14 Fernweh
Kapitel 14
Die darauffolgende Woche flog wie ein Düsenjet an mir vorbei. Sie ist rasend schnell zu Ende gegangen und Liam und ich haben jede Minute zusammen verbracht. Wir haben alles Weitere geklärt, alles in die Wege geleitet, damit ich in die USA auswandern kann. Jeden Tag hatten wir einen anderen Termin und haben mein Zimmer ausgemistet. Die Hälfte meiner Sachen spendete ich oder verkaufte sie im Internet. Nur meine Kleider, meinen persönlichen Kram und meinen Laptop nehme ich mit. Liam hätte mir alles über den weiten Ozean bis in die Vereinigten Staaten verschifft, meine Möbel, einfach alles, aber das wollte ich nicht. Wozu brauchen wir zwei Betten, wenn wir Liams gemütlicheres Bett haben oder weshalb brauche ich mein Kleiderschrank, wenn er sowieso zu klein ist für all unsere Kleider zusammen? Also spendete ich meinen ganzen alten Kram, ich will den Leuten eine Freude machen.
„Meld dich, wenn du in den USA angekommen bist!", sage ich und presse Liam einen Kuss auf den Mund. Wir stehen im dunkeln vor dem Privatjet der Parkers. Es ist spät am Abend, die Sterne kommen allmählich hervor und nur das Licht der Maschine lässt den Flugplatz erleuchten.
„Das werde ich!", versichert er mir und zieht mich in seine Arme. „Komm mit, ich will nicht von dir getrennt sein."
Schwer atme ich. Ich auch nicht, aber ohne mein Visum darf ich mich nicht in den USA aufhalten. Liam macht mir den Abschied, nicht gerade leicht, auch wenn es nur für einige Wochen oder vlt sogar einige Monate sein wird. Wir haben keine Gewissheit, wann wir uns wieder sehen werden ... Die Ungewissheit frisst mich auf. Meine Geduld hängt am seiden Faden, der jeden Moment zu reißen droht. Jetzt heißt es, zu warten, zu warten, bis ich mein Visum erhalte.
„Ich will es auch nicht, aber wir können nichts weiter tun, als zu warten und zu hoffen, dass mein Visum bald kommen wird."
Liam legt schnaufend den Kopf auf meinen Scheitel, drückt mich gleichzeitig noch fester an meine Brust. „Ich weiß, es ist schwer für mich."
„Für mich auch", seufze ich, kämpfe mit meinen aufsteigenden Tränen. „Wir werden jeden Tag telefonieren-"
„Videocalls bitte!", unterbricht er mich.
„Natürlich, was glaubst du denn?", stimme ich ihm zu, bewege meinen Kopf nach oben. Er nimmt sein Kinn von meinen Haaren, senkt den Kopf und blickt mir in die Augen. Schmunzelnd versinke ich in seinen eisblauen Kugeln, deren Anblick ich augenblicklich vermisse, obwohl Liam noch hier ist. Hier in meinen Armen.
„Mister Parker?", ruft Robert hinter uns. Er steht am Privatjet und winkt Liam zu.
„Gib mir noch einen Moment", gibt er zurück, dreht sich zu ihm, danach wieder zu mir. „Ich werde dich vermissen, Babe."
„Ich vermisse dich jetzt schon." Der Klos in meinem Hals wird immer größer, der seelische Schmerz breitet sich in mir aus, zerreißt mich, bei dem Gedanken, dass Liam gleich in das Flugzeug steigt - um die halbe Erdkugel fliegt. Er ist dann weit weg und getrennt von mir.
„Ich liebe dich", wispert er mir zu, haucht mir einen Kuss auf die Lippen. „Ich liebe dich!", antworte ich ihm, bei dem letzten Wort bricht meine Stimme ab. Sophia, nicht weinen, ich darf nicht weinen und Liam damit den Abschied nicht noch schwerer machen, als er sowieso schon ist.
Liams Augen schimmern auf. Als er mich ansieht, drückt mir einen Kuss auf den Mund, den ich augenblicklich vertiefe, er wird leidenschaftlicher. Ich stelle mich auf meine Zehenspitzen, lege die Hände an seinen Kopf, vergrabe sie in seinen Haaren. Liam legt beide Hände an meine Seiten, zieht mich näher an sich und wir verfallen in einen Rausch, einen Rausch der Gefühle. Es ist, als würde die Zeit um uns still stehen. In diesem Augenblick gibt es nur mich und ihn. Unsere Zungen tanzend zwischen den Emotionen, der Leidenschaft, der Begierde und Zuneigung. Unsere Lippen sind aufeinandergepresst, voller Gier und Verlangen.
„Mister Parker, ich möchte nicht unhöflich sein, aber wir müssen los", ruft erneut Robert uns zu.
Mein Verlobter ignoriert für einen Moment seine Worte küsst mich weiter, zieht mich noch näher an mich, sodass ich nach vorne kippe und gegen Liams Brust stolpere. Er fängt mich, indessen er mich küsst, auf, hält mich in seinen Armen.
Unsere Lippen lösen sich schweren Herzens voneinander und sofort vermisse ich sie, vermisse sie auf meinen. Die Zärte, mit der mich Liam küsst berauscht mich, zieht mich in seinen Bann der Liebe. Gleichzeitig bricht ein stechender Schmerz aus, der die Sehnsucht nach ihm widerspiegelt. Mein Herz ruft ihm zu, möchte ihn nicht gehen lassen, aber wir wissen beide, dass wir heute Abend in getrennten Betten schlafen müssen und uns für eine ungewisse Zeit auf verschiedenen Kontinenten aufhalten. Genau dieser Aspekt lässt mein Herz bluten, mir wird die Nähe zu ihm fehlen. Umso schöner wird die Freude sein, wenn wir uns wiedersehen, umso leidenschaftlicher werden unsere Küsse.
„Bis bald!", sagt Liam und gibt mir einen schnellen Kuss auf den Mund.
Ich nicke ihm zu, da ich kein Wort mehr über die Lippen bringen kann, so schmerzvoll ist diese zerreißende Situation für mich.
Er dreht sich um, schreitet zum Flieger, steigt die Treppe nach oben und dreht sich ein letztes Mal zu mir um.
Bei diesem Anblick kullern mir Tränen über die Wangen. Ich winke ihm zu, schicke ihm ein Handkuss, den er auffängt und erwidert, ehe er in den Flieger steigt und somit aus meinem Sichtfeld verschwindet.
Die Nacht ist die reinste Qual. Ich liege im Bett, Liam ist im Flugzeug, schläft vielleicht auch, oder versucht es zumindest, sowie ich. Kein Auge bekomme ich zu. Mein Handy brummt auf dem Nachttisch, was mich aus meiner Trance schrecken lässt. Schnell taste ich nach ihm, nehme es in die Hand, verenge meine Augen, da der Bildschirm zu hell ist. Als erstes mache ich das Display dunkeler, sodass meine Augen nicht von dem grellen Licht schmerzen, öffne danach die Nachricht. Liam.
Bist du noch wach? – Liam.
Ja. Ich kann nicht schlafen, du fehlst mir. – Sophia.
Geht mir genauso, Babe. Ich liege im Bett des Privatjets und denke an dich. – Liam.
Er denkt an mich. Mir geht es genauso, all meine Gedanken kreisen um ihn, um das vergangene Jahr, um die vergangenen Erlebnisse mit ihm, um den Heiratsantrag und um unsere gemeinsame bevorstehende Zukunft.
Ich denke auch an dich. – Sophia.
Der Kummer bricht in mir aus. Ich kann die Tränen nicht mehr länger aufhalten, sie brechen aus, kullern schnell in die Freiheit hinab. Es fühlt sich wie Liebeskummer an, obwohl unsere Liebe nicht stärker sein könnte, jedoch ruft in mir die Sehnsucht nach ihm. Nach ihm, nach seinen Armen, nach seinen Küssen, seiner Nähe.
Liam
Niemals habe ich damit gerechnet, mich derart zu verlieben. Es tut weh, nicht in ihrer Nähe zu sein, auch wenn wir erst seit wenigen Stunden getrennt sind. Die Ungewissheit darüber, wann wir uns wieder sehen werden, fickt mich. Die Erkenntnis, sie lange nicht in meine Arme zu schließen, sie zu küssen und mehr, zerreißt mich. In tausend Stücke, die nur sie mit ihrer Liebe, mit ihrer Anwesenheit wieder zusammensetzen kann. Es ist, als wäre in mir ein Loch, nein als wäre das Loch, das vor der Beziehung mit Sophia in mir war, wieder da. Es ist schwarz und tief, kein Ende in Sicht. Sie gab mir den Halt, die Kraft - all das, was ich in meinem Leben brauche, um glücklich zu sein. Vor ihr gab es nur mich. Ich hab auf niemanden in meinem unmittelbaren Umfeld Rücksicht genommen. Herzensbrecher. Ich riss die Herzen der Frauen raus, vögelte sie und ließ sie links liegen. Vor Sophia hatte ich keine festen Absichten, wollte mich nicht binden, wollte nur Spaß. Warum ich so war? Unzufrieden mit mir selbst war ich, mit meinem Leben, deshalb. Ich musste perfekt sein, funktionieren, damit ich in die Hotelkette meiner Eltern einsteigen kann. Wurde von Dad getrimmt, der Sohn zu sein, den er haben wollte. Was ich wollte, war ihm egal. Der Babysitter meiner Schwestern sollte ich auch sein, mit Grandma zusammen und was mit meinem Leben, meiner Freiheit war, war egal – bis wir die Au Pair Mädchen bekamen. Haben meine Eltern mich gefragt, ob ich mit ihnen mein Bad teilen kann? Nein. Haben mich meine Eltern gefragt, was ich davon halte? Nein. Ich musste mit ihnen klar kommen, sie nicht. Sie waren auf der Arbeit, sprich den ganzen Tag nicht zu Hause.
Bis Sophia kam, hat mich dieses Loch immer mehr in den Abgrund gezogen, nur das Training, die Partys am Wochenende und der Beischlaf mit den Frauen gaben mir Licht in der dunkeln Kammer. Aber jeder Tag danach riss mich der Schatten wieder mit sich in das schwarze Loch, immer stärker, immer tiefer hinunter. Doch Sophia war mein Lichtblick, diese Frau hat etwas an sich, keine Ahnung was, vielleicht ihre Hartnäckigkeit, ihre Widerworte mir gegenüber oder die Art, mit der sie mit mir umgegangen ist. Irgendwas an ihr half mir aus dem Loch und machte mich zu diesem Mann, der ich heute bin. Der Mann, der im Licht steht und in den Abgrund schaut, statt in ihm gefangen zu sein.
Jetzt hier im Privatjet alleine zu sein, fühlt sich genauso wieder an, nur das sich die Beziehung zu meinen Eltern, dank Sophia gebessert hat. Aber was erwartet mich zu Hause? Ein Leben ohne sie, ein Leben, in dem ich mit ihr eine Fernbeziehung führe, auch wenn nur für kurze Dauer, aber das wollte ich nicht - nie. Erwartet mich ein neues Au Pair Mädchen? Keine Ahnung, ob meine Eltern eines in unsere Familie aufgenommen haben.
Das Flugzeug landet, es nähert sich immer mehr dem Asphalt an, bis es mit einem Ruck auf dem Boden aufkommt. Die Geschwindigkeit verringert sich, bis die Maschine stehen bleibt. „Willkommen in Miami", höre ich Robert aus dem Lautsprecher sagen.
Ich erhebe mich von dem Stuhl, stecke mein Handy in die Tasche und steige aus dem Flieger aus.
Zu Hause angekommen drehe ich den Schlüssel im Schloss der Haustür um, betrete das Haus mit dem Handy in der Hand.
Ich bin zu Hause angekommen, ich liebe dich. – Liam
Kaum habe ich die Nachricht abgeschickt, höre ich die zarte Stimme von Ruby. „LIAM!", kreischt sie, rennt auf mich zu und umarmt mein Bein.
Ich taumele zurück, aber halte das Gleichgewicht so gut, sodass ich nicht umkippe.
„Ruby!", sage ich erschöpft, lasse meinen Koffer los und bücke mich zu ihr herunter.
„Ruby? Was Liam ist da?", höre ich die zweite Stimme. Katy. Sie steht wenige Sekunden mit Holly im Schlepptau im Türrahmen und läuft mit ausgestreckten Armen auf mich zu. Beide umarmen mich, meine Schwester, lassen mich nicht los. Sie freuen sich so sehr, dass man meinen könnte, ich wäre für Monaten nicht zu Hause gewesen. Für Kinder sind zwei Wochen eine lange Zeit. Die Drillinge sind fünf, also fühlte es sich für sie wie eine Ewigkeit an.
„Sohnemann!" Der tiefe Bass von Dads Stimme ertönt und der Rest der Familie versammeln sich zur Begrüßung in unserem Eingangsbereich. „Wie war dein Flug?", erkundigt sich Grandma mit einem Lächeln auf dem Gesicht.
„Gut danke."
Das Handy vibriert in meiner Hosentasche. Ich zögere keine Sekunde, fische es mit den Fingern aus ihr, um die Nachricht zu lesen.
Okay, wie war der Flug? Ich liebe dich auch! – Sophia.
Breit grinse ich, derweil ich antworte. Meine Finger fliegen regelrecht über die Tastatur auf dem Display.
Gut, es gab keine Turbulenzen. – Liam.
„Ich werde dann mal meine Sachen auspacken", verkünde ich und steige die Treppe zu meinem Zimmer nach oben.
Sophia
Am nächsten Morgen frühstücke ich mit meinen Eltern. Mutter hat erstaunlich gute Laune, kein Plan warum, aber sie ist verdächtig.
„Ist Liam schon angekommen?", fragt mich Vater.
„Ja, er schrieb mir am frühen Morgen, dass er gut angekommen ist."
„Das ist schön", bestätigt er mir, derweil er sich Butter auf das Brot schmiert.
Mutter wird bei unserem Gespräch ganz still, isst ihr Toast mit Marmelade.
„Sag mal Schatz, wie findet es Julia, dass du auswandern wirst?", hakt Mutter nach und legt Skepsis in ihre Mimik.
Was soll diese Frage? „Sie wird mich vermissen, aber sie hält mich nicht auf. Bei ihr steht mein Glück an erster Stelle und nicht, das, was sie für richtig oder für besser hält", betone ich, sodass sie merkt, worauf ich hinauswill. Ich will, dass sie die gleiche Meinung zu diesem Thema hat wie Julia.
Mutter nickt, indessen sie in ihr Brot beißt.
„Das wollen wir auch, wir wollen, dass du glücklich bist, auch wenn das heißt, dass du in die USA auswandern wirst!", verkündet Vater und richtet einen fragenden Blick zu ihr.
„Ja genau, wir wollen, auch dass du glücklich bist, egal welche Folgen es mit sich bringt!", stoßt sie hervor. Ihre Worte hören sich gezwungen an, als würden sie nicht der Wahrheit entsprechen. Dabei wünsche ich mir so sehr, dass sie Liam und meine Entscheidung endlich akzeptiert.
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Ab jetzt könnt ihr Liams und Sophias Sicht lesen 😍 Hoffe, dass es euch gefallen wird ♥️ -Jen✨
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