7.
Die zweite Woche im Februar war angebrochen. Endlich war der lästige Schnee vollständig weggetaut und ab und an konnte man mit ein bisschen Glück und Fantasie, die Sonne schemenhaft hinter der ewig grauen Wolkensuppe erahnen.
Die wenigen Grade über null machten das Joggen draußen am frei zugänglichen Areal der Ferox, aber dadurch nicht unbedingt angenehmer.
Einzig die Gefahr, sich durch das Ausrutschen auf Eis den Hals zu brechen, war fürs Erste gebannt.
Lexa war schon eine Weile unterwegs, schließlich hing ihr kein Zeitdruck mehr im Nacken und sie genoss momentan sogar das seltene Privileg ausschlafen zu können.
Ein weiterer positiver Nebeneffekt ihrer beendeten Ausbildung.
Sie bog gerade in Richtung des Zuganges ab, der wie üblich von Wachen kontrolliert wurde und verlangsamte ihren Lauf.
Kaum, dass sie das umzäunte Gelände des Hauptquartiers betrat, wäre Lexa am liebsten wieder umgedreht.
Lauren und ihr Gefolge standen neben dem nächstgelegenen Zugang und hielten einen Plausch. Nichts deutete daraufhin, dass dieser in den nächsten dreißig Sekunden beendet sein würde, also beschloss Lexa, einen Umweg zu machen und das Hauptquartier durch den Eingang an der Rückseite des Verwaltungsgebäudes zu betreten.
Aber wie es der Teufel wollte, hatte dieses unsägliche Weibsstück sie natürlich sofort erspäht und krähte ihr noch im selben Moment hinterher.
„Na, musst du etwa alleine Joggen gehen? Du Arme! Kein Eric mehr, der dir zur Seite steht? Tja, kommt davon, wenn man meint unwiderstehlich zu sein und sich an den falschen ranmacht!“
Der hämische Unterton in der Stimme der Brünetten, war unüberhörbar.
Allmählich stieß Lexa mit ihrer selbstauferlegten, stoischen Schweigsamkeit gegenüber Laurens Sticheleien, an ihre Grenzen.
Wo nahm diese Person nur die nötige Kreativität her, um sich all diese Lügen zusammen zu spinnen?
Kam sie sich dabei denn nicht allmählich selber dumm vor?
Lexa ging unbeirrt ihres Weges, bekam aber mit, dass Lauren ihr mit ihrem Tross folgte.
Die Hetze hinter ihr fand kein Ende. Lexas Körper verspannte sich, aber sie bemühte sich, nicht noch weiter zu verkrampfen.
Den anderen nicht zu zeigen, wie sehr sie tatsächlich an ihren Anfeindungen zu knabbern hatte.
„Eric hatte Recht, du bist es nicht wert. Es gibt bessere und vor allem hübschere. Wie du überhaupt auf die Idee gekommen bist - so wie du aussiehst - dass du eine Chance bei einem Mann wie Eric hast …“ Lautes, gehässiges Lachen verfolgte Lexa bis ins Innere des Gebäudes.
Endlich fiel die schwere Eisentür ins Schloss, sperrte die unsäglichen Anfeindungen fürs Erste aus.
Die Ausbilderin atmete tief durch, versuchte ihr adrenalinbedingtes Zittern in den Griff zu bekommen. Sie wollte es wirklich, aber es fiel ihr so unfassbar schwer, die Beherrschung nicht zu verlieren. Ihr Puls raste, Tränen der Wut waren drauf und dran die Oberhand zu gewinnen und am liebsten hätte sie dieser miesen Schlange ihr verdammtes Maul gestopft, aber sie durfte nicht. Es würde auf alle anderen wie ein Eingeständnis wirken.
Eine Person rechts neben ihr tauchte aus dem Schatten auf - Aiden. Wo war der denn so plötzlich hergekommen?
Hatte er das eben Geschehene mitgekriegt?
Ohne einen Ton zu sagen, sah er sie nur abschätzig von oben bis unten an und verließ kommentarlos das Hauptquartier durch die Tür, durch die Lexa gerade eingetreten war.
Die Ausbilderin sah ihm fragend hinterher.
Sein Verhalten war ihr schon immer suspekt gewesen, daher wunderte sie sich nicht allzu sehr über seinen Blick.
Erics Assistent war ein komischer Kauz, aber sie hatte nicht viel mit ihm zu schaffen, somit war ihr sein Urteil schlichtweg egal.
„Wie geht es dir? Du siehst müde aus. Schlecht geschlafen? Oder ist es wegen Lauren?“
Lexa sah ertappt zu Mira, die sich neben ihr niedergelassen hatte.
Beide hatten sich bei der Ausbilderin in der Wohnung verabredet, Lexa wollte sich in Anbetracht der Unwahrheiten, die momentan im Umlauf waren, nicht in der Grube treffen.
Am Ende tauchte dann wieder dieses Miststück Lauren auf.
Wer weiß, was sich diese als Nächstes in ihrem kranken Hirn zurechtsponn.
Lexa seufzte nur laut.
Sie wollte am liebsten gar nicht erst darüber reden. Ihr war es zuwider zuzugeben, dass sie deren Lügen doch mehr mitnahmen, als sie nach außen hin vorgab.
Aber Mira hatte schon immer feine Antennen gehabt, wenn es darum ging, die Stimmung anderer zu deuten.
Genau wie Tina war sie damals von den Amite zu den Ferox gewechselt, vielleicht lag es daran. Zögerlich reichte Mira ihrer Nebenfrau ein Glas, welches höchstwahrscheinlich Alkohol beinhaltete.
„Vielleicht solltest du den neuesten Klatsch erfahren, nur damit du vorbereitet bist.“
Lexa schüttelte resignierend den Kopf und verzog das Gesicht.
„Ich bin mir nicht sicher, ob ich das wissen will. Was ist es diesmal? Hab‘ ich ein Verhältnis mit Max?“
Was eigentlich ein Scherz sein sollte, entlockte Mira nicht einmal ein müdes Lächeln. Mit ernster Mine sah sie ihre Freundin wie zur Bestätigung an, traute sich kaum, zu antworten.
„Naja … nicht ganz.“
Lexa bekam große Augen.
„Nicht dein Ernst? Sie behauptet, dass ich was mit Max habe?“
„Nein. Das Gerücht sagt, du hättest mit ihm geflirtet, aber er hat dich abblitzen lassen und zurechtgewiesen.“
Lexa ließ tief seufzend ihr Gesicht in ihre Hände sinken.
„Ich glaube ich brauche Schnaps. Viel Schnaps.“
Die zierliche Dunkelblonde lachte kurz, wurde aber schnell wieder Ernst.
„Was sagt eigentlich Eric zu der Tatsache, dass du so verleumdet wirst? Er müsste das doch inzwischen auch mitbekommen haben?“
„Ich habe keine Ahnung. Ich habe ihn seit Tagen nicht gesehen, aber ich werde auch nicht um Hilfe bitten. Nicht bei ihm.“
Mira nickte verstehend und strich Lexa mitfühlend über den Rücken. Sie tat ihr leid.
Kübelweise wurde Raphaels beste Freundin momentan mit Gehässigkeiten aller Art überschüttet. Es war beeindruckend, aber eben auch bemitleidenswert, wie sie all diese Verletzungen hinnahm.
Alle anderen waren zu dieser Zeit in der Grube, nur sie verschanzte sich in ihrer schicken Wohnung und vermied so, auf Lauren und ihre Mitläufer zu treffen.
Nur stoppen konnte sie sie so nicht. Im Gegenteil.
Wer weiß, was morgen für Anfeindungen auf die Ausbilderin warteten.
Warum schritt Eric nicht ein? Oder Max?
Weshalb ließ man dieses hinterhältige Biest gewähren? Lexa war ranghöher, Laurens böswilliges Verhalten musste doch Konsequenzen haben!
Mira sah ihre Freundin nachdenklich an, auch Raphael machte sich Sorgen. Seit Wochen gab es unter den Freunden kein anderes Thema mehr als Lexa.
Für Mike, Raphi und Tina war Eric ein rotes Tuch.
Aber Mira vertrat die Auffassung, dass er nicht per se ein schlechter Mensch war. Seine Methoden waren grenzwertig, aber spätestens seit sie am Jahreswechsel mitbekam, dass er eben auch anders sein konnte, sah sie sein Verhalten mit anderen Augen.
Natürlich hatte sie ebenfalls in den letzten Wochen Lexas Verwandlung bemerkt, aber diese war nicht in allen Aspekten negativ.
Die Ausbilderin hatte definitiv eine Schwäche für ihren Ausbilder entwickelt, wollte es aber entweder nicht wahrhaben oder schlichtweg nicht zugeben.
Und wenn man ganz genau hinsah, bemerkte man auch, dass sie dem sonst so kontrollierten Anführer nicht so gleichgültig war, wie dieser nach außen hin vorgab. So oder so, für Mira gestaltete sich die Sache glasklar.
Aber die kleine Krankenschwester wollte sich nicht offensichtlich einmischen, immerhin war Eric einer ihrer Anführer.
Falls sie am Ende, doch falsch lag mit ihren Vermutungen, würde sie Probleme bekommen.
Lieber wartete sie ab und behielt Lexa im Auge. Mehr konnte sie momentan nicht für die Ausbilderin tun.
*
Eric war es gewohnt, dass ihn ständig Blicke verfolgten, wenn er sich innerhalb des Hauptquartieres bewegte, aber irgendetwas war heute anders.
Die Stimmung unter den anwesenden Ferox hier in der Grube war angespannt, irgendetwas lag in der Luft.
Wie immer vermied er den Blickkontakt zu seinen Untergebenen. Schritt durch die Menge, die sich sofort teilte, sobald er in ihre Nähe kam, und hielt auf den Gang zu, der ihn zum Wohntrakt brachte.
Das Getuschel, genau wie die spürbaren Blicke, fielen ihm abermals auf.
Was war denn jetzt schon wieder im Busch?
Kaum war er mal einen Tag lang nicht da, lief bei diesem Sauhaufen alles aus dem Ruder.
Im Moment war ihm der Grund für das neuerliche Gerede aber völlig egal. Bestimmt würde er die Ursache dafür, noch früh genug erfahren.
Während er auf den Aufzug wartete, versuchte er trotzdem Gesprächsfetzen aufzuschnappen. Wie erwartet, drehten sich die Unterhaltungen seiner Untergebenen um seine Schülerin. Was war jetzt schon wieder passiert?
Seufzend trat er in den Aufzug, drehte sich zu der sich schließenden Tür. Sobald diese geschlossen war, holte er sein Tablet hervor und ortete Lexa.
Sie befand sich in ihrer Wohnung. Noch eine Person war bei ihr. Sofort klickte er auf den gelben Punkt, der ihm anzeigte, dass sich jemand mit mittlerem Rang bei der Ausbilderin aufhielt.
Innerlich aufatmend stellte er fest, dass es sich nur um Raphaels Freundin handelte.
Im sechsten Obergeschoss angekommen, hielt er ohne weitere Umwege auf seine Wohnung zu.
Er brauchte eine Dusche und dann ein Bett. Durch den Stress der letzten Tage wurde er schon paranoid.
Kaum zu fassen, dass er eben erneut seiner Schülerin hinterherspioniert hatte. Selbst wenn der Typ von letztens bei ihr gewesen wäre - er hätte nichts tun können, ohne schlussendlich wie ein Idiot dazustehen.
Wütend pfefferte er die Tür hinter sich ins Schloss.
Ihn ging das alles nichts an, verdammt!
In der letzten Nacht hatte Eric kaum ein Auge zugetan, dementsprechend dünnhäutig saß er jetzt vor seinem Frühstück und schaufelte sich dieses missmutig in dem Mund.
Die anderen waren so gnädig und ließen ihn in Ruhe, so musste er sich wenigstens nicht unterhalten und war so schnell wie möglich wieder hier raus.
Erics Blick fiel zum Eingang der Cafeteria, Lexa betrat gerade den Raum.
Sofort änderte sich die Stimmung in diesem. Sie ging aufrecht und selbstsicher zur Essensausgabe, vermied aber den Blickkontakt mit den anderen. Konzentrierte sich nur auf die Auswahl ihres Frühstücks.
Eric entging das Getuschel der Anwesenden nicht.
Irgendetwas musste vorgefallen sein, während er bei den Amite gewesen war.
Lexa hatte sich gesetzt. Allein an einem Tisch, nur zwei Reihen von ihm entfernt.
Blondchen war sich allem Anschein nach bewusst, dass er sie beobachtete, denn sie hob die Augen. Doch kaum, dass sich ihr Blick kreuzte, senkte sie ihre diese wieder auf ihr Essen.
Ja, da war erneut etwas vorgefallen.
Auch er nahm den Blick von ihr, als er bemerkte, wie sie beide von allen Seiten beobachtet wurden.
Doch nicht lange. Ein Mann, der sich scheinbar ungefragt gegenüber Lexa setzte, erregte Erics Aufmerksamkeit erneut.
Der Typ von neulich in der Grube. Genau derjenige, mit dem seine Schülerin sich so angeregt unterhalten hatte und der sie erneut anhimmelte, als wäre sie die einzige Frau in dieser Stadt. Dieser verdammte Armleuchter hatte ihm gerade noch gefehlt.
Ohne aufzuessen, nahm Eric einen letzten Schluck von seinem Kaffee und setzte sich in Bewegung.
Er ignorierte alles und jeden auf seinem Weg, Hauptsache er war hier raus und kam nicht auf dumme Ideen.
Vielleicht war es am besten sich beim Training mal ordentlich auszupowern, so bekam er am schnellsten seinen Kopf wieder frei. Außerdem hatte er sein eigenes Training in letzter Zeit doch arg schleifen lassen.
Schon seit geraumer Zeit ackerte Eric verbissen seine Routine ab. Schweiß tropfte von seinem Gesicht auf den Hallenboden, als er sich abermals vom Boden hochstemmte. Immer darauf bedacht das Gleichgewicht nicht zu verlieren, denn sonst würde das schwere Gewicht, welches er auf seinem Rücken platziert hatte, laut scheppernd zu Boden fallen. Diese Blöße wollte er sich hier im öffentlichen Trainingsraum nicht geben.
Nach zwanzig weiteren Liegestützen erhob er sich schnaufend, sah sich kurz um. Aber er war allein.
Unerwartet, denn normalerweise wurde er beim Training immer angestarrt wie eine Zirkusattraktion.
Auch wenn es nur geifernde weibliche Ferox waren. Aber scheinbar hatten alle das Weite gesucht. Das war ihm nur recht, so hatte er wenigstens seine Ruhe.
Hinter ihm fiel krachend die schwere Hallentür ins Schloss. Jemand war zu ihm gestoßen.
Er machte sich nicht die Mühe nachzusehen, um wen es sich handelte. Er ging davon aus, dass es vermutlich Lexa war.
Die leisen Schritte verrieten ihm, dass es sich um sie handeln musste.
Doch es war nicht ihr üblicher Geruch nach fruchtigem Duschgel, der ihm in die Nase stieg, als sich die Frau ihm näherte.
Er blickte nun doch rechts neben sich - Lauren.
„Lange nicht gesehen Eric, wie geht es dir? Gut siehst du aus.“
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