kapitel 15 : dr. victor frankenstein
Doch dann geschah etwas Unerwartetes. Bevor sie auf den harten Boden krachen konnte, spürte sie plötzlich, wie starke, sichere Hände sie auffingen und festhielten. Enoch, der die ganze Zeit über ihre Kletteraktion beobachtet hatte, reagierte blitzschnell und verhinderte ihren schmerzhaften Aufprall. In dem Moment, als er sie auffing, schien die Welt stillzustehen und der Schreck des Sturzes verwandelte sich in eine unerwartete Geborgenheit.
Die beiden starrten sich an, Libitina immer noch in Enochs Armen, ihre Herzen hämmerten wild vor Adrenalin und Erleichterung. Sie konnte seinen Atem spüren, warm und beruhigend, und seine Augen, tief und durchdringend, durchsuchten ihre Seele. In diesem intensiven Augenblick schienen sie die einzigen Lebewesen auf der Welt zu sein. "Danke", hauchte Libitina leise, ihre Stimme brüchig vor Aufregung und tiefer Dankbarkeit. Es war ein einfaches Wort, doch es trug die ganze Tiefe ihrer Gefühle in sich, und sie wusste, dass Worte allein nicht ausreichten, um auszudrücken, was sie gerade empfand.
Enoch ließ seine Arme sanft nach, setzte sie behutsam auf den Boden und löste den engen Kontakt, doch sein Blick verweilte auf ihr. "Sei vorsichtiger, Libitina", sagte er mit einem Hauch von Sorge in seiner Stimme, und es schien, als ob er mehr sagen wollte, aber seine Worte blieben unausgesprochen. In seinen Augen konnte sie eine Welt der Rätsel und Geheimnisse erkennen, die sie neugierig machten und sie noch tiefer in seinen Bann zogen.
Libitina nickte langsam, während sie immer noch von der unmittelbaren Begegnung mit der Gefahr und ihrer Rettung durchdrungen war. Ihr Herzschlag hatte sich zwar beruhigt, doch die Eindrücke und Emotionen dieses Augenblicks verharrten lebhaft in ihrem Inneren. Es war, als ob die Zeit in diesem Moment eine Pause eingelegt hätte, um ihr die Gelegenheit zu geben, das Erlebte zu verarbeiten. Doch trotz des überwältigenden Moments konnte sie ihren Blick nicht von Enoch abwenden. In seinen Augen glaubte sie eine tiefere Verbindung zu erkennen, eine Verbindung, die über das Hier und Jetzt hinausging. Sie spürte, dass es noch so viel mehr über diesen geheimnisvollen Jungen zu erfahren gab.
Diese Augen waren dieselben, die sie in ihren Träumen verfolgt hatten, dieselben Augen, die sie so verletzt angeschaut hatten, als sie fortgegangen war, und dieselben Augen, die sie einst vor einem Sturz von diesem Baum gerettet hatten. Ein Hauch von Magie und Schicksal schien zwischen ihnen zu schweben.
Doch bevor sie tiefer in diese Gedanken eintauchen konnte, wurde die magische Stille jäh unterbrochen. Jake stürmte wütend und besorgt auf sie zu, seine Stimme voller Vorwürfe. "Verdammt, Libitina! Da bist du ja! Ich habe mir Sorgen gemacht! Wieso hast du dich davongeschlichen?", rief er aufgebracht aus, während er seinen Ärger und seine Erleichterung kaum verbergen konnte.
Libitina und Enoch lösten sich voneinander, doch in ihren Augen schien die Verbindung noch für einen Moment länger zu halten. Ein sanftes, verschmitztes Lächeln zierte Libitinas Lippen, während sie auf Jakes aufgebrachte Worte antwortete. Ihre Stimme trug eine leichte Prise von Ironie und herausfordernder Leichtigkeit, als sie sagte: "Ach, Jake, komm schon. Glaubst du wirklich, ich hätte dich einfach so allein gelassen, ohne ein kleines Abenteuer in deinen Tag zu bringen? Mal ganz abgesehen davon, als ob dich wirklich interessieren würde, wo ich bin..."
In ihren Augen glitzerte ein frecher Funke, während sie die Mischung aus Ärger und Sorge in Jakes Blick bemerkte. Der Moment schien von einer subtilen, aber spürbaren Spannung erfüllt zu sein, und Libitina genoss die spielerische Provokation.
Jake, der von ihrer Reaktion überrascht war, hakte nach: "Was meinst du denn damit?"
Libitina schüttelte leicht den Kopf und ihre Antwort hatte einen Hauch von Geheimnis in sich: "Ach, nichts wirklich. Vergiss es einfach." Ihre Worte klangen beinahe wie ein leises Flüstern, bevor sie an Jake vorbeieilte. Ihre Schritte führten sie entschlossen in Richtung des beeindruckenden Hauses, das noch viele weitere Geheimnisse und Abenteuer versprach. Die Atmosphäre im Garten schien von einer Mischung aus Magie und unergründlicher Anziehungskraft erfüllt zu sein, und Libitina konnte es kaum erwarten, mehr von diesem außergewöhnlichen Ort zu erkunden.
~~~
„Jake! Libitina! Kommt her und lernt Enoch endlich richtig kennen!" Olives Stimme durchbrach die Stille wie ein Glockenschlag. Begeistert winkte sie den beiden zu, während sie die Treppe hinablief, ihr langes Kleid flatterte leicht bei jeder Bewegung. Ihre Augen funkelten vor Vorfreude, und ein Lächeln, so warm wie die Mittagssonne, lag auf ihren Lippen. Doch kaum hatte sie den Satz beendet, verschwand sie auch schon hinter einer Tür, ohne auf eine Antwort zu warten.
Jake folgte ihr gemächlich, die Hände lässig in den Taschen seiner Jacke vergraben. Libitina hingegen zögerte nicht. Neugier und ein Hauch von Herausforderung trieben sie an, und mit einem letzten, vielsagenden Blick auf Jake betrat sie den Raum.
Drinnen war es still, bis auf das leise Kratzen von Werkzeug auf Holz. Enoch saß an einem großen, wuchtigen Schreibtisch, der beinahe die Mitte des Zimmers ausfüllte. Auf der Oberfläche lagen Puppenteile, fein säuberlich in verschiedene Stadien der Bearbeitung sortiert, sowie seltsame Werkzeuge, deren Funktion Libitina sich kaum vorstellen konnte. Seine Hände arbeiteten präzise an einem filigranen Mechanismus, doch als sie eintraten, unterbrach er seine Arbeit. Er blickte auf, seine stechenden grauen Augen musterten die beiden Eindringlinge mit einer Mischung aus Skepsis und leiser Amüsiertheit.
Jake hingegen hatte seine Aufmerksamkeit sofort auf ein Regal gelenkt, das mit seltsamen Gläsern bestückt war. In jedem Glas schwammen unheimlich vertraut wirkende Organe in einer klaren Flüssigkeit. Ein leichtes Frösteln durchlief ihn, doch seine Neugier hielt ihn an Ort und Stelle.
Enochs Blick wanderte zwischen ihnen hin und her, bevor er trocken bemerkte: „Ihr seht aus, als wärt ihr in der falschen Geschichte gelandet." Seine Worte triefen vor Sarkasmus, und sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass er es genoss, die beiden aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Libitina hob die Augenbrauen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Das ist mir auch schon aufgefallen", gab sie mit gespielter Theatralik zurück, bevor sie, mit einem neckischen Unterton in der Stimme, hinzufügte: „Ein Herz aus Stein, wie ich vermutet hatte."
Eine kurze Stille trat ein, doch Libitina ließ sich davon nicht beirren. Mit einer übertrieben freundlichen Stimme, die Enochs ernste Miene zu verspotten schien, setzte sie an: „Hallo, mein Name ist Enoch", begann sie und ahmte ihn auf amüsante Weise nach, „schön, euch kennenzulernen. Und ihr seid?"
Dann wechselte sie blitzschnell in ihren normalen Tonfall und zeigte mit einer dramatischen Geste auf sich selbst. „Ach ja, ich bin Libitina – oder Beatrix Libitina, wenn man ganz formell sein möchte – und das hier", sie deutete über ihre Schulter auf Jake, „ist Jake. Es ist mir wirklich eine Ehre, Sie kennenzulernen."
Enoch starrte sie an, seine Miene unbewegt, doch in seinen Augen blitzte eine Spur von Überraschung auf. Sie streckte ihm keck die Zunge heraus, bevor sie sich mit einem neugierigen Blick dem Regal mit den Organen zuwandte. „Was sind das überhaupt für Dinger?" murmelte sie mehr zu sich selbst, während sie mit den Fingern über ein Glas strich.
„Sorge hatte ich wirklich keine", kommentierte Enoch trocken, ein kaum wahrnehmbares Lächeln umspielte seine Lippen. Doch bevor Libitina antworten konnte, wandte er sich an Jake, sein Ton wurde einen Hauch ernster. „Ich habe einen Rat für dich, von Mann zu Mann."
Libitina, die die Ernsthaftigkeit in seiner Stimme spürte, trat einen Schritt zurück und hob die Hände, als wollte sie sagen: Ich halte mich raus. „Na, das wird jetzt spannend", flüsterte sie mit einem Grinsen und zog sich zum Fenster zurück, wo sie begann, scheinbar desinteressiert nach draußen zu starren.
Enoch lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und fuhr fort: „Wenn du daran denkst, wegen Emma hier zu bleiben, spar dir die Mühe. Sie hat der Liebe vor Jahrzehnten abgeschworen."
Die Worte ließen eine schwere Stille im Raum entstehen, die fast greifbar war. Jake, überrascht von der plötzlichen Wendung, suchte nach den richtigen Worten, doch bevor er etwas sagen konnte, brach Libitina in das Gespräch ein.
„Oh, du magst sie, nicht wahr?" sagte sie mit einem breiten Grinsen und drehte sich zu Jake um. „Lass mich raten – du hast es schon bei ihr versucht, und sie hat dich abblitzen lassen." Ihre Augen funkelten vor Schalk. „Aber na ja, wer kann es ihr verdenken? Em's Herz gehört schließlich Abe..."
„Libitina!" Jakes Stimme war scharf, und er sah sie mit einem Blick an, der keinen Widerspruch duldete. Sie hob gespielt unschuldig die Hände und biss sich auf die Unterlippe, während sie ein leises Lachen unterdrückte.
„Ich sollte wirklich anfangen, vorher nachzudenken, bevor ich rede, oder?" murmelte sie und lehnte sich mit verschränkten Armen an die Wand. „Wobei... ich bin wohl kaum die Richtige, um über gebrochene Herzen oder das Abschwören der Liebe zu urteilen."
Ihre Worte hingen in der Luft, ein stilles Echo, das selbst Enoch für einen Moment innehielt. In ihren Augen lag ein kurzer, unerwarteter Glanz von etwas Tiefem, Schmerzlichem, bevor sie sich wieder fasste. Doch der Augenblick hatte etwas verändert – eine leise, unausgesprochene Verbindung war entstanden, die keiner der drei benennen konnte.
„Enoch, ich wollte das wirklich nicht ... was machst du da?" Jakes Stimme zitterte leicht, ein unverkennbarer Hauch von Ekel schwang darin mit, während sein Blick auf den seltsamen Vorgang gerichtet blieb, der sich auf Enochs Schreibtisch entfaltete. Der Raum, ohnehin von einer dunklen, geheimnisvollen Atmosphäre erfüllt, schien nun förmlich in Spannung zu vibrieren, als wären die Worte unausgesprochener Wahrheiten irgendwo in der Luft gefangen.
Libitina, die sich gerade vom Fenster abgewandt hatte, hielt in ihrer Bewegung inne. Jakes Frage und der eigentümliche Klang seiner Stimme ließen sie zögern. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie sich wirklich näher heranwagen sollte, doch ihre Neugier war stärker. Langsam trat sie an den Schreibtisch, ihr Herz klopfte schneller, als sie den Anblick vor sich in sich aufnahm.
Dort saß Enoch, tief über seine Arbeit gebeugt, sein Gesicht konzentriert, beinahe finster. Mit unglaublich geschickten Fingern setzte er ein kleines Herz in die Brust einer kunstvoll gestalteten Puppe ein. Auf dem Tisch lagen weitere Puppenteile verstreut, sorgfältig nach Größe und Detail sortiert, sowie ein Sortiment an Werkzeugen, deren Funktionen Libitina nur erahnen konnte.
Ein merkwürdiger Ausdruck legte sich auf ihr Gesicht – eine Mischung aus Faszination und Unbehagen. „Das ist ... faszinierend", murmelte sie leise, mehr zu sich selbst als zu jemand anderem. Doch ihre Worte blieben nicht ungehört.
„Chirurg könntest du sein", platzte sie schließlich heraus, ihr Ton halb neckisch, halb bewundernd, bevor sie innehielt. Ein scharfer Stich der Erinnerung fuhr ihr durch die Brust, als ihr einfiel, dass in dieser Welt Zeit und Bedeutung anders funktionierten. „Oh, tut mir leid", fügte sie hastig hinzu, ihre Wangen färbten sich leicht rosa, während sie einen scheuen Blick in Enochs Richtung warf.
Enoch hielt kurz inne, sein Blick traf ihren. Etwas in seinen grauen Augen – etwas, das wie ein Funke von Neugier oder vielleicht auch Schmerz wirkte – schien ihre Worte für einen Moment tiefer zu durchdringen, als er zugeben wollte. Doch ohne ein Wort widmete er sich wieder seiner Arbeit und setzte ein weiteres Herz in eine andere Puppe ein.
Plötzlich begann die Puppe vor ihren Augen zu zucken, als würde unsichtbares Leben in sie einströmen. Ihre Bewegungen wurden fließender, eleganter, fast surreal. Es war, als würde sie von einer fremden Macht gelenkt, und Libitina konnte nicht anders, als staunend zu beobachten. Das Spiel aus Leben und Mechanik fesselte sie, und gleichzeitig jagte es ihr eine Gänsehaut über den Rücken.
„Das ist doch fantastisch, oder?" Olives helle Stimme durchbrach den Bann. Sie war unbemerkt wieder in den Raum getreten und sah das Schauspiel mit leuchtenden Augen an. Ihre Begeisterung war ansteckend, doch Libitina erwiderte trocken: „Wenn man den Charakter des Puppenspielers ignoriert, ja."
Sie schenkte Enoch ein schiefes, herausforderndes Lächeln, doch dieser schien unbeeindruckt. Stattdessen wandte er sich Jake zu, der immer noch mit einer Mischung aus Faszination und Unbehagen auf die Puppen starrte. „Das hier?" Enoch deutete auf die lebendig gewordenen Marionetten. „Das ist noch gar nichts. Wollt ihr etwas wirklich Unterhaltsames sehen?"
„Ja", antwortete Libitina, bevor Jake überhaupt Luft holen konnte, ihre Stimme war fest und voller Erwartung. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, ihre Augen funkelten vor Abenteuerlust.
Enoch beugte sich zu einer der Puppen hinunter und flüsterte etwas, das niemand außer ihm hören konnte. Und dann geschah es. Die Puppen begannen, sich aufeinander zu stürzen. Was zunächst wie ein einfacher Tanz erschien, entwickelte sich schnell zu einem atemberaubenden Kampf. Ihre Bewegungen waren präzise, kunstvoll und so lebendig, dass man fast vergessen konnte, dass sie keine echten Wesen waren. Olive klatschte begeistert in die Hände, während Libitina einen Schritt nach vorn trat, ihre Augen fixierten das Geschehen mit einer Mischung aus Staunen und Vergnügen.
„Das ist ... wahnsinnig beeindruckend", murmelte sie schließlich, ihre Stimme trug einen Hauch von Ehrfurcht. Doch dann schlich sich ein schelmisches Lächeln auf ihre Lippen, und sie fügte hinzu: „Jetzt werde ich dich wohl Dr. Victor Frankenstein nennen müssen, oder?"
Enoch hielt inne, sein Blick war einen Moment lang irritiert, bevor er wieder die gewohnte Kälte annahm. „Sie sind Marionetten", sagte er mit einer beunruhigenden Gelassenheit. „Sie gehorchen mir aufs Wort. Menschen sind übrigens genauso steuerbar. Du hättest die Schlachten in dem Bestattungsinstitut meiner Eltern sehen sollen."
Libitina, unfähig, die düstere Faszination abzulegen, erwiderte mit einem breiten Lächeln: „Oh ja, das hätte ich wirklich gern gesehen." Dann, leiser, mehr zu sich selbst, fügte sie hinzu: „Vielleicht könntest du das ja auch mit mir ..."
Die Worte hatten ihren Mund verlassen, bevor sie es verhindern konnte. Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Enoch hob überrascht eine Augenbraue, doch bevor er etwas sagen konnte, trat sie hastig zurück und stellte sich ans Fenster. „Nichts", murmelte sie schnell, den Blick nach draußen gerichtet, ihre Hände unsicher ineinander verschränkt.
Doch Olive bemerkte die plötzliche Spannung und nahm Libitinas Hand, ihre Berührung sanft, aber bestimmt. „Komm", sagte sie und zog sie aus dem Raum. Libitina ließ es zu, dankbar für die Ablenkung, während ihre Gedanken noch immer um die Worte kreisten, die sie niemals hatte laut aussprechen wollen.
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