27 | Abstimmung
Ich sah Nives hinterher. Ayaz verwickelte sie im Flur in ein Gespräch. Sie wirkte distanziert ihm gegenüber. Ihre angespannte Körperhaltung offenbarte mir, dass sie ihm seinen Fehler nicht verziehen hatte. Er schien aufgewühlt und wollte ihr hinterher zur Kellertür. Da sie ihm diese vor der Nase zu knallte, blieb er allein im düsteren Flur zurück. Niemand außer mir schien die beiden beachtet zu haben. Mein Blick schweifte zu Yavuz. Er nahm ebenfalls mich ins Visier. Er sah müde aus. Es wunderte mich nicht. Gino hatte ihm die letzten Tage viel abverlangt. Im Grunde hielt er den Club alleine am laufen, da alle anderen damit beschäftigt waren, Nives zu suchen und eine Lösung für alles zu finden.
"Du kannst mich mal!", hörte ich Adamo, der meine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Er ging gerade wütend auf Gino zu, der immer noch im Türbogen stand und in sich gekehrt wirkte. "Ich habe alles für diese Familie geopfert! Alles! Meine Frau ist für eure scheiße gestorben! Für einen Krieg, mit dem sie nichts zu tun hatte! Ich bin raus! Dieses Mal könnt ihr eure verfickte scheiße alleine ausbaden!"
Er lief zornig an Gino vorbei, der ihn sich aber grob am Kragen schnappte. Er riss ihn zurück, wodurch Adamo an die Wand prallte. Gino baute sich wütend vor ihm auf und sah voller Hass direkt in seine Augen.
"Du bist also raus?!", brüllte er ihn an und drückte ihn noch fester an die Wand. Ich konnte nicht fassen, dass Adamo ausgerechnet jetzt Gino herausfordern wollte. Doch ich hatte keine Nerven mich auch noch bei ihnen einzumischen. Immer verlockender wurde der Gedanke, sie alle im Wald aufzuhängen. Ich schloss für einen Moment meine Augen und lächelte über die Vorstellung der absoluten Stille. Es war jedoch Ginos Stimme, die mich wieder in diese laute Realität zurückholte. "Gut! Dann mach dich darauf gefasst, dass ich dir eine verdammte Kugel verpasse! Du weißt genauso gut wie ich, dass ich dich nicht gehen lassen werde, damit du in einigen Jahren zugedröhnt bei den Bullen sitzt und uns alle in den Untergang reißt!"
"Bastard!", gab Adamo ihm zischend
zurück und stieß ihn von sich. Gino taumelte einige Schritte rückwärts, fasste sich jedoch schnell wieder. "Denkst du wirklich, ich würde eine schäbige Ratte werden?! Das denkst du also von mir!"
"Wenn du aussteigst, kehrst du uns den Rücken zu! Du weißt genau, was das bedeutet! Was soll ich also davon halten?! Sag's mir du dämliches Stück Scheiße!"
"Gino!", regte Adamo sich auf. Er fasste sich an seinen Kopf, als würde er jeden Moment durchdrehen. "Ich habe die Liebe meines Lebens verloren wegen einem verfickten Krieg, den du angefangen hast! Ich habe verloren! Nicht du! Ich werde nicht zulassen, auch noch meine Tochter dadurch zu verlieren!"
"Wir werden sie beschützen!", mischte Nunzio sich in die hitzige Diskussion ein. Adamo war zwar sein Bruder, doch er würde selbst dann noch an Ginos Seite stehen, wenn sich uns die Hölle eröffnen würde. Während er zu den beiden lief, schnappte ich mir mein Weinglas vom Esstisch. Ich nahm einige Schlucke, trank aber anschließend das gesamte Glas aus, da ich wusste, etwas Betäubung würde gut tun.
"Ach! Genau wie ihr Teddy beschützt habt?!" Adamo sah zu Nunzio und schüttelte dabei seinen Kopf. Gino atmete mehrere Male durch und legte daraufhin seine Hand mitfühlend auf Adamos Schulter. Dieser wich etwas zurück, ließ diese Berührung dann allerdings zu.
"Du weißt, dass dein Verlust mir heute noch weh tut, aber wir brauchen dich. Ich werde nicht zulassen, dass jemand Stella zu nah kommt. Hol sie ab und bring sie her. Wir kümmern uns. Alle gemeinsam. Ich verspreche es dir."
"Ich fahre mit dir, wenn du möchtest." Nunzio ging auf Adamo zu und nachdem Adamo sich etwas beruhigt hatte und nickte, verließen beide zusammen das Wohnzimmer, um nach draußen zu verschwinden. Mir war klar, dass Adamo Angst hatte. Wen wunderte es. Er hatte genau wie Enzo die Frau verloren, die ihm am meisten bedeutet hatte. Für einen Moment kehrte endlich wieder Ruhe ein. Ich ergriff diese Gelegenheit, denn man wusste bei diesen Idioten nie, wann die nächste Diskussion ausbrechen würde. Elegant stellte ich mein Weinglas ab und rückte anschließend mein Tanktop zurecht.
"Dürfte ich jetzt etwas sagen", sprach ich ruhig und trotzdem eindringlich in die aufkommende Stille. Enzo nickte zustimmend, während Yavuz, Ayaz und Gino zurück zu uns in die Mitte des Raumes kamen. Elio und Malino stellten sich an meine Seite. "Wir sollten Serafino für eine Weile vollkommen in Ruhe lassen."
"Bist du noch ganz dicht?", entkam es Gino, dessen Augen sich ungläubig weiteten. Sofort spannte er sich wieder an und zeigte zum Flur. "Schlimm genug, dass mein Tochter schon von diesem Bastard reingelegt und manipuliert wurde. Willst du dich jetzt auch noch auf seine Seite schlagen?!"
"Davon war nie die Rede!"
"Weißt du was", meinte er kalt und kam auf mich zu, um sich direkt vor mich zu stellen. Seine dunklen Augen fixierten mich. Unbändige Wut loderte in ihnen auf. Verständlich, doch auch wenn ich seinen Hass nachvollziehen konnte, so durfte er sich nicht emotional mitreißen lassen. Ganz gleich wie schwer es ihm erschien. "Du predigst hier davon, ruhig zu bleiben, dabei solltest du der Erste sein, der da runter geht und dem Hurensohn das Herz rausreißt!"
"Damit wir danach erneut einen Krieg beginnen? Erneut durch die Hölle gehen?", erwiderte ich ihm ohne auch nur eine Sekunde seinem Blick auszuweichen. "Denkst du bei diesen Vorstellungen auch an deine Frau und deine Kinder oder nur daran, deinen Zorn zu befriedigen?"
"Ich denke daran, meine einzige Tochter zu schützen! Das Mädchen, das auch du stundenlang im Arm gehalten hast, als sie nachts nicht schlafen konnte! Die das alles nicht verdient hat! Sie macht auf stark - doch ich kenne sie besser als sie sich selbst! Es wird sie kaputt machen! Jeden Tag ein Stück mehr, umso länger sie diese Last ertragen muss!"
"Es würde sie aber noch mehr fertig machen, für einen Vertragsbruch verantwortlich zu sein, bei dem Toni oder uns etwas passieren könnte", mischte Elio sich ein, der sich seinem Vater stellte. "Du denkst, du kennst sie? Dann weißt du auch, dass sie nicht zulassen würde, dass wir ihr die Entscheidung abnehmen wie sie damit umgehen will. Immerhin lebt sie auch mit der Entscheidung, Malino dazu gebracht zu haben, Madrisa zu töten."
"Ich bereue es nicht, denn es war die richtige Entscheidung", erklärte Malino auf die Worte seines Bruders hin. "Trotzdem finde ich auch, dass wir ihn töten sollten. Lieber jetzt als später. Die Blutrache soll kommen. Ich bin bereit."
"Du bist bereit?", kommentierte Gino seinen Sohn und legte einen stolzen Ausdruck auf. "Ich auch."
"Ihr wisst, was das bedeutet?" Enzo hin seine Hand. Ein Zeichen für die Abstimmung, bei der nur Familien Mitglieder abstimmen durften. "Wer dafür ist, Serafino erstmal am Leben zu lassen, bis wir uns einen Plan überlegt haben, der hebt die Hand."
Ich hob genau wie Enzo meine Hand, was Elio mit gleichtat. Drei Stimmen für uns.
"Gut. Wer ist dafür, da jetzt runter zu gehen und ihm die Eier abzuschneiden?" Malino und Gino hoben ihre Hände, doch so leicht ließ Letzterer sich nicht unterkriegen. "Natürlich würde Nunzio für mich stimmen. Also drei zu drei."
"Adamo stimmt dagegen", erklärte ich siegessicher, woraufhin Gino grinste.
"Und meine Ehefrau stimmt dafür."
"Bist du dir da sicher?", entgegnete ich ihm, doch er lächelte nur noch breiter.
"Ai, ich war mir nie einer Sache sicherer."
"Also, vier zu vier", entkam es Enzo, der ein Telefon zur Hand nahm. Er telefonierte kurz, während Gino anfing mit Elio und Malino zu sprechen. Als Enzo dann wieder uns seine Aufmerksamkeit schenkte, ging auch hinter uns die Haustür auf. Ich sah kurz in den Flur und erkannte Stella mit einer Reisetasche.
"Stella", rief Gino sie, woraufhin sie langsam zu uns trat. Wir erklärten ihr in kurzen Sätzen, um was es ging und fragten sie nach ihrer Entscheidung. Sie wollte sich raus halten, da es jedoch um etwas ging, was die ganze Familie betraf, musste sie abstimmen.
"Ich würde warten", erklärte sie dann und lehnte ihren Kopf erschöpft an Adamos Schulter.
"Du stimmst auch für warten, richtig?", fragte ich ihn und er nickte.
"Zita hat dafür gestimmt, ihn direkt zu beseitigen." Enzo hatte also mit ihr telefoniert und schon hatten wir wieder Stimmengleichheit.
"Nicolo?", fragte Gino und gleich nahm Enzo wieder das Telefon zur Hand.
"Nives wird für warten stimmen", sprach ich in die Runde und war mir sicher, dass auch Nicolo dafür stimmen würde. Enzo jedoch lehrte mich eines besseren.
"Er hat die selbe Meinung wie Zita."
"Unentschieden also wieder", flüsterte ich und da Antonio zu jung war, blieb nur noch einer übrig.
"Ich rufe Dario an", forderte Gino, doch ich schüttelte den Kopf.
"No! Du wirst wieder Ludovica nutzen, um das zu bekommen, was du willst! Ich rufe ihn an."
"Damit du ihn manipulieren kannst?"
"Hört auf!", mischte Enzo sich ein und nickte zum Telefon. "Ich rufe ihn an und bestelle ihn her."
"Jennifer darf doch-" wollte Nunzio einwerfen, da zeigte Gino ihm aber den Vogel.
"Denkst du, ich lasse eine Bianchi abstimmen?!"
"Ludovica ist auch eine", grinste ich, da legte Gino einen solchen Ausdruck auf, als würde er mir gleich das Genick brechen wollen.
"Halt bloß deine Fresse!"
"Er kommt in einer halben Stunde", unterbrach Enzo uns, der daraufhin Yavuz und Ayaz entgegenssah. Auch Gino und ich nahmen die beiden ins Visier.
"Geht in den Club und ruft mich nur an, wenn es wirklich wichtig ist", erklärte Gino und blickte anschließend zu Stella. "Du kannst oben ins Gästezimmer. Nimm deinen Vater mit, bevor ich ihm heute noch die Nase breche."
"Versuch es. Mal sehen, ob du das Echo verträgst."
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