32.
„Und du bist dir sicher mit deiner Vermutung? Würdest du diese auch vor Max wiederholen?“
Mit stechendem Blick sah er Lexa forschend an. Unschlüssig saß sie vor ihm, das Ruhelose auf - und abstreichen ihres Zeigefingers auf dem Handrücken der anderen Hand, hatte sie schon längst verraten.
Doch er wollte, dass sie selbst bemerkte, wie leicht sie zu verunsichern war. Mühelos ließ sie sich von ihm ins Bockshorn jagen. Das musste sich schleunigst ändern, wenn sie unter all den anderen bestehen wollte.
„Ja ... ich meine, glaubst du ich liege richtig?“
Sein flüchtiges Grinsen stellte klar, dass er ihr dahingehend keine Hilfe sein würde.
„Stelle niemals Anschuldigungen in den Raum, die du nicht auch Beweisen kannst, Lexa. Unser Termin mit Max ist in einer Stunde. Wenn du willst, dass er dich für voll nimmt, solltest du von dir und deiner Meinung überzeugt sein. So wie du jetzt vor mir sitzt, gehst du unter wie ein sinkendes Schiff. Überzeuge ihn. Wie du das machst, ist mir egal, aber bekomm deine Körpersprache in den Griff. Du bist eine geborene Candor, dass ich dich überhaupt darauf hinweisen muss, ist erbärmlich.“
Lexas Kopf senkte sich, doch wider Erwarten äußerte sie sich dennoch.
„Tut mir leid, ich weiß nicht was heute mit mir los ist.“
Erics Blick fing den ihren auf, herausfordernd reckte er ihr sein Gesicht entgegen.
„Ich weiß, was mit dir los ist. Aber das ist kein Grund, wieder in deine alten Verhaltensmuster zu verfallen. Reiß dich zusammen.“ Als ob ihre Knie das interessanteste in diesem Raum wären, saß sie weiterhin verschüchtert vor ihm.
Genervt von ihrem devoten Verhalten, verzog Eric das Gesicht, überlegte kurz, wie er sie aus der Reserve locken konnte.
Hörbar sog er Luft ein, wartete kurz, er wollte sichergehen, dass sie ihm zuhörte.
„Ach ja ... wenn du meine ungeteilte Aufmerksamkeit willst, dann brauchst du dich mir nicht in Unterwäsche vor die Füße schmeißen. Die hattest du schon, als du mit diesem Fetzen Stoff aus der Umkleide kamst.“
Sofort kam Leben in die Blonde, ihre Augen zuckten entrüstet nach oben, augenblicklich saß sie aufrecht und funkelte ihn böse an. „Das war keine Unterwäsche und habe mich dir auch nicht vor die Füße geworfen! Wie kommst ...“
Er unterbrach sie breit grinsend, „geht doch. Das man dich immer erst in die richtige Richtung schubsen muss. Wird anstrengend mit der Zeit.“
Kopfschüttelnd stand er auf, wutschnaubend folgte sie jeder seiner Bewegungen, schwieg aber. Sie wusste genau, dass sie ihm in die Falle gegangen war - wieder einmal.
Auch sie hatte sich inzwischen erhoben, doch er ließ sie nicht an sich vorbei zur Tür seines Büros gehen.
„Du weißt, was ich von dir erwarte. Enttäusche mich nicht.“ Wie verwandelt stand sie ihm aufrecht gegenüber, nickte zur Bestätigung.
Zufrieden mit ihrer Antwort und ihrem veränderten Verhalten, trat er einen Schritt zur Seite und machte ihr damit kommentarlos den Weg frei.
*
Erics Worte hallten noch immer in Lexas Gedanken wider, als sie knapp eine Stunde später wartend vor Max Büro stand.
Sie musste überzeugend sein, nicht zaghaft. Kein Stottern, sich nicht die Hände kneten oder irgendwie anders ihre innere Unruhe nach außen tragen. Eigentlich keine besonders schwierige Aufgabe für die Ausbilderin, sollte man meinen. Aber momentan - sie wusste seit dem Vorfall bei Capture the Flag und der unfassbar peinlichen Sache heute Morgen nicht mehr, wo ihr der Kopf stand.
Dazu noch der kleine Nebensatz, den Eric vorhin hatte fallen lassen. Er würde wissen, was mit ihr los ist ...
War sie wieder einmal von ihm durchschaut worden?
Sie war sich doch selbst nicht im Klaren, was sie von ihren Gefühlen zu ihm halten sollte. Nutze er diesen Umstand zu seinem Vorteil aus?
Spielte er ihr womöglich sogar nur etwas vor?
War sein forscher Flirt bei Capture the Flag nur eine miese Art der Manipulation gewesen?
Sie wusste es nicht, er ließ sie weiterhin orientierungslos im Dunklen tappen.
Lexa hegte einen Verdacht, wer der Schuldige für den Angriff auf Edward war, doch Eric konnte oder vielmehr wollte, ihr nicht unterstützend zur Seite stehen. Somit war es an ihr, den obersten Anführer von ihrer Theorie zu überzeugen.
Das grüne Signallicht leuchtete auf, mit schwitziger Hand griff die Ausbilderin zur Klinke. Bevor sie diese nach unten drückte, atmete sie tief ein, schloss die Augen für einen kurzen Moment und trat anschließend ein.
„Lexa, setz dich. Eric hat mich schon vollumfänglich in Kenntnis gesetzt. Doch den Verantwortlichen wollte er mir bisher noch nicht präsentieren. Er meinte, dass du von ihm mit dieser Sache betraut worden bist.“ Lexa trat Eric, der nun rechts neben ihr saß, gedanklich gegen sein Schienbein.
Von wegen - er hatte sie nie damit ‚betraut‘. Sie war schlichtweg davon ausgegangen, nachdem er einfach gegangen war und sie mit dem verängstigten Haufen Initianten zurückließ.
Die Augenpaare der beiden Anführer ruhten auf ihr, sie durfte sich jetzt nicht aus der Ruhe bringen lassen und antworte Max so souverän wie möglich. „Aufgrund der Spuren am Tatort, der Vorgehensweise und dem aktuellen Ranking, kommt für mich nur ein Täter infrage. Edward ist beliebt unter den Initianten, eckt nicht an und ist gewissenhaft. Nur eine Person würde von seinem Ausscheiden profitieren.“
Max nickte, hörte ihr konzentriert zu. Lexa fühlte sich von Sekunde zu Sekunde selbstsicherer und fuhr mit fester Stimme fort.
„Peter Hayes. Er ist rücksichtslos, impulsiv, aber auch ehrgeizig. Außerdem hat er seine Hitzköpfigkeit noch nicht unter Kontrolle. Er will um jeden Preis Führender im Ranking sein, Edward stand ihm dabei im Weg.“
Der Dunkelhäutige schien über ihre Worte nachzudenken, wandte sich Eric zu.
„Was sagst du dazu Eric, deckt sich das mit deinen Erkenntnissen?“ Der Angesprochene sah von seinem Kaffeebecher auf und antwortete knapp, „ja, die Spuren und auch sein Verhalten weisen darauf hin. Er wurde vor unserem Treffen hier, von mir befragt und hat nach kurzer Zeit gestanden.“
Lexa triumphierte innerlich, sie hatte mit ihrer Vermutung also absolut richtig gelegen.
Sie ließ sich nichts anmerken, achtete aber genau auf Max Reaktion. Dieser sah anerkennend von Eric zu seiner Untergebenen und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
„Gut, dann wäre das geklärt. Jetzt zu etwas anderem. Wie kommt ihr bei den Simulationen voran? Eric, gibt es Auffälligkeiten?“
Lexa sah abwechselnd von Max zu Eric. Sollte das alles gewesen sein, was sie zu dem Angriff von Peter auf Edward zu sagen hatten? Folgten keinerlei Konsequenzen für Hayes?
Mit dieser Nachfrage fiel sie Eric ins Wort, der soeben auf Max Frage antworten wollte.
Fast beiläufig reagierte der Blonde auf ihren forschen Einwand. „Edward kann aufgrund seiner Verletzung die Initiation nicht weiterführen, also ist er raus.“ Augenscheinlich fiel ihm ihre irritierte Reaktion auf, also führte er seine Argumente weiter aus. „Du hast es der Altruan treffend erklärt, jeder muss auf sich aufpassen. Edward war sich seiner Sache zu sicher, also hat der Candorjunge seine Chance genutzt. Jetzt ist er der Gejagte. Wenn man an der Spitze stehen will, muss man sich behaupten können - jederzeit.“
Der Blick, den er ihr jetzt zuwarf, war unmissverständlich.
Als ob er mit seinem Zeigefinger direkt auf sie zeigen würde.
Lexa schwieg, sie hatte verstanden.
Auch sie war eine Gejagte, ständig umgeben von Menschen die ihr ihre Position, ihren Erfolg und ihr Ansehen nicht gönnten und streitig machen wollten. Die letzten Wochen hätten ihr dahingehend eine Lehre sein sollen.
Wieder einmal war ihr von Eric vor Augen geführt worden, wie lächerlich einfach sie sich für jedermann angreifbar machte. Sie durfte keine Schwäche mehr zeigen, selbst wenn sie sich vor der versammelten Fraktion auf die Nase legen würde.
Sie musste aufstehen, sich den Dreck abklopfen, den Kopf recken und weitermachen.
Es frustrierte sie, dass sie immer wieder solche Anfängerfehler machte. Sich Eric ständig wiederholen musste und sie trotzdem nicht daraus lernte. Wenn es doch so etwas wie einen Schalter geben würde, den man einfach umlegen konnte.
Man seine schlechten Angewohnheiten mit nur einem Fingerschnippen loswerden und durch neue, effektivere Verhaltensweisen ersetzen könnte.
Lexa nickte betreten, mehr blieb ihr nicht übrig.
*
Nachdem Lexa gegangen war, setzte sich Eric wieder Max gegenüber. Es gab noch einige Dinge zu besprechen, die nicht für die Ohren der Blonden bestimmt waren.
„Tina Scott ist eingearbeitet und liefert gute Ergebnisse. Ich denke, in absehbarer Zeit wird sie und ihr Team. Richard gleichwertig ersetzen können. Somit ist der Druck an dieser Stelle rausgenommen. Die Lieferketten sind wieder stabil und die Verhandlungen mit den Fraktionen gehen in die richtige Richtung. Lauren habe ich nach ihrer Flucht ebenfalls ausfindig machen können. Nachdem sie von der Ergreifung Aidens und den anderen erfuhr, hat sie ihren Posten vorschriftswidrig verlassen und wollte zu den Amite flüchten. Meine Männer haben sie im Wald aufgreifen können und neutralisiert. Ich habe ihre Leiche gestern in Empfang genommen und entsorgen lassen. In der Fraktion ist wieder Ruhe eingekehrt, so wie du es wolltest.“ Max lächelte anerkennend, er war sich bewusst, welchen enormen Dienst ihm Eric mit seiner Arbeit hinter den Kulissen erwiesen hatte.
„Was ist mit Janine, hält sie die Füße still?“
Erics schiefes Grinsen nahm seine Antwort schon vorweg, „nach ihrem letzten Besuch bei uns, kocht sie vor Wut. Sie wird nie Ruhe geben, aber ich denke sie überlegt es sich nun zweimal.“ Nach einer kurzen Pause fuhr er fort, „meine Arbeit ist getan Max. Du kannst mich wieder zurückstufen, ich habe mit Lexa und den Initianten genug zu tun. Du gewöhnst dich sonst nur ans Ausschlafen und Eierschaukeln.“ Das kurze Lachen des obersten Anführers lockerte die angespannte Stimmung jedoch kaum auf. Aber das tiefste Tal schien durchschritten zu sein, endlich lief wieder alles in seinen gewohnten Bahnen.
„Du hast noch keinen Ersatz für Aiden, hast du schon jemandem im Auge?“
„Ja, aber das dauert noch. In Zwischenzeit geht mir Luciens Assistent Fintan zur Hand und Lexa kann demnächst auch ein paar Aufgaben übernehmen.“ Damit nahm ihm Eric schon den nächsten Punkt vorweg, ohne Umwege sprach ihn Max darauf an.
„Darüber müssten wir uns auch noch unterhalten Eric - Lexas Zukunft. Wie du weißt, ist alles arrangiert. In etwas mehr als einer Woche endet die Initiation. Wir müssen sie in Kenntnis setzen, ist sie so weit?“
Ohne lange darüber nachzudenken, reagierte der Blonde auf seine Frage, „ja, sie ist so weit. Ab und an verfällt sie in alte Muster, aber sie ist sich ihrer Schwächen bewusst und arbeitet daran.“
Max war noch nicht vollends überzeugt, „Eric, bist du dir sicher? Es macht keinen Sinn, sie zu opfern, nur weil du sie unbedingt pushen willst. Sei dir der Konsequenzen bewusst, sie könnte es mit dem Leben bezahlen!“
Ein kurzer Moment des Schweigens legte sich über das imposante Büro des Anführers der Feroxfraktion.
Wieder war es Eric, der als erster das Wort ergriff und mit diesen das Gespräch beendete, „Lexa wird es schaffen, ich bin mir sicher.“
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