 jährigen?!"
"Selbst wenn er 50 wäre, hätte es mich nicht aufgehalten! Meine Beziehungen gehen nämlich nur mich etwas an!"
"Nives ... Es reicht!"
"Weißt du was?!", sprach ich mit bebender Stimme. "Auch wenn du es kaum für möglich hälst, aber ich weiß selbst schon sehr gut bescheid, wer mir gut tut, und wer nicht."
"Ja, dass muss man dir lassen. Immerhin hast du mit einem Mann eine Affäre, der verheiratet ist und nur ein paar Tage später heiratest du den Feind. Großartige Leistung!"
"Tja, kann ja nicht jeder mit 18 eine Karriere als Zuhälter starten."
Fassungslos blickte er mich an, während auch ich nicht begreifen könnte, welch Worte gerade meinen Mund verlassen hatten.
"Entschuldigung, Padre", sprach ich keinlaut und über mich selbst erschrocken, da stand er aber schon auf und wollte zum Hausflur laufen. Ich erhob mich ebenfalls und versuchte ihn aufzuhalten. "Ich wollte so etwas nicht sagen!"
"Du wirst ihn nicht mehr sehen!" Er drehte sich zu mir um. Sein mahnender Blick traf auf meinen. "Und darüber gibt es keine Diskussion! Er ist verheiratet! Es gibt eine Frau an seiner Seite und es ist ganz egal, was er dir erzählt! Man bringt keine Ehe und keine Beziehung in Gefahr! Hast du das verstanden?!"
"Ja!"
"Gut!" Er drehte sich halb zum Hausflur, um aber noch ein letztes Mal zu mir zu sehen. Ich wusste, er wollte weg. Es war ihm zuviel, darüber zu reden, mit welchen Männern ich etwas hatte. Mir war es ebenso unangenehm. "Morgen früh bist du pünktlich zum Frühstück unten! Gute Nacht!"
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