2 | Ferienwohnung
Alles um mich herum wirkte wie ein Ferienhaus. Nur dass es sich um keines handelte. Blumen standen auf dem gläsernen Nachttisch neben dem Bett, auf dem ich aufwachte. Durch das hohe Fenster erkannte ich Klippen und das unruhige Meer. Ein Sturm zog auf, doch ich wandte meinen Blick ab und ließ ihn durchs Zimmer schweifen.
Eine dunkle Kommode stand neben der Tür. Mein erster Instinkt drängte mich dazu zur Tür zu laufen. Doch genau das wollten sie sicher. Sie beobachteten mich. Ich entdeckte zwar keine Kameras, doch ich spürte es. Spürte es mit jeder Faser meines Körpers. Was sie allerdings nicht ahnten, war, dass ich mich auf ihr Spiel nicht einlassen würde.
Jahrelang hatte Onkel Cecilio mit mir über Entführungen gesprochen. Ich wusste damals nicht, wieso er es tat. Da ich jetzt die Wahrheit über meine Familie wusste, ergaben seine Versuche mich auf sowas vorzubereiten endlich Sinn.
Ruhe ... In der Ruhe lag die Kraft. Deine Entführer möchten Angst und Panik in dir wecken. Lass es nicht zu, denn es wird sie aus dem Konzept bringen, dass du genau das Gegenteil zeigst.
Mit einem Lächeln auf den Lippen erhob ich mich elegant aus dem Bett. Immer noch trug ich das weiße Kleid der Feier. Es legte sich sanft auf meine Haut. Ich zupfte es zurecht. Statt panisch zur Tür zu laufen, ging ich in langsamen Schritten auf das Fenster zu. Ich sah hinaus. Ließ mir äußerlich nicht den Hauch einer Emotion anmerken. Eine Statue, die nichts empfand. Innerlich jedoch wirbelten die verschiedensten Gefühle in mir auf.
Ich vermisste Ayaz und ich hasste es, so zu empfinden. Er sollte der letzte Mensch sein, der noch Platz in meinem Verstand einnahm. Es war jedoch nicht mein Verstand, sondern mein Herz, dass ihn nicht los lassen konnte. Dazu brachten meine Gedanken mir auch meine Mutter vor Augen. Sie würde sich sorgen. Vermutlich sogar vollkommen durchdrehen. Ich hoffte mein Vater würde sie beruhigen können.
Allein dieser kurze Gedanke an meinen Vater, brachte mir inneren Frieden. Ich vertraute darauf, dass er mich finden würde. Nicht eine Sekunde würde er ruhen, bis er mich nicht wieder in seinen Armen halten könnte. Ich verließ mich ganz auf seine Liebe zu mir.
Schritte entrissen mich meinen Vorstellungen. Ich drehte mich zur Tür. Lauschte lauten Stimmen, von denen mir keine bekannt vorkam. Es handelte sich um Männer.
Nur ganz langsam näherte ich mich der Tür. Ich tat so, als würde ich die Kommode vor mir betrachten, doch ich konzentrierte mich nur darauf, ihnen zuzuhören. Bevor ich allerdings dazu kam, verschwanden ihre Stimmen. Schritte entfernten sich. Ich bleib alleine zurück.
Missmutig öffnete ich die oberste Schublade der Kommode. Einige ordentlich gefaltete Handtücher lagen darin. Alle in weiß gehalten. Neugierig zog ich die zweite auf. Darin befanden sich weiße Bettlaken und Bettwäsche. Vielleicht war dies doch eine Ferienwohnung.
Ich schloss die Schubladen wieder und wusste nicht, was ich noch tun sollte, um Ruhe zu bewahren. Umso länger ich mich in diesem Zimmer befand, desto nervöser wurde ich. Genau das wollten meine Entführer sicher. Sie vertrauten darauf, mich wahnsinnig zu machen. Mich dazu zu bringen, den ersten Schritt auf sie zuzumachen. Wahrscheinlich dachten sie, ich würde panisch die Tür aufreißen und um mein Leben betteln.
Doch nicht mit mir...
Tief einatmend lief ich genau in die Mitte des Raumes. Mein Augen lagen auf dem Fenster, als ich behutsam in die Hocke ging, um mich anschließend in den Schneidersitz zu begeben. Ich zog das Kleid ordentlich über meine Beine, um daraufhin meine Hände in aller Ruhe auf meinen Knien zu platzieren. In vollkommener Stille konzentrierte ich mich nur noch auf meine Atmung. Ich schloss meine Augen. Spürte mein Herz, welches ruhig und beständig gegen meinen Brustkorb schlug. Sie duften meine Nervosität nicht bemerken.
Es dauerte zu meiner inneren Erleichterung nicht lange, bis plötzlich die Tür aufschwang. Ich sah nicht hin. Beobachtete weiterhin den grauen Himmel draußen.
"Nives Mancini", sprach mich eine dunkle Stimme an, doch immer noch ignorierte ich ihn. Mehrere tiefe Atemzüge glitten über meine Lippen. "Schön dich nach all den Jahren kennenzulernen."
Ich hatte vor ihn nicht zu beachten, doch er stellte sich genau vor mich, sodass er mir den Blick aus dem Fenster versperrte. Meine Augen schweiften über seine schwarzen Schuhe und über die helle Jeans. Weiter hoch schaute ich nicht. Doch das musste ich auch gar nicht.
Dieser Kerl ging genau vor mir ebenfalls in den Schneidersitz, wodurch mir seine gesamte Aufmachung offenbart wurde. Er trug ein weißes Hemd, welches allerdings die oberen Knöpfe offen hatte. Seine brauen Haare lockten sich. Er trug sie kurz. Einige Tattos erkannte ich auf seinem Hals, die allerdings nur nicht zusammenhängende Linien zeigten. Dann starrte ich ihm tief in seine Augen. Sie schimmerten in leichtem grün, doch auch bräunliche Akzente lagen um das Grün. Er verengte sie etwas, um mich genauso neugierig zu mustern.
"Du siehst ganz anders aus, als ich erwartet habe." Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, wollte er mein Kinn umfassen. Ich schlug seine Hand jedoch beiseite, um ihn warnend anzusehen.
"Bloß nicht anfassen", hauchte ich gefährlich und platzierte dabei meine Hand wieder auf meinem Knie.
"So mutig und doch in sich gekehrt. Die Ruhe in Person. Kaum zu glauben, wessen Tochter du bist."
Ich antwortete ihm nichts darauf. Starrte ihn weiterhin nur wütend an. Er rückte daraufhin etwas auf dem dunklen Holzboden vor, sodass sich unsere Knie fast berührten. Flüchtig sah ich herab, um meinen Blick anschließend wieder auf ihn zu richten.
"Aber das bist nicht du. Eine Fassade. Innerlich kochst du. Stellst dir vermutlich schon vor, mich dem Erdboden gleich zu machen", erklärte er, als würde er mich mein Leben lang kennen. Leider hatte er Recht. Es passte mir nicht, dass er mich durchschaute. Erst Recht, da ich überhaupt nichts über ihn wusste. Doch ... Eine Sache gab es ... Er würde schon bald sterben. "Schade, dass du mir nur diese erfrorene Statue zeigst. Wie gerne hätte ich dich in Aktion gesehen."
"Um mich dann dafür zu bestrafen?"
"Es geht mir nicht darum, dich zu bestrafen." Er erhob sich nur langsam, ohne seinen Blick von mir zu wenden. Da ich verhindern wollte, mich körperlich unter ihm zu befinden, stand ich ebenfalls auf. Er überragte mich trotzdem um einen Kopf.
"Wenn es nicht um Bestrafung geht, worum dann?"
Er legte auf meine Frage hin ein kaum merkliches Grinsen auf. Dieses Lächeln erinnerte mich an jemanden. Die klitzekleinen Grübchen. Dieses zusammenkneifen der Augen. Mir lag auf der Zunge ihn zu fragen, doch er umfasste schlagartig mein Kinn, um mich nah vor sein Gesicht zu ziehen. Seine Augen durchbohrten die meinen. So viel Hass. So viel Abneigung strahlte er aus.
"Zeig mir, wie wild zu werden kannst, wenn man sich doch traut, dich zu berühren..."
Erneut schlug ich seine Hand beiseite und wollte mit der anderen in sein Gesicht schlagen, da umgriff er jedoch meinen Hals und drehte mich so rum, dass ich mit meinem Rücken an seine starke Brust donnerte. Er packte fest zu, sodass ich Probleme beim Atmen bekam. Ich umfasste seine Hand. Es gelang mir jedoch nicht mich zu befreien. Meine Atmung stieß nur noch flach aus mir heraus. Mein Herz pochte immer kräftiger. Ich spürte seinen Atem an der Seite meines Halses. Seinen Körper nah an meinem. Es machte mich wahnsinnig und da verlor ich meine Kontrolle.
Rasend vor Wut schrie ich meinen gesamten Zorn heraus und begann wild herumzuzappeln. Ich versuchte verzweifelt nach ihm zu schlagen. Er fixierte mich allerdings. Es kam kein Entkommen. Tränen stiegen in meine Augen, denn dieser Hass in mir wuchs ins Unermessliche.
"Das war es schon?", flüsterte er und ich hörte ganz genau sein amüsiertes Grinsen. Ich würde ihm beweisen, welch Kraft in mir steckte.
"Ich habe nicht mal angefangen!" Erneut holte ich aus, doch ohne dass ich es verhindern konnte, begann mein Kopf stark zu dröhnen. Ich bekam kaum noch Luft, solch ein Schmerz blitzte durch mein Nervensystem. Mein ganzer Körper zitterte. Ich kniff meine Augen zusammen. Legte meine Hände an meinen Kopf und zischte laut auf.
"Nives?" Der Typ hinter mir ließ von mir ab. Sofort lief ich einige Schritte von ihm weg, um mich fassungslos zu ihm zu drehen.
"Bei Gott! Ich töte dich!", schrie ich voller Zorn und gab ihm die Schuld für meine Kopfschmerzen. Ich wollte auf ihn los, da umfasste er jedoch erneut meinen Hals. Er riss mich unsanft zur Seite und starrte mir tief in meine Augen.
"Du solltest wissen, wen du töten möchtest", hauchte er an meine Lippen. Ich nahm meine Hand hoch und schlug nach ihm. Er ließ mich daraufhin fallen, sodass ich seitlich zu Boden kippte. "Ich wurde nach meinem Vater benannt. Du kennst seinen Namen sicher."
Mit düsteren Mordgedanken sah ich zu ihm auf. Zu gerne hätte ich eine Waffe gehabt. Irgendwas, womit ich ihn zum Schweigen bringen hätte können.
"Mir scheiß egal, wer dein Vater -"
Ich konnte nicht aussprechen, da packte er sich meine Haare, um neben mir in die Hocke zu gehen. Er riss meinen Kopf nach hinten, sodass meine Augen genau auf seine gewandt waren. Sein Blick fixierte mich ohne Ausdruck.
"Niemals wirst du über meinen Vater sprechen. Hast du das verstanden!?", warnte er und damit hatte er mir seine Schwachstelle offenbart. Welch unkluger Schachzug.
"Bist du Papas kleiner Musterschüler?", provozierte ich ihn, was ihm noch mehr Hass in die Augen trieb. Abrupt ließ er von mir ab. Er erhob sich und kehrte mir den Rücken, um zur offenen Tür zu laufen. Ich erkannte dort einen weiteren Mann.
"Sie verlangen nach dir, Fernando."
Fernando. Dieser Name kam mir tatsächlich bekannt vor. Ich wusste nur nicht mehr, wo ich ihn schon mal gehört hatte.
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