Kapitel 15: Offenbarungen
Legolas saß auf dem Sessel im Arbeitszimmer seines Vaters und zog die Decke, die Elrond ihm gegeben hatte fester um sich. Vor ihm stand eine kleine Tasse mit Früchtetee auf dem Tisch, aus der er aber bisher nur etwas genippt hatte.
Neben ihm standen Thranduil und Elrond, auf ihren Gesichtern war Besorgnis geschrieben und sie warteten auf eine Antwort des blonden Elben.
Dieser überlegte hin und her, ob er es erzählen sollte. Aber nun gab es nichts mehr, was er verlieren könnte, wenn er es tat, er musste es einfach tun.
„Otherion... er... hat mich... verletzt...", bekam er schließlich heraus. Die beiden älteren Elben warfen sich einen ungläubigen, verwirrten Blick zu.
„Legolas, du meinst...?", fragte der König des Düsterwaldes, der sich nicht sicher war, ob sein Sohn auch das meinte, was er dachte.
Aber der blonde Elb nickte nur stumm. Thranduils Augen weiteten sich, er griff sich mit der Hand an die Stirn und lief zum Fenster des Raumes.
Elrond blieb neben Legolas und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Legolas, warum hast du das nicht eher gesagt?", sprach er ruhig und strich ihm leicht über den Rücken.
In diesem Moment fragte sich der Prinz, warum er es wirklich nicht früher erzählt hatte. Wovor hatte er sich denn gefürchtet? Die beiden Elben schienen überhaupt keine Zweifel an der Wahrheit seiner Aussage zu haben und wenn er es eher gesagt hätte, dann wäre Estel vielleicht nichts passiert.
„Es ist alles meine Schuld... er hatte Grund genug...", flüsterte Legolas und hielt seinen Blick zu Boden gerichtet.
Thranduil drehte sich schnell um, entsetzt über die Aussage seines Sohnes. „Legolas! Egal was er dir vorgeworfen hat, es ist nicht deine schuld! Nichts, wirklich nichts rechtfertigt eine solch grausame Tat!"
„Aber ich habe Naneth (Mutter) getötet...", sagte der blonde Elb leise.
„Das hat er dir vorgeworfen? Oh Gott, es tut mir so leid iôn nîn (mein Sohn)", antwortete der König und ging auf Legolas zu. Er nahm in den Arm.
„Hör mir zu: Ich bin dir dankbar, unheimlich dankbar, dass du damals versteckt geblieben bist. Wärst du es nicht gewesen, hätte ich dich auch verloren und das hätte ich mir nie verzeihen können. Bitte Legolas, gib dir nie wieder die Schuld dafür. Es tut mir so leid, dass Otherion dir das angetan hat und ich es nicht gemerkt habe, es tut mir wirklich leid", flüsterte er in das Ohr seines Sohnes.
Es kam dem Prinzen wie das erste Mal vor, dass er von seinem Vater in den Arm genommen wurde. Bei Thranduils Worten kroch ihm eine Träne über die Wange und er drückte sich näher an ihn.
„Ich habe es nie gesagt, weil ich dachte du hasst mich... Otherion sagte, du würdest mich wegen Naneth verabscheuen", gab er leise zurück.
„Niemals, Legolas, niemals habe ich dich verabscheut und schon gar nicht deswegen, weil es nicht deine Schuld war. Ich dachte immer du würdest mich hassen und ich wollte dich nicht bedrängen, deshalb hoffe ich, dass du weißt, dass ich dich nie hassen könnte", antwortete er sanft und löste sich aus der Umarmung.
„Ich hatte Angst, dass ihr mir nicht glauben würdet, wenn ich es erzählt hätte und er hat mir gedroht... wegen mir ist Estel in Gefahr...", flüsterte Legolas und senkte wieder seinen Kopf.
„Natürlich hätten wir dir geglaubt! Du bist gutherzig, du hättest keinen Grund gehabt zu lügen, Legolas. Wir werden Estel finden, genau wie Otherion, er wird dir nie wieder etwas antun, das verspreche ich dir", sprach Thranduil und strich seinem Sohn leicht über die Schulter.
„Das war aber sicher nicht das einzige, was er getan hat, richtig?", fragte Elrond mit ruhiger Stimme und erinnerte sich an die Worte seines Sohnes, dass Otherion großen Einfluss auf Legolas gehabt haben muss, denn der Prinz hätte sich sonst sicher gewehrt oder sich eher geöffnet.
„Nein... Seit dem Tod von Naneth, er hat mich dafür bestraft, dass ich nichts getan habe, als ängstlich dort zu hocken... Ich habe jedes seiner Worte geglaubt, ich war zu klein, um seine Taten zu hinterfragen, ich ließ es einfach über mich ergehen, weil für mich alles was er sagte Wahrheit war", antwortete der blonde Elb. Ihm fiel es schwer, das zu sagen, aber er wusste es war das Richtige.
Thranduil fand darauf keine Antwort. Er konnte nicht wirklich fassen, was er gerade gehört hatte, also ergriff Elrond das Wort.
„Legolas, wir sind froh, dass du dich geöffnet hast, wirklich. Wenn wir es nur erkannt hätten, dir wäre so viel Leid erspart geblieben... Doch du bist stark, stärker als viele andere und ich kann nur sagen, alles wird gut. Diese grausamen Zeiten werden sich niemals wiederholen", sprach er ruhig.
Der Düsterwaldkönig kniete sich vor den Sessel, auf dem sein Sohn saß und strich ihm sanft über den Arm. Er schenkte ihm ein ermutigendes Lächeln. „Ich kann mich nur dem anschließen, was Elrond bereits sagte und mich entschuldigen, dafür, der wahrscheinlich schlechteste Vater auf ganz Mittelerde zu sein."
„Ada...", wollte der Prinz antworten, doch Thranduil unterbrach ihn.
„Nein Legolas, hier gibt es nichts, was man herunterspielen kann. Ich war einfach blind, womit ich dir unendliche Schmerzen zugefügt habe. Wäre Estel nicht hier gewesen, hätte ich es womöglich nicht geschafft, dich wiederaufzubauen. Deshalb kann ich ihm nur von Herzen danken."
Ein schwaches Lächeln bildete sich auf den Lippen des Prinzen, als er daran dachte, wie der Mann bei ihm war, ihn in die Arme geschlossen hatte und ihm nur mit seiner Nähe Kraft und Wärme schenkte. Er hatte ermutigende Worte gesprochen und ihm geholfen, auf andere Gedanken zu kommen und der Moment, in dem sie sich liebten, war intensiver und schöner gewesen, als es sich der Elb je hätte vorstellen können.
„Legolas, du bist erschöpft, du musst dich ausruhen. Es sind zwanzig Elben im Wald auf der Suche nach Estel unterwegs, mache dir keine Sorgen", fügte er hinzu und gab Legolas einen sanften Kuss auf die Stirn.
Der blonde Elb nickte und stand auf. „Danke...", sagte er noch leise und verließ den Raum.
„Wie habe ich es nur die ganzen Jahre nicht gemerkt?", fragte der Düsterwaldkönig und ließ sich auf einen der Sessel sinken.
„Ich habe es ebenso wenig geahnt. Niemand hat es gemerkt, nicht einmal Estel hat er davon erzählt. Ich kann nicht glauben, dass Otherion so etwas getan hat", sprach der Lord Bruchtals.
„Er hat Legolas manipuliert, belogen und verängstigt! Damals war er noch ein Kind und ich habe mich immer gewundert, warum er mir gegenüber so abweisend war...", antwortete Thranduil und verbarg sein Gesicht in seinen Händen.
Elrond ging neben ihn und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
„So viele Jahre hat Legolas gelitten, weil ich es nicht erkannt habe... Mein eigener Sohn, das werde ich Otherion niemals verzeihen können", sagte Thranduil.
Legolas war nun in seinem Zimmer angekommen. Er setzte sich auf sein Bett, zog seine Beine heran und vergrub seinen Kopf darin.
Diesmal lag niemand neben ihm. Das Bett leer und kalt, er war allein. Da war es wieder da: dieses erdrückende Gefühl. Er legte sich hin, zog die Decke fest um sich, aber die Gedanken an Estel hielten ihn trotz seiner Erschöpfung wach.
Er wusste nicht wo der Mann war und ob es ihm gutging. Es blieb ihm nur die Hoffnung, am nächsten Morgen aufzuwachen und zu erfahren, dass Estel gefunden wurde. Legolas konnte nicht aufhören, sich die Schuld dafür zu geben, auch wenn sein Vater ihm versichert hatte, dass er diese nicht trug.
Aber er war es, der es nicht erzählt hatte. Er war es, der Aragorn in diesen Teil des Waldes führte, obwohl er wusste, dass dort öfter Orks lauerten. Es war sein eigener Leichtsinn, weshalb Estel jetzt nicht in seinen Armen liegen konnte.
Schließlich konnte er seine Augen doch nicht mehr offenhalten und fiel erschöpft in den Schlaf.
Am nächsten Morgen wachte er auf und schaute neben sich, mit der Hoffnung, das Ganze war doch nur ein schlimmer Albtraum. Aber das Bett neben ihm war leer und kalt. An diesem Tag schien nicht einmal die Sonne, die dunklen Wolken, die den Himmel bedeckten, schirmten das warme Licht ab und hinterließen stattdessen ein kahles Grau.
Legolas erhob sich dann sofort aus dem Bett, zog sich schnell an und verließ sein Zimmer. Er machte sich auf dem Weg zur Halle, wo Thranduil und Elrond an der großen Tafel saßen und frühstückten.
Als sie den blonden Elben sahen, der mit erwartungsvollem Gesicht zu ihnen blickte, schüttelten sie leicht den Kopf.
Augenblicklich blieb Legolas stehen und schaute zu Boden. Schweigend ging er zum Tisch und setzte sich hin, ohne etwas Weiteres als „Guten Morgen" zu sagen.
„Meine Leute haben den ganzen nördlichen Wald durchsucht und noch etwas darüber hinaus, aber sie fanden keine Spur von ihm. Es tut mir leid, Legolas", sagte Thranduil ruhig und musterte seinen Sohn, der nur mit traurigem Blick auf seinen Teller starrte und das Essen nicht anrührte.
Er fühlte sich innerlich irgendwie leer und kalt. Die Wärme, die sich immer in ihm ausbreitete, wenn er bei Estel war, war verschwunden. Aber sicherlich hatten die Elben nur etwas übersehen und sie würden ihn bald finden.
„Ich werde dann mit in den Wald gehen", murmelte der blonde Prinz und schaute entschlossen zu seinem Vater und Elrond.
Die beiden erkannten, dass sie Legolas davon nicht abhalten könnten. Sie nickten.
„Gut, du kannst dann zusammen mit Lathron gehen, ich werde ihn informieren, dass du mitkommst", sprach der Düsterwaldkönig und winkte einen Diener herbei, um dem Elben die Nachricht überbringen zu lassen.
„Du kennst die genaue Stelle, wo ihr beiden das letzte Mal wart, vielleicht ist das hilfreich. Aber nun iss, Legolas, du kannst nicht mit leerem Magen nach ihm suchen", sagte Elrond, woraufhin Legolas nickte.
Er begann zögern zu essen und aß auch nicht besonders viel, aber dennoch genügend, um sich nicht mehr so kraftlos zu fühlen. Ihn durchflutete weiter die Hoffnung, Estel an diesem Tag zu finden. Sicher hatten die anderen Elben einfach nur etwas übersehen oder nicht an der richtigen Stelle gesucht.
Als er sein Frühstück beendet hatte erhob er sich schnell vom Tisch. Elrond und Thranduil nickten ihm noch zuversichtlich zu. Er lief zu der Waffenkammer, um seinen Bogen, einen vollen Pfeilköcher und seine Dolche aus dem Kirschholzschrank in der Ecke zu holen.
Schnellen Schrittes ging er nach unten zur großen Tür. Dort stand schon die Gruppe der anderen Elben um Lathron herum, ein mittelgroßer Elb mit hellbraunen Haaren, die er praktischerweise zu einem Zopf gebunden hatte. Legolas lief auf sie zu und schloss sich ihnen an.
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Der Thrandy hier ist so ziemlich das ganze Gegenteil von dem in meinem anderen Buch (zumindest am Anfang) xD
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