Kapitel 15
„Herein.", rief Professor McGonagall und Amelia trat zögerlich durch die Tür.
Im Büro war es dämmrig und nur ein paar Fackeln erhellten spärlich die drei Silhouetten, die in der Mitte des Raumes standen. McGonagall saß hinter ihrem Schreibtisch, kerzengrade und mit einem mürrischen Gesichtsausdruck.
Auf dem Tisch stand eine Öllampe und erhellte sie.
Als Amelia durch die Tür trat, zuckten ihre Mundwinkel für einen Moment und sie entspannte sich ein wenig. Die anderen drei Silhouetten drehten sich abrupt um und starrten auf das junge Mädchen, das den Raum betrat.
Der hinter Mann der beiden, hielt den Atem an und fasste sich mit seinen Händen an den Kopf. Er stieß einen erstickten Schrei aus und seine Augen weiteten sich.
Amelia blieb in der Tür stehen und versuchte krampfhaft etwas im Dunkeln zu erkennen. Dort standen drei Personen – ein älterer, dunkelhäutiger Mann mit einem Hut, ein schlaksiger, großer Mann mit rötlichen Haaren und ein kleinerer, Mann mit schwarzen Haaren und einer runden Brille.
Trotz der Dunkelheit, erkannte sie ihn sofort und ihr Herz begann zu rasen.
McGonagall beobachtete das Schauspiel und presste die Lippen aufeinander, als Harry Potter einen erschrockenen Schrei ausstieß.
„Das – das ist unmöglich.", flüsterte er jetzt und ließ den Blick nicht von Amelia los. „Wie kann das sein?"
Verwirrt blickte er zu der alten Frau, die seufzte und sich nun erhob.
„Ich habe dir alles erklärt, Harry. Sie ist deine Schwester.", antwortete sie ruhig und ging um den großen, dunklen Eichentisch herum. Mit einem Zauberschwenker erhellte sie ihr Büro hell und nun konnte Amelia Kingsley Shackbolt – den Zaubereiminister - erkennen.
Er stand mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck und verschränkten Armen an vorderster Stelle. Dahinter kam der große, schlaksige Junge zum Vorschein. Er hatte fuchsrote Haare, eine dickliche Stupsnase und sah nicht ganz so erschrocken aus, wie Harry. Dann glitt ihr Blick zu ihrem Bruder und nun weiteten sich ihre Augen.
Bisher kannte sie ihn nur aus dem Tagespropheten, doch dem Jungen, ‚der überlebt hatte', nun direkt in die Augen sehen zu können, ließ sie erschrecken.
Vorsichtig ging sie einige Schritte auf ihn zu und McGonagall schloss die Tür mit einem Schwenker ihres Zauberstabes.
„Vielleicht sollten wir uns setzen.", sagte sie mit weiterhin völlig ruhiger Stimme und bedeutete den Vieren sich zu setzen. Auf dem einen kleinen Couchtisch in einer Sitzecke, erschienen fünf Wassergläser und ein dritter Sessel.
Die Schulleiterin und der Zaubereiminister nahmen als Erste Platz und setzten sich auf das Sofa. Der schlaksige Junge nahm zögernd in einem der Sessel Platz, während Amelia und Harry zwei Meter voneinander stehen blieben und sich anstarrten.
In ihr rumorte es heftig und ihr Herz klopfte laut. Ihr ganzer Körper zitterte aufgeregt. Das war also Harry Potter – ihr Bruder und ihr noch einzig lebender Verwandter. Wie unfassbar.
Harry raufte sich nun die Haare und darunter kam die Blitznarbe zum Vorschein – die berühmte Blitznarbe. Sie hielt geschockt den Atem an.
„Harry.", sagte der zweite Junge nun und schaute ihn zögerlich an. „Willst du dich nicht setzen?"
Harry erschrak und sein Kopf fuhr herum. Er murmelte etwas Unverständliches und setzte sich in den zweiten Sessel, neben dem rothaarigen Jungen.
Auch Amelia setzte sich langsam in den dritten Sesseln.
„Nun – da wir alle hier versammelt sind.", begann McGonagall und ließ kurz einen missbilligenden Blick auf den rothaarigen Jungen schweifen, der leicht errötete und den Kopf senkte. „Harry – Amelia. Amelia – Harry."
Harry starrte sie immer noch an und sie senkte verlegen den Kopf.
„Wir müssen zum Punkt kommen, Minerva. Meine Zeit ist knapp.", sagte Kingsley mürrisch und mit dunkler, rauer Stimme an die Schulleiterin gewandt und diese nickte.
„Mr. Shackbolt ist hier, um sich zu versichern, dass diese Angelegenheit geheim bleibt. Nur wenige Menschen wissen von dir, Amelia.", erkläre sie sich und schaute sie mit einem eindringlichen Blick an. „Ich hoffe, du hast noch keinem davon erzählt?"
Ihr Herz machte einen Satz. Nein, erzählt hatte sie keinem davon. Aber jemand wusste von ihr. Ted.
„A-also.", stotterte sie mit glockenheller Stimme und Harrys Atem stockte. „Ich habe keinem von meiner wahren Existenz erzählt, aber Mr. Stebbins weiß davon."
McGonagalls Augenbrauen zogen sich in die Höhe und sie sog scharf nach Luft.
„Und wie kommt Mr. Stebbins darauf, Amelia?", fragte sie langsam und betonte dabei jede einzelne Silbe.
„Also – er hat meine Eltern in einem alten Tagespropheten gesehen, weil sein Vater...naja egal, auf jeden Fall hat er mich erkannt."
McGonagall kniff die Augen zusammen.
„Ich werde mich darum kümmern.", sagte sie an Kingsley gewandt und dieser nickte leicht.
„Gut. Dann wäre das ja geklärt. Unsere Welt schafft nicht noch einen Skandal, das ist ihnen hoffentlich allen bewusst?", fragte Kingsley rhetorisch an Harry und Amelia gewandt und beide
nickten stumm. „Dann verabschiede ich mich hier. Minerva. Mr. Weasley. Mr. Potter. Miss – Evans. Auf bald."
Mit einem Knall war der Zaubereiminister verschwunden.
Weasley? War der rothaarige Junge Ron Weasley? Sofort fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.
„Wie – wie waren unsere Großeltern so?", durchbrach Harry nun leise die Stille und blickte Amelia an.
Sie hob den Kopf und schaute ihm in die Augen. Er hatte genau ihre Augen. Leuchtend, grüne Augen.
Verwirrt wendete sie den Blick ab.
„Nett. Sie...wussten nichts von unseren Eltern. Sie haben mir nie etwas darüber erzählt.", antwortete sie und er nickte.
„Ja – das kenne ich.", sagte Harry und zwang sich zu einem Lächeln. Sofort erwiderte sie es und sein Herz blieb stehen.
„Und – und wo warst du in deiner Kindheit?", fragte sie nun zögerlich.
Ron blickte kurz zu McGonagall und diese bedachte ihn mit einem strengen Blick.
„Harry, Amelia. Mr. Weasley und ich werden uns nun zurückziehen. Ihr beiden habt nicht viel Zeit, Harry ist immer noch im Auftrag der Aurorenzentrale.", sprach sie nun und erhob sich vom Sofa.
„Nutzt die Zeit weise."
Auch Ron erhob sich und prüfte seinen besten Freund mit einem besorgten Blick.
„Bis dann, Alter. Ich warte draußen.", nuschelte er und klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter.
Harry nickte und bald darauf verließen Ron und McGonagall das Büro.
„Also -.", ergriff Amelia das Wort. „Wie viel Zeit haben wir denn?"
„Eine Viertelstunde.", antwortete er leise. „Aber ... ich kann das einfach nicht fassen."
Kopfschüttelnd rutschte er auf seinem Stuhl hin und her und sie spürte seine Verlegenheit. „Wie konnte ich nicht spüren...dass...ich eine Zwillingsschwester habe?"
Sie wurde rot.
„Ich habe es doch auch nicht gemerkt.", meinte sie und presste die Lippen aufeinander.
„Du siehst genauso aus wie unsere Mutter.", hauchte Harry nun und Gänsehaut überkam ihr. „Die Haare, das Gesicht, die Augen..."
„Wir haben dieselben Augen.", lächelte Amelia ihn an und er nickte wie paralysiert – immer noch erstarrt in seiner Bewegung.
Beide starrten sich eine Zeitlang schweigend an.
„Wann können wir uns nochmal sehen?", platzte es nun aus ihr heraus, als sie auf die Uhr schaute und nervös bemerkt, wie schnell die Zeit verrann.
Er hob erschrocken den Kopf.
„Ich weiß es nicht genau.", flüsterte er. Der Minutenzeiger glitt auf viertel nach acht und die Geschwister hielten den Atem an.
Es klopfte vorsichtig an der Tür.
„Alter – wir müssen los.", lugte Rons Kopf durch die Tür und er verkniff das Gesicht. Harry nickte.
„Eine Minute, Ron.", meinte er zu ihm und Rons Kopf verschwand wieder.
„Also...", begann Harry und stand auf. Amelia tat es ihm gleich.
Unschlüssig blieben beide stehen, bis Harry einen Schritt auf sie zu machte und die sie vorsichtig umarmte.
Amelia presste sich an ihn und er drückte sie noch ein wenig fester.
Nach kurzer Zeit ließen sich beide verlegen los.
„Ich werde mich bei dir melden, Amelia.", sagte Harry leise und drehte sich um. Er öffnete die Tür und dahinter kam Ron zum Vorschein.
„Hat mich gefreut dich kennenzulernen.", nickte er in Amelias Richtung und hob die Hand grüßend.
Harry drehte sich nochmals um und lächelte sie an.
„Wir sehen uns bald wieder. Dann haben wir mehr Zeit.", sagte er nickend und seine Gesichtszüge entspannten sich ein wenig.
Amelia lächelte und nickte.
„Hoffentlich.", flüsterte sie, doch da waren die beiden Männer schon verschwunden.
Erstarrt und mit klopfendem Herzen blieb sie in der Mitte des Raumes stehen.
„Amelia.", sagte Professor McGonagall plötzlich von hinten und sie schrak herum. „Es ist wirklich wichtig, dass du niemandem davon erzählst."
„Ja – ich weiß, Professor."
„Gut. Und die Sache mit Professor Snape, ist wohl auch klar, nicht wahr?", fügte sie noch hinzu und Amelias Augen weiteten sich erschrocken.
„I-ich – Ja, also natürlich, Professor.", stotterte sie und wurde rot.
McGonagall bedachte sie mit einem misstrauischen Blick.
„Dann geh bitte zurück in deinen Schlafraum, Amelia.", sagte sie streng. „Wir sehen uns morgen im Unterricht."
Amelia nickte und verließ schnell das Büro ihrer Schulleiterin.
In den Korridoren des Schlosses war es nun noch kühler geworden und fröstelnd zog sich Amelia ihre Strickjacke fester zu. Sie wollte noch nicht zurück zu Lisa – zu ihrem prüfenden Blick und ihren bohrenden Fragen. Sie musste sie also weiterhin anlügen und das bereitete ihr jetzt schon Bauchschmerzen. Sie wollte Lisa unter gar keinen Umständen als Freundin verlieren.
Ein Ziehen machte sich in ihrem Unterleib bemerkbar und die Spannung fiel mit einem Mal von ihr ab. Sie hatte ihn gesehen – ihren Bruder!
Keuchend stützte sie sich an der Steinmauer ab und blieb stehen. Der Wind pfiff ihr um die Ohren und die Gänsehaut auf ihrer Haut wurde immer unangenehmer.
Ständig dachte sie an sein erschrockenes Gesicht, als er sie erblickte. Sie hatten noch viel zu besprechen und eigentlich waren sie zu keinem vernünftigen Wortwechsel gekommen. Sehnsüchtig blickte Amelia aus dem Fenster – auf den hell erleuchteten Mond, der vom Himmel herab strahlte und die Wälder von Hogwarts erhellten.
Wo war Harry denn eigentlich aufgewachsen? Und kannte er Professor Snape? Wusste er von der merkwürdigen Konstellation? Zwischen Lily und ihm? Komischerweise brannte sie auf die Antwort. Auch wenn sie eigentlich rein gar nichts mit ihr zu tun hatte. Aber mit Snape.
Schnell überlegte sie, zu ihm zu gehen. Doch sie verwarf den Gedanken schnell wieder. Sie dürfte es nicht übertreiben... Und der komische Abschied zwischen Ihnen, verunsicherte Amelia.
Zögernd stand sie dort auf dem Korridor und zitterte immer mehr. Die Kälte fraß sich durch ihre Haut.
Nach einiger Zeit fing sie sich aber wieder, setzte sich in Bewegung und machte sich zum Gryffindor Turm auf. Nach reichlicher Überlegung, wärmte sie sich noch ein wenig am Kamin und stieg dann die Treppe empor. Vorsichtig lugte sie durch die Tür ihres Zimmers und war erleichtert, als sie den ruhigen, schlafenden Atem ihrer Freundin hörte.
Langsam und lautlos tapste sie auf ihr Bett zu und kroch mit samt ihrer Kleidung unter die Decke. Erst jetzt merkte Amelia, wie müde sie war. Streckend und gähnend, zog sie die Decke bis zum Kinn, drehte sich auf die Seite und schloss schläfrig ihre Augen.
Nach einiger Zeit begann ihr Atem sich zu verlangsamen und Amelia glitt in einen unruhigen Schlaf...
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