10 | Tablet
3 Tage später
"Ich bin sofort da."
Mein Handy steckte ich in die Tasche meiner Jeanshose, während mein Blick wieder vor mich schweifte. Vier Männer starrten mir in diesem alten, düsteren Gebäude entgegen. Männer, die ich nicht kannte und die mich auch nie wieder sehen würden.
Die schwarze Maske auf meinem Gesicht schützte mich vor ihren hasserfüllten Blicken. Die Waffe in meiner Hand davor, dass sie sich gegen mich auflehnen würden. So zugerichtet wie sie aussahen, würden sie mich allerdings sowieso nicht mehr angreifen können.
"Was willst du jetzt eigentlich von uns?! Was ist dein scheiß Problem?!" Der größte von ihnen, der auch die meisten Schläge von Gino eingesteckt hatte, sah wütend zu mir auf. In einer Reihe saßen sie gefesselt nebeneinander auf Stühlen in dieser leeren Lagerhalle. Ludovica hatte sie uns zur Verfügung gestellt - Cecilio die Typen entführt. Gino kümmerte sich darum, jede noch so kleinste Info aus ihnen rauszuprügeln.
Trotzdem erhielten wir von den Italienern keinen einzigen Hinweis darauf, wo Nives sich aufhielt. In dem Moment, in dem Cecilio einem von ihnen die Hand abhackte und er immer noch beteuerte, nichts zu wissen, ahnte ich es. Ich ahnte, dass sie wirklich nichts wussten. Es war sinnlos, sie weiterhin festzuhalten. Sinnlos, sie weiter zu quälen ...
"Hallo! Du türkisches Stück-"
Ohne Gewissensbisse hob ich die Waffe an, um dem Typen in seine Brust zu schießen. Er röchelte. Seine Augen weiteten sich. Angst und Panik durchzogen seinen Ausdruck. Normalerweise hätte mir dieser Anblick etwas ausgemacht. Mein Gewissen hätte mir eingeredet, dass es falsch wäre. Doch ich besaß keines mehr, seit das Schicksal sich entschieden hatte, mir Nives zu nehmen.
"Was soll-" Einer der anderen Männer wollte sich auf meine Aktion hin panisch von seinen Fesseln befreien. Auch ihm jagte ich eine Kugel in den Kopf, ehe ich die restlichen ohne einen Funken Reue eliminierte.
Nach den Ohren betäubenden Schüssen, kehrte Totenstille ein. Ich hörte nur noch das Tropfen von Wasser eines alten Rohres weiter weg. Die Waffe lud ich nach. Meinen Blick ließ ich dabei auf meine Hände gerichtet. Gino war eindeutig. Sollten sie nach dieser stundenlangen Qual nicht endlich reden, dann sollte ich mich um sie kümmern.
Ich hatte alles erledigt und trotzdem nahm der Hass und die Wut in mir immer noch die Oberhand ein.
"Wir erledigen den Rest." Zwei Männer, die für Gino als Türsteher arbeiteten, traten an meine Seite. Beide waren vollkommen in schwarz gekleidet. Sie zogen sich Handschuhe an und liefen an mir vorbei zu den toten Männern in den Stühlen. Ich nickte gedankenverloren, steckte meine Waffe ein und machte mich auf den Weg nach draußen.
Irgendetwas war vorgefallen. Yavuz bat mich, sofort zur Villa zu kommen. Innerlich hoffte ich, die anderen hätten eine Spur gefunden. Ich hoffte es so sehr, dass ich beinahe wahnsinnig wurde. Immer schneller lief ich die düsteren Gänge entlang, bis ich durch eine breite Metalltür ans Freie tat. Die frische Luft wehte mir entgegen. Ich zog sie tief in meine Lungen, während sich meine Augen nur langsam an die grelle Sonne gewöhnten.
Wie viel Zeit ich in dieser Lagerhalle verbrachte, konnte ich nicht sagen. Ich hatte jegliches Gefühl für Zeit verloren.
Mein Motorrad stand hinter einem Zaun. Geradewegs lief ich auf es zu, um zuerst meinen dunklen Helm anzuziehen. Mein Handy klingelte erneut. Ich ahnte, es wäre Yavuz. Ein Blick auf den Display werfend, erkannte ich aber Elifs Nummer.
Wut und Hass durchbohrten mein Herz. Allein der Gedanke daran, dass Nives wegen ihrer Anwesenheit abgehauen war, ließ mich meine freie Hand zu einer Faust ballen. Diese Frau hatte mir mein Leben in der Türkei schon schwer gemacht. Dass sie mir nach Palermo folgen würde, brachte mich vollkommen aus der Fassung.
Ohne überhaupt daran zu denken, den Anruf anzunehmen, steckte ich das Handy weg und stieg auf mein Motorrad. Mit hohem Tempo fuhr ich zur Villa. Meine Gedanken dabei waren nur bei Nives.
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"Was ist los? Was ist passiert?" Irritiert lief ich auf Yavuz zu. Dieser stand an der Haustür der Villa. Seine Hand, mit der er immer wieder eine Zigarette an seinen Mund führte zitterte. Sein Gesicht wirkte blass. Ich nahm den Helm ab, um ihn erneut zu fragen. "Yavuz! Was-"
"Gino hat ein Video bekommen." Mein Herz hörte für einen Moment auf zu schlagen. Ich malte mir das schlimmste aus. Sah vor meinem inneren Auge bereits eine Hinrichtung.
"Was für ein Video?!", wurde ich lauter. Als Yavuz mir keine Antwort gab, packte ich mir seinen Arm, um ihn wütend anzusehen. "Was für ein Video!"
"Ich zeige es dir." Mein Blick fiel zur Seite, wo Cecilio in der offenen Haustür auftauchte. Mein Puls raste unaufhörlich. Meine Atmung stockte. Ich ließ von Yavuz ab und folgte Cecilio nach innen.
Oben in der Villa hörte ich das bitterliche Weinen einer Frau. Es war Ludovica, der solch gequälte Laute entkamen, dass es mir die Kehle zuschnürte. Ich bleib im Hausflur stehen und sah voller Mitgefühl die Treppe rauf. Cecilio bemerkte mein Verharren und drehte sich zu mir um. Er folgte meinem Blick.
"Sie wird es überstehen. Gino ist bei ihr", erklärte er. Er wirkte dabei so gleichgültig und kalt, dass ich ihn verwundert ins Visier nahm. Wie konnte er so ruhig wirken, angesichts dieser Situation. Immer mehr fragte ich mich, was für ein Video ich gleich sehen würde.
Nachdem er weiter ins Wohnzimmer lief, folgte ich ihm. Dort saß Malino alleine am Esstisch. Sein Ausdruck war ein ganz anderer, als er von Cecilio. Ich erkannte nur Hass in seine Augen. Puren Hass, der zum ersten Mal wiederspiegelte, wie sehr seine Gesichtszüge denen seinen Vaters ähnelten.
Mein Blick schweifte zur Couch. Dort entdeckte ich Elio. Dieser wirkte abwesend. Als wäre er nicht ganz da. Er starrte ins Nichts. Erinnerte mich an einen Geist, der nur noch existierte und kein Leben mehr ausstrahlte.
"Hier", wies mich Cecilio an und riss mich damit aus meiner Starre. Er stand mit seinem weißen Tanktop und der dunklen Jeans an der Kücheninsel. In seiner Hand hielt er ein Tablet, dass er mir reichte.
Ich schritt auf ihn zu und nahm das Tablet an mich. Bevor ich allerdings auf Play drücken konnte, hörte ich jemanden im Flur laut fluchen.
"Malino!" Gino trat vollkommen aufbrausend ins Wohnzimmer und sah seinem Sohn entgegen. "Adamo wartet draußen! Ihr fahrt in den Süden und sucht jede scheiß Villa am Strand ab!"
Malino nickte und stand sofort auf. Er lief auf seinen Vater zu, der ihm eine Waffe aushändigte. Danach verschwand er durch den Flur.
"Ich will auch helfen!" Endlich regte sich wieder etwas in Elio. Er stand auf und ging auf Gino zu, um sich direkt vor ihn zu stellen. "Gib mir eine Waffe! Ich finde diesen Bastard!"
"Du wartest hier", forderte Gino, doch Elio ließ sich nichts sagen.
"Nein! Ich warte hier nicht! Wenn du mich nicht mitmachen lässt, dann gehe ich auf eigene Faust!"
"Du bist nicht in der Verfassung, irgendwas auszurichten!", wurde nun auch Gino lauter. Elio schüttelte seinen Kopf. Ich wusste, wie wichtig ihm Nives war. Sie hatte mir oft genug erzählt, wie stark das Band zwischen ihr und Elio war. Ich verstand nicht, wieso Gino ihn nicht mit suchen ließ. Vermutlich, da er so abwesend und mitgenommen wirkte.
"Gut! Ich suche sie alleine!"
Elio wollte an Gino vorbei, da packte er sich aber seinen Kragen und riss ihn wütend an sich.
"Du wirst diese Villa nicht verlassen! Hast du mich verstanden!"
"Werden wir sehen!" Elio entriss sich Gino. Die beiden sahen sich wütend an. Erst, als Elio dann wie sein Bruder zuvor in den Flur verschwand, richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf das Tablet.
Ich drückte auf Play und hielt angespannt den Atem in meiner Lunge. Erst erkannte ich nur ein großes, nobles Haus in der Dunkelheit. Man hörte das Rauschen des Meeres. Im Hintergrund eine Terrasse, auf der ein gedeckter Tisch mir ins Auge fiel. Was dann aber passierte, war außerhalb meiner Vorstellungskraft.
Nives ... Sie stand dort, in diesem wunderschönen roten Kleid. Das Video flackerte, als würde jemand vorspulen. Szenen davon, wie sie am Tisch saß, zersetzten mein Herz in Einzelteile. Ihr gegenüber platzierte sich ein Mann, der ihr lächelnd entgegensah.
Hass ... Grenzenloser Hass rauschte durch meine Adern. Allein die Weise, wie er sie anstarrte, ließ das Blut in meinen Adern gefrieren. Immer fester umfasste ich das Tablet, während ich um mich herum nichts mehr wahrnahm.
Und dann kam erst das, was mir den Boden unter meinen Füßen wegriss.
Ich hörte dieses Keuchen. Erkannte diesen Typ nackt. Vor ihm eine Frau mit schwarzen Haaren. Es war dunkel, doch ich erkannte ganz genau das Kleid, welches zuvor Nives trug. Meine Augen weiteten sich. Mein Puls schoss in die Höhe. Mein gesamter Verstand löste sich bei diesen Bildern auf.
"Ayaz?"
Cecilio sprach mich an, doch ich konnte meine Augen nicht vom Bildschirm nehmen. Selbst dann nicht, als das Video stoppte und nichts als Rauschen zurückblieb.
"Ayaz?!" Cecilio nahm mir das Tablet ab. Ich sah ihm geschockt entgegen. Neben ihm stand mittlerweile Gino, der etwas in sein Handy eintippte.
"Er wird schon bald an einem Baum hängen und um sein Leben betteln", zischte er und steckte dann sein Handy weg. Cecilio nickte und nahm dann wieder mich ins Visier.
"Sag mal. Du kennst Nives doch mittlerweile ziemlich gut. Meinst du, sie ist diese Frau? Hört sie sich so an?"
Ich dachte, er wolle mich verarschen und riss ungläubig die Augen auf. Auch Gino schien nicht zu verstehen, was Cecilio von mir wollte. Er starrte ihn genauso fragend an wie ich. Doch diesem Psycho machte es wohl Spaß, mich auszuliefern.
"Was soll dieser verfickte scheiß?!", sprach Gino. Seine Stimme zitterte vor Wut. Cecilio zuckte nur unschuldig mit den Schultern.
"Hätte ja sein können, dass Ayaz es besser weiß als wir."
"Was soll er besser wissen?"
"Wie Nives nackt aussieht."
Mir entwich jeglicher Ausdruck. Mein Herz donnerte mir schmerzhaft gegen meine Brust. Als Gino mich mit irritierter Miene ins Visier nahm, hielt ich den Atem an. Doch er ging zu meiner Erleichterung nicht darauf ein.
"Halt deine dumme Fresse, Cei! Ich fahre jetzt mit Nunzio und Yavuz los. Melde dich und kümmere dich um Ludovica. Elio verlässt das Haus nicht!"
"Wieso lässt du ihn nicht mitgehen?"
"Weil er nicht reif genug ist! Ich diskutiere darüber nicht mehr!"
Gino lief an mir vorbei und warf mir noch einen letzten Blick zu, ehe er durch den Flur nach draußen verschwand.
"Zu schade, dass seine Wut ihn gegenüber anderen Dingen so blind macht." Cecilio provozierte mich und wahrscheinlich wäre ich darauf eingegangen, wenn nicht immer wieder dieses Video vor meinen Augen abspielen würde. Ich hörte dieses Keuchen, wie ein Fluch, der mir ins Ohr flüsterte. Dazu dieses Kleid. Ihr Körper, der sich ihm bereitwillig hingibt. Da gab es jedoch eine Sache, die mir Hoffnung gab.
"Das war nicht Nives", flüsterte ich, wodurch Cecilio mich neugierig anstarrte.
"Das habe ich mir auch schon gedacht. Nur habe ich keinen Beweis für meine Annahme gefunden."
"Ich habe aber einen."
"Und welchen?"
"Sie hat eine lange Narbe, die sich über ihre linke Pobacke erstreckt. Ich habe sie nie darauf angesprochen, aber sie ist da und auf diesem Video, erkennt man genau genau, dass sie nicht existiert."
"Du hast ja keine Ahnung, wie sehr ich mich freue...", meinte Cecilio und da dachte ich noch, er würde sich darüber freuen, dass es nicht Nives war. Doch er hasste mich. Mit einem dreckigen Grinsen stellte er sich vor mich. "... Auf den Moment, wo du Gino erklären wirst, wie gut du über ihren nackten Körper bescheid weißt!"
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