Kapitel 13
Gregors Training war heute gewohnt anstrengend. Kampfsportarten gefolgt von Pausen in Form von Meditation, gefolgt von Kampfsportarten und diversen Konzentrationsübungen.
"Wenn du die Kontrolle behalten wirst musst du dir selbst bewusst sein. Du musst wissen, was du umsetzt, was du denkst und fühlst und was Andromeda fühlt"
Mit geschlossenen Augen saß Ivaine auf der Matte, die Beine im Schneidersitz, die Hände auf den Knien abgelegt.
Gregor hatte sie angewiesen ihren Atem zu beruhigen, aber von den vielen Karate-ähnlichen Übungen war sie verschwitzt und müde, ihre Atem beschleunigt. "Und du musst lernen dich darauf zu konzentrieren." Ivaine hörte wie er innehielt, die Hände hinterm Rücken verschränkte und ihrem Atem lauschte.
"Du bist müde Ivaine, Andromeda nicht. Lass sie atmen" Das hatte er die letzten vier Mal auch gesagt und Ivaine verstand es beim besten Willen nicht. Immer wenn sie versuchte Andromeda die Kontrolle über ihre Atmung zu geben wurde nur ihr Geruchssinn intensiver, ihr Atem blieb aber hektisch.
"Die Lungen", es war immer das Gleiche Spiel. Gregor wiederholte dieselbe Ansagen und Ivaine hatte keine Ahnung, wie sie es umsetzen sollte. Sie starrte einen weiteren Versuch indem sie den Oberkörper anspannte und die Luft anhielt. Sie spürte wie ihre Lungen gegen ihre Rippen drückten, sie spürte Andromedas Präsenz, aber als sie wieder Luft holte war sie noch genauso außer Atmen.
"Das reicht für heute", seufzte Gregor, "Übe es zu Hause, am besten vor dem Einschlafen, versuch Andromeda atmen zu lassen!"
Ivaine eilt in die Umkleide der Sporthalle und schlüpfte schnell unter die dortige Dusche, ehe sie überpünktlich aus dem Gebäude trat. Es war noch hell und ihres Empfindens nach war es bereits in ihrer Woche hier wärmer geworden. Abend brauchte sie noch immer eine Jacke über den Hoodie, doch es wurde besser.
Noah wartete bereits auf sie. Er war ein weiterer Krieger, so groß wie Ivaine, dafür etwa doppelt so breit, mit einem Engelsgesicht, kurzen Haaren und freundlichem Wesen.
Er war ihre heute Eskorte nach Hause. Ivaine durfte sich nur im Haus alleine bewegen, sonst hatte sie immer einen Beschützer und obwohl sich Ivaine nicht unbedingt über einen Babysitter freute, war sie seit der Sache mit Luke trotzdem froh darüber.
Je näher sie dem Rudelhaus kamen, desto nervöser wurde Ivaine. Noah merkte das und hob verwirrt die Augenbrauen. "Was ist los?", das war das Erste was er heute zu Ivaine sagte.
"Der Vollmond naht", murmelte sie schnell, dabei lag es in Wahrheit daran, dass sie Rafael wiedersehen würde.
Mittags war er nicht zuhause gewesen und es war Nick, der sie zu Gregor in die Sporthalle gebracht hatte. Nun würde Ivaine ihn aber sicher sehen, sie roch schon von draußen, dass er zu Hause war und sie spürte, dass er noch immer gestresst war. Es kam ihr sogar so vor, als würde sie das Gefühle noch deutlicher wahrnehmen, jetzt wo sie den Grund kannte.
Ist es diese Ominöse Seelenverwandtschaft?
Ich spüre sie nicht, keine Ahnung, aber wir wölfe reagieren viel empfindlicher auf kleine Reize. Ihr Menschen seid wahre Grobiane was das Erahnen von Gefühlen angeht.
Woran es auch immer lag, Ivaine wusste wie sich Rafael fühlte und sie wusste welche Fragen sie ihm stellen wollte. Noah ließ sie an der Tür klopfen und verabschiedete sich erst, als Rafael ihn aus dem Flur zugenickt hatte.
Vor knapp zehn Tagen am Strand war Rafael noch wirklich gutaussehend gewesen, mit dem dunklen, gestyltem Haar, den braun-grünen Augen und der definierten Kinn Partie.
Natürlich hat er nicht all diese Eigenschaften verloren, er war noch immer gut aussehend, doch seine Augen wirkten glasiger, abwesender, dunkle Ringe hatten sich darunter gebildet und seinen Haaren schenkte er längst kaum noch Beachtung. Ein wenig zu lang und wenig zu ungekämmt standen sie unordentlich von seinem Kopf ab.
Armes Ding
Ivaine hörte den Spott in Andromedas Worten, die sofort merkte, wie Ivaine Mitleid empfand.
"Gehen wir essen? Ich habe schrecklichen Hunger", fragte sie vorsichtig, während sie ihre Schuhe auszog. "Ich habe keinen"
"Ich glaube dir nicht", Rafael war Mittags nicht zu Hause, ergo war er wohl im Wald patrouillieren oder Trainieren, jedenfalls hat er nicht gegessen und jetzt trug er noch seine Jeans und ein ordentliches T-Shirt, also musste er auch gerade erst nach Hause gekommen sein.
Rafael hielt unschlüssig an und betrachtete Ivaine mit zusammengekniffenen Augen.
"Was geht dich das an?"
"Genug, iss mit mir. Ich will nicht alleine sitzen"
Ohne auf weitere Widerworte zu warten schritt Ivaine in die Küche und begann den Tisch zu decken, sowie die Lasagne aus dem Kühlschrank zu holen, die ihnen Rosalia zu Mittag vorbei gebracht hatte.
Während sie diese zum Aufwärmen in den Ofen schob und den Tisch deckte, hörte sie wie Rafael die Treppen hoch lief.
Ohne sich beirren zu lassen rannte auch sie nach oben, zog schnell etwas gemütlicheres als die enge Jeans und den fürs Haus viel zu warmen Hoodie an und lief wieder nach unten, wo die Lasagne bereits warm war und Ivaine sie aus dem Ofen ziehen konnte.
Rafael saß am Tisch und beobachtete sie misstrauisch.
"Sie haben dir davon erzählt, nicht wahr?" Ivaine wusste natürlich worum es ging.
"Sie haben es erwähnt. Es geht um unsere West-Grenze, nicht wahr?"
"Ja, wir müssen sie dringen halten. Wölfe haben einen Jagdinstinkt und das Rudel muss die Möglichkeit haben ihn ausleben zu können. Außerdem bietet uns Wild mehr Energie als die verarbeitete Menschennahrung, wenn wir in den Kampf ziehen müssen. Wir brauchen diesen Mischwald"
"Aber wir dürfen keinen Krieg riskieren" Rafael hatte sich erhoben, um das Besteck aus der Schublade zu holen. Dementsprechend stand er jetzt neben Ivaine, die gerade die Lasagne schnitt. "Diese Frauen..."
"Sind alt und sentimental oder jung und durch die Geburt sentimental. Lass den Krieg meine Sorgen sein" Er schloss die Schublade eine Spur zu energisch für Ivaines Geschmack, sie war aber clever genug, um zu merken, dass sie hiermit nicht voran kam.
Seit wann hänge ich eigentlich von der Entscheidung eines Mannes ab? , fragte sie sich selbst genervt.
Warum musste sie Rafael Honig ums Maul schmieren, damit er auf sie hörte? Sollten sie kein Team sein? Ivaine war ihm auch keine Ruhe schuldig. Sie verstand, dass er am Ende des Tages sicher nichts mehr von Politik hören wollte, aber er redete den ganzen Tag ja nicht mit ihr darüber!
"Du bist ein Idiot, Rafael", verkündete sie ihm und wäre am liebsten aus dem Zimmer gestürmt. Sie wollte ein nettes Abendessen, sie wollte nicht alleine sitzen und sich selbst beruhigen können, doch inzwischen wollte sie nur noch aus dem Raum stürmen. Einzig ihr Hunger und die verführerische Lasagne auf ihrem Teller hielt sie davon ab.
Widerwillig ließ sie sich Rafael gegenüber auf den Stuhl fallen. "Ivaine, du bist jung-"
"Du auch, erzähl mir nicht dasselbe, wie das halbe Rudel!"
"Aber ich lerne länger als du. Du wirst noch früh genug bei alldem hier mitregieren können", obwohl der Satz durchaus diplomatisch und versöhnlich hätte sein können, klang er bei Rafael bloß vorwurfsvoll. Ivaine klappte der Mund zu. "Du bist gestresst", fing sie nun an, ehe sie den ersten Bissen nahm, "Und du hast Angst, du bist unsicher und statt dir von mir helfen zu lassen.... Warum will ich dir helfen? Ich bin dir gar nichts schuldig!", fassungslos stieß Ivaine leise Luft auf und senkte den Blick auf ihren Teller.
Rafael war von ihr anhängig, er zog den Nutzen aus Ivaines Anwesenheit! Warum bemühte sie sich?
"Weißt du?", fragte sie leise, "Mach was du willst. Du siehst übrigens verdammt müde aus. ich weiß, dass du mir beim Schlafen zuhörst. Falls du es nicht weißt, ich höre, wie du dich anspannst, wenn ich mich hin und her rolle. Aber du machst dasselbe, statt Situationen, die dir Stress bereiten anzugehen versuchst du sie einfach durchzustehen", Ivaine merkte gar nicht welchen Monolog sie hielt, ohne Rafael auch nur anzublicken. Doch es frustrierte sie so sehr. Rafael war besorgt um sie oder eher um seinen Posten, der nun mal von ihr und ihrer verdammten Jungfräulichkeit abhing. Trotzdem hatte er sie nie gefragt, wie sie geschlafen hatte, ob sie seltsame Geräusche gehört hatte oder Luke noch irgendwo gerochen hat.
Er nahm den Stress, der ihm diese Situation bescherte einfach an. "Du machst dir das selben selbst einfach unnötig schwer, ich verstehe einfach nicht..."
Als Ivaine jetzt aufblickte merkte sie, dass auch Rafael stur auf seinen Teller blickte, im Gegensatz zu ihr hatte er sein Stück aber nicht mal angerührt. "Ach vergiss es", hauchte sie, hob ihren Teller auf und flüchtete ins Wohnzimmer, wo sie den Fernseher anstellte und ihr Essen auf dem Sofa beendete.
Nach ein paar weiteren Hausaufgaben, einem Film und dem Abwaschen ihres Tellers fiel Ivaine ins Bett. Dieser Tag hatte sie furchtbar angestrengt, trotzdem schaffte sie es nicht zur Ruhe zu kommen. Ihre Gedanken drehten sich um den kommenden Kampf, um die besorgten Mütter in der Praxis und um Rafael.
Ivaine hätte es nie zugegeben, aber sie drehten sich vor allem um Rafael.
Sie hörte wie unruhig er selbst auch war. Vielleicht beeinflussten sie irgendwie gegenseitig ihre Gefühle, denn auch Rafael wälzte sich im Bett herum und griff nach einem Glas Wasser, öffnete und schloss Fenster wieder.
Ivaine lag wach und starrte ruhig an die dunkle Decke, war aber ähnlich erfolglos beim Einschlafen. Ihre Konzentration galt Rafael, seinen Bewegungen und den unruhigen Atem. Ivaine wusste, dass auch Rafael ihr zuhörte.
Plötzlich hörte sie ihn fluchen. Er stieg aus dem Bett und Ivaine ging davon aus, dass er wieder in den Garten ging. Das tat er gelegentlich, wenn er nicht schlafen konnte und wenn Ivaine Stunden später aufwachte, merkte sie manchmal, wie Rafael immer noch im Garten herumirrte, statt endlich zu schlafen. Sie fragte sich immer wieder was er da wohl machte und beschloss an jenem Abend nach zu sehen.
Ihn einfach mal in den Garten zu folgen.
Doch heute lief Rafael nicht in den Garten. Seine Schritte hielten vor Ivaines Zimmer an, er lauschte wohl, ob sie nicht doch schlief, Ivaine stemmte sich aber schon in die Ellbogen und blickte erwartungsvoll zur Tür.
Da hörte sie wie Rafaels Schritte sich wieder zu entfernen begannen.
"Wag es nicht", zischte sie laut genug, als dass er sie sicher hörte.
Wieder hielt er an, Ivaine schüttelte die Decke ab und stampfe zu Rafael in den Flur.
"Mach es nicht schon wieder", im dunkeln des Flurs sah sie seine Mimik nicht und er ihre natürlich auch nicht, allerdings griff er sanft nach ihrem Oberarm.
"Mein Bett ist groß genug für uns Beide. Es... es stresst mich dich zu weit weg zu wissen, als dass ich sofort aufspringen kann, um dich zu beschützen", obwohl jedes einzelne Wort gepresst und nur widerwillig herausgebracht schien, brachte es Ivaine zum Lächeln.
Mitten in der Dunkelheit eines kleinen Dorfes umgeben von Feinden musste Ivaine wegen ihres Entführers lächeln.
Rafael führte sie in sein Schlafzimmer, ein Raum den sie noch gar nicht betreten hatten. Allerdings war es jetzt abgedunkelt, sodass Ivaine nur die Umrisse des hell bezogenen Bettes sehen konnte.
Die rechte Seite war unordentlich und roch nach Rafael, die andere schien unbenutzt, obwohl es ein zweites Kissen gab.
Als sie unter die Decke schlüpfte wich Ivaines Anspannung. Es war auch hier warm, es roch gut und plötzlich wirkte für sie Grenzkonflikt gar nicht ,mehr so gravierend. Sie würden einmal kämpfen, einmal gewinnen und dann einen Friedensvertrag ausarbeiten. Auch Luke schien nicht mehr so gefährlich. Rafael lag jetzt neben ihr und weil das Bett gerad mal 1.40 breit sein durfte berührten sich ihre Füße und Hände in der Mitte des Bettes und desto ruhiger Rafales Atem wurde, desto fester hielt er Ivaines Hand.
Sein ruhiges Atmen war dazu eine schöne Geräuschkulisse zum Schlafen.
Ivaine schloss die Augen und realisierte kaum mehr, dass nicht nur sie heftige Gefühlsregungen in Rafael auslösen konnte, sei es auch nur Wut, sondern auch er in ihr.
Sei es eben auch nur die Wut über seine Sturheit, wenn es um Stressbewältigung ging.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro