23. Türchen
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Meine lieben Leser, nun heisst es wohl auch Abschied von Nora und Lucien zu nehmen. Dies ist nämlich der letzte Teil dieser Geschichte und ich hoffe, er gefällt euch. Ich muss sagen: "Ich hab es richtig genossen, diesen Kalender mit meinen lieben zwei Autorinen LittleAngel97 und lullaby1988 zu schreiben. Die Idee von dir LittleAngel97 war wirklich toll"
So und jetzt wünsche ich euch nun viel Spass beim Lesen!
Liebe Grüsse
AliBDJ :)
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Der Abgrund und das Licht Part 8
Nora stand vor dem Ausgang des Krankenhauses. Nur noch einen Schritt, sie musste nur noch einen Schritt machen. Einen Schritt den sie in die Freiheit entlassen würde. Nur noch durch diese eine Tür. Jeder andere würde sich vielleicht freuen, das Krankenhaus verlassen zu können, nicht so Nora.
Wenn sie diesen einen Schritt wagte, verliess sie den Ort, an dem sie sich die letzten Tage immer sicherer gefühlt hatte, an dem sie mit Hilfe ihres Psychologen langsam lernte, mit ihren Gedanken und Selbstzweifeln umzugehen. Aber wenn sie nun dieses Gebäude verliess, war sie wieder auf sich selbst gestellt. Wie sollte sie das alles auf die Reihe kriegen? Wie sollte sie jetzt ihre Wohnung und Rechnungen bezahlen? Sie konnte nicht zu Bucklands zurück und wenn sie nicht wieder zur Arbeit erschien, dann...
Tränen liefen ihr über die Wangen und schon begann ihr ganzer Körper zu zittern. Sie konnte hier nicht raus, sie wollte nicht gehen. Diese kalte Welt in der sie sich nicht mehr wohl fühlte.
Nora umklammerte mit beiden Händen den Griff ihrer Tasche. Sie starrte auf die Tür vor sich und konnte sich nicht mehr bewegen.
„Ich... Ich kann das nicht", flüsterte Nora. Sie wusste, dass Lucien sie hörte und auch dass ihr Psychologe es verstand. Sie machte einen Schritt zurück und schüttelte mit dem Kopf.
„Ich kann nicht. Ich kann nicht", wiederholte sie sich immer wieder. Wie hatte sie nur denken, dass sie schon bereit dazu wäre. Sie konnte nicht zurück in ihr altes Leben. Sie konnte nicht da weiter machen, wo sie aufgehört hatte, das Leben zu geniessen. Nora versuchte sich daran zu erinnern, wann sie das letzte Mal gelacht hatte, wann sie das letzte Mal glücklich war, doch da war nichts. Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, in der sie sich so einsam und ungeliebt gefühlt hatte.
Und nun sollte sie wieder da ansetzten, wo sie aufgehört hatte richtig zu leben? Wie bitteschön hätte sie das machen sollen?
„Was hält Sie davon ab, das Krankenhaus zu verlassen?", fragte der Psychologe. Er stand etwas hinter ihr und sie spürte, wie er sie beobachtete. Lucien, wo war Lucien? Sie wollte nicht mit ihrem Psychologen reden. Sie wollte nur, dass Lucien jetzt bei ihr war und sie in die Arme nahm. Schnell schaute sie sich um.
„Luc, wo bist du?", fragte sie. Er war doch gerade eben noch da gewesen. Nora drehte sich um ihre eigene Achse und als sie ihn noch etwas weiter entfernt, hinter sich stehen sah, konnte sie ihre Tränen nicht mehr zurück halten. In diesem Moment machte es ihr nichts aus, dass jemand sie so sah. Sie wollte einfach nur noch in seinem Armen sein. Nora wollte seine beschützenden Arme um sich spüren und vergessen. Vergessen wo sie war, vergessen, was geschehen war. Vergessen, weshalb sie hier stand und weinte.
Doch sie machte keinen Schritt auf ihn zu. Sie sah ihn nur an und als wüsste er, was sie brauchte, kam er auf sie zu und drückte sie ganz fest an sich. Nora roch seinen süssen Duft; Vanille mit etwas sinnlichem vermischt und für einen Moment erinnerte sie sich an ihren absurden Traum. Sie hatte von diesem Duft geträumt, von seinem Duft. Schon immer hatte sie diesen als anziehend empfunden, aber in diesem Moment, beruhigte er sie. Sie atmete tief ein und weinte an Luciens Brust. Er drückte sie ganz fest und strich ihr über den Rücken. Liess sie einfach weinen und gab ihr das, was sie brauchte: Seine Nähe.
Nora liebte Lucien, das wurde ihr in den letzten Tagen immer mehr bewusst. Jedes Mal, wenn er in ihrer Nähe war, schlug ihr Herz schneller, ihr Körper fing an zu kribbeln und immer wenn er nicht da war, fragte sie sich, was er tat. Wusste sie etwas nicht, wollte sie Lucien um Hilfe beten und nur dank ihm, stand sie nun hier. Hier vor dem Ausgang des Krankenhauses. Aber was empfand er für sie?
Öffne endlich deine Augen, Nora! Öffne deine Augen, hörte sie wieder ihre innere Stimme und noch immer hatte sie keine Ahnung, was ihr Inneres damit meinte.
„Ich kann nicht, Lucien. Ich k-kann nicht...", stotterte Nora an seine Brust. Er drückte sie etwas weg von sich und hob ihr Kinn an. Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen.
„Sieh mich an Nora", befahl er ihr mit sanfter aber bestimmter Stimme. Er wartete, bis sie ihn endlich anblickte und als sie seine Augen sah, versank sie fast darin. Dieses tiefe Blau zog sie in ihren Bann und in diesem Augenblick vergass Nora völlig, wo sie war. Erst als sie seine Stimme hörte, wurde ihr wieder bewusst, weshalb sie noch immer hier stand und weshalb sie nicht von diesem Ort weg wollte.
„Was kannst du nicht?", fragte Lucien sie. Er sah sie forschend an und doch meinte sie etwas in seinen Augen zu sehen, das mehr als nur Besorgnis zeigte. Es war dieses Leuchten, das sie schon lange nicht mehr in seinen Augen gesehen hatte. Dieses Leuchten gab ihr aus irgendeinem Grund Hoffnung.
„Ich kann nicht...weg von hier", flüsterte sie. Lucien strich ihr mit dem Daumen eine Träne von der Wange und sah ihr dabei in die Augen. Seine Berührung hinterliess ein prickelndes Gefühl auf ihrem Gesicht.
„Was hält dich davon ab?" Nora wollte es ihm nicht erzählen. Es war ihr eigenes Problem. Sie wollte ihn nicht damit belasten.
Er würde nicht fragen, wenn es ihn nicht interessiert. Er glaubt an dich. Lucien würde dich nie verletzten. Weshalb vertraust du ihm nicht?
Nora konnte selbst nicht glauben, was sie da gerade dachte. Sie vertraute Lucien doch oder etwa nicht? Sie kannte ihn seit Jahren und hatte ihm immer alles erzählt.
Aber die letzten Monate hast du das nicht gemacht. Du hast dein eigenes Vertrauen verloren und so auch das zu Lucien. Er wird für dich da sein. Nora hör endlich auf, dich zurück zu ziehen! Du musst endlich wieder vertrauen. Vertrau den Menschen, die dich lieben, die vorher schon für dich dagewesen waren!
„Ich habe Angst davor", wisperte sie und weiter Tränen schlichen sich über ihre Wangen. Sie konnte ihm jedoch nicht in die Augen schauen. Sie schämte sich für ihre eigene Angst, für ihre Schwäche.
Wieder legte Lucien seine Finger an ihr Kinn und zwang sie so, ihn anzusehen.
„Versteck dich nicht vor mir, Nora. Du kannst mir alles sagen. Ich bin hier und ich werde nicht verschwinden, dafür bist du mir viel zu wichtig. Du musst keine Angst haben. Ich werde da sein, wenn du mich brauchst", sagte er mit solch einer Inbrunst, die sie noch nie von ihm gehört hatte. Und sie glaubte ihm, sie hatte gar keine andere Wahl.
„Aber was ist mit Bucklands? Ich... ich kann nicht wieder zurück, aber ich muss. Ich muss zurück und... und Timothy, er...er", schluchzte sie und ihr ganzer Körper begann wieder zu zittern. Sie klammerte sich an Luciens Brust und spürte wie er seine Arme beschützen um sie legte.
„Du wirst nicht zurück zu Bucklands gehen. Das musst du nicht." Nora schüttelte den Kopf.
„Aber was ist mit dem Vertrag? Ich habe kein Geld. Ich kann nicht zahlen!" Ihre Stimme war brüchig und am liebsten hätte sie sich nun in ihr Zimmer in der psychiatrischen Abteilung zurückgezogen. In den letzten Tagen hatte sie es für sich alleine gehabt, da ihr Zimmernachbar nach fünf Wochen endlich entlassen wurde.
Sie hatte es zwar immer genossen, wenn Lucien bei ihr war und mit ihr geredet und gewitzelt hatte. Einmal brachte er eines von Noras Lieblingsbüchern vorbei. Zeit im Wind, eine epische Liebesgeschichte die mit so viel Gefühl geschrieben wurde uns sie jedes Mal aufs Neue in Tränen ausbrechen liess.
„Wenn du schon so wenig machst, dann liess wenigstens ein bisschen", war seine einfache Begründung gewesen und sie hatte es nur dankbar annehmen können. Sie hatte sofort begonnen zu lesen, als er sich verabschiedet hatte und sie ihren Gedanken entfliehen wollte.
„Nora, dieser Vertrag spielt keine Rolle mehr. Schon nur dass dich deine Arbeitskollegen so fertig gemacht haben, ist Grund genug. Und was er mit dir machen wollte, lässt den Vertrag erst recht anfechtbar machen. Und Timothy muss dafür büssen, was er dir angetan hat, Nora. Du darfst sie alle nicht ungeschoren davonkommen lassen", meinte Luc jetzt etwas aufgebracht, jedoch gab er sich Mühe, ruhig zu sprechen. Denn das ging sonst niemanden an hier.
Nora zuckte zusammen. Sie hatten schon einmal während einer Sitzung darüber gesprochen, sie und ihr Psychologe. Sie hatte Angst, Timothy noch einmal gegenüber zu treten. Und auf keinen Fall wollte sie vor all ihren Arbeitskollegen in Tränen ausbrechen. Sie wollte nicht, dass sie sahen, wie schwach sie war. Das konnte sie einfach nicht.
„Nora, wir haben das schon einmal besprochen und Sie müssen nicht vor alle den Menschen ihre Aussage machen. Ich kann Sie zu nichts zwingen, aber ich kann Ihnen raten, vor Gericht zu gehen. Es wird Ihnen auch dabei helfen, all das Geschehene zu verarbeiten", mischte sich nun der Psychologe ein, der die ganze Zeit über nur ein paar Meter von ihnen entfernt gestanden hatte und sie beobachtet hatte.
Nora spürte, wie sich ihr ganzer Körper verkrampfte. Sie drehte sich etwas zu ihrem Psychologen und nahm Luciens Hand in die ihre. Sie spürte, wie er ihre Hand sanft drückte. Er gab ihr zu verstehen, dass sie nicht alleine war, dass er sie bei allem unterstützen würde.
„Ich... Ich weiss nicht, ob ich das schaffen werde", gab Nora leise zurück und sah dabei keinen der beiden Mannen an. Sie schämte sich für ihre Schwäche.
„Sie müssen das nicht alleine durchstehen, Nora. Ihr Freund wird bei Ihnen sein und auch ich werde Ihnen helfen. Wenn Sie bei mir in der Sitzung sind, werden wir weiterhing daran arbeiten, dass Sie wieder an sich glauben können, Nora. Sie sind nicht alleine." Der Psychologe kam näher zu ihr und sah sie mit einem aufmunternden Lächeln an.
„Du bist nicht alleine, Nora. Ich werde nicht mehr von deiner Seite weichen", hörte sie Lucien neben sich und nun wendete sie ihre Aufmerksamkeit wieder zu ihm. Was er gesagt hatte, liess ihren ganzen Bauch rebellieren. Es war kein unangenehmes Gefühl. Im Gegenteil, sie genoss es. Er würde nicht mehr von ihrer Seite weichen...
Öffne deine Augen, Nora, hörte sie wieder ihre innere Stimme. Aber konnte es denn wirklich sein? Konnte es denn wirklich sein, dass diese Worte eine tiefere Bedeutung hatten?
Nora wollte ihn küssen, wollte ihn an sich spüren, doch ehe sie es wirklich dazukommen liess, löste sie sich von seinem Blick und wendete sich von ihm, hielt seine Hand aber weiterhin fest.
Sie atmete tief durch, schloss für einen Moment die Augen und wendete sich dann ihrem Psychologen zu.
„Ich werde jetzt aus diesem Krankenhaus gehen. Ich habe Angst davor in die Realität zurück zu kehren, aber ich werde es schaffen. Ich danke Ihnen dafür, dass sie so geduldig waren mit mir. Ich weiss, es ist ihr Job, mir zuzuhören, aber auch dass sie akzeptiert haben, dass ich Lucien dabei brauchte... Ich danke Ihnen." Ihr Psychologe lächelte sie an und schien sich wirklich sehr zu freuen. Sie sah kein aufgesetztes oder falsches Lächeln. Dieses Lächeln kam von Herzen.
„Es ist mein Job, ja, da gebe ich Ihnen recht, dennoch tue ich nicht nur zu, weil ich es muss. Und ihre Fortschritte in den letzten Tagen waren erstaunlich. Ich danke Ihnen, für Ihre nette Worte und will sie nicht länger aufhalten. Wir sehen uns am Donnerstag." Damit verabschiedete sich ihr Psychologe und Nora sah zu Tür.
„Wollen wir?", fragte Lucien und wieder blickte sie zu ihm auf. Nora nickte nur und spürte, wie er ihre Hand drückte. Sie lächelte und ging mit ihm durch den Ausgang.
Nora war nun seit drei Tagen aus dem Krankenhaus entlassen worden und im Moment schien es ihr richtig gut zu gehen. Sie waren zusammen auf dem Weihnachtsmarkt und Nora ging von einem Stand zum nächsten. Sie sah sich alles an und ihre Augen leuchteten vor Begeisterung. Wie lange hatte er das vermisst. Sie so ausgelassen und glücklich zu sehen. Seit Wochen und Monaten hatte er den Glanz in ihren Augen nicht mehr gesehen.
Am Montag, einen Tag nachdem sie Entlassung wurde, hatte sie sich ihren Selbstzweifeln überlassen. Sie war in einer Ecke im Zimmer gehockt und hatte immer wieder gesagt, dass alles ihre Schuld war, dass niemand sie mochte. Sie hatte die Arme um ihre Beine gelegt und war hin und her gewippt. Lucien hatte es fast das Herz zerbrochen. Er war langsam zu ihr hin gegangen. Sie war vor ihm zurück gezuckt, als hätte sie ihn erst da bemerkt.
„Geh weg. Lass mich in Ruhe. Niemand interessiert es, wie es mir geht", hatte sie ihm vorgeworfen und starrte an ihm vorbei.
„Nora, ich bin es Lucien. Ich bin bei dir. Ich lasse dich nicht alleine. Mich interessiert es, wie es dir geht. Ich will nicht, dass du traurig bist, Nora."
Eine Stunde hatte er auf sie eingeredet. Immer wieder hatte er ihr gesagt, dass sie ihm wichtig war. Sie so abweisend zu erleben, zerriss ihn fast und umso länger es gedauert hatte, bis sie ihm wirklich wieder zuhörte, desto klarer wurde ihm, dass er ihr um jeden Preis helfen wollte.
Den Rest des Tages hatte er damit verbracht, Nora vor sich selbst zu retten. Sie hatte ihn immer wieder gefragt, ob sie nicht doch Schuld gewesen war. Was sie falsch gemacht hatte. Wieso sie jeder hasste.
„K und V lieben dich, weil du bist, wie du bist. Du bist ein so lieber Mensch. Du hast nichts falsch gemacht, Nora. Ich hasse dich nicht. Du bist mir viel zu wichtig, als dass ich dich hassen könnte." Und dann war der Damm gebrochen und sie hatte weinend in seinen Armen gelegen. Immer wieder hatte sie sich für ihr Verhalten entschuldigt.
„Es muss dir nicht leid tun." Er konnte nicht mehr sagen, wie lange sie so dagesessen hatten, aber als sie sich endlich beruhigt hatte und an seine Brust gelehnt eingeschlafen war, war die Nacht über die Stadt eingebrochen gewesen.
Gestern waren sie gemeinsam wegen Bucklands zu ihrem Anwalt gegangen und Nora war wegen Timothy bei der Polizei gewesen. Beides hatte sie enorme Überwindung gekostet und als sie wieder bei ihm zu Hause waren, war sie zusammen gebrochen.
Lucien war stolz auf Nora. Sie kämpfte und wollte vor niemandem Schwäche zeigen. Das sie am Tag zuvor ihn seinen Armen geweint hatte, zeigte ihm, dass sie sich ihm wieder öffnete. In kleinen Schritten wurde sie wieder zur alten Nora und bei jedem Schritt würde er ihr beistehen.
Im Moment schlief sie bei ihm oder er bei ihr, aber sie wollte nicht alleine sein. Die Einsamkeit der letzten Monate ertrug sie nicht mehr und sie hatte grosse Angst davor, wieder schwach zu werden und den Kampf gegen ihre eigene Verzweiflung und Selbstzweifel zu verlieren.
„Kannst du bitte bei mir bliebe? Ich... ich weiss nicht, wie es ist, wenn ich wieder alleine hier in der Wohnung bin. Ich weiss n-nicht wie ich r-reagiere, wenn diese Gedanken wieder kommen. Ich w-will nicht mehr so d-denken, aber m-manchmal da, da kann ich es n-nicht verhindern. Bitte bleib hier, Lucien", hatte sie ihm gestanden und er war überrascht gewesen, dass sie ihm dies anvertraut hatte. Ein einfaches: „Bleib hier", hätte gereicht und wäre ohne zu zögern, da geblieben. Nora wollte von sich aus wieder mehr vertrauen zu ihm. Sie schien oft über ihren eigenen Schatten springen zu müssen und dass sie es tat, sprach für sie und erwärmte Luciens Herz.
Lucien sah zu Nora, die an einem Lebkuchenstand auf ihn wartete. Sie lächelte ihn an und ohne weiter zu warten, ging er zu ihr. Er sah ihr in die Augen und sein Herz schien aus seiner Brust springen zu wollen. Ihre grünen Augen waren so bezaubernd und voller Energie. Sie schien jeden Tag neue Kraft zu schöpfen und er hoffte insgeheim, dass dies auch an ihm lag.
Er blickte zu dem Verkäufer und ohne wirklich zu überlegen, hielt er diesem einen Geldschein hin und nahm sich diesen einen Lebkuchen, der ihm sofort ins Auge gestochen war.
Der Lebkuchen hatte die Form eines Herzens. Eine weisse Glasur wurde über den Kuchen gegossen und kleine wunderschöne aus Marzipan gemachte Mistelzweige umrundeten das ganze Herz am Rand entlang. In der Mitte standen drei Worte in einer kursiv Schrift geschrieben. Drei Worte die er nun endlich auch der Person sagen wollte, für die er seit langem tiefe Gefühle hegte.
Lucien hielt sich das Herz vor die Brust und sah Nora tief in die Augen. Ihr Atem stockte und nun konnte nichts ihm mehr zurückhalten. Noch nie in seinem Leben hatte er eine Frau so sehr begehrt. Noch nie wollte er eine Frau so sehr wie sie und noch nie war er sich einer Sache so sicher, wie in diesem Augenblick.
„Wir kennen uns nun seit über acht Jahren. Wir haben uns immer gegenseitig unterstützt und wenn wir zusammen waren, hatte niemand uns etwas anhaben können. Ich weiss, dass die letzten Monate für dich die Hölle war und ich wünschte, ich hätte es verhindern können. Ich wünschte, du hättest es mir gesagt. Mir auch dieses schreckliche Geschehen anvertraut. Ich weiss nicht, wie jemand dir so etwas antuen konnte. Nora, du bist die netteste und liebenswerteste Frau, die ich je kennengelernt habe. Du tust alles, damit es deinen Mitmenschen gut geht. Du hast dich um die kleine V gesorgt, als du sie überhaupt noch nicht kanntest. Du kümmerst dich um deine Mitmenschen, als ginge es um dein eigenes Leben." Eine kurze Pause entstand, als er ihr etwas Zeit geben wollte, all das gesagt zu verarbeiten.
„Immer wenn ich dich sehe, schlägt mein Herz schneller und mein Puls fängt an zu rasen. Wenn du weinst, dann will ich dich in meine Arme schliessen und dich so lange festhalten, bis es dir wieder besser geht. Es zerreisst mich, zu wissen, dass du dich all die Monate so einsam gefühlt hast und dass es soweit kommen musst, bis ich gemerkt habe, wie sehr du an dir selbst zweifelst. Ich hätte alles getan, nur damit du nicht so sehr leidest. Aber was geschehen ist, kann ich nicht mehr ändern und deshalb werde ich alles dafür tun, damit in deiner Zukunft die Sonne aufgeht. Nora, du bist mir viel zu wichtig, als dass ich dich noch einmal alleine lassen könnte. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, wie es wäre, wenn du nicht hier bist. Wärst du damals gestorben, dann wäre ein Teil von mir, für immer verschwunden. Mein Herz gehört schon längst nicht mehr mir selbst. Es gehört dir. Nora Joana Stanley, ich liebe dich und ich werde alles dafür tun, dass du dich nie wieder alleine fühlst." Jedes seiner Worte kam aus der Tiefe seines Herzens und doch hatte er jetzt Angst, wie Nora auf sein Geständnis reagieren würde.
Er hatte in der letzten Zeit zwar immer wieder diese angenehme Spannung zwischen ihnen beiden gespürt, doch wusste er nicht, ob es ihr auch so erging. Nora stand vor ihm, hatte den Mund etwas offen und Blickte ihn mit grossen Augen an. Sie musste seine Worte erst einmal verarbeiten. Die Sekunden vergingen und seine Sicherheit schwand langsam. Er hätte sie nicht so überfallen dürfen damit, aber als Lucien sie vorhin so freudestrahlend gesehen hatte, konnte er sich nicht mehr zurücknehmen. Er hatte ihr einfach sagen müssen, wie sehr er für sie empfand.
Weitere Sekunden vergingen und dann endlich löste sie sich von ihrer Starre. Nora kam einen Schritt näher und nahm seine Hand. Sie schaute ihm in die Augen und als sie redete, hörte er gebannt, was sie nun sagte.
„Lucien, ich... Ich weiss nicht, was ich sagen soll. Ich weiss nicht, was ich denken soll. Nur eines weiss ich. Ich brauche dich mehr, als alles andere. Du warst in den letzten Wochen für mich da, hast mir geholfen, mich aus dem Abgrund zu ziehen. Warst du nicht bei mir, hab ich an dich gedacht und wenn du bei mir warst, wollte ich nicht, dass du gehst. Ich... ich..."
Lucien legte ihr einen Finger auf den Mund. Er wusste, was sie sagen wollte, doch sie war noch nicht bereit, ihm das zu sagen und er würde sie unter keinen Umständen dazu drängen.
„Sag einfach nichts mehr und küss mich", forderte er sie auf. Sie zögerte keine Sekunde und als ihre Lippen auf seine trafen, explodierte ein Feuerwerk in ihm. Er küsste die Frau, die er schon immer küssen wollte, nach der er sich in jeder Nacht sehnte, wenn er alleine im Bett gelegen hatte. Er küsste die eine Frau, für die er alles stehen und liegen lassen würde, nur um sie in die Arme nehmen zu können, wenn sie es brauchte.
Wie es der Zufall wollte, standen sie nicht nur an einem Marktstand mit vielen Lebkuchenherzen. Nein, Nora und Lucien standen unter einem wunderschönen Mistelzweig, am dem ein goldenes Glöckchen hing, dass nun leise vor sich hin klang.
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