14 | Bruder
Keiner der Anwesenden wirkte aufgeregt, als Serafino mir die Waffe reichte. Nichtmal Orlando, dem ich einen vernichtenden Blick zuwarf. Er war bereits tot, auch wenn er es noch nicht wusste.
"Also?", setzte Serafino nach, doch ich ignorierte ihn und die Pistole, denn ich wusste mittlerweile, dass ein Spieler und Bluffer in ihm steckte. Es befand sich mit Sicherheit keine Patrone in der Waffe. Er wollte mich nur testen. Sehen, wie weit ich gehen und wen ich wählen würde. Das konnte er vergessen. So naiv war ich nicht.
Stattdessen, kümmerte ich mich um den Mann, der meine Mutter zum weinen brachte. Der mich an Riziero hatte zweifeln lassen. Der mich an meinem Geburtstag zu einem Opfer machen wollte.
"Du bist ein verfickter Hurens-"
Eine Backpfeife unterbrach mich. Sofort fasste ich mir an meine glühende Wange.
"Pass auf, wie du mit mir redest!", blaffte Orlando mich an und holte erneut aus, da ging Serafino jedoch dazwischen.
"Es reicht!", warnte er ihn. "Du bist nur hier, um meine Befehle auszuführen und nicht..."
Ich hörte den beiden gar nicht mehr zu, sondern wurde davon abgelenkt, dass meine Wut auf Orlando mich innerlich zerriss. Immer heftiger floss mein Atem über meine Lippen. Immer schneller schlug mein Herz. Die anderen Anwesenden wurden von einem der Gorillas gebeten, nach oben in den Billiardraum zu gehen. Dort wurden Getränke und Musik auf sie warten. Das Buffet wurde verschoben.
"Denkst du, weil du mir Geld zahlst, bist du jetzt mein Boss?", gab Orlando Serafino zurück, der daraufhin ein amüsiertes Lächeln auflegte.
"Sei froh, dass du mir nützlich warst, sonst wärst du bereits tot."
"Achja?"
Während die anderen in Gesprächen vertieft die Treppen nach oben nahmen, spähte ich zu dem Pfarrer, der auch mich im Blick hatte. Er schien Mitleid zu empfinden, sagte jedoch nichts und folgte den anderen.
"Mutiges Kerlchen", gab Serafino von sich, da kamen plötzlich zwei Wachmänner aus dem Flur auf uns zu. Sie traten nah an Serafino heran. Aufmerksam ging ich einen Schritt nach vorne, da ich mir sicher war, irgendwas ging vor sich, was Serafino aufregen könnte.
"Zwei Männer. Wir haben sie beobachtet. Einer ist definitiv bewaffnet."
Mit großen Augen starrte ich dem Gorilla mit den Narben ins Gesicht. Er erwiderte meinen Blick flüchtig, ehe er sich wieder an Serafino wandte.
"Wo sind sie genau?"
"Sie haben ihr Motorrad kurz nach der Kreuzung liegen gelassen und laufen querfeld ein hierher."
"Zwei Männer also", sprach Serafino nachdenklich vor sich hin. Mein Herz pochte voller Hoffnung. Es war sicher mein Vater, der gleich jedem einzelnen hier eine Kugel in den Kopf jagen würde. Er kam um mich nach Hause zu holen. Ich wusste es. Wusste, dass ich mich auf ihn verlassen konnte. Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen, als ich Serafino ansah.
"War nett dich kennengelernt zu haben", flüsterte ich triumphierend, während Serafino sich zu mir drehte. Ich dachte, er würde panisch werden oder in Rage geraten. Doch er blieb ganz ruhig und kam direkt auf mich zu. Seine Finger wolten sich um mein Kinn legen, da schlug ich sie beiseite. Er setzte aber nach und schnappte sich erneut mein Kinn, um mein Gesicht nah an sich zu ziehen. Sein eines Auge wurde von den schwarzen Strähnen seiner Haare verdeckt, während er mich mit dem anderen intensiv ansah.
"Wir werden uns noch viel besser kennenlernen Nives, denn ich habe Männer, die deinen Vater, Cecilio und Adamo rund um die Uhr überwachen. Es sind also entweder Fremde, die zur falschen Zeit am falschen Ort sind, oder es sind die Männer deiner Familie, die nicht mal einem Kleinkind Angst machen könnten."
Es widerte mich an, dass er mir einen Kuss auf meine Wange hauchte. Schnell machte ich einen Schritt zurück und blickte ihm feinseelig entgegen.
"Sollen wir sie erledigen? Ein Mann hat freies Schussfeld."
"Nein!", rief ich panisch aus, da nun ich diejenige war, die Panik empfand. Sollte es stimmen, dass er meinen Vater und meine Onkel bewachte, dann konnten es nur Malino und Elio sein, die geradewegs in eine Falle liefen.
Sofort auf meinen Ausruf, grinste Serafino. Dieser Bastard brachte meine Hände zum Zittern.
"Nein", wiederholte er meine Worte dann, um sich anschließend an den Gorilla zu wenden. "Wir feiern schließlich eine Hochzeit. Da sollte die Familie zusammen feiern. Lasst sie kommen. Lasst sie sich in Sicherheit wissen und sobald sie nah genug sind, schaltet das Licht an. Es wird Zeit, dass die Mancinis sich ergeben für all das Leid, dass sie uns zugefügt haben."
"Sie haben nichts damit zu tun!", regte ich mich auf und ging auf Serafino zu, um seinen Arm zu ergreifen. "Lass sie in Ruhe! Lass sie einfach nach Hause gehen! Folter mich ruhig mein ganzes Leben unten in diesem verfickten Keller! Ich werde diesen scheiß Vertrag nicht unterschreiben! Niemals!"
Die pure Verzweiflung sprach aus mir. Mir war bewusst, dass er meine Brüder als Druckmittel nutzen würde. Mich würde er nicht brechen. Weder mit seinen Spielchen, noch mit dem Entzug von Wasser und Essen. Aber meine Brüder...
"Das könnte wirklich noch interessanter werden, als ich geahnt habe."
____
Alleine lief ich im Wohnzimmer auf und ab. Nervös blickte ich immer wieder zum Flur, doch Serafino und Orlando waren gegangen. Sie dunkelten das Wohnzimmer ab und mir blieben nur zwei Wachmänner übrig, die mich bei jedem Schritt überwachten.
"Scheiße!", fluchte ich und atmete mehrere Male tief durch. Ich überlegte mir einen Plan. Dachte darüber nach, einem der Wachmänner eine Gabel vom Buffet ins Auge zu rammen, jedoch würde der andere darauf reagieren. Sie waren mir überlegen und ich konnte nur noch darauf hoffen, dass mein Vater es vielleicht doch geschafft hatte, Serafino Überwachung zu entgehen und herzukommen.
Als dann plötzlich das Licht draußen anging, lief ich mit angehaltenem Atem zum Fenster. Ich starrte hinaus, doch erkannte nichts. Nur den engen Weg vor dem Haus und einzelne Autos, die am Rand geparkt standen.
"Weg vom Fenster!", ermahnte mich einer der Männer hinter mir, doch ich zeigte ihm nur den Mittelfinger, ohne meine Augen zu ihm zu wenden.
"Zwing mich doch, du Arschloch", hauchte ich und spürte direkt schon seine Hand an meinem Arm. Sofort holte ich aus und schlug ihm meinen Ellbogen ins Gesicht, wodurch er ins Taumeln geriet. Das hatte er nicht kommen gesehen und hektisch versuchte ich seine Waffe aus dem Bund seiner Hose zu nehmen. Bevor ich diese allerdings greifen konnte, riss der andere mich an der Schulter zurück.
"Mach keinen scheiß!", blaffte er und zog mich mit sich zur Couch. Ich schlug wild um mich und schrie hysterisch auf, da warf er mich mit Schwung auf die Couch runter.
"Ich freue mich so auf den Tag, an dem ich es jedem einzelnen von euch heimzahlen werde!" Wütend blickte ich zu ihm auf, doch meine Aufmerksamkeit galt im nächsten Moment den Stimmen, die ich aus dem Flur wahrnahm.
"Lass mich los!"
"Elio", flüsterte ich unter Herzrasen und wollte mich erheben, da schubste der Gorilla mich wieder zurück.
"Bleib sitzen", warnte er, als ich jedoch dann Elio erkannte, der von Orlando ins Wohnzimmer geführt wurde, konnte auch der Gorilla mich nicht mehr aufhalten.
"Elio!" Ich stand eilig auf und rannte direkt auf ihn zu, um ihn fest in meine Arme zu schließen. Mein kleiner Bruder war gekommen.
"Oh Gott, Nives", hauchte er mit zitternder Stimme und hielt mich eng an sich geschlungen. Er umarmte mich, als hätten wir uns Jahre nicht gesehen. Als würde er mich nie wieder loslassen. Ich atmete seinen vertrauten Geruch ein und hörte dabei noch eine Stimme, die mir vertraut war.
Ich öffnete daraufhin meine Augen und starrte über die Schulter von Elio hinweg in den Flur. Serafino kam auf uns zugelaufen. Doch nicht nur er. Auch Ayaz begleitete ihn, der bereits jetzt so aussah, als hätten sie ihm mehrere Male ins Gesicht geschlagen. Seine Nase blutete. Seine Lippe - aufgeplatzt. Mein Herz setzte von diesem Anblick aus und ich löste mich aufgebracht von Elio, um Serafino ins Visier zu nehmen.
"Du hast etwas mit mir zu klären! Nicht mit den beiden! Lass-"
"Bringt Ayaz in den Keller. Elio bleibt bei uns", wies Serafino seine Männer an, was mich nur noch wütender machte.
"Nein!", rief ich und wollte auf Ayaz zu, da umfasste Serafino meinen Nacken und riss mich zurück an seine Brust. "Lass mich los du-"
"Nives!", rief auch Ayaz nach mir, als er mir ansah, welch Schmerz Serafino mit seinem Griff bei mir auslöste. Er schubste einen der Männer von sich und wollte ebenfalls auf mich zu, da schlug einer der Typen mit solch einer Kraft an seine Schläfe, dass Ayaz ins Wanken geriet.
"Hört auf! Hört auf!", schrie ich immer wieder an Serafinos Brust stehend. Er reagierte aber nicht. Ich sah unter Herzschmerzen zu, wie die Männer Ayaz mit sich zur Kellertreppe zogen.
"Du weißt, wie du all das Leid beenden kannst", meinte Serafino leise zu mir, woraufhin Elio zu uns sah.
"Was meint er?", wollte er wissen, doch ich starrte nur Ayaz hinterher, der kein Mancini war und somit für Serafino keine Rolle spielte.
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