44.
"Kriegerinnen und Krieger der Ferox, heute stehen wir an einem bedeutsamen Scheideweg in unserer Geschichte. Vor uns liegt die Gelegenheit, nicht nur als Individuen, sondern als starke, vereinte Gemeinschaft zu wachsen und zu triumphieren. Vor zweihundert Jahren, in den dunklen Tagen des großen, verheerenden Krieges, kämpften unsere Vorfahren mit aller Kraft, um Freiheit und Gerechtigkeit zu erlangen. Aus den Trümmern dieser verheerenden Schlacht erhoben sich unsere fünf Fraktionen: die Ken, die Altruan, die Amite, die Candor und natürlich wir, die Fraktion der Kämpfer und Beschützer - die Ferox.“
Max machte eine kurze Pause, ließ seine gesagten Worte wirken und fuhr dann mit dröhnender Stimme fort: „Die Ken, mit ihrem unstillbaren Durst nach Wissen und ihrer Neugier, haben uns zu unvorstellbaren technologischen Höhen geführt. Dank ihnen leben wir in einer Welt voller Innovationen, die unser Leben erleichtern und bereichern. Die Altruan, deren selbstloser Geist die Politik gestaltet und deren Gleichmut uns den Wert der Demut gelehrt hat. Sie setzen sich bedingungslos für das Wohl unserer Gemeinschaft ein. Die Amite, die mit ihrem friedlichen Wesen und ihrer unermüdlichen Arbeit als Bauern unsere Versorgung sichern, sorgen dafür, dass unser Volk niemals Hunger leiden muss. Und die Candor, die mit ihrer unerschütterlichen Ehrlichkeit und Hingabe zur Wahrheit und Gesetzlichkeit das Rückgrat unserer Justiz bilden. Jede dieser wichtigen Fraktionen hat ihren einzigartigen Beitrag zu unserer Gesellschaft geleistet. Sie lehren uns, dass unsere wahre Stärke in der Vielfalt und in der Zusammenarbeit liegt. Doch heute möchte ich besonders auf eine von uns eingehen, die den Geist der Ferox in ihrer reinsten Form verkörpert.“
Leises Tuscheln zeugte von der Erregung der Ferox, Max steuerte auf den heikelsten Teil seiner Rede zu. Er verbannte seine Nervosität gekonnt und straffte die Schultern. „Ihr alle kennt Lexa Davis, die unerschrockene Soldatin und leidenschaftliche Kämpferin, die uns einige der besten Tournament Fights seit Jahrzehnten geboten hat. Die ehrenhaft ihre eigene Fraktion rächte, als man ihr nach dem Leben trachtete und uns feige einen unserer Anführer nahm. Ihr alle habt das Feuer in ihren Augen gesehen, die Unnachgiebigkeit und ihren Hunger nach Genugtuung. Lexa Davis, unsere tapfere und inspirierende Initianten Ausbilderin, wurde von uns Anführern auserwählt, in die Führungsriege der Ferox aufzusteigen. Ab morgen wird sie am anspruchsvollen Führungsprogramm teilnehmen, das sie mental und physisch an ihre Grenzen treiben wird. Sie wird für euch ihr Leben riskieren, es in die Waagschale werfen um eurer Fraktion - den Ferox - bedingungslos zu dienen. Dies ist der Weg, den wahre Kriegerinnen und Krieger gehen!“
Seine wohlgewählte Pause nutzte Max, um in die Fraktion zu horchen. Hier und da war verhaltener Jubel und Zustimmung zu hören, aber auch gegenteilige Stimmen brandeten auf. Jetzt war es an ihm, die Menge auf Lexas Seite zu ziehen.
Er warf seine vorbereitete Rede spontan über den Haufen und beschloss, Lexa persönlich anzusprechen und in den Vordergrund zu stellen.
So konnten die Ferox eine bessere Verbindung zu ihr aufbauen und selbst der empathieloseste unter ihnen, würde sie wenigstens für einen kurzen Moment in sein kaltes Herz schließen.
Er wandte sich um, das Zeichen den Lichtkegel nun zu der Blonden zu schwenken.
„Lexa, als junge Rekrutin und später als Ausbilderin für unzählige am Zaun stationierte Soldaten und Wachen, hast du uns alle mit deinem Mut und deiner Entschlossenheit inspiriert. Ich erinnere mich an den Tag, als du nach dem harten Kampf gegen Four mit erhobenem Haupt inmitten des blutverschmierten Ringes standest und uns gezeigt hast, was wahre Tapferkeit bedeutet. Du warst immer eine natürliche Anführerin, eine Quelle der Inspiration. Selbst nach einer Niederlage kamst du umso stärker zurück und hast dich immer wieder aufs Neue behauptet. Du bist eine Ferox, du gibst nicht auf! Wie viele habe ich kommen und gehen sehen, aber du bist eine der wenigen, die das Zeug hat, großes zu erreichen und zu bewegen. Nun wirst du diesen neuen, herausfordernden Weg beschreiten, aber nicht allein. An deiner Seite wird Eric Coulter stehen. Mein Stellvertreter, meine rechte Hand und geschätzter Anführer dieser ruhmreichen Fraktion. Er wird dein Ausbilder in diesem Führungsprogramm sein und dich nicht nur ausbilden und schleifen, sondern auch leiten. Er ist ein erfahrener Soldat und weiser Mentor, und gemeinsam werdet ihr jede Herausforderung meistern, jede Hürde überwinden.“
Max sah Lexa an der Nasenspitze an, wie unangenehm ihr seine Lobhudelei war, doch mit dieser Art der subtilen Manipulation, würde er die Ferox auf seine Seite und somit auch hinter Lexa ziehen.
„Lasst uns heute an unsere Ahnen erinnern, an ihre unzähligen Kämpfe und ihren unerschütterlichen Willen. Es war dieser Wille, der uns hierhergeführt hat. Es ist derselbe eiserne Vorsatz, der in Lexa brennt. Mit dieser Entschlossenheit und unserer gemeinsamen Unterstützung wird sie triumphieren! Lasst uns Lexa Davis auf ihrem Weg begleiten, ihr Mut zusprechen und gemeinsam mit ihr in eine neue Ära der Ferox eintreten. Mögen unsere Rufe des Jubels und der Unterstützung so laut sein, dass sie noch weithin über die Felder der Amite hinaus zu hören sind! Zeigt mir, dass ihr Ferox seid, lasst mich hören, wie sehr ihr hinter eurer Fraktion und ihren Werten steht! Für die Ferox! Für Lexa! Für unsere glorreiche Zukunft! Gemeinsam sind wir stark, und gemeinsam werden wir alle Ängste besiegen!
FRAKTION VOR BLUT!“
Ungeahnter Jubel brach sich Bahn, selbst Max hatte nicht mit einer derartig eskalierenden Menge an frenetisch schreienden Ferox gerechnet.
Schnell wank er Lexa zu sich nach vorne, damit sie sich ihren Fraktionsmitgliedern präsentieren konnte. Es war ihr unangenehm, aber dieses zögerliche Verhalten würde sie sich sicherlich bald abgewöhnen können.
Max sah nun zuversichtlicher in die Zukunft. Ihr Weg war geebnet, beschreiten musste sie ihn fortan selbst.
*
Alles Wichtige war gesagt, die Fraktion der Ferox war von Max informiert worden.
Keine Geheimnisse mehr, keine Heimlichkeiten.
Ein Stein fiel von Lexas Herzen, auch wenn die nun laut einsetzende Musik den Applaus allmählich unterwanderte und die Aufbruchsstimmung auf der Empore ihr klar machte, dass ihre Zeit als freies Fraktionsmitglied langsam ihrem Ende zuging.
Die Feierlichkeiten nahmen Fahrt auf, bald verstand man kaum noch sein eigenes Wort. Am Rande bekam Lexa mit, wie Maddox Eric ansprach: „Was war denn heute mit unserem Boss los? Ich hätte fast ein Tränchen verdrückt. Da will wohl jemand mit allen Mitteln dafür sorgen, dass die Fraktion hinter Lexa steht. Wollen wir hoffen, dass er damit nicht an seinem eigenen Stuhl sägt und an deinem gleich mit. Warst es nicht immer ausgerechnet du, der mir weismachen wollte, dass man nur durch Leistung vorankommt und nicht durch Beine breitmachen?“ Wären sie schon in einem abgelegeneren Teil der Grube gewesen, mit großer Wahrscheinlichkeit hätte sich Eric nicht so eisern im Griff gehabt wie in diesem Moment.
Seine Mimik sprach Bände.
Doch noch befanden sie sich auf dem felsigen Vorsprung, jeder konnte sie sehen.
Lexa fing Maddox herablassenden Blick auf, hielt stur dagegen, blieb aber stumm. Sie ließ sich, so wie Coulter, nicht zu unüberlegtem Handeln provozieren. Genau das war es nämlich, was Maddox heraufbeschwören wollte. Ein Streit in aller Öffentlichkeit, die die Uneinigkeit der Anführer über die Tauglichkeit Lexas vor aller Augen sichtbar machen würde.
Und doch hatte Max‘ kraftvolle Rede die Atmosphäre unter den Ferox verändert.
Lexa ging langsam hinter Eric her, direkt hinter ihr folgte Raphael. Der Applaus und die jubelnden Rufe der Menge schallten in ihren Ohren wieder.
Doch unter dem Lärm der Zustimmung waren auch andere Stimmen zu hören - herablassende Kommentare und spöttische Bemerkungen, die sich durch die johlende Menge schlichen wie giftige Schlangen.
Eric sah sich kurz nach ihr um und führte sie von der Empore hinunter.
Während sie gedrängt durch die Menge gingen, hörte Lexa die gedämpften Stimmen einiger Fraktionsmitglieder, die entgegen all der Zustimmung, die sie noch vor wenigen Minuten wahrgenommen hatte, alles andere als unterstützend waren. „Eine Frau? Die erste seit Ewigkeiten? Sie wird es nicht schaffen. Es gab schließlich einen Grund, warum sie keine mehr zugelassen haben,“ zischte jemand aus den Schatten.
„Frauen sind einfach nicht stark genug für diesen Drill,“ rief ein anderer.
„Sie wird scheitern und uns alle bis auf die Knochen blamieren!“ Tönte es von weiter hinten.
„Ich wette, sie hält keine Woche durch,“ höhnte ein weiterer. „Frauen gehören nicht in Führungspositionen! Das wird ein Desaster!“ Wurde über Köpfe hinweg geschrien.
Lexa spürte, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete, doch sie zwang sich, den Kopf hochzuhalten und weiterzugehen. Sie war fest entschlossen, ihre Kritiker eines Besseren zu belehren.
Sie war eine Ferox, und sie würde nicht zulassen, dass diese alten Vorurteile sie aufhielten. Doch die Worte schnitten tief, und vereinzelt schlugen ihr blanker Hass und offene Feindseligkeit entgegen.
„Sie sollte sich schämen, überhaupt zu glauben, dass sie es schaffen kann!“ Spuckte ihr ein namenloses Gesicht voller Verachtung entgegen.
„Eric, warum verschwendest du deine Zeit mit ihr?“ Fügte ein anderer naserümpfend hinzu. „Wir brauchen echte Krieger, keine Versagerinnen!“
Lexa spürte, wie sich ihre Unsicherheit wieder in ihr regte. Die Hemmungen, die sie dachte, überwunden zu haben.
Die Zweifel, die sie so hartnäckig bekämpft hatte, kehrten in diesem Moment mit voller Wucht zurück. Sie konnte die Blicke der anderen spüren, die Verachtung, die Skepsis. Es war, als ob der Boden unter ihren Füßen zu schwanken begann.
Raphael, ihr treuer Leibwächter und engster Freund, bemerkte ihre Anspannung und legte von hinten seine Hand beruhigend auf ihre Schulter.
„Wir werden das gemeinsam durchstehen, Lexa,“ sagte er leise. „Egal, was sie meinen. Du wirst ihnen beweisen, dass sie falsch liegen.“
Die Blonde lächelte schwach und war dankbar für seine Unterstützung. Doch die Zweifel nagten an ihr, und die feindseligen Kommentare machten ihr die anstehenden Veränderungen noch schwerer.
Sie versuchte, an ihre bisherigen Erfolge zu denken.
An die Kämpfe, die sie entgegen aller Einwände gewann, an die Herausforderungen, die sie schlussendlich gemeistert hatte. Aber die Stimmen der Kritiker waren laut und fraßen sich durchdringend in ihre Gedanken.
Eric, der die abfälligen Bemerkungen ebenfalls gehört hatte, blieb äußerlich ungerührt. Doch tief in seinem Inneren brodelte es.
Er wusste, wie hart Lexas Weg sein würde, und er durfte nicht zulassen, dass sie von diesen Stimmen entmutigt wurde.
Er sah, wie Lexa mit ihren dunklen Gedanken kämpfte. Wie die Unsicherheit in ihren Augen aufzuflackern begann und zog sie zu sich heran.
„Ignoriere sie, Lexa,“ flüsterte er mit eindringlicher, fester Stimme. „Du bist hier, weil du das Zeug dazu hast. Und ich werde dafür sorgen, dass du es schaffst.“
Eric trat einen Schritt näher und sprach leise, aber bestimmt weiter: „Diese dummen Kommentare sind nichts weiter als das zur Schau stellen ihres eigenen Unvermögens. Sie wollen dich nur aus der Fassung bringen, weil sie deine Stärke fürchten. Zeige ihnen, dass du nicht so leicht zu brechen bist.“
Lexa nickte und versuchte, Trost in seinen Worten zu finden. Die Entschlossenheit Erics war wie ein Fels in der Brandung, an dem sie sich festhalten konnte.
Sie richtete sich innerlich auf, konzentrierte sich auf das, was vor ihr lag, und versuchte, die feindseligen Stimmen aus ihrem Kopf auszuschließen.
Die drei setzten ihren Weg fort, aber die verletzenden Worte hallten in Lexas Gedanken wider. Sie fühlte sich wie ein Fremdkörper inmitten ihrer eigenen Fraktion, als ob sie Feinde in den eigenen Reihen hätte.
Doch sie durfte sich nicht unterkriegen lassen. Ihre Entschlossenheit musste stärker sein als der Zweifel, intensiver als der Hass.
Der Lärm verschwand allmählich hinter ihnen, als sie in einem ruhigeren Nebengang angelangt waren.
Lexa atmete tief durch und sah in die Gesichter ihrer Begleiter. Raphael stand fest an ihrer Seite, bereit für alles, was kommen mochte.
Eric blickte sie an, seine Augen kühl, aber voller versteckter Wärme, die vermutlich nur sie in ihnen sehen konnte.
„Lexa, Raphael,“ begann Eric streng, „die nächsten zwei Jahre werden die härtesten eures Lebens sein. Doch ich glaube an euch. Ihr habt das Zeug dazu, Großes zu erreichen. Gebt niemals auf. Und jetzt geht zu euren Freunden. Ihr seid für die nächsten vier Stunden und achtunddreißig Minuten offiziell außer Dienst.
Wir sehen uns um Mitternacht.“
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro