Kapitel 17: Purpurrot
Aragorn kam langsam wieder zu Bewusstsein. Blinzelnd öffnete er seine Augen, während ein scharfer Schmerz seinen Kopf durchzog. Er wollte seine Hand heben, um zu fühlen, ob es eine Wunde oder nur eine einfache Beule war, doch diese waren hinter seinem Rücken gefesselt. Um sein rechtes Bein war ein Verband gebunden, der ziemlich frisch sein musste.
Er erinnerte sich daran, von einem der Orks verletzt worden zu sein, doch er konnte nicht mehr nach Legolas rufen, da ihm kurz danach schwarz vor Augen wurde. Und jetzt musste jemand seine Wunden behandelt haben, nur war er nicht in einem der Heilzimmer im Palast.
Erst jetzt realisierte er die Gegend um ihn herum. Sein Rücken lehnte an einer kalten Steinwand, der Boden war aus alten Holzbrettern gemacht, aus denen schon einige Splitter herausragten. Er musste in einer kleinen Hütte im Wald sein, denn durch das einzige kleine Fenster, was im Raum war, konnte man das Grün der Baumkronen sehen.
Sein Blick fiel durch den Raum, er war fast leer, bis auf ein kleines Regal und einen Tisch mit einem einzigen Stuhl. Plötzlich betrat jemand durch eine Hintertür den Raum.
„Oh, du bist wach, ich hätte nicht gedacht, dass du so lang brauchst. Es war äußerst schwierig, das Orkgift aus deinen Adern zu bekommen", sprach eine Stimme und Estel war sich sicher, sie zu kennen. Dann trat die Gestalt vor ihn.
„Otherion? Was...?", fragte er ungläubig und schaute auf den dunkelhaarigen Elben, der sich den Stuhl nahm und sich vor den Mann setzte.
„Du willst wissen warum du hier bist, richtig?", sprach Otherion und wartete nicht auf eine Antwort von Estel, bis er fortfuhr.
„Du hast es dir selbst ausgesucht hier zu sein. Auch wenn ich sagen muss, dass Legolas nicht weniger schuld ist", redete er weiter, schlug seine Beine übereinander und lehnte sich im Stuhl zurück.
„Wovon redest du?", wunderte sich Estel, der absolut keine Ahnung hatte, was der Elb von ihm wollte.
„Was, er hat es dir nicht erzählt? Er hat tatsächlich sein Wort gehalten? Unglaublich, es scheint, dass mein kleiner Bruder auf mich gehört hat. Ich muss sagen, dass hätte ich nicht gedacht", sagte der dunkelhaarige Elb und lachte bei der Verwirrung, die Estel ins Gesicht geschrieben stand.
„Was hast du ihm angetan?", fragte er, dessen Gesichtsausdruck nun zu Wut wechselte. Otherion war nicht der, für den er ihn zuerst gehalten hatte. Er war das komplette Gegenteil von Legolas, er wirkte völlig herzlos.
„Was glaubst du denn, was ich getan habe?", gab der dunkelhaarige Elb zurück und lächelte falsch.
Aragorn riss seine Augen auf und blickte zu Boden. „Du warst es... Deswegen haben Elrond und Thranduil auch den Täter nicht finden können! Penig 'ûr? (Fehlt dir das Gewissen/ Herz?)", schrie er und funkelte Otherion mit wütendem Blick an, den er aber als Schleier benutze. Den inneren Schmerz, den er bei dieser Offenbarung verspürt hatte, konnte er aber nicht vollständig verbergen.
Dieser lächelte boshaft. „Ich muss sagen, es hat mir ungemein in die Karten gespielt, dass mein Vater mich die Liste erstellen lassen hat. Zumal es auch keiner erwartet hätte, dass ich es war", antwortete er.
Estel riss an seinen Fesseln und versuchte aufzustehen. Doch die Seile waren zu fest um seine Handgelenke und Fußknöchel gebunden, er würde sich nur starke Wunden zufügen, wenn er versuchen würde, sie zu lösen.
„Glaube nicht, dass du von denen loskommst. Ich weiß wie gut du kämpfen kannst, es wäre töricht, wenn ich nicht darauf geachtet hätte, dass du dich nicht losreißen kannst", sprach Otherion und erhob sich vom Stuhl.
Aragorn wollte etwas sagen, doch er ließ Estel nicht zu Wort kommen. „Aber zukünftiger König der Menschen, erkläre mir bitte eine Sache: Warum Legolas? Er ist armselig und schwach, ist das wirklich der, den ein zukünftiger König an seiner Seite haben sollte? Du bist nicht schwach wie Legolas, du hast einen großen Namen, also warum er?", sprach Otherion und lief vor Estel auf und ab.
„Legolas ist nicht schwach! Es ist ein Wunder, dass er stark genug war, weiterzuleben nach dem was du getan hast! Wie abscheulich kann man sein, so eine Tat zu vollbringen? Anfangs dachte ich du hättest ein gutes Herz, aber ich sehe, mehr hätte ich mich nicht irren können! Gi fuion (Du widerst mich an)!", schrie Aragorn, der am liebsten aufgestanden wäre, um den dunkelhaarigen Elben zu schlagen, doch die Fesseln hinderten ihn noch daran.
Otherion verengte seine Augen und blieb nun direkt vor ihm stehen. „Um ehrlich zu sein hätte ich gedacht, du wärst schlauer... Offensichtlich kennst du Legolas und mich kein bisschen...", sagte er mit arrogantem Ton und hielt seinen Blick starr auf Estel gerichtet.
„Dann habe ich eine Frage: Warum? Warum tust du das?", gab dieser scharf zurück und versuchte erneut an seinen Fesseln zu ziehen.
„Warum? Weil dieser erbärmliche Elb nichts anderes verdient hat!", schrie er, wandte sich von Aragorn ab und lief wieder im Raum auf und ab. „Er hat meine Mutter getötet, er ist ein Mörder! Er hat in diesem Busch gehockt, sich die Hände auf die Ohren gedrückt und wie ein ängstliches, kleines Häschen gezittert!", fügte er hinzu.
Aragorn erinnerte sich an die Geschichte, Elrond hatte es ihm vor vielen Jahren erzählt, bevor er das erste Mal zum Düsterwald geritten war. „Was hätte er tun sollen? Er war damals fünf, er konnte nicht einmal ein Schwert halten! Wäre er da rausgerannt, wäre er ebenfalls gestorben! Da waren dutzende Orks!", antwortete Estel, in seiner Stimme klang reine Wut wider.
Otherion ignorierte diese Antwort und fuhr fort. „Als wäre das nicht schon genug, hat mein Vater ihn danach verhätschelt, ihn getröstet und sich um ihn gekümmert. Ich war ihm egal, ich war ja schon alt genug und kann besser mit der Situation umgehen", sprach er und stützte seine Hände auf den Holztisch im Raum. Seine Fingernägel bohrten sich in das Holz.
„Du nimmst es Legolas übel, weil sich dein Vater um ihn gekümmert hat? Das ist dein Grund?", fragte Estel, der langsam seine Fassung verlor.
„Der Grund?! Er war auch in allem besser als ich, egal ob im Schwertkampf oder im Bogenschießen. Alle haben ihn immer mehr gemocht, er ist hübscher, oh der schöne Prinz Legolas, das Licht des Düsterwaldes...!", ahmte er eine Frauenstimme nach, bis er wütend auf den Tisch schlug und in die andere Richtung des Raumes ging.
„Er ist nicht so, wie viele denken, er ist so schwach... ich brauche mich nur neben ihn setzen und er zittert schon. Und ich finde es echt immer wieder süß, wie er all meinen Lügen glaubt", fuhr Otherion fort und blieb nun am Fenster stehen, wo er sich gegenlehnte.
Aragorn wusste nicht, was er antworten sollte. Er machte sich Vorwürfe, weil er nicht bemerkt hatte, dass es Otherion war. In diesem Moment konnte er nicht sagen, wie viel Hass er für den dunkelhaarigen Elben empfand.
„Ich glaube eher, dass du der Schwache bist. Anstatt froh zu sein, dass Legolas überlebt hat, hast du nichts anderes zu tun, als ihm die Schuld an allem zu geben? Ich kann nicht glauben, wie du es überhaupt wagst jemandem so etwas anzutun! Er ist dein Bruder!", sagte er schließlich und funkelte Otherion böse an, der mit dem Rücken zu ihm gewandt am Fenster stand.
Aber dann fuhr er herum. „Du nennst mich schwach? Wie kannst du es wagen? Legolas weiß selbst sehr gut, dass er die Schuld trägt, ich will es gar nicht wagen etwas wie ihn als meinen Bruder und Teil dieser Familie bezeichnen zu müssen! Ich musste Legolas über all die Jahre erzählen, dass Thranduil ihn hasst, er hat mir geglaubt, aber nach seiner Tat ist das auch kein Wunder", erzählte er und wollte weiterreden, doch Estel unterbrach ihn.
„Du hast ihm gesagt, dass Thranduil ihn hasst? Wie..." Der Mann fand keine Worte, seinen Zorn zu beschreiben. So viele Jahre hatte er sich gewundert, warum Legolas seinem Vater nie wirklich nahestand und jetzt kannte er den Grund.
Otherion hatte dem blonden Elben nicht nur die Schuld am Tod seiner Mutter gegeben. Er schlug ihn, verängstigte ihn und manipulierte ihn, wodurch Legolas niemanden mehr hatte. Thranduil musste gedacht haben, dass der Prinz ihn nicht mochte und wollte Legolas nicht weiter bedrängen, auch wenn er mehrmals versucht hatte, seinem Sohn näherzukommen, seine Versuche wurden nie begrüßt.
„Du weißt, was Thranduil tun wird, wenn er davon erfährt oder?", fragte Estel, er hatte Mühe seine Stimme zu kontrollieren.
„Oh, das wird er nicht", gab Otherion gehässig zurück und setzte sich wieder auf den Stuhl.
„Doch, das wird er. Und wenn sie uns finden dann...", begann Aragorn, doch seine Worte wurden abgeschnitten.
„Sie werden uns aber nicht finden, dummer Mensch! Dieser Ort ist besser versteckt, als du dir vorstellen kannst! Außerdem bin ich sein Sohn, glaubst du ernsthaft, er könnte mir etwas antun?"
„Legolas ist auch sein Sohn. Und du hast ihn verletzt und das nicht nur einmal! Du wirst eine Strafe erhalten und sie werden uns finden!", schrie Estel.
„Kannst du einmal aufhören Hoffnung zu haben? Diesmal gibt es keine für dich, genauso wenig wie für Legolas!", zischte Otherion und ging auf den Mann zu.
„Ich werde nicht zulassen, dass du ihn noch einmal verletzt!"
Der dunkelhaarige Elb lachte. „Was willst du denn tun? Du bist hier, mitten im Nirgendwo und gefesselt. Ich glaube nicht, dass du mich aufhalten könntest", spottete er. „Deine Liebe zu Legolas ist nicht echt, ich habe keine Ahnung, was dich dazu bringt, so einem erbärmlichen Wesen Zuneigung zu schenken!"
„Du wagst es das anzuzweifeln? Als ob du je in deinem Leben erfahren hast, was es bedeutet zu lieben und geliebt zu werden! Du weißt nicht was es bedeutet, jemanden um jeden Preis beschützen zu wollen! Du hast keine Ahnung wie es ist, wenn man sich nur in den Armen von jemandem so geborgen fühlt, dass man denjenigen nie wieder loslassen möchte! Die Freundschaft, diese Liebe, die uns schon so viele Jahre verbindet, reicht tiefer, als du dir es je vorstellen könntest! Wage es nicht, über etwas zu urteilen, von dem du absolut nichts verstehst! Und wenn ich mein Leben geben müsste, um ihn zu retten, ich würde keine Sekunde zögern es zu tun", entgegnete Estel mit erhobener Stimme. Er beobachtete, wie Otherion sich von ihm abwandte und seinen Blick zur Wand richtete. Einige Augenblicke verharrte er so, bis er sich wieder umdrehte und neuer Zorn in seinem Gesicht aufflammte.
„Eigentlich wollte ich das nicht tun, aber du lässt mir keine Wahl", sprach er und traf Aragorn mit einem harten Schlag gegen sein Kinn.
Der Mann fiel zurück auf den Boden, wollte sofort aufstehen und zurückschlagen, doch Otherion war schneller. Mit seinem Fuß trat er auf Estels Kehle, sodass dieser keine Luft bekam und nicht die Kraft hatte, sich zu wehren. Er fixierte ihn gegen den harten Holzboden und hielt seinen Fuß genau so fest auf dem Hals des Mannes, dass er kaum atmen konnte, aber nicht erstickte.
Verzweifelt versuchte Estel Luft zu holen und Otherion von ihm wegzudrücken, er hatte jedoch keine Chance.
Plötzlich zog der dunkelhaarige Elb eine kleine Phiole aus seiner Tasche. Sie enthielt eine purpurne Flüssigkeit, Estel konnte nicht genau sagen, was es war.
„Na dann wünsche ich dir viel Spaß", sagte Otherion spöttisch und goss den Inhalt des Fläschchens in den Mund des Mannes. Er drückte ihm eine Hand auf den Mund und hielt mit der anderen seine Nase zu, sodass Estel gezwungen war, zu schlucken.
Der Elbenprinz nahm schließlich seinen Fuß zur Seite und beobachtete, wie Aragorn sich hustend auf dem Boden hin und her rollte. Die Flüssigkeit brannte höllisch in seiner Kehle und machte es unglaublich schmerzhaft, Luft zu holen.
„Ich verabschiede mich dann wohl. Du wirst wirklich viel Spaß damit haben, Mensch. Cuico mae! (Leb wohl!)", sprach Otherion und grinste hämisch. Er öffnete die Tür der Hütte und verschwand.
Estel hatte keine Ahnung, was das, was ihm verabreicht wurde, war. Das Einzige, was er sagen konnte, war, dass es verdammt wehtat. Der Schmerz fühlte sich an, wie Flammen, die ihn von innen heraus auffraßen. Er wurde immer benommener und konnte sich nicht mehr bewegen, bis ihm schließlich schwarz vor Augen wurde.
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