23 | Chaos
"Wartet!", rief ich aufgeregt aus, als mein Vater, Adamo und Nunzio an mir vorbei ins Wohnzimmer stürmten. Sicher würden sie nicht lange über mögliche Konsequenzen nachdenken. Dafür war mein Vater zu impulsiv. Nunzio bekam ich noch an seinem weißen T-Shirt zu fassen. Nunzio drehte sich daraufhin zu mir herum. Er ließ seinen Blick von meiner Hand zu meinem Gesicht wandern und legte ein aufmunterndes Lächeln auf.
"Alles ist gut. Du brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen. Wir kümmern uns jetzt. Geh nach oben, mach dir Musik an und ruh dich aus."
"Nein!", gab ich ihm kopfschüttelnd zurück. "Das geht nicht! Wisst ihr denn nicht, was passiert ist", entkam es mir beinahe hysterisch, weil ich keine Ahnung hatte, inwieweit sie von dem bestehenden Vertrag wussten. Ich löste meine Hand von seinem Shirt und wollte eilig an ihm vorbei verschwinden, da umfasste er jedoch meinen Arm und hielt mich an Ort und Stelle gefangen.
"Nives... Geh nach oben."
"Bei allem Respekt, Zio! Lass mich sofort los oder ich werde dir ohne Reue in die Hand beißen!"
"Ohhh, versuch es nur", grinste er überlegen. Ein Hauch von Stolz funkelte in seinen dunklen Augen auf. Er lehnte sich näher zu mir, sodass ich mich schon bereit machte, ihm statt in die Hand lieber ins Gesicht zu beißen. "Ich habe auch schon deine Mutter über meine Schulter geworfen und sie gegen ihren Willen mitgenommen. Es wird ein Kinderspiel werden, dich nach oben zu bringen."
Fassungslos musterte ich sein dämliches Grinsen, da hörte ich jedoch die von Zorn eingenommene Stimme meines Vaters aus dem Wohnzimmer bis zu uns hallen. Nunzio wurde ebenfalls von dieser abgelenkt, sodass ich mich befreien und zu meinem Vater eilen konnte.
Im Wohnzimmer angekommen stand mein Vater gegenüber Serafino und zielte bereits mit einer Pistole direkt in sein Gesicht. Adamo saß derweil mit einer Bierflasche vor sich am Kopfende des Tisches. Er lächelte amüsiert und beobachtete gespannt das Geschehen. Es schien fast, als würde er sich darauf freuen, gleich eine Hinrichtung aus nächster Nähe zu sehen.
"Ich würde so verfickt gerne abdrücken!", erklärte mein Vater mit bebender Stimme. Serafino sah zu ihm auf, sagte aber kein Wort und rührte sich auch nicht. Ich verharrte ebenso in meiner Position und lauschte seinen Worten. "Aber ich freue mich viel zu sehr darauf, dich jahrelang so zu quälen, dass du dir den Tod noch weinend herbeisehnen wirst! Betteln wirst du. Auf deinen Knien und selbst Gott wird dir nach unzähligen Gebeten nicht helfen können."
Während mein Vater weiterhin auf Serafinos Gesicht zielte, wandte dieser seinen Blick zu mir. Er legte ein kaum merkliches Grinsen auf, doch mein Vater verlor von diesem Anblick seine gesamte Kontrolle. Voller Wucht knallte er die Waffe auf den Tisch vor sich. Das Geräusch brachte meinen Puls zum rasen. Ich konnte nur noch dabei zusehen, wie er Serafino seine Faust so hart ins Gesicht donnerte, dass dieser seitlich vom Stuhl zu Boden flog.
"Ai, er geht nach einem Schlag schon in die Knie", erfreute sich Adamo und lachte laut auf, woraufhin plötzlich die Stimme von Cecilio hinter mir ertönte.
"Er ist eben genau wie sein Vater."
Ich drehte mich wie mein Vater und Adamo zum Flur um. Nunzio stand immer noch nah neben mir. Cecilio kam aus der Dunkelheit langsam auf uns zu.
"Sein Vater? Von was redest du?", wollte Nunzio neugierig wissen. Cecilio ignorierte ihn aber und lief an uns vorbei zum Tisch. Mein Vater bebte vor Wut, während Serafino sich wieder aufgerappelt hatte und erneut auf dem Stuhl Platz nahm. Seine Wange schimmerte rot. Morgen würde er sicher eine blaue Gesichtshälfte haben. Der Schlag hatte gesessen und es tat unbeschreiblich gut, zu wissen, dass er einen Teil meiner seelischen Schmerzen zurückbekommen würde.
"Das ist der Ehemann deiner Tochter", erklärte Cecilio, wodurch ich sofort meinen Vater mit geweiteten Augen ins Visier nahm. Dieser starrte Cecilio an, als würde er einen Geist sehen. Jegliche Farbe wich aus seinem Gesicht. Ich blickte herab zu seiner Hand, die unkontrolliert anfing zu zittern. Adamo stand auf und trat mit fragendem Ausdruck neben uns.
"Hast du zu viel Wein gesoffen oder was spinnst du dir da zusammen?", fragte Adamo, doch als er bemerkte, wie ernst Cecilios Ausdruck blieb, riss er ungläubig seine Augen auf.
"Es gibt einen Blutrache Vertrag. Unterschrieben von Nives Mancini und Fernando - Serafino Bianchi. Es-"
Cecilio konnte nicht zu Ende aussprechen, da drehte mein Vater sich ruckartig zum Tisch um. Er schnappte die Waffe, zielte mit deren Lauf auf Serafinos Brust und schrie vor lauter Wut laut auf.
Es war jedoch Cecilio, der ihn an der Schulter nach hinten riss, sodass die ausgelöste Kugel an Serafino vorbei in die Fensterfront donnerte. Ich atmete panisch einige Male tief durch. Sah meinem Vater zu, wie er versuchte sich von Cecilio zu befreien. Dieser blieb aber hartnäckig.
"Ich bringe ihn um! Lass mich sofort los du Idiota!", brüllte er wütend und rammte seinen Hinterkopf in dem Moment in Ceis Gesicht. Dieser geriet ins Wanken, sodass mein Vater erneut die Waffe auf Serafino richten konnte.
"Hört sofort auf! Alle!"
Die Luft im Raum stand still. Keiner von uns bewegte sich auch nur einen Millimeter. Mit rasendem Herzen drehte ich mich zu meinem Opa, der mit einer Schrotflinte in den Händen das Wohnzimmer betrat. Ich hatte vor lauter Trubel nicht mal bemerkt, dass er es zuvor verlassen hatte.
"Gino! Nimm die Waffe runter!"
"Padre!", sprach mein Vater drohend, ohne die Waffe auch nur eine Sekunde von Serafino zu nehmen. "Ich erschieße diesen Bastard! Alles, was danach kommt, werde ich auch regeln!"
"Wirst du nicht!" Meine Mutter kam ins Wohnzimmer, begleitet von Malino und Elio, sie sich beide an meine Seite stellten. Elio nahm meine Hand in seine. Malino legte mir beistehend seinen Arm um meine Schulter.
"Anatra ..." Mein Vater atmete tief durch. Alle sahen gespannt zu ihm. Keiner regte sich mehr, außer meiner Mutter, die langsam an seine Seite schritt. Ganz vorsichtig legte sie ihre Hand um seine, die fest die Waffe hielt.
"Wir kriegen das hin, aber ich werde keinen erneuten Krieg führen. Es muss eine andere Lösung geben."
"Die einzige Lösung ist, diesem Bastard das Gesicht wegzuschießen."
"Sehe ich genauso", mischte sich Adamo ein, der zu Serafino blickte. Dieser saß durchgehend ruhig auf seinem Stuhl und musterte meinen Vater. Er zeigte keine Angst, jedoch auch keine Belustigung. Er wirkte angespannt, wie der Rest von uns.
"Du hast ja auch gar keine Ahnung von irgendwas!" Cecilio ging auf Adamo zu. "Du kannst immer nur mit dem Kopf durch die Wand!"
"Ohhh! Der größte Schnösel meint mir eine Ansage machen zu müssen", entkam es Adamo lächelnd. "Bist doch sonst so gut darin, Rache zu üben. Wieso nicht an diesem Bianchi Bastard?"
"Lass das meine Sorge sein und kümmere du dich lieber um deine Tochter!"
"Was ist mit Stella?", fragte Nunzio besorgt, da wank Adamo ab. Auch Enzo trat mit seiner Schrotflinte näher zu uns.
"Ist etwas passiert?", hakte er nach, da schüttelte Adamo aber den Kopf und zeigte mit hochgezogenen Schultern zu Serafino.
"Sag mal, bin ich jetzt Thema Nummer 1 hier oder diese Fotze da?!"
"Sie ist schwanger!" Alle Augen richteten sich auf Serafino. In diesem Moment erkannte ich auch, dass meine Mutter es geschafft hatte, meinen Vater dazu zu bringen, die Waffe herunterzunehmen.
"Wie bitte?" Meine Mutter sah sofort zu mir, als würde sie wissen, dass ich darüber Bescheid wusste. Ich nickte kaum merklich, woraufhin Adamo zu Serafino eilte, um ihn am Kragen zu packen.
"Du kleine Fotze! Woher willst du-"
"Ich habe nicht nur den Vater ihres Kindes, sondern auch den Mann, der sie vergewaltigt hat, getötet", erklärte Serafino seelenruhig und suchte dabei meinen Blick. "Ich habe ihn getötet, als er Nives missbrauchen wollte. Ihr könntet mir also etwas mehr Dankbarkeit zeigen."
"Ich zeige dir gleich, wie dankbar ich bin!" Mein Vater riss sich von meiner Mutter los und lief um den Tisch. Er schnappte sich gemeinsam mit Adamo Serafinos Arme und zog ihn auf die Beine. "Unten im Keller können wir uns in aller Ruhe unterhalten."
"Gino", sprach Cei mahnend, doch mein Vater schüttelte seinen Kopf.
"Keine Sorge. Ich habe noch nicht vor ihn zu töten. Malino, Elio! Kommt mit."
Meine Brüder sahen sich irrtiert an, ließen mich allerdings gleich los und folgten meinem Vater, Adamo und Serafino in den Flur.
"Brauchst du Eis?" Meine Mutter nahm Ceis Gesicht ins Visier, der leicht aus der Nase blutete.
"Es geht schon."
"Mama?", mischte ich mich ein, da mir langsam wirklich alles zu viel wurde. Mein Kopf begann zu dröhnen und ich wollte nur eine kurze Zeit von all dem Chaos loslassen. "Können wir bitte nach oben und uns hinlegen?"
"Du willst dich mit mir hinlegen?", fragte sie verblüfft, doch sofort kam sie auf mich zu, da sie wohl bemerkte, wie ernst ich es meinte. "Aber natürlich mein Schatz. Lass uns nach oben."
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