Eine unmögliche Entscheidung
„Hat es etwas mit den Eglath zu tun?", fragte Vilya beiläufig. Sie waren bereits einige Tage in sehr hohem Tempo unterwegs gewesen und befanden sich nun auf der Zielgeraden zum Palast. Jedes Glied schmerzte, sie hatte gelernt während dem Reiten zu schlafen. Die gleichmäßigen Bewegungen des Pferdes hatten ihr tatsächlich einige Stunden Schlaf ermöglicht, besseren Schlaf als den, den sie auf ihren Rasten gehabt hatte.
Faenen antwortete nicht und starrte stur geradeaus. Sie hatten nicht viel gesprochen und wenn, dann nur praktische Dinge wie ‚Wir reiten jetzt weiter' oder ‚Hast du Hunger?'.
„Sie wollen sich den Verhandlungen anschließen", überlegte Vilya weiter. Sie galoppierten nur träge, da die Tiere müde waren und den ganzen Tag und die Nacht davor keine Pause bekommen hatten. Sie waren gut ausgebildete, verzauberte Pferde aus Bruchtal, die die Elben ohne Sattel ritten, doch auch sie, wurden irgendwann müde.
Nun warf Faenen ihr einen etwas genervten Blick zu.
„Ich muss spekulieren, wenn du mir nichts sagen willst", brummte sie beleidigt.
„Wie wäre es, wenn du es einfach auf dich zukommen lässt?", antwortete er grimmig.
„Du hättest mir wenigstens sagen können, wohin wir reiten", zischte Vilya, der natürlich klar gewesen war, wohin der Weg sie führte, doch sie hatte es niemals wirklich eindeutig gesagt bekommen.
„Zum Palast – ganz offensichtlich."
Sie verkrampfte sich etwas. „Ja, zu dem Ort, vor dem wir vor noch wenigen Wochen aktiv geflohen sind. Denkst du nicht, dass du mir einige Antworten schuldig bist?"
Er verlangsamte sein Pferd und blieb schließlich ganz stehen. Das Pferd schnaubte erlöst und schüttelte sich leicht, bevor es sofort in einen Halbschlaf fiel.
Vilyas Reittier tat dasselbe, sobald sie neben ihm zum Stehen kam.
„Du hast recht, es tut mir leid, auch das, was in Bruchtal passiert ist, tut mir leid. Ich sage nicht, dass ich etwas bereue oder anders gemacht hätte, aber es war nicht leicht für dich und das ist meine Schuld. Wenn du Legolas nicht wiedersehen willst, kann ich das gut verstehen, dann reite zu deinem Dorf und schicke das Pferd zum Palast, wenn du dort angekommen bist. Ich werde sicherlich nicht mit offenen Armen empfangen werden und du auch nicht, wenn du an meiner Seite bist", sagte er ernst und sah ihr fest in die blauen Augen, die sie schnell abwandte. Jetzt war sie schon so weit mit ihm gereist, es fühlte sich komisch an, ihn so einfach hinter sich zu lassen. So viel er ihr auch verschwiegen hatte und auch weiterhin verschwieg, er hatte es getan, um ihr Wohlergehen sicherzustellen. Er war ein guter Freund, auch wenn sie das nicht oft sehen wollte.
„Nein, ich bin zur Hälfe Nanór. Ich werde mitkommen und sehen, welches Schicksal mein Volk haben soll", sagte sie schließlich entschlossen und strich sanft über den Hals ihres Pferdes, das schnell aufschreckte.
„Wir sind bald da", murmelte Faenen zu dem seinen und ergänzte noch einen kleinen Zauberspruch, der ihnen den letzten Funken Energie gab, den sie noch brauchten.
Im Palast angekommen, herrschte reges Treiben. Die Wachen waren verdoppelt und einiges an Verzierungen hingen wieder über den Eingängen und in den Haupthallen. Sie waren klein gehalten, doch erkennbar. Die Zeit des Trauerns war offenbar vorbei. Etwas wie ein Fest oder eine Versammlung fand statt.
Als die beiden eintraten, erkannten sie auf Anhieb mindestens fünfzig ganz in Blau gekleidete Elben. Ein Teil befand sich in Kriegsrüstung (wohl Überlebende von der Schlacht) und ein anderer steckte in weichen, galanten Kleidern oder Mänteln, die für Reisen oder Feste gemacht waren.
„Die Auserwählten wurden zusammengerufen", murmelte Faenen, der wie versteinert stehengeblieben war. Vilya sah ihn etwas verwirrt an.
„Die Auserwählten?", fragte sie nach. Auf den zweiten Blick zogen sich die Nanór bis weit in den Palast hinein. Viele hielten Weingläser oder gutes Essen in der Hand, andere waren in Gespräche mit Waldelben vertieft.
„Nanór-Elben, die auserwählt wurden, um im Waldlandreich zu leben. Deine Mutter war eine von ihnen", erklärte Faenen und löste sich langsam aus seiner Starre. Die vielen Gesichter riefen in ihm Kindheitserinnerungen zurück. Einige kannte er noch von den Verhandlungen oder aus dem Schloss in Sain Amdir, dem Reich der Nanór.
„Tu mir einen Gefallen: Wenn wir meine Mutter sehen, hole mich so schnell wie möglich von ihr weg. Ich will nicht über meinen Vater sprechen", sagte Vilya leise und folgte ihm ins Getümmel.
Tatsächlich dauerte es keine Minute, bis von einer kleinen Gruppe von Elben ein „Vilya!" ertönte. Die große blonde Elbin trat daraus hervor und rannte mit offenen Armen auf ihre Tochter zu.
„Bei den Valar, es geht dir gut!", rief sie erleichtert und umarmte sie stürmisch. Vilya musste ebenfalls etwas lächeln. Sie hatte ihre Mutter vermisst und oft darüber nachgedacht, wie es ihr wohl mit dem Verlust ihres Mannes ging.
„Was ich Prinz Faenen zu verdanken habe", sagte sie, als sie endlich losgelassen wurde, und deutete auf ihren Freund, der unsicher neben ihr stand. Valanya zögerte einen Moment, musterte den Braunhaarigen, doch lächelte schließlich.
„Ich danke Euch." Faenen nickte bloß. Sie wusste sehr genau wer er war. Er hatte nicht erwartet, dass sie ihn mögen würde.
„Dann nehme ich an, dass Valaina hier auch irgendwo herumläuft", stellte Vilyas Mutter erleichtert fest und sah sich um. Vilya runzelte die Stirn.
„Valaina?", wiederholte sie etwas verwirrt.
„Ja, sie ist euch zwei Tage, nachdem ihr abgereist seid, gefolgt. Ich hatte angenommen, dass sie hier bei dir geblieben ist." Die Schülerin sah hilfesuchend zu Faenen, der genauso wenig wusste, wie sie selbst. Doch bevor Vilya etwas sagen konnte, hörte sie bereits ein „Mama!" hinter sich und wurde zur Seite gestoßen.
Valaina sprang in die Arme ihrer Mutter, welche sie sofort hochhob und an sich drückte.
„Valaina, ich bin so froh euch beide zu sehen. Ich habe mir solche Sorgen gemacht mit dem Krieg und allem", murmelte Valanya in die dunklen Haare ihrer Tochter, welche schon wieder so stark zappelte, dass sie auf den Boden gesetzt wurde. Ihre Augen weiteten sich ein Stück, als sie ihre Mutter von oben bis unten musterte. Sie steckte in einem blau glitzernden Kleid, das ihr wie angegossen passte. Vilya bemerkte, dass mit diesem Kleid offenbar auch ein neues Selbstbewusstsein gekommen war, denn so hell hatten die blauen Augen Valanyas lange nicht mehr geleuchtet.
„Also ist es wahr, dass du auch zu dem Blauen Volk gehörst", stellte Valaina fasziniert fest. Ihre Mutter wusste nicht so recht, was sie antworten sollte.
„Ich werde es euch später genauer erklären. Jetzt sollten wir erst einmal an einen etwas ruhigeren Ort gehen. Ich muss euch etwas sagen", befahl sie in einem ersteren Tonfall.
„Ich hoffe das kann noch warten. Vilya und ich wurden zu Legolas gerufen. Es ist wichtig und hat mit den Verhandlungen zu tun", mischte Faenen sich schnell ein. Valanya schien nicht sonderlich erfreut, doch nickte. Es war immerhin auch ihr Volk, mit dem verhandelt wurde.
Schon zogen die beiden sich zurück. „Danke", raunte Vilya ihm leise zu.
Valanya und Valaina betraten einstweilen die etwas ruhigeren Gänge im Nordteil des Palastes.
„Ich bin froh, dass es dir gut geht, aber du kannst niemals wieder einfach so weglaufen, hast du mich verstanden?", fragte Valanya einfühlsam und blieb stehen. Ihre Tochter wandte den Blick ab.
„Ich wollte etwas erleben und Vilya durfte schließlich auch gehen", murrte sie leise und spielte mit ihren Fingern.
„Vilya ist einige Jahre älter als du. Außerdem hätte sie genauso wenig alleine gehen dürfen. Ich weiß, dass du sehr viel kannst und eine besondere junge Frau bist, aber derartige Unternehmungen müssen noch etwas warten", lächelte ihre Mutter und nahm die kleine Hand in die ihre.
„Wenn du das weißt, warum hast du Vilya und mir dann nie erzählt, von welchem Volk du stammst?", fragte Valaina etwas beleidigt.
„Es war mir nicht erlaubt darüber zu sprechen. Nicht einmal mit meinen eigenen Kindern", erklärte Valanya sanft und strich ihr über die blasse Wange. Bevor das Mädchen etwas antworten konnte, näherten sich ihnen Schritte. Es waren zwei hochgewachsene Elben. Etwas an ihnen ließ Valaina leicht erbeben. Der eine hatte tiefschwarze Haare, die auf eine starke Brust fielen. Er trug gewöhnliche Waldelbenkleidung, die ihm nicht sehr gut passte. Die starken Oberarme, deren Muskeln nur vermuten ließen, über wie viel Kraft der Elb tatsächlich verfügte, waren fast etwas zu eng, während die Ärmel zu kurz und der Mantel ein Stück zu lang waren.
Seine Augen hatten ein stechendes Grau, das einem bis in die Seele zu blicken schien. Er war sehr ruhig und entspannt, doch hatte auf merkwürdige Weise die Kontrolle über jede Situation, selbst, wenn gar nichts Wichtiges passierte.
Der andere hielt sich ein Stück hinter ihm. Sein Haar war ebenso dunkel, sein Blick eiskalt. Das Zeitlose in seinem Gesicht ließ vermuten, dass er schon ganze Schlachten alleine geschlagen hatte, und dabei bloß mit einer Narbe über dem linken Auge davongekommen war.
Als die beiden näherkamen, musterte Valanya den Vorderen etwas verwirrt. „Tut mir leid, kennen wir uns?", fragte sie, als sie vor ihnen zum Stehen gekommen waren. Valaina war immer noch überwältigt von der Ausstrahlung der Krieger vor ihr. Sie war sich sicher, dass sie keine Waldelben waren. Denn diese hatten maßgeschneiderte Kleidung und außerdem kannte sie jeden solch mächtigen Elben nach den vier Wochen, die sie hier verbracht hatte.
„Ich denke nicht, dass wir uns schon einmal begegnet sind. Aber ich hätte einige Fragen, wenn ihr nichts dagegen habt", antwortete der Elb mit tiefer, angenehmer Stimme.
„Fragen?", wiederholte Valanya etwas verwirrt. Valaina hatte inzwischen ein Schwert am Gürtel des Anführers entdeckt. Das Heft war ganz aus Gold und wies einige Gravuren und Verzierungen auf. So auch die Schwertscheide.
„Das ist aber ein schönes Schwert! Darf ich?", rief sie aufgeregt und fasste schon nach dem Heft. Der Kämpfer zuckte sofort etwas zurück und legte sorgsam eine Hand auf die Waffe, sodass sie an ihrem Platz blieb, doch auch Valanyas Aufmerksamkeit war damit auf seinen Gürtel gerichtet worden. Ihr Blick haftete für einen Moment an dem Zeichen der Schwinge, dann taumelte sie atemlos einen Schritt zurück und riss die Augen weit auf.
Der Elb knurrte genervt und warf seinem schweigsamen Begleiter einen Blick zu. „Scheint, als müssten wir das hier doch auf die alte Art regeln", seufzte er und öffnete eine unscheinbare Tür neben ihnen. Es war eine Art Abstellraum.
Sein Begleiter zog gelassen das Schwert, während die beiden Elbinnen noch zögerten.
„Ich denke nicht, dass ich die Situation weiter erklären muss."
Valanya schluckte schwer und schob ihre Tochter vor sich her in die Kammer. Mit einem lauten Knall fiel die Tür hinter den Vieren zu.
Einige alte Stühle standen darin, ebenso wie Regale, die mit Besen, Wischmopps und halb leeren Weinflaschen gefüllt waren.
Ohne ein weiteres Wort, machte die Wache sich daran, Valainas Mutter an einen der Stühle zu fesseln. Valaina selbst kauerte sich indessen in eine der Ecken. Ihre langen dunkelbraunen Haare fielen ihr über die dünnen Arme, sodass man außer Haaren und herausstechenden blauen Augen, kaum etwas erkennen konnte.
„Also, warum findet da draußen ein Fest statt? Was gibt es zu feiern?", fragte der große Elb ruhig und trat mit verschränkten Armen näher.
„Du bist Maethorn, der Heerführer der Eglath, nicht wahr?", knurrte Valanya mit hasserfüllten Augen.
Er seufzte und deutete seinem Mann zurückzubleiben. „Ja, der bin ich, und ich bin es gewohnt, dass meine Fragen beantwortet werden, also würde ich dir raten meine Erwartungen zu erfüllen."
Valaina sah wieder auf und musterte den Heerführer interessiert. Langsam fügten sich die Bruchstücke, die sie die letzten Wochen über erfahren hatte, zu einem großen Ganzen zusammen.
„Ich werde dir gar nichts sagen", fauchte ihre Mutter und riss an den Fesseln, was nichts bewirkte.
„Komm her, Kleine", befahl Maethorn und streckte seine Hand nach Valaina aus. Diese zögerte einen Moment, doch erhob sich dann langsam und kam zu ihm.
„Also, ich frage nochmal: Gibt es einen Anlass zu feiern?", wiederholte er und legte eine Hand auf die Schulter der kleinen Elbin. Diese schlug sie sofort weg und sah ihn mit feurigem Blick an. Seine Mundwinkel zuckten amüsiert, doch er beließ es dabei.
Valanya riss noch etwas stärker an ihren Fesseln. „Fass sie nicht an!", knurrte sie wütend und bohrte ihre Fingernägel in das Holz der morschen Armlehnen.
„Dann beantworte mir meine Fragen", verlangte Maethorn seelenruhig. Sie zögerte immer noch, aber der Blick auf ihre Tochter, ließ sie weich werden. „Es wurde noch nichts beschlossen, falls du das wissen willst. Wir sind nur versammelt, weil die Verhandlungen heute oder morgen beendet sein sollen."
Er nickte zufrieden und legte den Kopf etwas schief. „Und welche Feinheiten müssen noch geklärt werden?"
„Ich werde dir keinen Weg sagen, die Allianz zu verhindern", zischte Valanya, worauf Maethorn einen Schritt näherkam. Angst flimmerte in ihren Augen auf. Sie hatte Geschichten gehört über ihn, Geschichten, die sie nicht am eigenen Leib zu erfahren brauchte, um sie zu glauben.
„Was mir sagt, dass du einen weißt", schlussfolgerte der Elb gefährlich und legte seine Hand auf sein Schwert. Valanya hielt den Atem an, doch sie würde kein Wort sagen. Ihre Loyalität zu ihrem Volk war zu groß.
„Der Heiratsvertrag!", rief Valaina plötzlich dazwischen, bevor er ihrer Mutter etwas antun konnte.
„Valaina!", rief ihre Mutter schockiert. Maethorn lächelte triumphierend und drehte sich um.
„Er hätte uns doch sonst beide umgebracht", antwortete das Mädchen, das in Wahrheit nur nicht dabei zusehen hatte können, wie ihre Mutter gefoltert würde.
„Schlaues Mädchen", sagte der Heerführer und hockte sich zu ihr hinunter. „Wovon weißt du noch?"
Seine Stimme konnte man schon fast als nett bezeichnen. Kinder hatte er in seinem Leben nur sehr selten verhört. Er wusste, dass sie ganz andere Druckpunkte hatten als Erwachsene.
„Valaina, nicht, er wird dich trotzdem...", weiter kam ihre Mutter nicht, denn Mîthtan stopfte ihr schon einen grauen Fetzen in den Mund.
Das Mädchen sah mit großen Augen zu dem Elben vor ihr auf und zögerte. Er griff in seine Manteltasche und holte einen Smaragd hervor, der Valainas Hand komplett ausgefüllt hätte. Auf einer Seite war er abgeflacht worden, um dort den Umriss eines Flügelpaares hineingraviert zu bekommen.
Die Augen des Mädchens leuchteten hell auf, als sie ihn betrachtete.
„Du kannst ihn haben, wenn du mir sagst, was ich wissen will", lächelte Maethorn und hielt ihn ihr hin. Die Kleine sah wieder besorgt zu ihrer Mutter.
„Valaina", lenkte er ihre Aufmerksamkeit zurück auf sich, „es kommt nicht oft vor, dass ich Personen mit positiven Mitteln zum Reden motiviere." Sie sah ihm einige Sekunden in die grauen Augen.
„Und warum tust du es? Sollte der drohende Tod meiner Mutter nicht genug Druckmittel sein?", antwortete sie mit einer Ernsthaftigkeit, die er ihr nicht zugetraut hatte. Überrascht hob er die Brauen. „Sag du es mir", erwiderte er und wartete interessiert auf ihre Reaktion. Es war wirklich beeindruckend, dass sie in solch einer Situation noch so rational denken konnte. Selbst Erwachsene hatten damit Schwierigkeiten.
Sie zögerte wieder, doch griff schließlich schnell nach dem Juwel in seiner Hand. Warum sollte sie es auch ausschlagen? Er musste amüsiert lächeln.
„Der König zögert die Allianz einzugehen, weil seine Frau in der Schlacht am Gundabad erschlagen wurde und er mit ihr noch viele weitere Männer verloren hat. Andererseits sieht er auch, dass es keinen Sinn hat dieses große Opfer, ohne tieferen Sinn zu erbringen, was wiederum für die Allianz sprechen würde", sprudelte es aus ihr hervor. Er hielt ein breiteres Lächeln zurück. Sie war nicht dumm, sie musste selbst damit etwas bezwecken, doch er wusste noch nicht so genau, was es war.
„Woher weißt du das alles?", fragte er ruhig. Nun klappte ihr Mund zu. Sie biss sich auf die Lippe und sah zu ihrer Mutter.
„Willst du es mir nicht sagen, weil sie es hören könnte?"
Valaina nickte leicht. Sie würde schon genug Ärger am Hals haben, auch ohne, dass ihre Mutter wusste, woher sie all diese Informationen hatte.
Maethorn richtete sich zu voller Größe auf und deutete ihr ihm zu folgen. Zusammen gingen sie zurück zur Tür und damit außerhalb der Hörweite ihrer Mutter.
„Ich habe die letzten vier Wochen hier gewohnt und alle Gerüchte und Geschichten gehört. Außerdem habe ich Wege ziemlich nah an den König heranzukommen und somit einige Besprechungen belauscht", flüsterte das Mädchen und warf einen Blick zurück zu ihrer Mutter und der Wache.
„Ich verspreche dir, dass ich deiner Mutter nichts davon erzählen werde", lächelte Maethorn, worauf sie knapp nickte.
„Solange du sie nicht umbringst", murmelte sie leise. Er schnaubte und sah ebenfalls nach hinten. So einfach würde das nicht werden. „Wie viele Elben hast du schon umgebracht?", fragte Valaina plötzlich. Er blickte sie etwas überrascht an.
„Es macht mir keinen Spaß zu Morden, es ist nur ein Mittel zum Zweck", erklärte er schließlich.
„Das ist keine Antwort. Als jemand, der so erpicht darauf ist, Antworten von anderen zu erhalten, bist du schlecht darin, selbst welche zu geben", stellte Valaina mit hochgereckter Nasenspitze fest.
Er lächelte wieder. Sie gefiel ihm. Sie hatte nicht zu große Angst vor ihm, doch gesunden Respekt. Sie verstand die Situation, genauso wie sie es verstand ihren kindlichen Vorteil auszunutzen.
„Vielleicht liegt das daran, dass ich hier die Macht habe", erwiderte er.
„Informationen sind Macht und ich habe die Informationen", schoss Valaina sofort zurück.
„Herr, dafür haben wir keine Zeit, bringen wir sie einfach um", mischte die Wache sich zum ersten Mal ein und trat einen Schritt auf sie zu. Maethorn hob seine Hand, um ihm zu deuten zurückzubleiben, dann holte er einen Dolch hervor.
„Ich habe eine Waffe, ich bin größer, älter und stärker als du. Ich könnte dich und deine Mutter mit einem Satz töten, genauso, wie ich euch auch zum Reden bringen kann. Das, Kleine, ist Macht", erklärte er ruhig, doch sie war immer noch nicht eingeschüchtert.
„Ob ich rede oder nicht, ist immer noch meine Entscheidung", sagte sie stur. Der Elb ließ die Waffe sinken und dachte über eine neue Erklärung nach. Die Abwechslung machte ihm Spaß.
„Schließlich werdet ihr mich und meine Mutter sowieso umbringen", ergänzte Valaina.
„Wenn du dieser Meinung bist, warum hast du dann überhaupt etwas gesagt?", fragte er sofort. Sie zögerte einige Sekunden.
„Wir können uns gegenseitig helfen", sagte sie schließlich. Er hob seine Brauen und lachte. „Wir vertrauen einander nicht. Das ist keine gute Basis für einen Handel." Er würde sich nicht auf ein kleines Kind verlassen und sie konnte ihm nicht vertrauen, dass er sie nicht doch noch umbrachte.
„Nun ich für meinen Teil habe keine andere Wahl, du hast die Waffe", sprach Valaina schulterzuckend.
„Was ist deine Motivation?"
„Ich will nicht, dass Legolas diese fremde Prinzessin heiratet."
„Warum?"
Sie zögerte lange und verschränkte die dünnen Arme. Sie wollte nicht wirklich antworten. „Das ist meine Sache", erklärte sie stur.
„Ist es nicht, wenn ich mich darauf verlassen muss", erwiderte Maethorn streng. Seine Augen sahen sie so intensiv an, dass sie den Blick brennen spüren konnte.
„Meine Schwester ist in ihn verliebt und er in sie. Ich will, dass die beiden zusammen sein können."
Er stutzte überrascht, doch nickte verstehend. Das hatte er nicht erwartet.
„Gut", sagte er einfach und richtete sich wieder auf. Mit dem Dolch in der Hand ging er nach hinten zu Valanya.
„Nein, warte, was tust du?", fragte Valaina sofort panisch und folgte ihm.
„Ich habe nicht viele Leute hier und ich kann keinen von ihnen abstellen, um auf deine Mutter aufzupassen", erklärte der Elb, doch blieb noch einen Moment stehen.
„Aber sie ist meine Mutter", widersprach das Mädchen ungläubig.
„Ich habe keine Wahl, Kleine." Er zögerte und dachte einen Moment nach. Ein Gedanke war ihm gekommen.
Er riss Valanya den Fetzen aus dem Mund. Sie atmete schwer und starrte ihn aus hasserfüllten Augen heraus an.
„Willst du deine Tochter lieber tot oder bei mir sehen?", fragte Maethorn kühl, worauf Angst in ihren Augen aufflackerte.
„Du kannst eine Mutter nicht vor diese Wahl stellen", hauchte sie verzweifelt.
„Doch, das kann ich. Ich frage dich, ob dir die Liebe zu deinem Kind oder deine Loyalität zu deinem Reich mehr bedeutet", erwiderte er ernst. Sie schluckte schwer und sah zu Valaina, welche still einige Schritte hinter dem Heerführer stand.
„Maethorn, wir sollten uns wirklich nicht so lange mit diesen beiden aufhalten", knurrte die Wache wieder genervt.
„Geh Maltlass suchen und sieh, was er erreicht hat", befahl sein Vorgesetzter einfach, ohne ihn anzusehen. Der Elb rümpfte beleidigt die Nase, neigte brav seinen Kopf und verschwand.
„Ich warte noch auf eine Antwort", drängte er Valanya. Diese sah mit Tränen in den Augen auf. „Ich würde sie lieber in den sicheren Hallen Mandos' sehen als in den Fängen meiner Todfeinde", knurrte sie entschlossen. Maethorn nickte und warf einen Blick zu Valaina, die einige Schritte zurückwich. Sie wollte nicht sterben, ihre Mutter hatte nicht das Recht ihr diese Wahl abzunehmen!
Doch der Elb drehte sich wieder zurück zu Valanya und stieß ihr, ohne weiteres Zögern, den Dolch in seiner Hand tief in den Brustkorb. Sie riss den Mund auf, um zu schreien, doch kein Ton kam über ihre Lippen. Ihr Körper erzitterte kurz, dann erschlaffte er.
Der Elb zog seine Klinge wieder heraus, streifte sie an der Schulter seines Opfers ab, und steckte sie wieder ein. Er drehte sich zurück zu Valaina, die nun ganz bis zur Tür zurückgewichen war und Tränen in den Augen hatte.
Mit schweren Schritten, von denen jeder etwas langsamer wurde, trat er knapp vor sie und sah auf sie herab.
„Du hast die Wahl: der Tod oder mir zu helfen. Doch ich warne dich, wenn du mir hilfst, wirst du dein Volk verraten und vielleicht nicht hierbleiben können."
Sie strich sich die Tränen entschlossen weg. „Mein Volk sind die Waldlandelben, nicht irgendwelche Leute, die ich erst heute kennengelernt habe."
Maethorn nickte und holte ein Messer aus der Innenseite seines Mantels hervor. Es war recht kurz und der Griff war mit vielen Symbolen des Himmels verziert.
„Mein Vater hat es mir geschenkt, als ich noch ein kleiner Junge war. Nur wenige Tage darauf wurde mein Dorf, ohne Provokation, angegriffen von demselben Volk, das nun hier nach einer Allianz sucht. Mein Vater wurde vor meinen Augen ermordet. Ich bin noch hier, ich habe seinen Verlust überlebt, das wirst du auch tun." Er hielt ihr den Griff hin. „Es hat niemals Blut gesehen. Wenn du es bei dir trägst, werde ich dir nichts antun."
Sie blickte einen Moment auf das Messer, dann hinauf in die grauen Augen.
Entschieden umfasste sie den Griff.
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