12. Türchen
Hei meine lieben Kartoffelhäschen.
Wisst ihr, welcher Tag heut‘ ist? Also abgesehen von Mittwoch?
Ja genau, heute ist der 12. Dezember 2012. Ist das nicht ein schönes Datum? Na ja, egal jetzt.
Heute ist schon unser zwölftes Türchen dran! (Und nochmal ne zwölf!) Wir sind schon in der Hälfte unseres Adventskalenders angelangt und doch kommt es mir so vor, als hätten wir erst gestern damit angefangen.
Also geniesst die zweite Hälfte unserer Türchen genauso wie die erst und nun viel Spass beim Lesen!
Einen supi doll lieben Gruss
AliBDJ :)
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Der Abgrund und das Licht – Part 3
„Wie fühlen Sie sich denn heute?“, fragte der Psychologe Nora. Die vierte Sitzung und am liebsten würde sie gleich wieder gehen. Was würde es bringen, wenn sie diesem fremden Mann erzählte, was in ihr vorging? Und weshalb sollte sie es ausgerechnet ihm erzählen? Er würde es nicht verstehen, wie denn auch? Hatte er schon mal unter Mobbing gelitten? Wusste er, wie es war, wenn man einfach nicht mehr leben wollte? Konnte er sich vorstellen, wie es war, wenn man nur noch an den eigenen Tod denken konnte?
Er stellte ihr immer dieselben Fragen. Die Fragen aus dem Lehrbuch, aber die hätte er ihr auch ohne sein Studium stellen können. Auf diese Fragen hätte er auch selbst kommen können. Aber im Grunde war es Nora egal. Sie hatte keine Lust mehr, sich ständig verstellen zu müssen. Sie hatte keine Kraft mehr und nun war sie seit knapp einer Woche in der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses. Der Gedanke daran störte sie nicht einmal. Jetzt musste sie wenigstens nicht mehr zur Arbeit. Wenn sie schon nur daran dachte, gefror ihr Bauch. Der Gedanke, wie ein Messer sie in die Brust stach, ging ihr durch den Kopf, so würde es sein, wenn sie noch einmal einen Fuss in die Firma Bucklands & Co setzten müsste. Es wäre ein Messerstich in ihr Herz.
„Ich hätte mir die Pulsadern aufschneiden sollen“, stellte sie laut fest. Nicht das erste Mal in einer Sitzung.
„Dann wäre es vorbei gewesen.“ Keine Reue, kein Scham, keine Angst, sie sagte es ohne jede Emotion. Schon seit Tagen war es das Einzige, an das sie denken konnte. Sie hätte nicht aus Wut handeln, sondern auf Nummer sicher gehen sollen, aber nun war es zu spät. Sie war in diesen vier Wänden gefangen und musste zu einem Psychologen gehen.
Nora war bewusst, dass sie Probleme hatte, aber dennoch wollte sie lieber ihr Leben beenden, als noch einmal in irgendein Gesicht ihrer Arbeitskollegen sehen zu müssen. Sie würde es kein weiteres Mal aushalten. Sie würde vor allen zusammenbrechen und diese Schwäche könnte sie einfach nicht hinnehmen.
Aber war es nicht die Schwäche, die sie zu ihrem Selbstmordversuch hinleiten liess? Hatte sie nicht immer gesagt, dass wenn man sich den anderen ergibt, schwäche zeigt? Was war nur los mit ihr? Weshalb hatte sie sich ihren Arbeitskollegen ergeben? Sie wollte nie schwach wirken, denn Nora hatte immer schon hohe Ansprüche an sich selbst gehabt. Und nun hatte sie genau das getan, was sie von anderen nie duldete. Sie hatte sich kampflos ergeben.
Aber wie hätte sie sich gegen Bucklands widersetzten sollen? Sie konnte nicht kündigen, sie hatte doch diese Klausel unterschrieben. Sie musste mindestens drei Jahre dort arbeiten, ausser sie hätte gleich ins Obdachlosenheim einziehen wollen.
Wieso hast du dich nicht einfach an Lucien gewendet? Er war immer für dich da? Hast du denn nicht gemerkt, wie viele Sorgen er sich um dich machte, hörte sie ihre eigene Vernunftsstimme, die sie alle die Wochen und Monate einfach verdrängt hatte.
Nora hatte es nicht nur gemerkt, sie hatte seine Besorgnis immer zu gespürt, aber sie wollte einfach nicht zugeben, wie schlecht es ihr ging. Sie wollte nicht schwach sein. Sie war immer die Starke gewesen, der niemand etwas anhaben konnte. Sie war die glückliche Nora, nicht die die von allen nieder gemacht wurde.
Du hast dich geschämt für das Verhalten der anderen. Du wolltest einfach niemandem gegenüber zugeben, dass auch du verletzt werden kannst und nun wolltest du dich umbringen? Was hätte es denn für einen Unterschied gemacht, wenn du es ihm erzählt hättest?
„Es hätte keine Rolle gespielt“, flüsterte Nora vor sich hin. Sie hatte den Blick auf ihre Hände gerichtet, welche ineinander verschränkt waren. Dass ihr Psychologe vor ihr sass, hatte sie mittlerweile vollkommen vergessen. Es gab nur noch sie und ihre innere Stimme. Sie kämpfte mit sich selbst.
Ein Teil von ihr wusste ganz genau, dass ihr Handeln feige war und der andere Teil wollte einfach die Tatsache verdrängen, dass sie nicht weglaufen konnte. Sie konnte nicht vor dem Problem flüchten, sie könnte ihm aus dem Weg gehen, aber davonlaufen konnte sie nicht länger. Sie hatte es versucht und war auf dem Sessel eines Psychologen gelandet.
Du musst dich endlich jemandem anvertrauen. Wenn du es weiter verschweigst, wird es dich zerstören. Du wirst niemanden verlieren, wenn du zu der Wahrheit stehst.
Nora lachte auf, wen konnte sie denn noch verlieren? Sie war alleine, hatte niemanden mehr ausser Lucien. Sie war alleine.
„Es gibt niemanden mehr“, sagte sie vor sich hin und flüsterte immer wieder, dass sie alleine war. Nora zog die Beine an ihre Brust, schlang die Arme darum und wiegte sich hin und her. Immer wieder, vor und zurück, hin und her, sie konnte einfach nicht mehr damit aufhören, es beruhigte sie. Es beruhigte ihre Gedanken, ihre Nerven und langsam vergass sie vollkommen, wo sie war. Sie hörte nicht einmal mehr, wie ihr Psychologe auf sie einredete. Sie sass zusammengekauert auf diesem dunkelbraunen Sessel, wiegte sich hin und her und starrte ins Nichts.
Was ist mit Lucien? Weshalb erzählst du es ihm nicht? Was hindert dich daran?
„Er ist mein bester Freund“, und immer wenn sie an ihn dachte, fing ihr Bauch an zu kribbeln. Dieses Gefühl verwirrte sie, denn es kam ihr nur zu bekannt vor und es war nicht gut. Dieses Kribbeln sollte man nicht fühlen bei seinem besten Freund.
„Ich will ihn nicht damit belasten“, flüsterte sie vor sich hin
„Wen wollen Sie nicht damit belasten, Nora?“, konnte der Psychologe sie endlich aus ihren Gedanken reissen. Nora sah plötzlich zu ihm auf und Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie konnte sie nicht mehr zurückhalten, ihre Gefühle liessen sie nicht mehr klar denken. Nora fühlte die Wut in sich, doch die Traurigkeit war stärker. Das Gefühl alleine zu sein, übermannte sie und nun wollte sie endlich alles loswerden. Sie wollte auf jemanden einschlagen und ihn zugleich umarmen, sie wollte jemanden anschreien und doch sich einfach nur bei ihm ausweinen. Sie wollte, dass dieser jemand nun bei ihr war.
„Lucien“, flüsterte sie. „Wo ist Lucien?“
Sie brauchte ihn, sie wollte bei ihm sein. Nora wollte seine starken Arme um sich spüren und sich einfach bei ihm in Sicherheit wiegen können. Sie wollte die Wärme, die von ihm ausging, spüren und endlich vergessen, was die ganzen letzten Monate passiert war. Sie wollte all die schrecklichen Gedanken an ihren eigenen Tod vergessen. Nora wollte endlich nach vorne blicken und ihre Vergangenheit hinter sich lassen.
Ich brauche dich, dachte sie. Immer wieder flüsterte sie seinen Namen vor sich hin. Wie lange sie so da sass, wusste sie nicht. Es hätten Minuten oder auch Stunden sein können und sie hätte es nicht gemerkt. Sie sagte nur immer wieder seinen Namen und wünschte sich, dass er nun bei ihr war.
Nora sass alleine in ihrem Zimmer, das ihr vor ein paar Tagen zugewiesen wurde. Ihr Mitbewohner war nicht da, er hatte wohl eine Sitzung oder was auch immer, doch das war ihr nur recht. Sie wollte lieber alleine in ihren Gedanken sein, als ständig die Gegenwart eines anderen ertragen zu müssen.
Am liebsten hätte sie einfach ihre Sachen gepackt und wär aus dieser Klinik verschwunden, aber dann wurde ihr bewusst, dass sie da draussen alleine war.
Du hast Lucien, korrigierte sie ihre innere Stimme. Ausser ihren besten Freund hatte sie dennoch niemanden.
Brauchst du denn noch jemanden? Er ist dein bester Freund, er ist immer an deiner Seite. Was willst du denn noch mehr? Er unterstützt dich in allem was du machst und hilft dir, wenn du Hilfe brauchst. Herr Gott nochmal, er kommt jeden verdammten Tag hier hin um dich zu besuchen.
Nora zuckte zusammen, als eine Hand sie an der Schulter berührte. Sofort schaute sie auf und entspannte sich sofort, als sie in diese atemberaubend schönen Augen sah. Lucien besuchte sie wirklich jeden Tag für mehrere Stunden und jedes Mal wuchs ihr schlechtes Gewissen. Er musste doch arbeiten, wie schaffte er es denn, täglich hier vorbei zu kommen?
„Über was hast du dir dieses Mal den Kopf zerbrochen?“, wollte Lucien sie. Nora sah ihn fragend an.
„Deine Sorgenfalten haben dich verraten“, erklärte er. Ja, sie genoss es, wenn er bei ihr war. Auch wenn sie noch immer mit niemandem über ihre Selbstmordgedanken gesprochen hatte, bei ihm fand sie sich wenigstens für ein paar Stunden wieder selbst. Er sprach mit ihr, als wäre nichts geschehen, auch wenn sie ihn in den letzten Tagen oftmals angeschrien hatte, ohne dass er etwas dafür konnte. Er nahm es ihr nicht übel, so wie früher. Damals liess er es schon einfach über sich ergehen, wenn er genau wusste, dass er nichts dafür konnte, denn er wusste, sie würde sich dafür entschuldigen. Er selbst machte es bei ihr auch und so konnten sie sich beide nicht beklagen.
„Ich… Ich hab über“, mehr brachte sie nicht hervor. Ihre Gefühle drohten sie zu überwältigen. Sollte sie mit ihm darüber reden? Sollte sie ihr Schweigen endlich brechen? Nora hatte grosse Angst davor. Wenn sie mit ihm darüber sprach, würde sie ihm ihre tiefsten Gedanken offenbaren, welche sie eigentlich lieber für sich behielt? Wie würde er reagieren, wenn er erfuhr, wie sehr sie die Gedanken an ihren eigenen Tod erfreute? Würde er zu ihrem Psychologen gehen? Würde er sie noch länger hier einweisen lassen?
Nora, er ist dein Freund, nicht dein Feind.
Und wieder lachte sich auf. Freunde konnten genauso gut Feinde sein, dass hatte sie in den letzten Jahren gelernt. Freunde, die Feinde waren, fand man wie Sand am mehr, aber jemanden zu finden, dem man wirklich vertrauen konnte, war so schwer, wie die Nadel im Heuhaufen zu finden. Aber Lucien war ihr bester Freund. Seit Jahren kannten sie sich, seit Jahren vertrauten sie sich. Woher kam dieses neue Misstrauen? Lag es an der Tatsache, dass sie ihn mehr vermisste, als früher, wenn die Besuchszeit vorbei war. Lag es an dem angenehmen Kribbeln in ihrem Bauch, wenn sie an ihn dachte oder lag es einfach daran, dass sie Angst vor ihren eigenen Gefühlen hatte?
Früher hatte sie sich nie vor ihren Gefühlen gescheut. Sie hatte nie Angst gehabt, jemanden mit ihren Worten zu nahe zu treten und nun hatte sie Angst davor, sich ihre eigenen Gefühle einzugestehen? Alles hatte sich in den letzten Monaten geändert. Nicht nur ihr Selbstbewusstsein war zerrissen worden, auch der eigene Mut, über ihre Grenzen heraus zu gehen, war verschwunden. Sie wollte lieber alles in sich hineinfressen und daran zu Grunde gehen, als mit jemandem darüber zu sprechen.
So kannst du nicht weiter machen. Lucien ist dein bester Freund. Ja, vielleicht fühlst du jetzt dieses Kribbeln in deinem Bauch, aber was ist so schlimm daran? Vertrau dich wenigstem ihm an. Du wirst es nicht bereuen, da bin ich mir sicher.
Ihre innere Stimme hatte recht. Auch wenn Nora nicht wusste, woher sie diese Sicherheit nahm, aber Lucien konnte sie vertrauen. Noch nie hatte er sein Versprechen gebrochen. Noch nie hatte er sie enttäuscht, immer war er für sie dagewesen. Aber was war mit ihren Gefühlen? War dieses Kribbeln und die Wärme, die sie immer in sich hatte, wenn er bei ihr war, wirklich das, was sie dachte? Konnte es denn sein, dass sie nicht bemerkt hatte, wie sie sich in ihn verliebte?
Und auf einmal war sie sich sicher. Nora wollte ihm alles erzählen, egal wie sehr sie darunter leiden würde, alles noch einmal durchleben zu müssen, aber ihm konnte sie vertrauen. Und dass tat sie nun wieder. Sie wollte nicht nur ihn als ihr bester Freund, sie wollte auch wiedere sein beste Freundin sein. Nora hatte sich so in sich zurückgezogen in den letzten Monaten, es wurde Zeit, dass sie Lucien gegenüber wieder offener wurde.
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