Kapitel 33
Adrian hatte ein ernstes Problem.
Seine Notfalltasche hatte sich geleert.
Wie sollte er das der Süßen erklären?
Er musste in sein Asyl-Zuhause, Nachschub einpacken.
Vielleicht sollte er einfach Fakten schaffen, heimfahren, packen, sie vor vollendete Tatsachen stellen?
Wenn sie es als übergriffig empfand, konnte er ja alles wieder in sein Auto laden.
Er fuhr sich wie so oft in den letzten Tagen durch seine Haare.
Mein Gott!
So eine Beziehung war schon echt kompliziert!
Das schaffst du schon! Sie ist es wert! säuselte die Stimme in seinem Kopf.
Du bist ein elender Verräter! maulte er.
Nein, nein! Ich stehe auf der richtigen Seite! Ich habe doch auch nicht gewusst, welche das ist! bekam er zu hören und grinste.
Er machte eher Schluss und fuhr in seinen Heimatort.
Auf dem Gehsteig traf er auf Patrick, der zwei schwere Koffer schleppte.
„Verreist du?" fragte er überrascht.
Der Bruder verdrehte die Augen. „Ihr beide habt echt Kommunikationsprobleme!"
„Ha?" Adrian verstand nur Bahnhof.
Da berichtete ihm Patrick von Alinas Anruf, und sein Herz flatterte, raste, überschlug sich.
„Und jetzt?" fragte er, dümmlich grinsend.
„Bleibt einfach bei der Wahrheit! Nimm deine Sachen und hau ab! Sag ihr, wie es gelaufen ist!" schlug der ältere Bruder vor.
Glücklicher war Adrian noch nie 30 Kilometer gefahren.
Die Süße!
Hatte sie ihm da vielleicht einen Liebesbeweis erbracht?
Der riesige Strauß auf dem Beifahrersitz brachte ihn zum Lächeln.
Noch nie hatte er für eine Frau rote Rosen gekauft.
Sie wird die Geste schon verstehen.
Alina wollte eigentlich eher Feierabend machen.
Sie konnte sich sowieso nicht auf die Arbeit konzentrieren.
Hatte sie einen Fehler gemacht?
War es zu früh für ihre Initiative gewesen?
Hatte sie übergriffig gehandelt?
Doch dann rief sie sich zur Räson.
Sie wollte sich doch nicht mehr anpassen!
Verbiegen lassen!
Sie wollte aus dem Bauch heraus handeln und reden!
Machte sie dabei einen Fehler – na und!
Bügelte sie eben den Fehler wieder aus!
Wenn er nicht verstand, war er vielleicht doch nicht der Richtige.
Als sie gerade entnervt ihre Sachen zusammenpacken wollte, stellte Stefan ein Gespräch vom Chef durch.
„Frau Dr. Arnheim! Haben Sie dran gedacht? Nächste Woche können wir die neuen Räume im Osten beziehen. Am Montag kommen die Jungs von der Umzugsfirma. Vielleicht könnten Sie heute Ihre persönlichen Sachen in Sicherheit bringen!" tönte er fröhlich.
Sie verdrehte die Augen.
Das hätte ihm auch ein bisschen eher einfallen können!
Doch dann erinnerte sie sich vage daran, dass er den Termin schon vor einer Weile bekannt gegeben hatte.
Mannomann!
Wo hatte sie nur ihren Kopf!
Sie sah in ihrem elektronischen Kalender nach.
Ihr Assistent hatte den Tag natürlich vermerkt, mit Leuchtfarbe unterlegt!
Sie rief Stefan zu sich. „Wir müssen heute länger bleiben!"
Zum ersten Mal, seit er für sie arbeitete, schien ihm das nicht zu passen.
„Ist was?" fragte sie nach.
„Jochen hat heute Geburtstag! Ich habe es dir am Montag gesagt!" antwortete er bedrückt.
Alina bekam einen Lachanfall.
Wahrscheinlich hatte die Lottogesellschaft angerufen, dass sie den Haupttreffer hatte!
Wahrscheinlich hatte ihr Karen erzählt, dass sie wieder schwanger war!
Wahrscheinlich hatten ihre Eltern sie informiert, dass sie eine Weltreise antreten wollten!
Sie hatte in dieser Woche nur wenig von der Welt um sie herum mitbekommen!
„Hau ab!" meinte sie nach Luft schnappend. „Ich bin nicht gerade zurechnungsfähig zur Zeit!"
Sie machte sich eben alleine an die Arbeit.
Am wichtigsten waren die Backups, die sie auf externen Festplatten speicherte.
Sie durchsuchte die ganze Abteilung nach Kartons, die sie beschriftete und volllud.
Die Zeit verrann, ohne dass sie es bemerkte.
Plötzlich wurde die Türe aufgerissen, und ein völlig aufgelöster Adrian stand vor ihr.
„Da steckst du! Warum gehst du nicht an dein Handy?" fuhr er sie an.
Aufatmend nahm er sie in die Arme. „Fuck! Ich habe mir solche Sorgen gemacht!"
Alina sah zur Wanduhr.
Schon Neun!
Na, den Tag hatte sie sich heute auch anders vorgestellt!
Adrian schleppte sein Gepäck ins Haus.
Einen Schlüssel hatte sie ihm Anfang der Woche wortlos an seinem Bund befestigt.
Er überlegte, ob er seine Sachen einfach so im Ankleidezimmer einräumen konnte, ließ es aber dann doch lieber sein.
Sie würde sicher bald kommen.
Er lüftete, spülte das Frühstücksgeschirr und wartete.
Es wurde Fünf, es wurde Sechs.
Seltsam, dass sie an einem Freitag so lange arbeitete.
Er sprach eine Nachricht auf ihre Mailbox: „Hallo Baby! Musst du Überstunden machen?"
Keine Reaktion.
Die zweite Nachricht, eine halbe Stunde später: „Hallo Süße! Habt ihr noch ein Meeting?"
Dann folgten ein paar Texte, doch sie antwortete nicht.
Er rief die Dienstnummer an – kein Anschluss unter dieser Nummer.
Er schrieb eine Mail an den Firmenaccount – die Mail konnte nicht zugestellt werden.
Mittlerweile war es sieben Uhr, er war schweißgebadet, hatte vollkommen zerwühlte Haare und einen Knoten im Magen.
Hatte sie Angst vor der eigenen Courage bekommen?
Wollte sie ihm signalisieren, dass sie es sich anders überlegt hatte?
Oder hatte Patrick sie falsch verstanden?
Hatte sie dem Bruder sagen wollen, dass Adrian seine Sachen bei ihr abholen sollte?
Er rief Patrick an. „Bist du sicher, dass Alina wollte, dass du meine Sachen bringst?"
Er berichtete, dass er sie nirgends erreichen konnte, dass sie nicht zurückrief.
„Mein Gott! Mach dich doch jetzt nicht so fertig!" versuchte Patrick ihn zu beruhigen. „Ich hab mich natürlich nicht verhört!"
Nach einer weiteren halben Stunde beschloss Adrian, an ihren Arbeitsplatz zu fahren.
Irgendetwas stimmt da nicht!
Vielleicht lag sie hilflos irgendwo, oder sie war auf dem Parkplatz überfallen worden!
Rational denken konnte er nicht mehr.
Ihr Auto stand als einziges vor dem Gebäude.
Er raste die sieben Stockwerke hinauf, sah durch die Glaswand zu ihrem Arbeitsraum, sah sie unversehrt einen Karton packen.
Alina war etwas erstaunt von seinem Ausbruch. „Sorgen? Warum das denn?" fragte sie an seiner Brust.
Ihm tat es leid, dass er sie so angeblafft hatte. „Warum wohl, Dummerchen? Weil du seit Stunden nicht ans Handy gehst! Weil du mit Patrick einen Plan ausgeheckt hast, und danach vom Erdboden verschwunden warst!"
Er ließ sich auf einen Stuhl fallen, zog sie auf seinen Schoß.
„Ah! Ja! Blöd gelaufen! Ich habe total verpennt, dass wir am Montag umziehen! Du weißt von meinem Plan?" Sie sah ihn etwas verunsichert an.
Er erzählte ihr lachend, dass sie beide einen ähnlichen Gedanken gehabt hatten.
„Da haben wir aber heute einen großen Schritt gewagt!" meinte sie schmunzelnd.
„Und ich danke dir von Herzen dafür!" flüsterte er, bevor er sie leidenschaftlich küsste.
Anschließend räumten sie die restlichen Sachen ein und fuhren nach Hause.
Warum habe ich bloß so überreagiert? dachte er. Ich war ja total in Panik!
Ich hätte mich melden sollen! dachte sie. Aber ich bin es eben nicht gewohnt, dass sich jemand sorgt um mich!
Zu Hause lachten sie über die Gepäckstückein der Diele, die da noch immer standen.
„Ich hatte mir das so schön vorgestellt!" beklagte sich Alina. „Du kommst nach Hause, siehst die Koffer, siehst mich vollkommen baff an, verstehst aber, was ich dir damit sagen will!"
„Ich hatte auch andere Pläne!" gestand er. „Ich hatte meinen ganzen Mut zusammen genommen, hatte dir erklären wollen, dass es für mich Zeit wäre, nicht jeden Tag auf eine Einladung zu warten."
Da wurde ihr klar, in welch eine demütigende Situation sie ihn gebracht hatte.
Wie ein Bittsteller, ein Heimatloser warten zu müssen, ob sie ihn zu sich bat – wie eine verzogene Prinzessin.
Doch irgendwie ahnte sie auch, dass er es nicht so empfunden hatte – dass er ihr einfach die Freiheit lassen wollte, selbst zu entscheiden, wohin die Reise weiter ging.
„Ich war scheußlich zu dir!" sagte sie leise.
„Nein! Nein! Nein!" widersprach er vehement. „Das warst du ganz und gar nicht! Du hast viel schneller Nähe zugelassen, als ich es erhofft habe!"
„Du hast dich nicht gedemütigt gefühlt? Ich habe dich nicht auflaufen lassen?" Wieder wunderte sie sich, wie offen sie sprechen konnte.
Lächelnd schüttelte er den Kopf. „Nicht ein einziges Mal! Ich habe es sogar genossen, jeden Tag zu bangen, zu hoffen! Nichts als selbstverständlich zu nehmen! Das werde ich übrigens auch jetzt nie, nur weil ich ein paar Koffer hier stehen habe!"
Sein Finger zeichnete ihr schönes Gesicht nach, während sein Herz raste vor Glück.
Tralalalala! sang die Stimme, und sie sang richtiger als er.
Da schnupperte Alina plötzlich. „Was duftet denn hier so umwerfend? Nach Rosen?"
Er führte sie in den Wohnraum, sie sah den riesigen Strauß in der Vase.
„Wow! Ich habe noch nie Blumen geschenkt bekommen!" rief sie und klatschte in die Hände.
Als sie ihr Näschen in den Blüten versenkte, wurden Adrians Augen wieder feucht.
Ein so wunderschönes Mädchen hatte noch nie Blumen bekommen!
Ihr Blick driftete wieder ab, wie immer, wenn die Vergangenheit von ihr Besitz ergriff.
„Geburtstage sind doch Tage wie alle anderen!" zitierte sie die Ratte. „Das ist doch nur Gewäsch, um uns das Geld aus der Tasche zu ziehen! Weihnachten! Konsumrausch ohne Ende! Das machen wir doch nicht mit! Valentinstag! Eine amerikanische Erfindung!"
Anfangs hatte sie noch in ihrer Verliebtheit Geschenke für ihn ausgesucht, Kleinigkeiten, von denen sie erhofft hatte, dass sie ihm etwas bedeuten könnten. Er hatte überheblich gelächelt, hatte dann gemeint: „Du bist halt noch ein Kind, das an den Weihnachtsmann glaubt!"
Adrians zärtliche Hand, die über ihren Kopf streichelte, brachte sie in die Gegenwart zurück.
Sie schüttelte die Erinnerungen ab. „Sorry! Bin wieder mal abgetaucht!"
Er hatte sich ganz viele Notizen auf seiner geistigen Liste gemacht.
„Kein Problem!" sagte er nur.
„Hast du eigentlich schon etwas gegessen?" fragte er dann.
„Nein! Du?" fragte sie zurück.
„Nein! Haben wir noch Reste von gestern?"
Sie zuckte mit den Schultern, und er fand diese unschuldige Geste herzerwärmend.
Sie fühlte sich nicht zuständig für ihrer beider Ernährung – und das war verdammt gut so!
Es fand sich nichts im Kühlschrank, das so wirklich für ein Abendessen getaugt hätte.
Aber in weiser Voraussicht hatten sie ein paar Tiefkühlgerichte eingekauft – trotz seiner Vorbehalte dagegen.
Er holte eine Pizza heraus, drehte den Herd hoch.
Doch dann schaltete sie die Stereoanlage ein, es lief „Your body is a wonderland", er zog sie in seine Arme, sang schief, aber total überzeugend den Text, während er sich mit ihr zur Musik drehte. Danach kamen noch drei weitere Songs mit ziemlich heißen Texten, die alle nur für sie beide geschrieben worden waren.
So landeten sie da, wo sie sich immer verdammt wohl fühlten – im Bett, das sie auch ziemlich lange Zeit nicht mehr verließen.
Sie zogen einige Register der Liebeskunst.
Nicht alle, die sie mittlerweile schon drauf hatten, denn ihre Mägen meldeten sich wieder einmal sehr lautstark zu Wort.
Lachend hüpften sie nach unten. Die Pizza war aufgetaut, der Herd mehr als heiß genug, aber diese Umweltsünde verziehen sie sich umgehend. Während er einen Salat zustande brachte, zündete sie die Lichter im Garten an.
Es war eine noch immer warme Nacht, sie ließen sich das improvisierte Mahl auf der Terrasse schmecken.
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