Game - Menü
Eingeloggt:
Mittwoch 23.03.2017
-
Ich bin gestorben.
Schon wieder.
Und in meinen Ohren höre ich sein tiefes, raues Lachen, welches durch meine Kopfhörer vibriert, und mich zu einem entsetzten Stöhnen zwingt.
"Ey!" Ich beiße mir auf die Unterlippe, um ein Schmunzeln zu unterdrücken. "Was gibt es da zu lachen?" Für Letzteres halte ich mir mein Mikrofon so nah gegen meine Lippen, dass ich weiß, dass ihn das penetrante Rauschen und die Lautstärke meiner Worte auf den Zeiger gehen werden.
"Ach, gar nichts.", brummt er amüsiert, und es ist als könnte ich Deons freches Grinsen direkt vor mir sehen, dabei kenne ich sein Gesicht nicht einmal. Ist es eigenartig jemanden als seinen besten Kumpel zu bezeichnen, wenn man denjenigen noch nie im realen Leben gesehen hat? "Gehst du off?", fragt er mich schließlich und ich nicke, bevor ich mir selbst die Hand auf die Stirn schlage, um mich dahinter zu verstecken. Er kann dein Nicken schlecht hören, Nelli. Ein ziemlich kluger Move deinerseits.
"Yes, ich muss morgen in die Schule." Mein Murmeln ist ein gequältes Geräusch, welches einerseits die Panik und andererseits die nicht existierende Vorfreude auf meine Abi-Vorklausur widerspiegelt.
"Wer braucht schon Schule?" Ich weiß, dass er geraden einen total überwitzigen Scherz macht, aber so sehr ich auch weiter mit ihm spielen würde, kann ich den morgigen Tag einfach nicht versäumen.
"Ich schreibe die letzte Probeklausur.", teile ich ihm mit, und lasse mich mit einem dramatischen Seufzen zurück auf mein Kissen fallen. Im Bett bringt das Spielen an der Konsole doppelt so viel Spaß. Nichts geht über einen gemütlichen Sitzplatz, während man menschlich aussehende Pixel abschlachtet. Doch als ich meine Beine ausstrecke merke ich, dass ich zu lange im Schneidersitz gesessen habe. Der Schmerz zieht von der Hüfte zu meinen Knien, wo er sich besonders wohl fühlt, bevor er sich bis zu meinen Versen ausbreitet. Ich bin neunzehn Jahre jung, aber mein Körper hat ohne mir Bescheid zu geben bereits die Rente beantragt.
"Wer br_cht schon ein Ab_ur?" Seine Stimme bricht inmitten seiner Worte ab – muss wohl an seiner schlechten Internetverbindung liegen. Ich frage mich, wie man in einer Großstadt wie Hamburg so einen schlechten Empfang haben kann wie Deon. Selbst mit einem LAN-Kabel an seiner Playstation 3, leidet er öfter an einer schlechten Verbindung als ich, die zwischen Stadt und Strand an einem deutlich unbekannteren Ort im Norden wohnt, und gerade mal eine billige 50.000 Leitung besitzt. Doch ich reime mir seine Worte zusammen – Eine Aufgabe, welche nun wirklich keinen Einstein benötigt. Nur eine Nelli, die Deons Humor versteht und seinen Versuch, mich zum Bleiben zu überreden, zu schätzen weiß.
"Netter Versuch, aber ich geh jetzt wirklich off." Mit einem schmerzverzogenem Gesicht rappele ich mich wieder auf, um nach dem Controller zu greifen, und da fällt mir ein, dass ich ihm ja noch von den aufregenden Neuigkeiten erzählen wollte. Augenblicklich verzieht sich mein grübelndes Gesicht zu einem breiten Grinsen. "Mein Onkel schenkt mir übrigens seine alte Playstation 4, dann musst du wegen mir nicht mehr auf der 3er zocken!" Seit einem Jahr hatte ich ihm versprochen, dass ich endlich das Upgrade auf die neuere Konsole machen würde. Aber was soll ich sagen, ich bin eine arme Schülerin, die all ihr Erspartes in ein Fahrrad, welches dank des Staubes wahrscheinlich schon eins mit der weißen Wand in der alten Garage geworden ist, und einen Lautsprecher für ihren alten iPod, der kein Update mehr von Apple bekommt und somit unbrauchbar ist, gesteckt hat. Ich habe keinerlei Zweifel daran, dass ich irgendwann mal eine erfolgreiche Geschäftsfrau werde.
"Yay, wird auch langsam mal Zeit." Ich habe nicht erwartet, dass er vor Freude an die Decke springt, nachdem ich ihn ein ganzes Jahr mit der Grafik der alten Konsole quälen musste – zudem ist er eher sehr sparsam mit der Auslieferung seiner Glücksgefühle. Ein richtiger Sparfuchs der Glücksgefühle, wenn man es so sagen könnte. "Dann geh mal ins Bett'chen, mein Kind.", neckt er mich und ich rolle mit den Augen. Wow, jetzt kommt er mir auf diese ekelhafte, unverschämte Art und Weise.
"Halt deinen Mund!", beklage ich mich und höre ein Rauschen in seinem Headset, gefolgt von einem weiteren tiefen Lachen. Schadenfreude ist sein ganz persönliches Ding – das habe ich in der Zeit, wo ich ihn kenne, ziemlich schnell herausgefunden. "Blah, blah – Gute Naaaacht.", lauten meine letzten Worte zum Abschied, bevor ich auf den runden Knopf auf meinem Controller drücke und die Konsole ausschalte. Der Bildschirm meines TVs wird schwarz und ich sehe mich selbst darin – ein Anblick, der mir auch gerne erspart geblieben wäre, denn mit diesem Aussehen könnte ich die Hauptrolle in einem Zombie-Thriller ergattern. Ich weiß noch, wie mein ehemaliger Teenieschwarm, Niall Horan aus One Direction, immer davon schwärmte, wie süß es doch sein, wenn Mädchen einen Messy Bun tragen, aber da ich gefühlt nur drei Haare auf dem Kopf habe, sieht es leider einfach nicht attraktiv süß aus, sondern eher süß süß – wie ein dreijähriges Kind. Und von all dem Lernen und den langen Gamenights mit Deon und unseren Onlinefreunden, haben sich dunkle Schatten unter meinen Augen gebildet. Als ich genauer hinsehe, fällt mir auf, dass ich ernsthaft noch einen Krümel meiner Barbecue-Chips im Mundwinkel kleben habe. Normalerweise würde ich den sofort auf meiner Haut spüren – mache mich sogar immer darüber lustig, wenn meiner Mum die Kleckse der Soße auf ihrem Kinn beim Essen nicht auffallen, und nun sitze ich hier in meinem Zimmer und fühle mich wie die Wiedergeburt meines faulen Zwillings. Nennen wir sie Ellie – wie die Figur meines Lieblingsspiels "The Last of Us". Obwohl – das wäre eine Schande für diese tapfere Überlebenskünstlerin. Vielleicht sollte ich lieber daran arbeiten, dass Nelli wie Ellie wird, und den faulen Zwilling aus ihrem Leben verbrannt.
Mit erhobenen Augenbrauen, welche mein Spiegelbild ohne Scheu verurteilen, nehme ich den Krümel von meiner Wange und werfe ihn in meinen Mund. Mein Handy verrät mir, dass es zu spät ist, um zu duschen. Außerdem hat mir Samara geschrieben.
Samara <3: Girl, wie kommst du mit dem Lernen zurecht?
Die Nachricht ist schon vor einigen Stunden bei mir eingegangen, und es ist komplett an mir vorbeigegangen. Nun ist es 00:30 Uhr und da ich den Schlafrhythmus meiner besten Freundin kenne, weiß ich, dass sie bereits tief und fest schlafen wird. Außer sie ist bei Yan, ihrem Freund, dann sind sie ... hellwach. Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass Samara eine Klausur aufs Spiel setzen würde. Das entspricht nicht ihrem Stil.
Während ich mich mühevoll aus dem Bett befördere, nehme ich das Handy mit ins Badezimmer, um ihr beim Zähneputzen zu antworten. So wird sie zumindest nach dem Aufstehen sehen, dass ich ihr geantwortet habe.
Ich: Girl, ich habe den ganzen Nachmittag gelernt, aber irgendwann aufgegeben und dann bis eben mit einem Kumpel gezockt. Lass uns morgen vor der Klausur noch einmal alles abfragen?!
Ich erwarte keine Antwort, und bekomme diese auch nicht. Selbst nach dem Zähneputzen ist von Samara kein Lebenszeichen zu hören. Doch als ich mein Handy zur Seite lege, um in mein Nachthemd zu steigen, läutet das helle Klingeln eine Benachrichtigung ein. Auf einem humpelnden Bein bewege ich mich auf das Gerät zu, während ich meinen Fuß in eine der kuscheligen Socken stecke, die ich während meines hektischen Schlafes sowieso wieder von mir strampeln werde.
Doch zu meiner Überraschung ist es nur Deon, der mir ein GIF eines Babys geschickt hat, in dem er mir eine gute Nacht wünscht. Ich antworte ihm mit einem Mittelfinger, weil er es nicht anders verdient hat, aber irgendwie ist es auch süß, dass er sich überhaupt noch mal bei mir gemeldet hat. Nachdem er mir mit einem unter Tränen lachenden Emoji antwortet, schmeiße ich mich auf mein weiches Bett und versinke mit dem Kopf in meinem fluffigen Kopfkissen. WhatsApp wird geschlossen und ich stelle mein Handy auf den Schlafmodus um. Vorher werden jedoch zwanzig verschiedene Wecker gestellt, weil ich mich gut genug kenne, um zu wissen, dass ich die ersten fünf sowieso verschlafen werde.
Schließlich greife ich zu meiner Nachttischlampe aus Kupfer, die ich mir vor wenigen Tagen im Sale bei IKEA gegönnt habe, und lasse das Zimmer in der Dunkelheit versinken, in der ich mich beim Schlafen am wohlsten fühle. Jedoch kann meine abendliche Routine noch nicht enden, und das bedeutet, dass ich mir die Kopfhörer ins Ohr stecke, in der Hoffnung, dass ich mich in der Nacht nicht unbeabsichtigt damit strangulieren werde, und mir ein ASMR Video zum Einschlafen gönne. Komischerweise kann ich ohne Geräusche nicht mehr einschlafen, und ASMR ist etwas, was mich schon als Kind auf die positive Art und Weise getriggert hat. Eine YouTube-Playlist mit über hundert solcher Schätze wartet nur darauf, von mir abgespielt zu werden, doch als ich die App öffne, fällt mir ein Videovorschlag sofort ins Auge, welcher sich zu verlockend anhört, um ihn nicht einmal auszuprobieren.
'ASMR Sleeping Next To Your Boyfriend. Sleeping Sounds & Soft Kissing.'
Wow, ich werde einsam sterben.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro