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„Tempel der Sünden?"
Beccs Blick wanderte zunächst ungläubig zu mir - anscheinend verstanden wir den Begriff unterschiedlich, wer hätte das gedacht?! - und dann wieder zurück auf das niedliche blassrosa mit goldenen Schnörkeln verzierte Retroschild von Miss P's Paradies für Schokoholiker.
„Tempel...der...Sünden???"
Dieses Mal betonte sie jedes Wort, drehte sich zu mir, nur um sich meinem verliebten Haifischgrinsen (Schokolade!!! Yeah, ich hatte bereits zarte Entzugserscheinungen) gegenüber zu sehen.
„Was?" fragte ich unschuldig, hakte mich bei ihr unter und zog Becca ins Innere.
Meine Besti sah sich mit riesigen Augen um und flüsterte fassungslos: „Heilige Schokobohne... ich brauch ja bereits einen Schuss Insulin nur beim Anblick dieser Zuckerbomben!!!"
Ich verdrehte die Augen und sagte: „Ja... klar doch... übertreib halt! Jetzt schwing die Hufe und such dir was aus. Du brauchst Nervennahrung... und ich Energie nach dem Matratzensport!"
Becca kicherte wie ein Backfisch und hüpfte zur Theke. Auch wenn bei ihr hin und wieder die pedantische Kalorienzählerin rauskam - sie musste schließlich tierisch aufpassen, dass sie nicht am Ohrläppchen zunahm(!) - eigentlich war die Gute genauso süchtig nach der schokohaltigen Versuchung wie ich. Und so standen wir gierig sabbernd da, versuchten ausgesprochen erfolglos uns an den vermeintlich gesunden Obsttörtchen zu orientieren und scheiterten so grandios, wie die Titanic beim (kontaktfreudigen) Passieren des Eisberges. Zu guter Letzt verzogen wir uns unter dem glücklich strahlenden Blick von Miss P. mit den recht vollen Tellern, einem Eimer heißer Schokolade für mich und einem XXL Milchkaffee mit Schokosirup für Becc in die Bücherecke zurück um uns voller Elan dem sündigen hinzugeben. Ich hatte mich dieses Mal für eine ‚Kalorien-ärmere' Option entschieden und die frischen Waffeln mit Schokoladensahne und karamellisierten Bananen gewählt, während Becca die drei-schichtige Schokotorte genommen hatte. Für die ersten Bissen herrschte gefräßige Stille... durchbrochen von genußvollem Stöhnen, welches jeder Darstellerin von Erwachsenenfilmen schwerste Konkurrenz gemacht hätte. Nachdem meine Freundin die Hälfte ihrer Torte inhaliert und mit Kaffee nachgespült hatte, musterte sie mich eindringlich.
„Also... du und Alex. Wer hätte das gedacht?! Einer der Hansonteufel..." Ich seufzte leise und leckte nachdenklich meine Kuchengabel sauber. „Ich weiß auch nicht so recht, wie das passiert ist. Da hatte ich die festen Absicht, diesen vier Vollidioten die Hölle heiß zu machen. Und jetzt... Jetzt mag ich Luke, hab circa 2 Millionen Schmetterlinge im Bauch, wenn ich an Alex denke und hab mich bereits sehr Stiefschwesterlich mit Maliks Freundin gefetzt."
Becc verdrehte die Augen und sagte: „Vergiss nicht, dass du hergekommen bist, um Frieden mit deiner Mutter zuschließen... Dass du diese vier Knalltüten in die Pfanne hauen konntest, war einfach nur die Kirsche auf dem Eisbecher."
Ich lachte.
Sie hatte wieder mal so recht... Das Wichtigste war meine Mutter gewesen und ich war unendlich froh, dass ich mich mit ihr hatte aussprechen können und dass ich ihr auch verziehen hatte. Jason kannte ich noch nicht gut genug, aber was ich von ihm bislang gesehen hatte zeigte mir, dass er ein großartiger Mann und Partner für meine Mutter war und dass er das Potenzial hatte ein ebenso toller Stiefvater zu werden. Die Frage war nur, wie das mit Alex weitergehen sollte.
„Du machst dir Sorgen..." Beccs hellblauer Blick bohrte sich bis in meine Seele und schließlich platzte ich heraus: „Er hat gesagt, dass er sich in mich verliebt hat!!!"
„Wer? Alex?"
Ich schlug mir mit der Hand vor die Stirn: „Nee, dein geliebter Jeep! Natürlich Alex! Hat dir die Schokolade etwa die Sinne vernebelt?"
Meine Freundin grinste und stopfte sich eine weitere Gabel dekadenter Köstlichkeit in die Backen. Sie hatte nun erstaunliche Ähnlichkeit mit einem Hamster, während sie mit ihrer Gabel gestikulierte und mir dabei fast ein Auge ausstach.
„Ups... Sorry... Moment, hast du gerade gesagt... Alex hat sich in dich verliebt?"
Ich nickte und presste meine Serviette gegen den blutenden Kratzer.
„Ach, herrje... geht es Ihnen gut?" Miss P. steuerte mit großen Augen, besorgt die Hände ringend auf uns zu. Becc drehte sich zerknirscht zu ihr um und fragte: „Haben Sie vielleicht ein Pflaster? Meine Freundin hat es nicht so mit Blut."
Toll... bis gerade konnte ich mich noch auf das Schokoladenaroma des Cafés konzentrieren... jetzt hatte ich nur den Geruch nach Kupfer in der Nase und spürte prompt, wie der Laden zum Karussell mutierte.
„Natürlich, natürlich..." Miss P's Stimme - durch einen dichten Nebel in meinem Kopf gedämpft - entfernte sich rasch, als die alte Dame in Richtung der Backstube eilte.
Kaum war sie wieder zurück, erhob Becc sich und nahm mir sanft die Serviette aus der Hand, verbarg diese rasch damit ich das Blut darauf nicht sehen konnte und klebte vorsichtig das Pflaster über den Kratzer.
„Vielen Dank!! Ich schwöre, normalerweise versuche ich nicht, meiner Freundin mit einer Gabel das Augenlicht zu nehmen!"
Die Inhaberin lächelte uns beide beruhigend an, tätschelte mir die Hand und sagte: „Ihre Gesichtsfarbe gefällt mir gar nicht, Kindchen! Ich hole Ihnen mal eine Cola!" Sprach es und wackelte eifrig davon. Becca setzte sich neben mich und umarmte mich. „Tut mir so leid, Schatz!" Ich lehnte meinen Kopf an ihre Schulter und schloss die Augen. „Weiß ich doch, Dummerle! Mir gehts gleich wieder gut..." beruhigte ich sie. Und tatsächlich, nachdem ich das Glas Cola runtergestürzt hatte spürte ich, wie aus dem Karussell wieder ein Café wurde.
„Ok... ok! Dir gehts wieder besser! Und deine Gesichtsfarbe kann dich auch nicht mehr gegen eine weiße Wand tarnen. Also zurück zum eigentlichen Thema. Liiiiiiiebe!!!! Wirst du Alex eine faire Chance geben? Sorry... falsche Satzstellung... Du wirst Alex eine faire Chance geben!!"
Ich schmunzelte. Doch insgeheim fragte ich mich schon: konnte ich das? Ihm eine faire Chance geben. So kurz nach dem Drama, dass meine letzte (und einzige) Beziehung darstellte. Becc wäre jedoch nicht Becc gewesen, wenn sie mir nicht meine Zerrissenheit angesehen hätte.
„Alex ist nicht Linus! Und hör mir ja mit dem Scheiß auf, den dir diese traurige Entschuldigung eines Mannes eingeredet hat!"
Ich blinzelte. Verdammt... Sie konnte mich einfach zu gut lesen! Ich musste dringend an meinem Pokerface arbeiten.
„Ist ja gut," maulte ich. Becca nickte noch einmal bekräftigend und angelte sich ihren Teller von der anderen Seite des Tisches. Ich spießte eine karamellisierte Bananenscheibe auf, fuhr damit durch die Sahne und schlemmte genüsslich, während ich meinen Gedanken freien Lauf ließ. Sie wanderten zurück zu dem Moment, in dem Alex bei meiner Ankunft die Tür geöffnet hatte, zu meinem Schock, dass die vier Alpträume meiner Schulzeit nun Teil meiner Familie sein sollten und dann zu der langsam dämmernden Erkenntnis, dass die Monster zu Vernunft begabten Erwachsenen herangereift waren.
Als ich an die Streiche dachte, grinste ich unwillkürlich.
„Was?" Neugierig sah Becc mich an.
Ich kicherte leise und meinte: „Irgendwie ist es schon schade, dass ich mich mit den Vollhonks jetzt so halbwegs verstehe.. ich hatte noch genug Material für drei weitere Streiche!"
Beccas Grinsen wurde wahrhaft teuflisch.
„Ist das so..."
Wir sahen uns an und unsere Schulterengel kämpften auf verlorenen Posten.
„Das ist so..." erwiderte ich und wusste genau, dass mein Gesicht ihren Ausdruck von fast schon bösartiger Schadenfreude spiegelte. Seelenruhig griff Becc nach ihrer Tasse und trank den letzten Rest des Milchkaffees. Dann stellte sie sie wieder so akkurat zurück auf den Unterteller, so dass das Blumenmuster sich perfekt ergänzte. Dann hob meine Freundin den Blick und fragte mit einem fiesen Ernst in der Stimme:
„An was hattest du denn so gedacht?"
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