In der einen Sekunde
„Du wolltest mich sprechen?", begrüßte Vilya ihren Freund, als dieser die Tür öffnete. Er war offenbar gerade dabei gewesen schlafenzugehen, doch das war Vilya im Moment egal. Sie konnte sich nicht vorstellen diese Nacht noch zu schlafen, also brauchte sie eine Beschäftigung. Außerdem hatte Legolas sich zurück in ihre Gedanken geschlichen. Egal, was er gesagt hatte, sie konnte ihn nicht loslassen. Wie lange würde es wohl dauern ihn zu vergessen?
„Ich dachte, dass du dich zur Ruhe begeben hättest", murmelte Faenen und musterte sie von Kopf bis Fuß.
„Habe ich, und jetzt bin ich ausgeschlafen, also was gibt es?"
Er zögerte, schien abzuwägen, wie müde er selbst war, doch schien dann zu merken, dass etwas mit ihr nicht stimmte, also trat er einen Schritt zurück und ließ sie hinein.
„Setz dich", forderte er sie auf und zeigte auf einen kleinen runden hölzernen Tisch mit drei Stühlen.
Vilya kniff die Augen zusammen, doch tat wie geheißen. Sein Tonfall war sehr ernst.
„Es geht um...", er brach ab, seufzte und setzte sich neben sie. Fast schon etwas nervös starrte er auf seine Finger. Vilya hatte ihn noch nie nervös gesehen.
„Ich habe es dir auf der Reise hierher verschwiegen - und in der Nacht vor der Schlacht. Um ganz ehrlich zu sein, wusste ich es schon zurück im Palast, an dem Morgen, an dem wir losgezogen sind."
Nun krauste die Elbin misstrauisch die Stirn. Was konnte so schlimm gewesen sein, dass er es ihr derartig lange verschwiegen hatte?
„Vor der Schlacht wollte ich dich nicht mit noch mehr Sorgen beladen und danach... nun wollte ich, dass du überlebst", er lachte bitter auf und sah ihr wieder in die strahlend blauen Augen. „Es geht um deinen Vater."
Sie schluckte schwer, doch unterbrach ihn nicht. Sie hatte lange nicht mehr an ihren gewalttätigen Vater gedacht und hatte es nicht vermisst. Ihre Gedanken hatten sich vielmehr um ihre Mutter und Schwester gedreht, die ihm weiterhin ausgeliefert waren. Wenngleich er (ihres Wissens nach) niemals Hand an ihre Mutter gelegt hatte, so war er doch nie davon abgeneigt gewesen es ihrer Schwester gegenüber zu tun.
„Ich weiß nicht, wessen Befehl es war, doch dein Vater wurde gefangengenommen und in eines der Verliese im Norden gebracht. Die Begründung war wohl Hochverrat. Er wird dort verhört, doch bei solch einem Vergehen denke ich nicht, dass er lebend daraus herauskommen wird."
Vilyas Kinnlade klappte unwillkürlich nach unten. Sie starrte Faenen einige Sekunden sprachlos an, wartend, ob da noch etwas kommen würde, doch er schwieg.
Als er sich vorlehnte und die Hand nach ihr ausstreckte, sprang sie schnell auf und durchquerte den Raum.
Ihre Gedanken rasten. Das Gespräch mit Legolas in ihrem Dorf, kam ihr wieder in den Sinn. Sie hatte ihm gesagt, dass ihr Vater Spione im Palast hatte, dass er von der Schlacht wusste.
Auch als sie zum Winterfest in den Palast gekommen war, hatte sie mit Legolas noch einmal darüber gesprochen. Sie war der Grund, wegen dem ihr Vater zum Tode verurteilt worden war. Sie konnte nicht anders, als sich von Legolas verraten zu fühlen, doch was hätte er anderes tun sollen? Maruvan war offenbar gegen die Allianz mit dem Blauen Volk und wenn er einen Weg gesehen hätte, hätte er sie verhindert. Er hatte Spione im Palast, die ihm von geheimen Besprechungen berichteten. Das war nichts anderes als Hochverrat.
Doch er war immer noch ihr Vater, so schlecht er auch mit ihr umgegangen war, so viel Hass er ihr auch ihr Leben lang entgegengebracht hatte.
Vielleicht war es besser so. Egal, was mit Vilya geschah, ihre Schwester würde von nun an sicher sein und das war, was zählte.
Sie seufzte und drehte sich zu Faenen zurück.
„Du bist dir sicher?", fragte sie leise. Er nickte und sah sie weiterhin aus den großen mitfühlenden grünen Augen heraus an.
„Okay", sie machte eine Pause und starrte zu Boden, „okay."
Einem Teil musste schon immer bewusst gewesen sein, dass ihr Vater damit nicht ewig davonkommen konnte. Sie wusste nur nicht, wo dieser Teil war.
„Vilya", sagte Faenen leise und stand auf.
„Nein", schoss es sofort aus ihr heraus und sie hob abwehrend eine Hand. Sie wollte nicht, dass er sie umarmte, dass er sagte, dass er ihren Schmerz verstand, denn das konnte er nicht.
„Ich muss gehen", murmelte sie und hastete davon auf die Tür zu und hinaus auf den ruhigen, von weißen Lampen erleuchteten Gang. Sie hatte schon genug damit zu tun mit den Erinnerungen der Schlacht umzugehen, sie konnte nicht noch mehr Schmerz gebrauchen. Sie wollte nur für eine Sekunde wieder die Sorgen haben, die sie in ihrem Dorf gehabt hatte, bevor Legolas gekommen war. Nur für eine Sekunde.
Bevor sie selbst wusste, wohin sie auf dem Weg war, fand sie sich bereits vor der Tür Elrohirs wieder. Er hatte versprochen, dass er für sie da sein würde. Er kannte sie nicht, wusste nichts von ihrer Herkunft oder von Legolas. Er war, was sie gerade brauchte.
Schon ertappte sie sich beim Klopfen.
Wenige Sekunden später öffnete der gutaussehende braunhaarige Elb in einer weißen Robe. Er hatte noch etwas gearbeitet, doch sich bereits bettfertig gemacht.
„Hast du Wein? Du bist ein Bruchtalelb, du musst Wein haben", übersprang Vilya die Begrüßung und schob sich schon an ihm vorbei hinein in den Flur seiner Gemächer.
Elrohir lachte und schloss die Tür hinter ihr. „Was ist passiert?"
„Hast du Wein, oder nicht?", wiederholte sie einfach etwas gestresst.
„Ja", antwortete er endlich amüsiert kopfschüttelnd und führte sie ins Wohnzimmer. Eine große Fensterfront zeigte in die sternenerleuchtete Nacht. Davor stand ein langer viereckiger Holztisch mit einigen Stühlen. Auf ihm ein geklöppeltes Tischtuch mit Blumenmuster und einige Kerzen, die nicht brannten.
Auf der anderen Seite des Raumes standen einige Kästen und Vitrinen mit Büchern, Waffen oder Andenken aus fremden Ländern.
Gegenüber von Vilya befand sich eine Küchenzeile und neben ihr eine angelehnte Tür, die durch einen schmalen Schlitz das gemachte Bett des Schlafzimmers zeigte.
Alles war sehr aufgeräumt und mit silbern glitzernden Dingen oder Blumen verziert.
Als sie sich wieder auf Elrohir konzentrierte, kam dieser mit zwei Weingläsern und einer Flasche auf sie zu. Noch im Gehen befüllte er ihr Glas zur Hälfte und überreichte es ihr. Ohne zu zögern, schüttete sie das rote Gold in ihren Rachen und hielt ihm das leere Glas wieder hin.
Er hob überrascht seine Brauen, doch befüllte es wortlos abermals. Diesmal nahm sie bloß einige große Schluck und wandte sich dann ab.
„Also, was ist passiert?", fragte er, während er zum Tisch ging, um die Flasche abzustellen. Er selbst trank um einiges gemäßigter von seinem Glas.
„Nichts, ich brauche nur eine Ablenkung", wehrte sie ab und hatte bereits das zweite Mal ihren Wein leergetrunken, weshalb sie nun selber zur inzwischen nur mehr zu einem Viertel vollen Flasche ging, um sich nachzuschenken.
„Du solltest etwas langsamer trinken", warnte Elrohir sie, der die starke Wirkung nur zu gut kannte.
Sie hielt ein und warf einen bösen Blick über die Schulter. „Glaub mir, sollte ich nicht", antwortete sie und drehte sich dann zu ihm zurück. Die Flasche war nun leer.
„Was hat Faenen gesagt?", fragte Elrohir etwas ernster und kam auf sie zu, um ihre Hand ruhig, doch bestimmt zu senken. Sie sah in die glänzend grauen Augen, die sie schon einmal überredet hatten, sich ihm gegenüber zu öffnen, doch diesmal widerstand sie.
„Hast du schon einmal etwas von einem Blauen Volk gehört?", fragte sie einfach. Sie konnte nicht bestreiten, dass sie bereits ein ganz leichtes Dröhnen in ihrem Kopf bemerkte.
Er runzelte die Stirn. „Ein Blaues Volk?", fragte er etwas verwirrt nach.
„Ja, ein Volk, das angeblich so viel besser, größer und stärker ist als wir alle zusammen", zählte Vilya übertrieben auf und ging an ihm vorbei zurück in die Mitte des Raumes, wo sie das Glas hoch in die Luft hielt, um ihren Worten mehr Ausdruck zu verleihen.
Elrohir sah von ihrem Gesicht zu dem Wein und zurück. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen.
„Nein habe ich nicht und ich habe auch nicht das Gefühl, dass du mit mir darüber reden solltest", antwortete er ruhig und trank ebenfalls weiter.
„Das ist das Problem! Ich darf über gar nichts reden! Mit nichts und niemandem, aber mit mir redet auch niemand. Ich weiß viel, aber ich weiß nicht, warum ich es nicht wissen darf!"
Der Prinz hob verwirrt eine Augenbraue und versuchte ihr zu folgen. Sie nahm abermals einen großen Schluck, der sie in ihrem Redefluss stoppte.
Elrohir, der sein Glas inzwischen auch geleert hatte, stellte es auf ein Regal neben ihm und kam wieder näher.
Sie wandte sich schnell ab und ging zu dem Kasten, aus dem er vorhin die Weinflasche geholt hatte.
„Vilya", warnte er sie und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sie stand vor einer großen Sammlung der verschiedensten Weine. Auf die Berührung fuhr sie herum, wobei sie ihn fast mit ihrem restlichen Wein bekleckert hätte, und sah auf in seine Augen.
„Und dazu kommt noch, dass ich in jemanden verliebt bin, den ich niemals haben werde, niemals. Ich habe sogar das Waldlandreich verlassen, um ihn zu vergessen!" Die Wirkung war inzwischen so stark geworden, dass sie eindeutig die Kontrolle über einige ihrer Bewegungen verloren hatte. Vermutlich hatte Elrohir Recht und sie sollte nicht noch eine Flasche öffnen, doch genauso genoss sie das Gefühl ihre Sorgen für diese Sekunde loslassen zu können.
„Aber weißt du, was ich stattdessen hinter mir gelassen habe? Meine Freunde und Familie!", sie entfloh ihm wieder. „Faenen ist ein ganz guter Weggefährte, aber auch er hat offenbar nichts Besseres zu tun gehabt, als mich die ganze Reise über anzulügen!" Wieder schwenkte sie den Wein über ihrem Kopf umher, sodass Elrohir etwas belustigt nähertrat und ihn ihr aus der Hand nahm.
„Inwiefern hat er dich angelogen?", fragte er, während er es auf den Tisch neben die leere Flasche stellte.
„Okay, angelogen ist vielleicht ein wenig übertrieben, aber er will mir meine Antworten nicht...", sie brach ab und senkte verwirrt den Blick. Sie hatte die Übersicht über ihren Satz verloren. Wie hatte sich dieses Antworten dahingeschlichen? Und was hatte sie eigentlich sagen wollen?
„Deine Fragen nicht beantworten?", half Faenen ihr amüsiert auf die Sprünge und blieb knapp vor ihr stehen. Sie sah auf und lachte. „Danke." Plötzlich wurde sie um einiges ruhiger. Seine sturmgrauen Augen waren so nah und glänzten so sehr, dass Vilya Mühe hatte einen klaren Gedanken zu fassen. Wahrscheinlich hatte der Wein auch viel damit zu tun, doch eine Anziehung dem gutaussehenden Elben ihr gegenüber konnte sie auch ganz deutlich spüren.
Elrohir legte den Kopf etwas schief und schien nicht ganz zu verstehen, worüber sie nachdachte. Doch bevor er nachfragen konnte, stellte sie sich bereits auf die Zehenspitzen und küsste ihn.
Er nahm sie schnell an den Armen und drückte sie von sich weg. „Du bist betrunken", sagte er belustigt, doch ließ sie noch nicht los.
„Und?", fragte Vilya bloß schulterzuckend.
„Du wirst das hier morgen bereuen", erklärte Elrohir sachlich, wobei er selbst merkte, wie das Glas Wein sein Urteilsvermögen beeinflusste. Sie war süß, sah wirklich gut aus, doch er würde keine betrunkene Frau ausnutzen.
„Das glaube ich nicht", sagte sie ernst und sah ihm entschlossen in die Augen.
„Dann eben, wenn du denjenigen wiedersiehst, den du nicht haben kannst", lächelte er. Er hatte schon fast vergessen, dass seine Hände an ihren schlanken Armen lagen.
„Ich denke die Antwort darauf, hast du dir gerade selbst gegeben", lachte Vilya und legte ihre Hände an seine Brust, als würde sie sich nur anlehnen wollen.
„Vilya", sagte er leise. Sie reckte bloß das Kinn in die Höhe und sah ihn erwartungsvoll an. „Du bist Faenens Freundin."
Sie verdrehte die Augen. „Er ist nicht hier und ich werde es ihm nicht erzählen."
Er schluckte schwer und wandte den Blick ab. Warum musste sie auch so gut aussehen. Sie war wie eine verbotene Frucht. Faenen würde sicherlich nicht glücklich sein, wenn er hiervon wüsste. Nicht, dass Elrohir mit allen seinen Freundinnen bis jetzt geschlafen hätte - doch ein paar waren es schon.
Sie fuhr langsam mit ihren Händen nach oben zu seinem Nacken, wobei die seinen von ihren Armen fielen und unwillkürlich ihre Hüfte streiften, wo sie wie von selbst hängenblieben.
„Faenen und ich werden bald abreisen. Und das hier ist nichts Ernstes", flüsterte sie und zog sich an ihm hoch. Sie war so nah, dass ihre Lippen sich um einen Haarbreit nicht berührten.
Weiterhin zögerte er, sah in ihre blauen Augen und wurde von ihrem süßen Duft um den Verstand gebracht.
„Ach, was solls", hauchte er etwas genervt und zog Vilya in einen intensiven Kuss, der ihr einen heißen Blitz durch den ganzen Körper jagte.
Er ließ seine Hände auf ihr Hinterteil wandern und hob sie hoch. Sie schlang ihre Beine um seinen Oberkörper und legte ihre Arme in seinen Nacken, während er sie in Richtung seines Schlafzimmers trug.
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