18 | Dunkelheit
"Möchtest du noch ein Croissant?"
Serafino saß mir gegenüber am langen Tisch. Einige Angestellte standen um uns und warteten auf seine Anweisungen. Da er beschlossen hatte, draußen zu frühstücken, blendete mich die Sonne. Frustriert verdrehte ich meine Augen.
"Ich möchte dir viel lieber diese Gabel ins Auge rammen", zischte ich und hielt sie provokant hoch. Er grinste, da er ganz genau wusste, dass ich mit meiner anderen Hand am Stuhl festgebunden war. Nur ein lockeres, rotes Kleid umgab meinen Körper. Der Wind der Küste wehte mir durchs Haar.
"Dein Temperament..." Serafino hob seine Tasse Kaffe und trank, während seine Augen auf meinen lagen. Ich zog eine Grimasse und rammte die Gabel in das Holz des Tisches. Dein beschissenes Lächeln wurde noch breiter, woraufhin er sich genüsslich über seine Unterlippe leckte. "Wie sehr ich es jetzt schon genieße."
"Genieße es, solange du noch kannst", gab ich unbeeindruckt von mir und lehnte mich in meinem Stuhl zurück. Da er mir heute morgen offenbart hatte, meinen Bruder nach Hause gehen gelassen zu haben, war es nur eine Frage der Zeit, bis mein Vater mich finden würde.
Und dann - dann würde ich diesem Arschloch quälende Schmerzen zufügen.
"Ich genieße jede Minute mit dir, tenerezza." Er richtete den Kragen seines schwarzen Hemdes und stand elegant auf. Ich wandte meinen Blick zu den Klippen. Gedanklich schmiss ich ihn bereits kopfüber dort runter. "Aber jetzt muss ich einiges erledigen. Ich hoffe, du hälst es bis zum Abendessen ohne mich aus."
Er stellte sich genau neben mich und nahm mein Kinn zwischen seine tätowierten Finger. Mit einem etwas festeren Griff zwang er mich, zu ihm aufzusehen. Am liebsten hätte ich ihm ins Gesicht gespuckt, doch selbst mein Speichel war zu wertvoll für ihn.
"Falls du Sehnsucht hast, sag meinen Angestellten bescheid. Du rufst, ich komme."
"Bevor ich dich rufen würde, beiße ich mir selbst die Zunge ab."
Er lehnte sich lächelnd über mich und hauchte einen Kuss auf meine Stirn. Sofort brannte meine Haut vor Abscheu. Danach verschwand er mit einigen Gorillas nach innen. Wütend blieb ich am Tisch zurück und betrachtete das ganze Essen vor mir. Ordentlich hingestellt wartete es auf mich. Mein Magen knurrte von diesem Anblick, doch mein Szolz verbot mir, etwas davon zu nehmen.
"Wo geht Serafino hin?", fragte ich schließlich einen der Männer, der mit Sonnenbrille und Anzug am Rand des Tisches stand.
"Er wird bald wieder hier sein."
"Das war nicht meine Frage! Vollidiot!" Ich wollte gerade die Gabel nehmen, um sie heimlich unter meinem Kleid zu verstecken, da kam einer der anderen Männer und löste meine Fessel.
"Sie dürfen für eine Stunde zu ihm."
"Zu wem?", hakte ich irritiert nach. Ich bekam jedoch keine Antwort. Natürlich war mein erster Gedanke Ayaz, doch sie würden mich kaum zu ihm lassen. Er packte grob meinen Nacken und führte mich in den Wohnbereich.
"Wichser!", fluchte ich und versuchte mich aus seinem Griff zu befreien. Ich schaffte es sogar, ihm über sein Gesicht zu kratzen. Allerdings machte es ihm nicht viel aus. Er umgriff meine Arme und hielt mich wie eine Gefangene vor sich fest. Anschließend führte er mich weiter Richtung Treppe. Kaum auf der ersten Stufe angekommen, begann mein Herz zu rasen. Dort unten konnte sich nur einer aufhalten. Voller Hoffnung beschleunigten sich meine Schritte. Immer schneller werdend setzte ich einen Fuß vor den anderen und kam in dem Vorraum an, in dem ich schon einmal war.
"Da lang!" Der Mann hinter mir klang genervt. Ein kurzer Blick nach hinten offenbarte mir auch wieso. Ich hatte ihm einen langen Kratzer verpasst, der leicht blutete.
"Ohhh ... Hast du Schmerzen?", brachte ich provokant über meine Lippen, da schubste er mich in den Flur und öffnete mit einem Schlüssel neben uns die Metalltür. "Du kannst Serafino ja fragen, ob er dir eine Wundsalbe mitbringt."
Er starrte mich ausdrucklos an. Seine Nasenflügel blähten sich auf. Ich genoss es, ihn wütend zu machen. Ein Grinsen bedeckte mein Gesicht, bis ich in den Raum spähte und jegliche positive Emotion aus mir verschwand.
"Dio Mio!", entkam es mir fassungslos, als ich Ayaz am Boden liegen erkannte. Blut umgab seinen Körper. Seine Hände - auf dem Rücken gefesselt, als wäre er ein wildes Tier. Es gab kein Licht in diesem Raum. Ich erkannte kein Anzeichen davon, dass sie ihm essen oder trinken gegeben hatten. Zorn kroch so gnadenlos meine Kehle hoch, dass ich Probleme bekam zu atmen. "Ihr dämlichen Wichser!", entkam es mir und ich riss mich im gleichen Moment von dem Gorilla los. Er wollte meine Schulter umfassen, doch ich hob meine Faust und schlug ihm direkt in seinen Kehlkopf. Er sah mich erschrocken an und röchelte, doch ich schubste ihn und umgriff dabei den Schlüssel, den er festhielt.
Hektisch lief ich in den Raum und knallte die Metalltür hinter mir zu. Keine Lichtquelle gab es und ich tastete nervös nach dem Schlüsselloch. Den Schlüssel im Schloss, drehte ich ihn zitternd herum. Es würde dauern, bis sie hier reinkommen würden. Ich hatte mir wenigstens Zeit verschafft.
Stockdunkel erkannte ich überhaupt nichts mehr. Ich tastete mich vorsichtig auf den Boden und kniete mich hin, um vorsichtig auf Ayaz zuzukrabbeln. Nach einigen Bewegungen spürte ich unter meinen Händen etwas nasses. Sicher war es sein Blut. Ich ließ mich nicht abschrecken und ertastete ihn blind.
"Ich finde dich selbst in dieser beschissenen Dunkelheit", flüsterte ich, als ich seinen Rücken unter meinen Händen spürte und nah an ihn rutschte. "Ayaz?"
Behutsam ließ ich meine Hände nach oben wandern und erfühlte sein Gesicht. Er fühlte sich warm an und sofort kam mir auch sein Geruch ins Bewusstsein. Nicht nur das. Auch erste Tränen bahnten sich den Weg in meine Augen. Versteckt in der Finsternis hob ich seinen Kopf an und platzierte ihn vorsichtig auf meinen Knien. Seine Atmung ging ruhig, doch schwach.
"Ich hätte nicht gehen sollen", sprach ich leise, ohne zu wissen, ob er mich überhaupt hörte. Ein armseliges Schluchzen entkam mir. "Aber du hast mir so weh getan. Du hast keine Ahnung, welch Schmerz mein Herz durchbohrt hat." Sanft streichelte ich mit meinen Fingern durch sein Haar. "Und es tut immer noch weh... Die Gewissheit... dass es noch eine andere gibt..."
Ich drückte meine Augen, um mich selbst zu ermahnen, nicht so sensibel zu reagieren. Heulen würde mein Herz nicht wieder zusammensetzen und uns ebenso wenig hier rausholen. Im Grunde würde uns nichts mehr hier raus bringen. Dieser Vertrag ließ mich am Leben bleiben und auch meine Familie. Ich musste Serafino dazu bringen, auch Ayaz zu verschonen. Ich könnte niemals damit leben, dass er meinetwegen hier in diesem Keller-Loch draufgehen würde.
"Ich finde dich, auch wenn ich nichts sehe außer Dunkelheit." Ayaz schwache Stimme brachte mein Herz zum stolpern. Sofort sah ich herab und auch, wenn ich nichts außer Schwarz erkannte, spürte ich, wie unsere Blicke sich trafen.
"Ayaz ...", wisperte ich und spürte im nächsten Moment seine Hand an meiner Wange. Diese so unscheinbare Berührung löste so vieles in mir aus. Ich sah ihn vor mir. Jedes noch so kleine Detail seines Gesichts. Dieses Lächeln, dass mich immer wieder aufs Neue faszinierte. Seine Augen, die mich nicht los ließen, ganz egal wie wütend er manchmal auf mich war. Ich spürte mein Herz, dass sich von Schmerz und Liebe gleichermaßen zusammenzog. Ich entschied mich nicht mehr zu kämpfen. Ich wollte nur noch mit ihm in dieser Dunkelheit sitzen, bis wir beide unsere Augen für immer schließen würden.
"Nives ... Es tut mir so leid." Er röchelte erneut und ich machte mir große Sorgen um seinen Zustand.
"Dir muss nichts leid tun", erklärte ich und riss mich zusammen, nicht zu weinen. "Wir werden hier raus kommen und dann-"
"Ich liebe dich", unterbrach er mich und strich dabei mit dem Daumen über meine Wange. "Von Anfang an und ich verspreche dir, dass ich dir alles erklären werde. Wenn wir hier raus kommen, wird mir alles egal sein, nur du nicht. Ich will dich kennenlernen. Alles von dir wissen. Jedes unscheinbare Detail... Und mir ist egal, wer dagegen ist. Ich scheiß drauf, Nives. Soll ich für dich sterben, dann tue ich es."
"Ach, ist das nicht süß!" Eine mir unbekannte Stimme hallte durch den Raum. Erschrocken drehte ich mein Gesicht und sah mehrere Lichter angehen. Sie blendeten, doch ich ignorierte sie und sah herab zu Ayaz. Auch er hatte nur mich im Blick. Seine Augen müde und erschöpft, lag er immer noch auf meinem Schoß. "Solch rührende Abschiedsworte. Dieses Video wird Serafino erfreuen. Holt sie jetzt raus!"
"Nein!", brüllte ich und stellte mich schützend vor Ayaz auf, während ich die Tür im Auge behielt.
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