10 Mutter-Tochter-Tag
Kapitel 10
Am nächsten Morgen gehen wir den Terminen nach, um meine Auswanderung zu meinem zukünftigen Ehemann in die Wege zu leiten. Es ist alles andere als einfach, wir müssen sehr viel Papierkram ausfüllen, damit alles funktioniert, so wie wir es uns vorgestellt haben. Stunden vergehen, in denen wir warten und den Terminen nachkommen. Den halben Tag verbringen wir bei den Behörden, was uns ziemlich schlaucht. Müde, nach einer halben Ewigkeit verlassen wir den letzten Termin für heute.
„Babe, ich hätte nicht gedacht, dass es so anstrengend ist, dich in die USA zu bekommen."
„Oh ja, aber würden wir nicht heiraten, wäre es fast unmöglich. Unserer Hochzeit erleichtert es um einiges. Jetzt heißt es abwarten, bis ich die Erlaubnis bekomme in die USA auszuwandern. Es kann dauern, hat sie gesagt, aber ich hoffe, dass es nicht allzu lange dauern wird."
„Ja", raunt er dich neben mir ins Ohr. „Es erleichtert uns einiges und es ist um einiges schöner, wenn meine zukünftige Frau zu mir in die Vereinigten staaten zieht und nicht nur meine Freundin."
„Da stimme ich dir zu", bestätige ich.
Liam grinst und legt seine Lippen auf meine.
„Aber wir sollten uns Gedanken um das Datum machen, an dem wir heiraten."
„Ja, aber nicht jetzt, lass uns in Ruhe darüber reden. Vielleicht heute Abend vor dem Schlafen gehen, was meinst du?", fordert er.
„Klingt gut. Dann haben wir den restlichen Tag Zeit, um uns Gedanken zu machen, wann für einen selbst ein schönes Datum, ein perfekter Zeitpunkt ist, um zu heiraten."
„Abgemacht Babe."
Am Nachmittag gehe ich wie vereinbart mit meiner Mutter ins Shoppingcenter. Zuerst durchstöbern wir die Boutiquen und shoppen neue Kleider, ehe wir uns die Nägel machen lassen.
„Ich habe einen Termin für um Siebzehnuhr vereinbart", erklärt mir Mutter. Diese sieht auf ihre silberne Armbanduhr am Handgelenk und blickt danach wieder in meine Augen. „Wir haben noch eine halbe Stunde Zeit, wie wäre es mit einem Eis?", fragte sie und ich stimme ihrem Vorschlag zu. „Ein Eis schadet nicht."
Mutter und ich schlendern zu der nächsten Eisdiele. Sie bestellt uns eine Kugel zum Mitnehmen – Vanilleeis für sie, Erdbeereis für mich.
„Danke", bedankt sich die Verkäuferin, indessen Mutter ihr das Geld über die Theke reicht. „Ich wünsche ihnen einen schönen Tag."
„Ebenfalls", sagt Mutter, der weil sie sich zu mir um dreht. „Hier, dein Eis."
„Danke", sage ich und entnehme es aus ihrer Hand.
Auf der anderen Seite am großen Brunnen entdecke ich jemanden auf der Bank sitzen, den ich seit ich in Deutschland bin, sehr oft über den Weg laufe. Ben. Verfolgt er mich? Stalkt er mich vielleicht? Oder ist es Zufall, dass wir uns so oft begegnen?
„Oh sieh mal, am Brunnen!", sagt Mutter. Ich verdrehe meine Augen. Sie sieht in Bens Richtung und ruft lautstark seinen Namen. Dieser dreht sich zu uns um und kommt freudestrahlend auf uns zu. „Tine, lange nicht mehr gesehen", begrüßt er meine Mutter und lässt seinen Blick zu mir schweifen. Seit wann nennt er sie bei ihrem Spitznamen? Das tun nur enge Freunde von ihr. Sie mag es nicht, wenn sie jeder so nennt und wenn es mich nicht täuscht, hat sie Liam Nichteinmal ihren Vornamen verraten. Immer wenn er sie anspricht, spricht er sie mit Misses Schwarz an und es stört sie nicht. Was erlaubt sich Ben, sie so vertraut zu nenen. Oder habe ich etwas verpasst?
„Sophia, wir sehen uns in den letzten Tagen sehr oft, verfolgst du mich?" Lachend zwinkert er mir zu und löst damit in mir eine Übelkeit aus. Noch ein Wort und ich Kotze ihm vor die Füße. Was fällt ihm ein auf diese Art mit mir zu reden? Habe ich mich letztens nicht klar ausgedrückt? Scheinbar nicht.
Schweigen umhüllt mich und den Blick werfe ich verzweifelt Mutter zu. Inständig hoffe ich, aus dieser Situation entfliehen zu können. Am liebsten würde ich Mutter am Arm packen, sie von ihm wegzuzerren, aber das tue ich nicht. Dafür bin ich zu anständig, es wäre sehr unhöflich, sowie kindisch von mir ihn zu ignorieren, andererseits hat er es verdient.
„Ihr habt euch seit Sophias Ankunft gesehen?", fragt Mutter ihn. Ihre Augen aufschimmern auf. Sie glitzern verdächtig nach Hoffnung.
„Ja rein zufällig, es ist, als würde er mich verfolgen." Mit diesen Worten nehme ich ihr den Funken weg, den sich in ihren Augen aufgebaut hat. Doch das ist mir egal. Er soll merken, wie sehr er mir am Arsch vorbeigeht.
„Oh-", stößt Mutter hervor.
„Ach nein, Sophia. Ich hab wirklich Besseres zu tun, als dich zu verfolgen", lacht er und wendet sich meiner Mutter zu. „Es war schön, dich wiederzusehen, man sieht sich bestimmt im Dorf."
„Bestimmt", fügt sie hinzu. Ben setzt ein Lächeln auf, sieht mich an und macht auf dem Absatz kehrt.
„Mama, war es wirklich nötig ihn, anzusprechen? Du weißt, dass das mein Ex Freund ist, von dem ich mich getrennt habe?"
Schnippisch pustet sie Luft aus ihrem leicht geöffneten Mund, packt mich am Arm und zieht mich mit sich. „Lass uns zum Nagelstudio laufen."
„Guten Tag", begrüßen uns die Chinesinnen im beengten Studio. Sie fragen nach unseren Namen, derweil sie in ihrem Terminkalender herumblättert. „Ja, kommen Sie", fordern sie uns auf, deutet dabei auf zwei Stühle.. „Es dauert noch einen Moment. Es wird gleich jemand kommen", erklärt sie uns in ihrem Akzent. Eine andere kommt zu uns und bringt uns Muster und die Farbtöne, die sie uns auf die Nägel klatschen können, damit wir uns entscheiden, ehe es gleich losgeht.
„Was nimmst du?"
„Ich denke, dass ich mich für Naturnägel mit French entscheide."
„Rund oder eckig?", will Mutter wissen.
„Rund." Sorgfältig lege ich die Muster auf den Tisch. „Und du?"
„Ich glaube ein knalliges Rot, würde mir sehr gut gefallen."
Wenige Minuten später kommt jemand zu mir an den Tisch, setzt sich mir gegenüber und fragt mich nach meinen Wünschen. Ich beschreibe ihr, was ich gerne hätte, und lege die erste Hand auf den Tisch.
„Sag mal Schatz, wie hat das mit dir uns Liam angefangen? Erzähl mal", fordert sie mich auf, derweil sie ihre Nägel von einer Frau mittleren Alters schleifen lässt.
„Ach weißt du, da er im gleichen Haus gewohnt hat, und durch seinen drei kleinen bezaubernden Geschwistern, haben wir viel Zeit miteinander verbracht. Dabei hat es gefunkt", berichte ich ihr. Diese Worte sind wahrheitsgemäß, auch wenn unsere Kennenlernphase und das Näherkommen etwas anders verlaufen sind. Die komplette Wahrheit werde ich ihr nicht auftischen, nein. Ich werde ihr nichts von den schlechten Verhaltensweisen mir gegenüber erzählen, auch werde ich ihr nichts von Logan erzählen. Sie soll kein schlechtes Bild von Liam bekommen und über die Sache mit Logan zu reden, bin ich auch noch nach einem Jahr nicht bereit dazu. Schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Es fällt mir immer noch schwer. Alleine der Gedanke an ihn erzeugt ein Stich in meinem Herzen. Sie soll dieses Bild von ihm, dass ich erschaffe, in ihrem Kopf verankern und den liebevollen Liam in Erinnerung haben. Nicht den arroganten Badboy, der mich am Anfang nicht ausstehen konnte.
„Verstehe, hat er sich auch um sie gekümmert? Wozu brauchten sie dann ein Au Pair Mädchen?"
„Ja, aber weißt du, den Parkers geht es nicht alleine darum, dass ihre Kinder von einem Au Pair betreut werden. Sie wollen jungen Mädchen wie mir einen Einblick in das Leben in den USA bieten und ihnen eine unvergessliche Erfahrung ermöglichen. Sie sind liebevolle, herzliche Menschen, am Boden geblieben bei dem ganzen Geld."
„Das ist aber nett", entgegnet sie mir und hält ihre Hand unter eine Lampe, damit der Lack schneller trocknet.
„Ja, sie sind toll."
„Erzähl mir mehr von ihnen und von den Erfahrungen oder Erlebnissen, die du in diesem Jahr gemacht hast", fordert sie mich lächelnd auf. Es ist, als wäre das kalte Herz, das sie vor einem Jahr hatte durch unseren Streit und unsere Aussprache an meinem Geburtstag geschmolzen. Als hätte sie meine Worte zu Herzen genommen und ihre letzte Chance ergriffen, um ihre Tochter nicht völlig zu verlieren.
„Was für eine breitgefächerte Frage ..."
„Erzähl mir dein atemberaubendstes Erlebnis in den USA, egal was, ich will es wissen."
Kurz überlege ich, ehe ich ihr antworte. Was erzähle ich ihr nur? Es gibt so viele Sachen, die ich niemals vergessen werde, alleine die Tatsache, dass ich meinen zukünftigen Ehemann dort kennengelernt habe, eine neue Freundschaft fürs Leben geschlossen habe, sind Dinge, die ich immer in Erinnerung behalten werde, egal wie es mit Liam und mir weitergeht. Auch wenn unsere Ehe scheitert, ist das eine Erfahrung, ein Erlebnis, was ich noch meinen Enkelkindern erzählen werde. „Schwierig ...", murmele ich vor mich hin. „Also das beste, was mir in diesem Jahr passiert ist, ist Liam. Diese Geschichte kennst du ja schon. Ich habe auch in dem letzten Jahr neue Freundschaften geschlossen, die ich nie wieder missen möchte."
„Das hört sich fabelhaft an, Schatz", erwidert sie und nimmt die Hand unter der Lampe hervor.
„Aber ich denke, dass atemberaubendste, was ich in dem letzten Jahr erlebt habe, war mein Geburtstagsgeschenk von Chloe."
„Chloe? Wer ist das?", hakt Mutter nach. Natürlich, sie weiß nicht, wer sie ist.
„Chloe ist eine Freundin von mir, Liams beste Freundin. Wir verstanden uns auf Anhieb gut, schon lange, bevor das mit Liam angefangen hat."
„Okay, und was hat sie dir geschenkt?"
„Einen Helikopterrundflug über Miami."
„Wow, das hört sich toll an!"
„Oh ja, das war es." Niemals werde ich diese Bilder von ganz oben aus dem Heli aus dem Kopf bekommen. Sie haben sich in mein Gedächtnis gebrannt und ich hoffe, dass ich mich in fünfzig Jahren noch immer so detailgetreu an dieses Erlebnis erinnern kann.
„Fertig", sagt die Chinesin vor mir, lächelt mich an, als sie meine Hand loslässt. „Danke", bedanke ich mich bei ihr, nehme meine Geldbörse aus der Tasche und gebe ihr Trinkgeld. Sie faltet ihre Hände, hält sie vor ihre Brust, lächelt und nickt mir dankend zu.
Nachdem ich und Mutter bezahlt haben, strecke ich meine Hand aus und betrachte das Endergebnis. Es gefällt mir, so viel steht fest.
„Sieht toll aus", verkündet Mutter, während wir zurück zu ihrem Auto laufen.
Zu Hause angekommen suche ich Liam auf. In meinem Zimmer ist er nicht, im Bad nicht, im restlichen Haus auch nicht. Also muss er sich noch bei meinem Vater im Gartenhaus aufhalten. Ich werfe einen Blick auf meine Handyuhr. Das Spiel müsste schon längst vorbei sein. Vor dem Gartenhaus angekommen, sehe ich Licht brennen, auch Gelächter erklingt in meinen Ohren. „Papa? Liam?", rufe ich, indessen ich an der Tür zum Gartenhaus anklopfe.
„Wir sind hier drin", ruft Vater mir zu und ich öffne die Tür.
Im Inneren sehe ich Liam und mein Vater mit einer Bierflasche in der Hand. Vor ihnen auf dem Beistelltisch und auf dem Boden stehen überall verteilt die Flaschen. Mein Blick fällt auf dem Bierkasten neben dem Fernseher. Er ist so gut wie leer.
„Babe, ich freue mich ja so, dich zu sehen!", ruft mir Liam zu, versucht sich auf die Beine zu stellen, aber er torkelt zurück und fällt erneut auf das Sofa unter ihm.
Mein Vater bricht in Gelächter aus. Er lacht so heftig, dass eine Träne ihm aus der Augenhöhle entweicht, sodass er sie mit der Hand auffängt und wegstreicht.
„Liam schon gut, bleib sitzen."
„Küss mich, Babe", raunt er, sieht mich mit diesem unwiderstehlichen Blick, dem Lächeln, was mir mein Herz zum Schmelzen bringt an. Nur dieses Mal nicht. Er und mein Vater haben tief ins Glas geschaut und hatten sichtlich Spaß ohne mich und Mutter.
„Bitte", fleht er und greift, nachdem ich nicht auf seine Worte reagiert habe, nach dem Saum meines T-Shirts. Er zerrt mich zu sich und spitzt seine Lippen mit ausgestreckten Kopf in meine Richtung.
„Oh Mann, wie viel habt ihr getrunken?", frage ich beide und gebe Liam einen flüchtigen Kuss auf den Mund. Bier, der bittere Herbe Geschmack macht sich in meinem Mundraum breit.
„Sophia, das Bier aus Deutschland schmeckt viel besser als ich gedacht habe. Nicht umsonst heißt es, dass die Deutschen wissen, wie man Bier braut."
„Ach ja?", fragend ziehe ich eine Braue nach oben und mustere sein Gesicht unter mir.
Liam nickt schnell und zieht mich noch näher an sich heran. Durch den unerwarteten Schwung, mit dem er mich an sich zieht, stolpere ich und falle auf seinen Schoß.
„Oh, aua", stößt Liam schmerzerfüllt auf und greift unter mir nach seiner Männlichkeit.
„Sophia, pass auf, nicht, dass ihr mir wegen diesem Sturz keine Enkelkinder beschaffen könnt!", scherzt Vater. Wenn er nur wüsste, dass sein Wunsch Opa zu werden, vielleicht niemals in Erfüllung geht, weil Liam keine Kinder haben möchte, würde er ihn hassen. Also belächele ich seine Bemerkung und sehe Liam besorgt an. Dieser hat den Scherz, wegen des Schmerzes, den ich ihm aus Versehen bereitet habe nicht mitbekommen.
„Babe", stöhnt er leidend auf und ich setze mich neben ihn auf das beengte Sofa. „Gehts?", frage ich lachend.
„Nicht witzig, gar nicht witzig!"
„Wie war eurer Maniküretage?", fragt Vater um so von der gegenwärtigen Situation abzulenken.
„Sehr gut, es hat Spaß gemacht und Kleider haben wir auch geshoppt."
„Frauen, was Liam?", spottet er und pickst ihm mit dem Ellenbogen in den Oberarm.
„Frauen!", erwidert Liam und beginnt erneut zu lachen.
„Sagt mal, habt ihr euch eine Dröhnung Lachgas gegeben?"
„Lachgas!", sagen beide und Lachen wieder los.
Vater kann ebenfalls fließend Englisch. Er arbeitet auf der Arbeit oft mit Kunden aus England oder auch aus den USA eng zusammen, also versteht er jedes Wort, was ich sage und was Liam ihm sagt. Es bietet ihm nur Vorteile, fließend Liams Sprache zu beherrschen und anders herum auch. Beide profitieren davon und sie scheinen sich auch sehr gut zu verstehen.
„Ich sehe, dass ihr Spaß hattet, dabei möchte ich euch nicht weiter stören", sage ich und stehe auf.
„Babe, nein bleib hier!", ruft Liam mir hinterher.
„Nein, schon gut. Ich werde in meinem Zimmer ein wenig lesen, macht was auch immer ihr gemacht habt, bevor ich zu euch ins Gartenhaus kam weiter. Du weißt, wo du mich findest, Liam."
Schmollend zieht er mich erneut zurück auf das Sofa und drückt mir einen Kuss auf den Mund. „Liam wirklich, es ist in Ordnung. Hab Spaß mit meinem Vater. Ich finde es toll, dass ihr euch so gut versteht", flüstere ich ihm ins Ohr.
„Liam, das zweite Fußballspiel am heutigen Abend wird gleich losgehen. Bleibst du noch?", fragt Vater ihn.
„Bitte, Vater bedeutet es viel, wenn du dich gut mit ihm verstehst und Zeit mit ihm verbringst. Es sind nur neunzig Minuten", wispere ich ihm leise zu, sodass es Vater nicht hört.
„Na gut Frederic."
Jubelnd setzt er seine Flasche Bier an den Mund und nimmt ein Schluck. „Noch eins?", fragt er Liam, steht auf und nimmt eine weitere Flasche Bier aus dem Kasten.
Fragend sieht er mich an. Möchte mich Liam wirklich um Erlaubnis bitten, ein weiteres Bier zu trinken? Schulterzuckend erhebe ich mich vom Sofa und verlasse die Gartenhütte, um in meinem kleinen Zimmer zu lesen. Nach diesem anstrengenden Tag habe ich mir eine Auszeit verdient. Mit einem spannenden Buch wird es mir auf jeden Fall gelingen.
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