
15 Liam
15
„Kann es los gehen? Habt ihr auch nichts vergessen?", fragt Liam seine Schwestern als wir im Flur des Hauses stehen.
„Wir haben alles.", erklärt Katy ihm.
„Und das Geschenk?", fragt Liam sie.
Holly hält ein mittelgroßes Päckchen in der Hand. Es ist mit Geschenkpapier verpackt. „Hier!" Holly streckt es ihm entgegen.
Liam nickt. „Dann wollen wir es hinter uns bringen."
Er nimmt den Schlüssel des Minivans. „Wir müssen mit dem Minivan fahren, die anderen Autos haben nicht genug Sitze.", bemerkt er und sieht mich an.
Ich nicke.
Wir verlassen das Haus und steigen in das Auto ein. Die Fahrt zu Jacky ist sehr ruhig. Die Drillinge reden miteinander und freuen sich auf die Geburtstagsparty. Liam's Blick klebt an der Straße. Er ist sehr still und erklärt mir ab und an, auf was ich auf dieser Strecke achten muss. Ansonsten wechselt er kein Wort mit mir. Das war mir aber klar. Er kommt nicht gerade gut mit mir zurecht. Er kann mich anscheinend nicht leiden. Unsere Gespräche beschränken sich immer nur auf das nötigste.
Nach einer Weile sind wir da. Jacky's Eltern haben ein sehr schönes modernes Haus.
„Wir sind da." Liam steigt aus und hilft seinen Schwestern aus dem Auto auszusteigen.
Ich steige ebenso aus und begleite sie mit zur Haustür. Liam klingelt und ein paar Minuten später öffnet sich die prachtvolle Haustür. Eine Frau in Grace Alter öffnet sie.
„Oh hallo Liam, schön dich zu sehen." Sie lächelt ihn an. „Katy, Ruby, Holly, schön das ihr gekommen seit."
Liam begrüßt sie knapp und stellt mich ihr vor.
„Oh, das neue Au pair. Schön dich kennenzulernen. Ich bin Olivia, die Mutter von Jacky."
„Es ist auch schön dich kennenzulernen. Ich werde die drei heute Abend wieder abholen kommen."
Olivia nickt. „Jacky ist im Garten.", erklärt Olivia den Drillingen.
„Viel Spaß!" Ich lächele alle drei an.
„Danke.", rufen sie mir zu und laufen in das Haus.
„Dann bis heute Abend.", sagt Olivia. „Es war schön dich wieder zu sehen, Liam."
Er nickt.
Olivia schließt die Tür und wir gehen stumm zum Auto zurück.
Auf dem Heimweg präge ich mir den Weg gut ein und versuche mir einzelne Schilder oder Häuser zu merken. Ich muss heute Abend wohl doch mit den Navi fahren. Olivia und Jacky wohnen wirklich ein bisschen weiter weg von den Parkers. Ohne Navi werde ich den Weg zu ihnen nicht mehr finden.
Ein lauter Knall reißt mich aus meinen Gedanken.
„Fuck!", flucht Liam und fährt langsam an die Seite des Highways. Liam steigt aus. Ich bleibe im Auto sitzen und beobachte ihn. Er geht hektisch um den Minivan herum. Liam schlägt seine Hände über den Kopf zusammen und flucht. Ich entscheide mich aus den Wagen auszusteigen und nachzusehen was passiert ist.
„Was ist los?", frage ich ihn.
„Ein Reifen ist geplatzt." Liam läuft im Kreis.
Oh nein, ein Reifen ist geplatzt. Was tun wir jetzt? Wir sind mitten im Nirgendwo auf einem eher ländlicheren Highway. Der Highway ist von grünen Wiesen und vereinzelten Bäumen und Palmen umgeben. Weit und breit fährt kein Auto. Wir sind ganz alleine hier und Häuser sind auch nicht in Sicht.
„Was machen wir jetzt?", frage ich ihn nervös.
Liam überlegt und nimmt sein Handy aus der Hosentasche. „Ich rufe den Pannendienst. Er muss uns zur nächsten Werkstatt schleppen wir haben keinen Ersatzreifen dabei.", erklärt er mir knapp.
Liam entfernt sich von mir und vom Wagen und telefoniert.
„Wie bitte? Ich zahle ihnen das doppelte, wenn sie in den nächsten 10 Minuten hier sind. Wir haben nur einen platten Reifen.", er brüllt inzwischen so laut, dass ich ihn sehr gut verstehen kann. „Es ist mir egal, machen sie einfach, dass sie schnell einen hier her schicken." Liam sieht wütend aus. Er gibt unseren genauen Standort durch das Telefon dem Pannendienst an und legt auf.
„So ein Mist!" Er nähert sich dem Wagen und steigt wieder ein.
Ich steige ebenfalls wieder ein. „Was ist los? Was hat der Pannendienst gesagt?", frage ich ihn.
„Es dauert circa eine Stunde früher kann niemand her kommen.", antwortet Liam mir knapp. Er steigt wieder aus dem Auto aus und setzt sich an den Wegrand.
Geht er mir aus dem Weg? Bin ich so schlimm, dass er es mit mir nicht einmal ein paar Minuten alleine im Auto aushält? Was ist nur mit ihm los? Muss er sich wirklich immer wie der letzte Arsch verhalten? Ich steige aus und gehe auf ihn zu.
Er verdreht genervt seine Augen. „Jetzt muss ich hier eine Stunde auf den Pannendienst warten und kann nicht trainieren. Alles nur, weil die Arbeit meiner Eltern wieder vorgeht.", murmelt er wütend vor sich hin.
Ich setze mich neben ihn. „Du kannst auch noch später trainieren. Reg dich ab, eine Stunde ist doch nicht solange.", versuche ich ihn zu beruhigen.
„Hat jemand nach deiner Meinung gefragt? Nein.", zischt er wütend.
Was habe ich ihm nur getan, dass er mich dermaßen verabscheut. Ich muss ihn jetzt zur Rede stellen. Schließlich kann er jetzt nicht abbauen und vor der unangenehmen Situation fliehen.
„Ich wollte dich nur beruhigen Liam. Ich weiß nicht, was ich dir getan habe oder was dein verdammtes Problem ist! Ich weiß auch nicht, was deine Eltern oder deine Geschwister dir getan haben aber das gibt dir noch lange kein Recht so mit deinen Mitmenschen umzugehen. Du verhältst dich wie der letzte Arsch, falls es dir nicht aufgefallen ist. Alle wollen dir helfen und du? Du bist immer launisch und genervt. Das hält keiner aus. Sag mir, wieso? Wieso bist du so? Was habe ich dir getan? Was hat deine Familie dir getan, dass du so mit ihnen umgehst?", stelle ich ihn zur Rede.
Es tat gut diese Worte Laut auszusprechen. Ich hätte ihm schon viel früher meine Meinung sagen sollen.
Liam sieht mich überrascht an und seine Gesichtszüge werden weicher. Damit, dass ich ihm meine Meinung sagte hat er wohl nicht gerechnet. „So ist das nicht, das verstehst du nicht." Er sieht auf den Boden.
„Versuch es mir doch mal zu erklären. Ich bin eine gute Zuhörerin.", fordere ich ihn auf.
Liam sieht immer noch zu Boden. Er ist wirklich stur.
Ich sehe ihn skeptisch an. „Na dann leb dein Leben weiter so. Wenn du so weiter machst, wirst du auf Dauer keine Freunde mehr haben. Ich habe dir nichts getan und du behandelst mich wie der letzte Dreck aber na gut. Ich werde dich in Ruhe lassen.", füge ich hinzu.
Ich stehe auf und gehe auf den Wagen zu.
„Es liegt nicht an dir.", flüstert Liam leise, aber immer noch laut genug, damit ich ihn verstehe.
Ich bin erstaunt und beeindruckt zugleich, dass meine Ansagen wirklich etwas bewirkt hat. Ich bleibe stehen, drehe mich um und nähren mich Liam, der immer noch am Wegrand des Highways sitzt.
Er erhebt seinen Kopf und sieht mich an. „Es liegt nicht an dir, als Person.", wiederholt er.
Verwirrt, setze ich mich wieder neben ihn. „Woran dann? Du gibst mir aber das Gefühl, dass du mich verabscheust. Mach dir darüber mal Gedanken. Du gibst auch deinen Schwestern das Gefühl, dass du sie nicht ausstehen kannst."
„Das war mir nicht bewusst."
„Na dann weißt du es jetzt, überdenke deine Handlungen und Worte bevor du handelst und redest. Du verletzt deine Mitmenschen. Deine Mum und dein Dad meinen es nur gut mit dir und du weißt dies gar nicht zu schätzen."
Er sieht wieder zu Boden. „Darüber habe ich nicht nachgedacht. Aber ihnen ist es auch egal wie es mir geht.", erklärt er mir.
„Was ist los? Wieso behandelst du dann deine Familie und mich so schlecht?", kitzele ich aus ihm heraus.
„Wie gesagt, es liegt nicht an dir als Person." Er atmet tief aus.
„Woran dann? Erkläre es mir."
Er ist wirklich sehr stur. Ich muss ihm alles aus seiner Nase ziehen.
„Es ist die Tatsache, dass du unser neues Au pair bist.", erklärt er mir und schaut immer noch zu Boden.
„Was ist denn daran so schlimm?", frage ich ihn neugierig.
„Weißt du es ist nicht schön jedes Jahr jemand neues bei sich wohnen zu haben. Jedes Jahr muss ich mir mit jemanden neues mein Badezimmer teilen. Jedes Jahr muss ich mich auf jemanden neuen einstellen. Meine Eltern haben mich nicht gefragt, wie es mir dabei geht. Es sollte mir eigentlich egal sein, dass wir jedes Jahr ein neues Au pair bekommen aber weißt du ich lebe auch in diesem Haus und meine Eltern hätten mich wenigstens fragen können wie ich über die ganze Sache mit den Au pair Mädchen denke. Ich finde es echt toll, dass sie jemanden haben, der sie unterstützt, aber muss es jedes Jahr ein neues Au pair Mädchen sein? Jedes verdammte Jahr? Vor dir gab es echt ein paar komische Mädchen mit denen ich mir mein zu Hause teilen musste und es interessierte meine Eltern nicht wie es mir dabei geht. Sie sind schließlich kaum zu Hause. Also bekommen sie kaum etwas mit. Alles was sie interessiert sind die Drillinge und ihre Arbeit. Die Drillinge finden es toll wenn jedes Jahr jemand neues kommt, der sich nur um sie kümmert, doch wie es mir dabei geht ist ihnen völlig egal. Mum könnte einfach ihre Arbeit reduzieren und sich selbst um ihre Kinder kümmern. Wir haben genug Geld, mehr als wir je ausgeben könnten. Muss sie wirklich genauso viel, wie mein Vater arbeiten? Ist es wirklich nötig? Anfangs wollten sie, dass ich mich um die Drillinge kümmere, doch weißt du, ich habe mein eigenes Leben. Ich bin 22 Jahre alt. Ich möchte mein Leben genießen und mich nicht Tag täglich um meine kleineren Geschwister kümmern. Ich liebe sie, aber mein Leben liebe ich auch. Und meine Eltern, sie arbeiten zu viel. Seit ich denken kann arbeiten sie so viel. Sie haben eigentlich gar keine Zeit für ihre Kinder außer an den Wochenende und ich soll es ausbaden? Nein ohne mich, dann hätten sie nicht 18 Jahre nach meiner Geburt noch drei Kinder auf die Welt setzen sollen. Sie leben für ihre Arbeit nicht für ihre Familie, so kommt es mir zumindest vor."
Ich bin sprachlos. Ich habe den sturen launischen Liam Parker zum Reden gebracht. So offen und ehrlich hat er nicht einmal mit seinen Eltern gesprochen. Meine Ansage tat ihm gut. Er hatte sich in letzte Zeit oft mit seinem Vater in den Haaren, dass störte ihn jedoch nicht, doch meine Worte, die von einer außenstehenden Person haben ihn anscheinend zum Nachdenken angeregt. Ich Sophia Schwarz habe Liam Parker harte Schale geknackt?
„Ich habe es noch niemanden vor dir erzählt. Ich fraß meine Probleme immer nur in mich hinein, selbst Chloe weiß nichts davon, weil es eigentlich lächerlich ist, also bitte ich dich darum es auch dabei zu belassen und es Chloe nicht zu erzählen."
Ich schlucke. Seine Worte regen mich ebenfalls zum nachdenken an. Ich kann ihn irgendwo verstehen und nachvollziehen wieso er so ist, wie er ist. Ich kann mir vorstellen, dass es für Liam nicht gerade einfach ist jedes Jahr aufs neue, jemand neues, fremdes im Haus wohnen zu haben. Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht.
„Ich werde Chloe nichts davon erzählen, ich werde niemanden davon erzählen.", verspreche ich ihm.
„Danke."
„Rede doch mal mit deinen Eltern. Sie werden es sicher verstehen.", versuche ich ihm zu helfen und ihn aufzumuntern.
Liam beginnt zu lachen. „Nein, für sie zählt nur ihre Arbeit, alles andere ist nicht wichtig. So kommt es mir zumindest vor. Seit sie das Hotel in Texas eröffnen wollen steht die Arbeit noch mehr an erster Stelle, als vorher."
„Ich verstehe dich, ich kann nachvollziehen, dass es für dich nicht leicht ist aber glaubst du wirklich deine Eltern würden es nicht auch verstehen?"
„Wohl kaum."
Ich schweige und wir warten zusammen am Wegrand auf den Pannendienst. Ein wenig später kommt ein Abschleppwagen den Highway hinunter gefahren und hält neben uns an.
„Bist du Liam Parker?", fragt ein kräftiger Mann mit Bart sitzend aus dem offenem Autofenster des Abschleppwagens.
„Ja, ich habe angerufen. Wir haben einen platten Reifen. Wir müssen zur nächsten Werkstatt geschleppt werden. Wir haben kein Ersatzreifen dabei."
Der kräftige bärtige Mann nickt und steigt aus dem Wagen aus und befestigt das Abschleppseil an dem Minivan.
„Steigt ein, ich nehme euch zur nächsten Werkstatt mit."
Wir steigen in das Führerhaus den Abschleppwagen ein und fahren los. Die Fahrt zur nächsten Werkstatt ist sehr still. Man hört nur das leise Radio des Abschleppwagens. Der bärtige Mann summt ab und an mit. Im Führerhaus des Abschleppwagens ist es sehr eng. Ich sitze dicht an Liam. Unsere Armen berühren sich leicht. So nah war ich ihm noch nie. Er schaut ab und an zu mir rüber und ich schaue ab und an zu ihm rüber. Ansonsten herrscht Funkstille. Keiner sagt ein Wort. An der nächste Werkstatt angekommen bedankt Liam sich und bezahlt ihn.
„Ich versuche Mum oder Dad zu erreichen, damit einer von ihnen uns abholen kommt. Es ist Sonntag, vor morgen bekommen wir unseren Wagen nicht. Er bleibt bis morgen hier auf dem Hof sehen. Den Rest kann Dad morgen mit der Werkstatt klären.", erklärt mir Liam.
Ich nicke und bin erstaunt, dass er mit mir in ganzen Sätzen redet und nicht nur das nötigste.
Meine Worte scheinen wirklich etwas bei ihm bewirkt zu haben. Vielleicht ändert er sich, vielleicht habe ich ihm die Augen geöffnet.
Grace kommt ein wenig später uns von der Werkstatt abholen. „Hallo ihr zwei, tut mir echt leid, dass ihr einen platten Reifen hattet. John wird sich morgen um Ersatz kümmern." Grace lächelt als wir in den Mercedes einsteigen. „Sophia, ich und John werden natürlich nachher die Mädchen abholen gehen."
Ich nicke und wir fahren zurück zu dem Haus der Parkers.
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Das lang erwartete Kapitel ist endlich da!
Was haltet ihr von diesem Kapitel?
Könnt ihr Liam verstehen?
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