Rückkehr
Im Palast des Waldlandreiches hatte Vilyas kleine Schwester sich indes ganz gut eingelebt. In den ersten Tagen nachdem die Armee fortgezogen war, war es sehr ruhig gewesen. Trîwen und Talma waren gleich am nächsten Tag nach der Abreise der Armee, aufgebrochen. Sie hatten (wie Vilya) nicht gewusst, dass das Mädchen im Palast war, doch würden vermutlich eins und eins zusammenzählen, wenn sie ins Dorf kamen und Valaina dort nicht auffanden.
Die Verzierungen des Festes waren abgenommen worden und ein Teil des normalen (überraschend langweiligen) Alltags war zurückgekehrt, nur dass es diesmal im Inneren des Palastes um einiges weniger Wachen gab. Die Grenzpatrouillen und die Wachtposten an den Brücken und Eingängen waren verstärkt worden.
Die Zurückgelassenen machten sich Sorgen und sprachen viel über den so spontanen Krieg, wie er aus ihrer Sicht gewesen war. Die meisten hatten hunderte Jahre lang nicht mehr an den Gundabad gedacht, warum nun die Elben sich um dieses Zwergenkönigreich scheren sollten, war ihnen unverständlich.
In diesen Tagen hatte Valaina sich unter die Kinder gemischt und so getan, als ob ihre Eltern mit in die Schlacht gezogen wären. Das war auch nicht weiter hinterfragt worden, da es das Schicksal vieler Kinder war.
Die Trainingseinheiten machte sie gerne mit, doch viel mehr wollte sie sich nicht mit Gleichaltrigen beschäftigen. Sie vermisste ihre Freunde zu Hause, doch war gleichzeitig zu aufgeregt über diese neue Umgebung, als dass sie freiwillig wieder zurückgekehrt wäre. Alles funkelte, war wunderbar verziert oder so alt, dass es fast auf ihrer Haut zu prickeln begann, wenn sie es berührte. Wenngleich die ruhmreichsten Kämpfer in die Schlacht gezogen waren, waren doch einige sehr weise und hoch adlige Elben zurückgeblieben, die weiterhin ihrer Arbeit nachgingen. Valaina hatte sich noch nicht getraut sie anzusprechen, doch im Laufe der drei Wochen, die vergingen, stahl sie sich immer öfter in versperrte Bibliotheken oder Büros. Sie hasste Langeweile und musste immer etwas unternehmen – wohl ihre größte Schwäche und Stärke zugleich.
Es waren genau einundzwanzig Tage vergangen, seitdem der König und seine Männer losgezogen waren, als die Trompeten abermals erschallten. Valaina war gerade dabei gewesen in einem kleinen Notizbuch zu schmökern, das ein Elb namens Badhron verloren hatte. Valaina war dabei zugegebenermaßen etwas behilflich gewesen.
Es enthielt interessante Passagen über das berüchtigte Blaue Volk, von dem alle hier sprachen. Angeblich das Volk, mit welchem der Angriff auf den Gundabad zusammenhing. Badhron war ein enger Berater des Königs und bei einigen Verhandlungen dabei gewesen. Auf der Seite, die gerade in Valainas Fingern lag, standen die Worte:
Botschafterin: Luinmír, Prinzessin: Thilien -> keine Thronfolgerin, aber regiert derzeit
Alte Schmiedekunst, Edelsteine, Karten von Rhûn
Erbe von Gil-Galad??
Valaina klappte das Notizbuch etwas wehmütig zu und erhob sich. Ihre Schwester würde wohl unter den Zurückkehrenden sein und diesmal würde sie sich nicht so leicht ihren Blicken entziehen können.
Einen Moment ertappte sie sich bei der Hoffnung, dass Vilya nicht zurückkehren würde, doch das konnte nur bedeuten, dass sie tot war, also verdrängte sie diese Gedanken schnell. Sie war eine gute Kämpferin und war sicherlich beschützt worden, wenn sie mit dem Prinzen befreundet war – oder sogar mehr.
Sie betrat eine der Brücken, die über die Haupthalle hinwegführten. Sie war natürlich nicht die einzige gewesen, die auf die Idee gekommen war, die Kämpfer von oben zu beobachten – und zu zählen.
Es waren erschreckend wenige. Valaina konnte kaum glauben, dass der Zug bereits zu Ende war, als die Haupthalle fast gefüllt war. Es mussten auf dem Weg schon viele in ihre Dörfer zurückgekehrt sein.
König Thranduil verkündete mit lauter Stimme etwas, aber Valaina verstand es nur gedämpft durch die vielen Mäntel der um sie stehenden Personen. Die Reaktionen jener Personen sagten ihr allerdings alles, was sie wissen musste: die Schlacht war verloren und es hatte große Verluste gegeben, worunter auch die Königin fiel.
Es herrschte Stille für einige lange Sekunden. Leises, schockiertes Geflüster zog durch die Reihen, doch die meisten schwiegen, schwer getroffen von den Nachrichten.
Nach ein paar weiteren Worten des Königs, löste die Versammlung sich auf. Valaina wurde fast mitgerissen von den Leuten, die erfahren wollten, ob ihre Liebsten noch am Leben waren. Das Mädchen selbst verspürte zum ersten Mal auch ernsthafte Sorge um ihre große Schwester. Nun war es ihr egal, ob sie Ärger bekommen würde, sie wollte wissen, wie es Vilya ging.
Also schob sie sich durch die Mengen und versuchte in Richtung des königlichen Trakts zu verschwinden, was gar nicht so einfach war, denn die meisten waren in die entgegengesetzte Richtung unterwegs.
Schließlich, gerade als die ersten Trauertöne von den großen Instrumenten des Palastes, die durch jede Wand und in jede Ecke drangen, ertönten, sah sie den König mit seinem Sohn und einer ganz in Blau gekleideten Frau, deren lange blonde Haare bis zur Hüfte fielen, wie in einem Wasserfall aus Gold. Sie hatte milchige, weiche Haut und ihre Kleidung wies nicht einen Blutspritzer auf. Valaina konnte kaum glauben, dass sie bei der Schlacht mitgekämpft hatte.
„Ich werde zunächst mein Volk trauern lassen, bevor ich irgendwelche weiteren Verkündungen in Betracht ziehe!", fuhr König Thranduil sie gerade hitzig an. Seine hellblauen Augen waren kalt und stahlhart. Sein Gesicht war wie eingefroren, die Schultern angespannt und die Haltung stramm. Er schien wie ein komplett anderer Elb als der, den Valaina vor drei Wochen kennengelernt hatte, der Elb, der mit ihr eine Schneeballschlacht gehabt hatte und sie dann vor einem gemütlichen Feuer an seiner Schulter hatte einschlafen lassen.
Die blau gekleidete Elbin zog den Kopf etwas ein und antwortete mit mindestens ebenso viel Wut: „Ich werde nicht zulassen, dass diese Allianz so einfach fallengelassen wird, nun, da so viel über mein Volk bekannt ist!"
Valaina zuckte mit den Brauen und hielt sich weiterhin versteckt. Sie hatte die letzten Wochen jedes Gerücht, das es hier gab, aufgeschnappt, und sehr viel hatte sie nicht über dieses mysteriöse Volk erfahren.
Sie waren in leere Gänge eingebogen, die in den westlichen Trakt führten.
„Nun, da so viel bekannt ist?", wiederholte Thranduil ungläubig und verlangsamte seine Schritte. „Ich kenne noch nicht einmal den Namen eures Volkes, geschweige denn seine Geschichte oder woher es nach all den Jahren aufgetaucht ist! Die Schlacht am Gundabad hat ungeheure Opfer gefordert, das kann ich nicht so einfach vergessen!"
Valaina bemühte sich, immer eine Ecke hinter ihnen zu bleiben, doch so langsam bekam sie Angst erwischt zu werden. Hier verdichteten sich die Wachen, die ihren Dienst so ernstnahmen, dass sie ihn selbst in dieser Ausnahmesituation nicht vergaßen.
„Unsere Feinde werden inzwischen gehört haben, dass wir hier Verbündete suchen. Sie werden mit Sicherheit nicht zurückschrecken auch dieses Reich anzugreifen, vor allem nun, da es geschwächt ist", sprach die Dame wieder um einiges ruhiger und mit hoher, süßer Stimme, die sich in den Kopf zu bohren schien.
„Ich werde ihnen gerne erklären, dass wir vorerst neutral bleiben in diesem Konflikt."
„Das wird ihnen recht egal sein. Solange sie eine potenzielle Gefahr sehen, werden sie alles tun, um diese zu unterbinden."
Es wurde still. Valaina lugte vorsichtig um die Ecke. Der König starrte die Elbin mit einem Blick an, den jeden anderen in diesem Reich in Angst und Panik versetzt hätte, doch sie starrte bloß genauso kalt zurück. Legolas stand schweigend daneben und blickte ins Nichts.
Wortlos öffnete Thranduil eine Tür neben ihnen und bat die blau gekleidete Abgesandte herein. Seinem Sohn deutete er draußenzubleiben, dann schloss er auch schon die Tür hinter ihnen.
Der Prinz seufzte schwer und ging zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Valainas Schreckenssekunde und sein schnelles Tempo zusammen, bewirkten, dass sie nicht rechtzeitig verschwinden konnte, bevor er um die Ecke bog.
Überrascht blieb er stehen und musterte das viel kleinere Mädchen. „Valaina?", brachte er verwirrt hervor. Es schien ihm schon eine Ewigkeit her, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte.
Valaina wusste nicht so recht, ob sie das kleine unwissende Kind spielen oder sich tatsächlich erklären sollte, doch bemerkte recht schnell, dass schauspielern gerade wenig Sinn hatte. Die Situation war eindeutig.
„Legolas", sagte sie also einfach und sah ihm in die blauen Augen. Er öffnete den Mund und klappte ihn schnell wieder zu. Dann trat er vor.
„Du solltest nicht hier sein. Wo ist deine Mutter?", fragte er und bemühte sich wieder strenger zu klingen.
„Zu Hause nehme ich an", erwiderte sie schulterzuckend, worauf er neben ihr stehenblieb. Eigentlich hatte er vorgehabt sie wieder in die Haupthalle zu führen.
„Was tust du dann hier?"
„Jetzt gerade suche ich meine Schwester." Sie wusste, dass sie damit perfekt vom Thema ablenken konnte, auch wenn sie sich natürlich tatsächlich Sorgen um Vilya machte. Eigentlich sollte sie gerade an seiner Seite stehen.
Legolas wandte den Blick ab und suchte nach den richtigen Worten.
„Sie... um ehrlich zu sein, bin ich mir nicht ganz sicher, wo sie ist, doch ich hoffe, dass sie in euer Dorf zurückgekehrt ist." Er konnte ihr immer noch nicht in die Augen sehen, was Valaina nur noch neugieriger machte.
„Warum ist sie nicht bei dir? Ihr seid doch gut befreundet?"
Legolas zögerte und zuckte dann mit den Brauen. Er hatte an nichts anderes mehr denken können, nachdem er sie an dem Heilerbett alleingelassen hatte. Seine Worte hatten sich immer und immer wieder abgespielt in seinem Kopf. Er wollte sich auf seine Pflichten konzentrieren, wollte sich in solch einer wichtigen Zeit um sein Volk kümmern, doch sie hing wie dichter Nebel in der Luft, wohin er auch ging.
„Mein Beileid, wegen deiner Mutter", durchbrach Valaina das Schweigen und sah ihn ernst an. Er schluckte und antwortete nicht. Er hatte es ganz gut verdrängt. Der Kampf, in dem sie ihr Leben gelassen hatte, war nur noch einige Schemen in seinen Träumen. „Scheint, als hätten wir beide ein Elternteil verloren in den letzten Wochen", sagte sie, als würde es sie nicht groß treffen, doch diesmal musste auch sie den Blick abwenden.
Er sah überrascht auf und zögerte wieder. Woher hatte sie das gewusst?
„Ich habe so einiges erfahren im Palast", murmelte sie und rümpfte die Nase, um es nicht zu nah an sich heranzulassen. Da hatten die beiden wohl etwas gemeinsam.
„Tut mir leid", bekundete auch Legolas sein Beileid. Sie nickte bloß stumm.
Einige Sekunden standen sie still da. Keiner von beiden wusste, was er sagen sollte.
Schließlich erhob Valaina die Stimme: „Was wird nun mit der Allianz geschehen?"
Legolas atmete tief durch und warf einen Blick in die Richtung, aus der er gekommen war.
„Das ist schwer zu sagen. Mein Vater ist sehr unberechenbar seit... nun, du weißt schon", sagte er langsam und räusperte sich.
„Aber deine Mutter hat die Allianz unterstützt. Glaubst du nicht, dass er sich danach richten wird?"
Schon sah Legolas mit neuer Verwirrtheit auf. Wie viel wusste sie? Und vor allem: woher?
„Gerüchte, Gerüchte", sagte sie schnell, bevor er sich weiter darüber wundern konnte. In Wahrheit hatte sie sich an das Gespräch des Königspaars erinnert, das sie belauscht hatte, als sie ihre erste Nacht hier verbracht hatte.
„Hm, generell mag das stimmen, aber er hat viele Leute verloren und so geblendet er von dem Verlust auch sein mag, das hat auch er zu spüren bekommen", sprach der Prinz nachdenklich.
„Wer war diese Frau, mit der der König vorhin gesprochen hat?", fragte Valaina neugierig und nickte in die Richtung, in der das Zimmer lag, in dem die beiden wohl immer noch stritten.
„Botschafterin Luinmír. Sie ist sehr stolz und eigensinnig. Man könnte fast meinen sie wäre die Königin dieses Volkes, wenn man es nicht besser wüsste", brummte Legolas grimmig. Er mochte sie nicht sonderlich und war froh, dass nicht er derjenige war, der verhandeln musste.
Valaina musste an die Seite im Notizbuch denken, die sie vorhin gelesen hatte: Prinzessin: Thilien -> keine Thronfolgerin, aber regiert derzeit. Also gab es gar keine Königin und jemand regierte an ihrer statt.
„Aber das sind alles Dinge, von denen du in den nächsten Tagen sicherlich noch genug zu Ohren bekommen wirst. Erzähle mir lieber wo du die letzten Wochen gelebt hast und mit welchen Ausreden", wechselte Legolas das Thema und ging endlich los zu den Haupthallen. Valaina musste etwas verlegen lächeln und eilte schnell an seine Seite.
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