5.
Liebe Anna,
dieser Brief wird mein letzter sein. Hört sich irgendwie wie Abschied an, aber vielleicht ist das ja erst der Beginn unserer Liebesgeschichte.
Liebe Anna,
Es ist besser, wenn ich den Spaß beiseite nehme. Liebesgeschichte ist echt übertrieben. Man müsste wohl eher schreiben: B.'s unerwiderte Liebe. Oder vielleicht doch nicht?
Liebe Anna,
ich wollte dir ein kleines Geschenk machen. Habe überlegt, was dir wohl gefallen würde.
Liebe Anna,
anbei ist eine bezahlte Kinoreservierung. Ja, du hast richtig gelesen. Es ist nur eine. Vielleicht gehst du nicht gerne ins Kino, aber ich würde mich freuen, wenn du alleine in diesen Film gehen würdest. Lustigerweise heißt der Film 'Briefe an Anna'. Ich hoffe du stehst auf Schnulzen.
Liebe Anna,
sehe diese Einladung einfach als ein Date für einen. Ich wünsche dir viel Spaß im Kino.
Dein B.
Claire hatte bereits mit mir den Brief gelesen und meinte: "Ernsthaft? Er hätte auch mit dir hingehen können"
"Hätte er. Ich finde es trotzdem süß. Es ist nur irgendwie traurig, wenn das der letzte Brief war"
"Hm, vielleicht ein bisschen. Aber vielleicht findest du ihn ja irgendwann"
"Möglich"
"Kopf hoch, wenn nicht wird es ein Anderer", sie lächelte mich an, ich lächelte zurück und dann nahm sie mich fest in die Arme.
"Ich hab dich lieb", flüsterte sie.
"Ich dich ganz dolle", flüsterte ich zurück.
"Jaa, Gruppenkuscheln" Ben kam zu uns und umarmte uns auch noch und dann standen wir einfach eine Weile so da. Es war mir egal, was Andere von uns dachten. Ich hielt nur meine besten Freunde in meinen Armen. Als es klingelte ließen wir voneinander los und gingen in die Klassenräume.
"Ich komme heute zu dir und mache dich schick", meinte Claire, als sie, Ben und ich auf einer Bank auf dem Schulhof saßen.
"Für was?", fragten Ben und ich.
"Na fürs Kino"
"Wir gehen ins Kino?", fragte er.
"Nein, Anna geht ins Kino"
"Uhh, mit deinem Briefschreiber?", fragte Ben. Claire und ich hatten ihm gestern davon erzählt.
"Nein, alleine", antwortete Claire für mich. Ben schaute mich komisch an.
"Ich hab eine Reservierung vom Briefschreiber"
"Also gehst du mit ihm?"
"Nein", sagte ich.
"Aber ich glaube, dass er auch im Kino sitzen wird", meinte Claire.
"Meinst du?", fragte ich.
"Ja, warum sollte er dir sonst eine Karte fürs Kino schenken?"
"Du hast Recht", stimmte ich ihr zu. Also beschlossen wir, dass wir uns um drei bei mir trafen. Selbst Ben wollte mitkommen. Wahrscheinlich nur, weil er nichts Anderes vorhatte.
"Wow", sagte Claire als sie mich durch den Spiegel ansah. Ich lächelte.
"Gut gemacht", meinte Ben anerkennend und gab seiner frisch verliebten Freundin einen Kuss.
"In einer Stunde läuft der Film. Wir haben also noch genug Zeit"
"Ja", stimmte ich Claire zu.
Wir redeten noch eine Weile, bis es für mich Zeit war zu gehen. Ich verabschiedete mich von den Beiden und überließ ihnen, guten Gewissens, mein Zimmer. So langsam kam die Aufregung. Naja, vielleicht saß er ja gar nicht im Kino. Ich hatte seine Briefe eingepackt. Einfach so.
Als ich im Kino ankam, meldete ich mich am Schalter und ich bekam mein reserviertes Ticket. Mit einem Blick darauf, wusste ich, dass ich in Kino 4 musste. Ist ja lustig. Genau so viele Briefe hatte ich von B. bekommen. Ob er das mit Absicht gemacht hatte?
Ich hatte noch gut 10 Minuten, also beschloss ich noch mal aufs Klo zu gehen. Nicht das ich während dem Film musste. Beim Händewaschen schaute ich nochmal in den Spiegel. Claire hatte wirklich was aus mir gemacht. Nicht, dass ich zu aufgestylt oder so wäre, aber es sieht gut aus. Schlicht und einfach. Eigentlich wie immer, aber sie hatte mir die Haare geflochten und etwas Lipgloss aufgetragen, den ich eigentlich nicht mochte. Heute wars aber erträglich.
Reihe A Platz 16. Ich lief in die oberste Reihe und setzte mich auf meinen Platz. Warum ausgerechnet dieser?
Wie der Film heißt, wusste ich ja. Ich hatte sowieso vor rein zu gehen, da der Trailer ansprechend war. Es ging nicht nur um Liebe und Briefe, nein, er war auch etwas spannend. So Drama-like. Zumindest zeigte der Trailer es so. Mal sehen, wie der Film wirklich war. 'Briefe an Anna' hörte sich eher irgendwie schnulzig und langweilig an. Obwohl meine eigene 'Erfahrung' mit Briefen eher spannend und aufregend war. Ich holte die Briefe heraus und laß alle nochmal. Etwas unsinnig, aber in meiner Reihe saß sowieso niemand und so würde es niemanden stören. Außerdem war der Vorhang noch nicht mal zur Werbung offen. Ich lächelte als ich die Zeilen laß, hörte dann aber auf, da ich das Gefühl hatte, jemand würde mich ansehen. Naja, dass ist schon möglich, denn ich war ja nicht die Einzige im Kino. Es waren nicht viele da, aber ein paar einzelne Paare oder Freundinnen waren überall verstreut. Ich schaute auf, als ich Schritte hörte. Ein hübscher Junge bog eine Reihe vor mir ein und schaute mich an. Ich lächelte und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Keine Ahnung was mich dazu angetrieben hatte. Also zum Lächeln, denn die Haare waren mir ins Gesicht gefallen. Naja, meine Haare waren jetzt nicht wichtig. Zu meiner Erleichterung lächelte er zurück und dann setzte er sich. Seine Freundin würde bestimmt bald nachkommen. Die Vorhänge gingen auf und die erste Werbung erschien. Moment, ich kannte den Jungen. Er ging nämlich auf meine Schule. Aber das war wohl egal. Ich packte die Briefe wieder in die Tasche. Die Freundin des Jungens war immer noch nicht da. Naja, Werbung war sowieso nicht so interessant. Ich schaute etwas durch die Gegend. Es waren wirklich nicht viele da. War wohl kein guter Film. Oder er lief schon länger im Kino. Eigentlich das Zweite, denn ich wollte auch schon seit Längerem mit Claire hier rein. Vor allem wegen meinem Namen. Obwohl das eher Claire's Grund war. Ich glaube nicht, dass sie wirklich rein wollte, weil sie der Trailer angesprochen hatte. Naja, hatte sie auch nicht mal gesagt. Der Vorhang ging weiter auf und der Film begann. Ich rutschte ordentlich auf meinen Sitz. Anscheinend hatte der Junge rechts vor mir doch keine Freundin. Warum geht man alleine in einen Schnulzfilm? Naja, ich machte es ja schließlich auch. Aber ich hatte einen Grund. Genug gedacht, jetzt wollte ich auch etwas von dem Film sehen.
Ich bekam zwar alles vom Film mit, aber irgendwie musste ich als daran denken, was es mit diesem Kinobesuch auf sich hatte. Manche Pärchen knutschten, andere hielten Händchen, Freunde tuschelten miteinander und der Junge vor mir schaute auf die Leinwand. Das konnte ich alles von meinem Platz aus sehen. Und warum hatte ich diesen Platz? Er hätte auch einen anderen Platz wählen können. Aber nein, es war dieser. Oder war es wirklich nur Zufall? Ich nahm mein Ticket nochmal zur Hand und schaute darauf. Reihe A Platz 16. Ich blickte wieder zur Leinwand, aber hielt den Zettel weiterhin in meiner Hand.
Dieser B. ist ziemlich raffiniert. Natürlich nur, wenn hinter dieser Platznummer ein Sinn dahinter steckt. Als das Schauspielerpärchen sich küsste, da es bald zum Ende des Films kam, schaute ich wieder auf mein Ticket. A16. Briefe an Anna.
Das ist es!
Das A steht für Anna. Und die 16 ist wohl mein Alter. Also hatte diese Platznummer wirklich einen Sinn. Aber irgendwie keinen, den man nutzen konnte. Dieser B. ist ziemlich schlau. Oh man, B17. Warum bin ich darauf denn nicht früher gekommen? Mein geheimer Briefschreiber saß auf Platz 17 in Reihe B. Unzwar rechts vor mir. Jetzt weiß ich auch, warum der Junge keine Freundin dabei hatte. Irgendwie begann mein Herz an zu rasen. Er saß die ganze Zeit mit mir im Raum und ich hatte es nicht gemerkt. Ich blieb noch bis Filmende einfach so sitzen, da ich mich nicht traute ihn anzusprechen. Außerdem wollte ich das Ende auch noch mitbekommen. Als der Abspann lief, nahm ich allen Mut zusammen und beugte mich zu ihm vor. Ich tippte ihn leicht an die Schulter und sprach ihn etwas zögernd an:
"Sag mal, schreibst du gerne Briefe?"
Ein Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit.
"Ich dachte schon, du würdest gar nicht draufkommen"
"Hey, so einfach war es auch nicht"
"Es war nicht schwer", konterte er.
"Stimmt. Aber voll raffiniert. Sogar Kino 4 hat gepasst"
"Wie?"
"Ich hab vier Briefe von dir bekommen"
"Stimmt, das war gar nicht geplant", er lachte.
"Oh. Achso und danke für den Kinobesuch" Ich hatte kurz mit gelacht und dann mein Lachen in ein Lächeln verwandelt.
"Es ist irgendwie ein gutes Gefühl mit dir zu reden", meinte er, ohne auf den Dank einzugehen. Ich nickte nur. Ja, ein gutes, aber auch ein komisches Gefühl. Ich meine, ich redete gerade mit meinem Briefschreiber, der mich mit seinen Worten bezaubert hat. Ja, ich weiß, das hört sich total kitschig an, aber anders konnte man es eben nicht beschreiben, weil es wirklich so ist.
"Hast du heute noch was vor?"
"Wie heißt du eigentlich?"
Unpassend, wenn man im gleichen Moment eine Frage stellt. Wer soll denn jetzt zuerst antworten?
"Bastian" Er lächelte.
"Oh man, stimmt, du warst an dem Tag nicht da, als wir dich gesucht haben. Bastian. Also war ich doch nah dran gewesen"
"Ihr habt mich gesucht?", fragte er etwas irritiert
"Also, Bastian, ich hab heute nichts vor, wie wärs wenn wir unsere Geschichten erzählen?", fragte ich gerade heraus. Wow, ich bin gerade total selbstbewusst. Sonst war ich eher zurückhaltend.
"Gerne" Wir lächelten uns an, er streckte die Hand aus und ich ergriff sie. Einfach so. Ohne nachzudenken. Sowas war eigentlich auch nicht meine Art. Ich dachte zuerst, dann machte ich etwas. Ich kletterte über die Sitze in Reihe B und ließ dann seine Hand los. Es war nicht böse gemeint, aber ich musste noch meine Tasche holen. Das mit dem Klettern war irgendwie auch nicht meine Art. Ich hätte außerdem auch außen herum laufen können, aber naja, was soll's. Wir verließen den Kinosaal, wo keiner mehr außer uns war, und liefen einfach drauf los. Ohne überhaupt zu wissen, wo es hingehen sollte. Außer er wusste es.
Ich fing an zu erzählen. Zumindest die Geschichte mit dem Suchen. Er unterbrach mich nicht, hörte mir einfach nur zu und lachte, wenn er etwas lustig fand. Normalerweise würde ich deswegen nervös werden, aber ich fand es eigentlich gut, dass er mir zuhörte.
Dann begann er zu erzählen. Wie er sich in mich verliebte und ich so unerreichbar für ihn war. Dann hatte er sich irgendwann überlegt mir Briefe zu schreiben, damit ich ihn auch kenne und nicht nur er mich. Er erzählte es mit so einer Leichtigkeit. Ohne Scham. Er erzählte einfach. War ehrlich. Seine Art gefiel mir. Er machte sich nichts daraus, was ich über ihn denken könnte. Naja, vielleicht schon, aber er war trotzdem er selbst. Und ich auch. Ich fühlte mich echt wohl neben ihm.
Wir waren mehrere Stunden unterwegs gewesen und ich hatte irgendein Gefühl, das ich noch nicht kannte. Wir setzten uns auf eine Bank im Park. Als ich daran dachte, dass Ben, Claire und ich gestern hier lang gejoggt waren, musste ich unwillkürlich lächeln.
"Was ist?", fragte er gleich grinsend und beugte sich vor. Ich erzählte ihm von unserem Sporttag, aber nur bis zu Claire's, sagen wir, Zusammenbruch. Mittlerweile war auch wieder alles gut und sie hatte sich mit dem Gedanken angefreundet. Sie malte sogar schon aus, wie alles werden würde.
"Das klingt nach einer richtig guten Freundschaft", meinte er.
"Ja, wir kennen uns auch schon ziemlich lange"
"Meinen besten Freund kenne ich aus dem Kindergarten"
"Na, dann ist das wohl auch eine richtig lange und gute Freundschaft"
"Ja", stimmte er mir zu. Ich schaute über den See hinweg. Einfach irgendwo ins Weite. Dann schaute ich ihn wieder an.
"Liebe Anna..", meinte er und ich musste wieder lächeln.
"Lieber Bastian", tat ich es ihm gleich.
"Ich weiß, dass wir uns noch nicht lange persönlich kennen, aber irgendwie habe ich wirklich das Gefühl, dass es was werden könnte. Ich weiß, dass man das normalerweise nicht so direkt sagt, aber irgendwie musste ich das gerade tun. Oh man, ich bin so ein Idiot, es war gerade so schön und ich verkacks" Er lachte etwas verlegen über sich selbst.
"Wenn ich ehrlich bin, habe ich auch so ein Gefühl. Vielleicht ist es auch etwas Anderes, aber irgendwie sind Schmetterlinge in meinem Bauch"
"Wirklich?", fragte er ungläubig und ich nickte. Wir schauten uns tief in die Augen. Er legte eine Hand sanft an meine Wange und wir kamen uns irgendwie immer näher. Eigentlich war es absurd, jemanden, nach ein paar Stunden kennen, zu küssen. Außerdem war das überhaupt nicht so meins. Aber irgendwas sagte mir, dass es die richtige Entscheidung war. War das normal, dass man vor einem Kuss so viel dachte? Wohl eher nicht. Aber die nächsten Sekunden beziehungsweise Minuten genoss ich einfach nur.
Liebe Anna, du hast das Richtige getan, dachte ich in diesem Moment.
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