Kapitel 22
Der Sonntag verging wie im Flug und Lisa war ganz scharf darauf zu erfahren, wie Harry Potter – der Junge der überlebt hat – als Freund war.
Amelia traute sich nicht ihr die Wahrheit zu sagen und spielte deshalb das Spiel mit, in der Hoffnung, Lisa würde es nicht herausposaunen – doch das war gar nicht mehr nötig.
Die Begegnung mit Harry Potter und Amelia Evans im Gryffindorturm hatte schon für genug Aufsehen gesorgt und ständig starrten die Schüler Amelia an.
Die Blicke waren ihr mehr als unangenehm und am Dienstagmorgen, beim Frühstück in der Großen Halle, reichte es Amelia plötzlich.
„Habt ihr nichts Besseres zu tun!?", fauchte sie eine Viertklässlerin an, die mit ihren Freundinnen ein paar Meter weiter am Tisch saß und schon seit zehn Minuten ununterbrochen zu ihr herüber stierte.
Lisa neben ihr erschrak und stupste sie an.
„Jetzt sei doch nicht so - das ist eine Sensation!", meinte Lisa und Amelia verdrehte die Augen.
„Na, super Sensation.", murmelte sie genervt und stocherte in ihrem Müsli herum. Eigentlich hätte sie Harry gestern noch sehen müssen, doch ein wichtiger Notfall im Ministerium hielt ihn davon ab sie zu besuchen. Das und die Tatsache, dass sie nun Gesprächsthema Nummer eins auf Hogwarts war, ließ ihre Laune in den Keller sinken.
Dafür würde er sich sobald wie möglich bei ihr melden.
Die einzigen die Bescheid wussten, waren Hermine und Ginny. Doch immer wenn Amelia versuchte die beiden alleine zu sprechen, wurde sie von einer Zahl Schüler umringt oder Lisa quetschte sie weiterhin aus.
Die „Sensation", wie Lisa sie nannte, musste wohl erstmal etwas abflauen und so saß sie nun am Tisch und würgte irgendwie ihr Essen herunter.
Hermine blickte mitleidig in ihre Richtung und Amelia zuckte nur seufzend die Schultern.
Plötzlich stupste sie von hinten jemand an und sie erschrak ganz fürchterlich, was einen Hustenanfall bei ihr auslöste.
„Amelia.", sagte eine Stimme hinter ihr, die ihr sehr gut bekannt vor kam und ruckartig drehte sie sich um.
Ted stand vor ihr, mit verschränkten Armen und zusammengekniffenen Augen.
„Kann ich dich kurz sprechen?", fragte er kühl und wie paralysiert nickte sie.
Seit ihrem Desaster am Samstag hatten die Beiden nicht mehr miteinander gesprochen, oder sich auch nur angesehen.
„Klar."; murmelte sie, nachdem der Hustenanfall verklungen war und es fast totenstill am Gryffindortisch war.
Erst jetzt bemerkte sie, dass jeder sie anstarrte.
Genervt erhob sie sich von der Bank und folgte Ted aus der großen Halle, in einen dunkleren Korridor, wo er plötzlich stehen blieb.
„Wie lange willst du die Lüge eigentlich noch aufrechterhalten?", fragte er sie freiheraus und verwirrt schüttelte sie den Kopf.
„Wie – welche Lüge?", meinte sie schulterzuckend und unschuldig.
„Die Lüge, dass Harry Potter dein Freund ist.", antwortete er trocken und Amelia schluckte.
„Du weißt doch, dass niemand von meiner wahren Herkunft wissen darf, Ted!", sagte sie bestürzt.
„Aha. Und wer dein wahres Betthäschen ist, willst du wohl nicht zugeben, was?!", sagte er kühl zu und steckte die Hände in die Hosentaschen.
„Ted...", begann Amelia, doch er schüttelte den Kopf.
„Ich habe schon verstanden, Amelia. Das mit Snape am Samstag hat mir den Rest gegeben.", flüsterte er düster. „Das ist widerlich. Gehst du mit ihm ins Bett?!"
Erschrocken hielt sich Amelia eine Hand vor den Mund.
„Ach – tu doch nicht so, Amelia! Du brauchst nicht mehr zu lügen, ich bin nicht so dumm wie die anderen Schüler auf diesem Schloss.", zischte er verletzt und kniff die Augen zusammen. „Also? Schläfst du mit dem alten Sack?!"
„Ted!" rief Amelia empört. „Hör auf so über Severus ..."
Er lachte abfällig.
„Severus? Oh, wow. Severus. Nennt ihr euch also beim Vornamen? Wie schön.", rief er dazwischen. „Wie alt ist er denn überhaupt? Fünfzig?!"
Sie kniff verärgert die Augen zusammen.
„Das geht dich rein gar nichts an, Ted Stebbins.", fauchte sie ihn an und dieser baute sich bedrohlich vor ihr auf.
„Natürlich nicht, Amelia. Aber was wäre, wenn man erfährt, dass nicht Harry die Sensation ist, sondern Severus Snape?!", zischte Ted und stand nun mit verschränkten Armen und drohendem Blick wenige Zentimeter vor ihr.
„Das...das würdest du nicht tun.", hauchte Amelia erschrocken und wich zurück.
„Wenn du dir da so sicher bist – A M E. Dann wünsche ich dir noch viel Spaß mit ‚S e v e r u s'.", meinte er sarkastisch und betonte jede einzelne Silbe seines Namens. Dann drehte er sich um und verschwand um die Ecke.
***
Es gongte zur ersten Stunde und schon kam eine Schülerschar an ihr vorbei, die sie im Vorbeigehen anstarrte und kurz darauf hastig miteinander tuschelten.
Amelia hatte sich herzklopfend gegen die Mauer gelehnt und schluckte ihre Tränen herunter. Was sollte das? Wieso verhielt Ted sich so gemein?
War er wegen seines Stolzes verletzt? Oder war er so eifersüchtig, dass ihm ihre Freundschaft nun egal war?
Plötzlich traten ihr Tränen in die Augen. Sie hatte Ted immer als sehr guten Freund betrachtet. Wieso musste er plötzlich alles zerstören? Wieso hatte er sie küssen müssen?
Verzweifelt wischte sich Amelia heimlich die Tränen aus dem Gesicht.
Das Alles – Harry, Severus und nun auch Ted – machte ihr schwer zu schaffen und langsam glaubte sie daran zu zerbrechen. Diese große Last, dieses plötzliche im Mittelpunkt stehen, alles was sie nicht war und nicht sein wollte.
Sie war kein Mädchen, das gerne polarisierte oder angab. Sie wollte einfach nur leben. Leben und glücklich sein.
Traurig ging sie zurück in die große Halle und suchte mit ihren Augen nach Lisa. Doch sie war verschwunden und stattdessen starrte jeder der an ihr vorbei ging, Amelia an.
Schluckend versuchte sie ihre Tränen zurückzuhalten und biss sich schmerzhaft auf die Unterlippe.
Sie ballte die Fäuste und atmete ein und aus. So konnte es nicht weitergehen.
Sie hielt das nicht mehr aus. Immer musste sie lügen, sie musste sich verstellen, niemand verstand sie und ihre erste, große Liebe glaubte ihr nicht. Ihr Leben war zerstört – sie hielt dem Druck nicht mehr stand.
Weinend rannte Amelia zum Eulenturm. Sie stieg hastig die Treppen hinauf und ein scharfer, kalter Wind kam ihr entgegen.
Sie würde Luna einen Brief schrieben. Ihr alles erklären. Dass sie einfach nicht mehr konnte. Wenn die Sache mit Severus herauskommen sollte, dann wäre ihr Leben vorbei. Sie durfte nicht ihr Leben und sein Leben zerstören.
Seine Karriere wäre vorbei – er würde ihr das niemals verzeihen. Sie war daran schuld, dass er litt, dass er trank und sie hatte ihn benutzt. Unbewusst, sie fühlte sich alleine und verlassen und Snape war für sie da gewesen, doch jetzt hatte sie alles kaputt gemacht. Sie hatte ihn verletzt, seine Gefühle zu wenig beachtet und alles zerstört...ihr Leben war ein Scherbenhaufen.
Das zerkleinerte Puzzle ihres Lebens konnte sie nie wieder mehr zusammenflicken. Und wenn sie nicht mehr Leben würde, dann würde Ruhe einkehren. Snape konnte endlich weiterleben, Harry würde zwar um sie trauern – aber er würde es verkraften und Luna würde sie einen Abschiedsbrief schreiben.
Hastig und mit zitternden Händen, schrieb sie einige Worte auf Pergament und erklärte ihr Alles – von ihrer Mutter und ihrem Vater angefangen, bis hin zu Snape und Harry. Sie sollte ihnen sagen, dass sie keine Schuld trugen. Das alles ihre Schuld war.
Schluchzend und verzweifelt faltete sie den Brief zusammen und rief eine Eule herbei. Diese gurrte laut und schnell band sie die Rolle Pergament an ihr Bein. Dann flog sie davon – nach Frankreich, nach Beauxbatons – dort wo ihr zuhause war, dort wo sie hätte bleiben sollen.
Schluchzend erhob sie sich mit wackligen Beinen und ging zum Ende des Turms. Die Mauern waren hoch und riesige Fensteröffnungen zierten die Wände. Vorsichtig erhaschte sie einen Blick auf die endlose Tiefe und vor ihren Augen verschwamm alles. Sie hielt sich hilfesuchend an der Mauer fest und starrte in den Abgrund.
Dann holte sie tief Luft, wischte sich ihre Tränen weg und stellte sich mit den Füßen an den Abgrund.
Sie sog die frische Luft ein und ließ den Wind gegen ihr Gesicht peitschen. Dann tauchte sie in ihre Gedanken ein und entschuldigte sich bei all denen, die sie je gekannt hatte und die sie verletzen würde.
***
Snape stand hinter seinem Pult und klopfte ungeduldig mit den Fingern auf den Tisch, bis endlich auch der letzte Schüler in seinen Unterricht geeilt kam und die Tür hinter sich schloss. Suchend blickte er sich um, fand aber nicht die Person, die er suchte.
„Stebbins – wo ist Miss Evans?", blaffte er Ted an und dieser lehnte sich provozierend in seinen Stuhl zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und grinste leicht.
„Woher sollte ich das wissen, Professor?"; zuckte er die Schultern und wich seinem Blick nicht aus.
Was wagte dieser Junge sich so zu benehmen? Wut stieg in Snape auf und er versuchte sie krampfhaft herunter zu schlucken. Doch wo war Amelia?
Ging es ihr nicht gut? Er hatte von den Gerüchten gehört und sie in der großen Halle beobachtet. Es musste schrecklich für sie sein, im Mittelpunkt zu stehen. Wenn sie auch nur ansatzweise so war wie Lily, dann wäre dies das Letzte, was Amelia je wollen würde.
„10 Punkte Abzug für Slytherin für diese unfreundliche Antwort.", zischte Snape deshalb nur und Ted wurde von seinen Mitschülern mit einem bösen Blick betrachtet. Doch dieser kümmerte sich nicht darum, sondern starrte ihn nur provozierend weiter in die Augen.
„Vielleicht sollten Sie Amelia suchen, Professor.", sagte Ted abfällig. „Nicht, dass ihr noch etwas passiert ist."
Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Passiert? Drohte dieser Junge ihm etwa? Er hatte gesehen, wie Amelia mit Ted die Halle verlassen hatte und dann nicht wiederkam. Was hatte dieser Junge mit ihr angestellt?
Wütend und voller Sorge funkelte er Ted an.
„Schlagen sie Seite 329 auf und schreiben sie das Kapitel über Gnome ab, Stebbins – auf ein Wort!", sagte er zischend und packte Ted unsanft am Arm. Dann bugsierte er ihn, unter den Blicken der anderen Schüler, auf den Korridor und knallte die Tür schwungvoll hinter sich zu.
„Was, Professor?", sagte Ted provozierend.
In Snape brodelte es und ohne mit der Wimper zu zucken, packte er Ted und stieß ihn unsanft gegen die Wand. Dann hielt er ihn an der Schulter fest und trat dicht an ihn heran.
„Wo ist Amelia?", flüsterte es bedrohlich und betonte dabei jede einzelne Silbe.
Schluckend und windend versuchte Ted dem festen Griff zu entkommen - jedoch ohne Erfolg.
„Wieso interessiert dich das so brennend, Severus?"; zischte Ted zurück und kniff die Augen zusammen. „Wir dürfen dich natürlich jetzt alle duzen, oder nicht?"
Schockiert ließ Snape kurz von ihm ab und diese Gelegenheit nutzte Ted um sich zu befreien. Dann klopfte er sich seine Kleidung zu Recht und lachte abfällig.
Snape stand immer noch schockiert an derselben Stelle und starrte seine Hand an, mit der er eben noch Ted festgehalten hatte.
„Da bist du nun überrascht, nicht wahr? Ich weiß von eurer süßen Affäre, Severus."; lachte er bedrohlich.
Snape drehte sich zu ihm um und sog scharf nach Luft.
„Was hast du mit ihr gemacht.", hauchte er mit brüchiger Stimme und schluckte.
„Rein gar nichts, Professor. Ich habe sie lediglich gefragt, wie es wäre, wenn plötzlich jeder von eurer Liebschaft wüsste.", grinste Ted und hob die Augenbrauen.
Snape schnappte nach Luft und schaute sich hastig um. Das war zu viel Druck für Amelia. Das wusste er. Die ganze Sache mit Harry, dann seine harten Worte und seine Abwendung und die Drohung von Ted ihr Leben weiter zu zerstören – er musste Amelia suchen.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und ein verängstigtes Mädchen aus Hufflepuff lugte aus dem Raum.
„Ähm, Professor?", fragte sie schüchtern und Snape hob ruckartig seinen Kopf.
„Was?", fragte er barsch und sie schritt erschrocken zurück.
„Ich – a-also, ich habe Amelia eben zum Eulenturm laufen sehen, vielleicht...", flüsterte sie stotternd, doch das reichte Snape schon.
Er drehte sich abrupt um und rannte den Korridor entlang, aus dem Schloss heraus und den Weg herunter zum Eulenturm.
Bitte, Gott – dachte er. Sie durfte sich nichts antun. Sie durfte ihn nicht alleine lassen. Bitte.
Der kalte Wind peitschte ihm ins Gesicht und mit klopfendem Herzen und einer riesigen Angst rannte er die Stufen herauf, bis er schwer atmend im Turm angekommen war.
Hastig suchte er mit seinen Augen den Turm ab und schaute in den tiefen Abgrund, der sich vor ihm auftat.
„Amelia!", schrie er aus voller Brust und seine Worte hallten von den Wänden wieder.
Sie war nicht hier. Sie war gesprungen. Sie hatte ihn alleine gelassen. Sie war tot.
Schluchzend und schreiend sank er auf alle viere und atmete heftig. Sie hatte ihn alleine gelassen.
Und es war seine Schuld.
„Amelia...", flüsterte Severus Snape unter Tränen. „Amelia..."
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