34.
„ ... Aufgrund deiner umfassenden Kenntnisse, Fähigkeiten und deines aktuellen Ausbildungsstands sowie der von Eric Coulter unterstützten Eignungsbewertung sind wir zu dem Schluss gekommen, dass du für das Führungsprogramm ausgewählt wirst ...“
Die nachfolgenden Worte ihres Fraktionsführers gingen in einem Nebel der Ungläubigkeit unter, der sich wie ein stetes Rauschen über Lexas rasende Gedankengänge legte.
Sie sollte zu WAS ausgebildet werden?!
Sie musste sich verhört haben! War das ihr Ernst?
Das konnte unmöglich sein, SIE? Eine Frau?
Nein, völlig abwegig ... niemals.
Wieder glitt ihr flackernder Blick hilfesuchend zu Coulter, doch der sah sie nur auffordernd an.
Was sollte dieser Blick nun wieder bedeuten?
Konnte ihr endlich mal jemand erklären, was in aller Welt hier los war?!
„Lexa, hast du mich verstanden? Du wirkst abwesend. Sei es drum, unsere Entscheidung mag dich überraschen. Bevor du zu uns gestoßen bist, haben wir bereits beraten. Nun folgt die gemäß Feroxrecht vorgeschriebene Abstimmung. Danach hast du Zeit, über deine Entscheidung nachzudenken und uns anschließend zu informieren.“
Ohne sich weiter um sie zu kümmern, fuhr Max damit fort, die anwesenden Anführer auf ihre Rechte und Pflichten hinzuweisen, und leitete damit die offizielle Abstimmung ein.
Die Ausbilderin sah mit großen Augen dabei zu, wie sich nacheinander immer mehr Arme hoben.
Erics Hand war die Erste gewesen, die zustimmend gen Zimmerdecke wanderte. Lucien nahm nur zähneknirschend seinen Arm nach oben, das konnte sie ohne Probleme sehen.
Jacoby zögerte nicht lange, auch er gab sein Einverständnis.
Einzig die Hand von Maddox blieb, wo sie war. Er war offensichtlich nicht von Lexas Tauglichkeit überzeugt.
Der missbilligende Blick, der ihm daraufhin von Coulter zugeworfen wurde, änderte nichts an dessen Entscheidung.
Ohne einen Mucks von sich zu geben, sah Lexa ungläubig dabei zu, wie die Anführer ihrer Fraktion ihre Zukunft festlegten, als ob sie die Getränkeauswahl eines Sommerfestes beschließen würden.
Was bedeutete es, wenn einer der Anführer gegen sie stimmte?
Lexa kannte sich bei der Gesetzgebung der Feroxelite nicht gut genug aus, um die Konsequenzen dahingehend zu kennen.
Max Stimme durchbrach ihre sich überschlagenden Überlegungen, „wir haben eine Gegenstimme, somit entscheidet die Stimme des Fraktionsführers.“
Noch bevor er seinen Satz beendet hatte, sah Lexa, wie sich dessen rechte Hand wie beiläufig hob. Bedeutete das etwa, dass sie tatsächlich den Segen der Anführer hatte?
Wieder war es der Schwarze, der ihre Grübeleien beendete.
„Die Entscheidung ist gefallen, nun liegt es an dir Lexa. Du hast zwanzig Minuten, Eric wird dich in einen Nebenraum begleiten und dich bei deiner Entscheidungsfindung unterstützen.“
Er wies nüchtern auf die unscheinbare Tür rechts von sich und erhob sich anschließend, die anderen Anführer folgten ihm nur Augenblicke später nach draußen auf den Flur.
Zurück blieb nur Eric, der entgegen seiner sonstigen Art rücksichtsvoll auf sie zuging und sie wortlos in den besagten Nebenraum führte.
Dort angekommen, brachte er sie zu dem mittig stehenden, schlichten Sofa.
Er selbst machte sich anschließend an einem Sideboard zu schaffen. Als er sich ihr wieder zuwandte, hielt er zwei Gläser gefüllt mit bernsteinfarbener Flüssigkeit in seinen Händen.
„Hier, den kannst du gebrauchen, nehme ich an.“
Lexa griff, ohne nachzufragen, nach dem ihr angebotenen Glas und stürzte die Flüssigkeit, ohne lange darüber nachzudenken hinunter.
Ja, den hatte sie wirklich gebraucht. Das Brennen in ihrer Kehle tat gut, es holte sie wieder zurück in die Gegenwart.
In den letzten Minuten hatten sich ihre Gedanken derart überschlagen - der schneidende Alkohol ordnete das heillose Chaos, brannte dem rationalen Denken eine Schneise in ihrem Kopf frei.
Als sich Eric mit kaum nennenswertem Abstand neben sie setzte, beruhigte sich auch endlich ihr Puls, sie fing allmählich wieder an, klar zu denken.
„Eric, was soll das? Warum erfahre ich erst jetzt davon, warum habt ihr mir nichts gesagt?“
Ihre Entrüstung war echt, sie war sauer - ständig wurde alles über ihren Kopf weg entschieden. Ohne jedes Mitspracherecht wurde ihr Leben verplant und sie musste jedes Mal stumm von der Seitenlinie aus dabei zusehen. „Das Gesetz sieht es so vor, das hatte nichts mit dir zu tun. Aber für diese Art der Diskussion haben wir jetzt keine Zeit. Ich muss dich das fragen, denn auch das sieht die Rechtsprechung der Ferox so vor: Willst du mich als Entscheidungshilfe dabei haben oder soll ich dich allein lassen?“
Lexas blick hob sich, er sah ihr fest in die Augen, wartete auf ihre Antwort.
„Darf ich dir Fragen stellen, die du mir anschließend auch wahrheitsgemäß und ohne Ausflüchte beantwortest?“
Eric ließ sich ein beiläufiges Grinsen nicht nehmen,
„ja, dazu bin ich verpflichtet. Wenn es mit der Sache zu tun hat, natürlich.“
„Dann bleib hier und sag mir, wie der Mist ablaufen würde, wenn ich Ja zu eurer Schnapsidee sage. Wessen dämlicher Einfall war das eigentlich?“
Das Grinsen auf Erics sonst so verschlossenem Gesicht wurde breiter.
„Es war Max‘ Idee, ich hielt zu Anfang gar nichts davon. Aber es stellte sich heraus, dass er Recht behalten sollte.“
Der ungläubige Ausdruck in Lexas Gesicht war wie eingebrannt, das alles war doch irgendein dämlicher Fiebertraum, aus dem sie liebend gerne endlich aufwachen wollte.
„War er deswegen am Anfang des Tournaments bei meinem Zug am Zaun? Deswegen die ganze Überwachung, sobald ich hier im Hauptquartier war?“
Erics Nicken kam ohne Zögern, die Ausbilderin atmete tief durch, schüttelte anschließend ernüchtert ihren Kopf.
„Sag mir, was kommt auf mich zu? Kann ich es überhaupt schaffen und kann ich auch ablehnen?“
Der Dunkelblonde lehnte sich zurück und antwortete ihr, ohne groß überlegen zu müssen. „Während deiner Ausbildung wirst du von den anderen Ferox isoliert in einem separaten Trakt untergebracht. Der Kontakt ist ausschließlich auf deinen Ausbilder und den Fraktionsführer beschränkt. Zudem wirst du viel Zeit bei den anderen Fraktionen verbringen, um deren Abläufe und Gegebenheiten kennenzulernen. Diese zwei Jahre werden extrem hart sein, härter als alles, was du bisher erlebt hast. Diese Ausbildung wird dich nicht nur körperlich an deine Grenzen und darüber hinaustreiben, sondern auch mental wirst du nicht mehr dieselbe Person sein, die du zu Anfang warst. Sei dir bewusst, dass du dein jetziges Leben vollständig hinter dir lassen musst. Du verpflichtest dich vollkommen deiner Fraktion - als Vorbild für deine Untergebenen, als Leitfigur und als Ferox, der mutig vorangeht, um andere zu schützen. Du wirst auf Anonymität und ein Privatleben verzichten müssen, denn das Einzige, was dann noch für dich zählt, ist deine Fraktion. Unterschätze dies nicht, denn wenn du es tust, wirst du scheitern. Und ja, du darfst ablehnen, wenn du der Meinung bist dem nicht gewachsen zu sein. Allerdings weißt du, was ich von Feigheit halte und dass sie dir nicht gut steht. Aber dazu hast du nur jetzt die Möglichkeit, während der Ausbildung ist dies nicht mehr möglich.“
Lexa sah ihn mit großen Augen an, „aber was, wenn ich merke, dass ich mich übernommen habe, ich all dem nicht gewachsen bin?“
Ihr Ausbilder sah sie durchdringend an, es brauchte keine Worte, damit Lexa wusste, was er sagen wollte.
Scheitern war keine Option - zu keiner Zeit.
Nicht unter seiner Führung.
Lexa tat sich schwer zu begreifen, was sie gerade gehört hatte.
War sie bereit solch große Opfer zu bringen, würde sie es schaffen? Was würden ihre Freunde sagen, durfte sie dann überhaupt noch Freunde haben?
Wie war das bei den anderen Anführern, sie hatte sich nie zuvor Gedanken darüber gemacht.
Erst jetzt wurde ihr bewusst, was diese für ein Leben führten.
Eine Frage wollte sie noch von ihm beantwortet haben, jetzt wo sich die einmalige Chance bot, konnte sie nicht anders.
„Ist das der Grund, warum du so verschlossen und kalt bist? Ich weiß nicht, ob ich so sein kann wie du, ob ich überhaupt so werden will. Ich mag, wie ich jetzt bin und wie ich früher war.“
Während er ihr forschend ins Gesicht sah, beugte sich Eric nach vorne, Lexa wich zurück - hatte sie es übertrieben, war sie zu weit gegangen?
„Die Person, die du sein wirst, ist wichtiger als die Person, die du einmal warst - merk dir das.“
Er wandte sich von ihr ab, nur um kurz darauf aufzustehen und in Richtung der Tür zu gehen.
Eine Hand bereits auf der Klinke, drehte er sich noch einmal zu ihr, „nur weil ich es nicht zeige, heißt das nicht, dass ich nichts fühle. Manchmal ist es besser andere nicht wissen zu lassen was in einem vorgeht, damit es nicht gegen einen verwendet werden kann. Das ist der Rat, den ich dir gebe und jetzt denk darüber nach was dir wichtiger ist: Ein Leben als unsichtbarer Teil einer belanglosen Herde oder als Leitwolf mit Aufgabe und Verantwortung deiner Fraktion gegenüber.“
Die restlichen ihrer verbleibenden Minuten verbrachte Lexa damit abzuwägen, was sie tun sollte.
Eric hatte Recht, sie hatte nichts zu verlieren.
Sie würde Verantwortung tragen, man würde zu ihr aufsehen, sie hätte endlich etwas erreicht!
Aber vorher kam erst die Ausbildung - was hatte sie schon für Schauermärchen über diese gehört. Es soll viele schwere Verletzungen - sogar Tote gegeben haben.
Erics Worte hallten in ihren Gedanken wider, so oft hatte sie diese in verschiedensten Variationen schon von ihm gehört: Ein Ferox gibt nicht auf! Niemals! So etwas wie Kapitulieren gab es nicht. Einzig der Tod eines Anwärters beendete den zweijährigen Drill.
Nur eine Handvoll Anwärter schafften es bisher bis zur Abschlussprüfung, geschweige denn bestanden diese. Aber konnte man das Führungsprogramm nicht erfolgreich abschließen, wurde man sang und klanglos an den letzten Zipfel der Stadt versetzt und konnte sich den Rest seines erbärmlichen Lebens den Spott der anderen anhören oder an Selbstzweifeln zugrunde gehen. Somit würde sie womöglich schon beim Versuch verhängnisvoll scheitern oder umkommen, was sollte sie nur tun?
Ein Klopfen und das anschließende Öffnen der Tür ließ sie zwar aufhorchen, aber ihren hilflos in ihre Hände versenkten Kopf hob sie nicht.
Die Stiefelspitzen, die nun in ihr Sichtfeld traten, kannte sie.
Eric war zurückgekommen, bestimmt wollte er sie holen, damit sie ihre finale Entscheidung kundtun konnte.
Aber sie hatte sich noch nicht entschieden!
Ihre Verzweiflung war greifbar, sie wusste weder ein noch aus.
Erst als er vor ihr in die Hocke ging und sanft nach ihrem Gesicht griff, wurde Lexa bewusst, dass Eric für einen kurzen Moment seine unnahbare Maske fallen ließ und sich ehrlich um sie bemühte.
„Du hast Angst, die hatten wir alle - auch ich. Angst ist kein Zeichen der Schwäche, sondern dass man fühlt, das man menschlich ist. Sie hilft dir dabei, stärker zu werden. Du wirst es schaffen, da bin ich mir sicher. Und jetzt geh da raus und zeig ihnen, dass du stärker bist als sie glauben.“
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