31.
Das überlaute Piepen ihres Tablets riss Lexa erbarmungslos aus ihrem Schlaf. Ohne auf die Uhrzeit zu achten, schlüpfte sie in Höchstgeschwindigkeit in ihre Uniform und hechtete die Treppen herunter, um schnellstmöglich in den Schlafräumen der Initianten anzukommen.
Four war der Sender der dringlichen Nachricht gewesen, noch wusste sie nicht genau, was vorgefallen war. Nur, dass es wohl einen Angriff unter den Initianten gegeben haben musste.
Lautes Stimmengewirr empfing sie. Sobald sie um die Ecke bog und die wackelige Treppe ins Innere des Schlafsaals herunter stürmte, stieg ihr schon der metallische Geruch von Blut in die Nase.
Ohne sich groß umzusehen, schnappte sie sich den erstbesten Schüler und fragte ihn knapp über das Geschehene aus.
Four konnte sie nirgends entdecken, nur Amar stand etwas weiter hinten, unterhielt aufgeregt sich mit weiteren Wechslern. Als sich eine von ihnen umdrehte und auf eine erhebliche Menge Blut auf dem Boden deutete, erkannte Lexa sie als Tris, die ehemalige Altruan wieder. Neben ihr, ihre vorlaute Freundin Christina, deren Blick hoffnungsvoll auf Amar haftete. Beide wirkten äußerst besorgt, aber auch verschreckt.
Man merkte ihnen an, dass solch ein Gewaltverbrechen etwas völlig Neues für sie war.
Lexa ging auf ihren Kollegen zu, erhoffte sich von ihm aussagekräftigere Antworten als von dem vor sich hin stammelnden Kind neben ihr. Irgendetwas mit einem Messer im Gesicht eines anderen, mehr hatte sie aus dem zusammenhangslosen Gebrabbel nicht heraushören können.
„Was ist hier passiert? Wo ist Four?“
Amar löste sich von der Gruppe und trat mit ihr an seiner Seite, in eine ruhigere Ecke.
„Euer Führender im Ranking wurde angegriffen. Irgendwer von den anderen hat ihm etwas ins Auge gerammt. Four hat ihn sofort auf die Krankenstation gebracht, aber es sieht nicht gut aus.“
Lexa nickte, um die nächste Frage kam sie nicht umhin.
„Hat man Eric schon informiert?“
Drucksend kam Amars Antwort, „wir dachten, es wäre besser, wenn du ihn in Kenntnis setzt.“
„Dein Ernst?“
Lexa konnte nicht fassen, dass sie diese undankbare Aufgabe zugeschustert bekam.
Mit einem Blick, der keine Widerrede duldete, erhob sie ihre Stimme. Sofort wurde es still im Raum.
„Niemand der Anwesenden verlässt den Raum. Keine Gespräche mehr! Jeder setzt sich auf sein Bett und bewegt sich nicht vom Fleck! Das ist ein Befehl!“
Noch einmal sah sie Amar strafend an, dann verließ sie äußerlich ruhig den Raum und angelte nach ihrem Tablet.
Sie würde ihn anrufen müssen.
Es führte kein Weg daran vorbei, ihr Puls raste schon jetzt. Widerwillig suchte sie nach seinem Kontakt und sah dem Gerät bange dabei zu, wie es eine Verbindung aufbaute.
Ihr Gespräch hatte noch nicht einmal fünf Sekunden gedauert und doch spürte Lexa klebrige Schweißflecken unter ihren Achseln.
Jeden Moment konnte er ums Eck treten, mit einer Laune, die sie sich nicht ausmalen wollte.
Hatte sie alles richtig gemacht? Lexa ließ ihren Blick zum wiederholten Male über die Initianten wandern, hängen blieb er an dem verschmierten Blutfleck, der sich fast mittig im Raum befand, direkt vor Edwards Bett.
Sie verfolgte die Spur der einzelnen Tropfen zurück.
Dabei fiel ihr auf, dass der Angriff wohl passiert sein musste, als Edward schlief und somit wehrlos war.
Der Täter war ihm also körperlich unterlegen.
Gerade, als sich Lexa in Bewegung setzte, um sich den Tatort näher anzusehen, hörte sie hinter sich das laute Scheppern der Treppen. Mit einem Blick, der jeden Anwesenden augenblicklich den Kopf einziehen ließ, kam Eric ohne Umwege auf Lexa zu und ignorierte alle anderen um sich herum.
Doch anstatt sie anzusprechen, nickte er ihr nur auffordernd zu. Nichts deutete darauf hin, dass er nur etwa zehn Minuten zuvor noch seelenruhig geschlafen hatte. Wie aus dem Ei gepellt kam er neben ihr zum Stehen und wartete konzentriert auf ihre Auskünfte.
Die Ausbilderin ratterte alle relevanten Informationen kurz und knapp herunter - Eric hasste nichts mehr, als mit Belanglosigkeiten hingehalten zu werden.
Während Lexa sprach, wanderte sein Blick durch die Reihen der Initianten, die ihm allesamt auswichen.
Nachdem Lexa am Ende ihres Berichts angekommen war, ließ er einige Sekunden verstreichen, ehe er zu ihr sprach.
„Lass sie hier sauber machen, dann sollen sie schlafen. In weniger als drei Stunden beginnt das Training. Wo bleibt eigentlich der Stiff, hält er Händchen, oder was?“
Lexa sah zu Eric, der auf eine Antwort wartend zu Amar blickte. Dieser wusste nicht recht, was er zur Verteidigung seines Kollegen hervorbringen sollte, ohne Gefahr zu laufen, selbst in den Fokus von Coulters Groll zu geraten.
Erics Gesichtsausdruck ließ erahnen, was er von dem Gestammel des schwarzhaarigen Ausbilders hielt.
Bevor er sich daran machte den Raum zu verlassen, nahm er für ein paar Sekunden den Augenkontakt zu Lexa wieder auf. „Sorg für Ordnung bei den Initianten, verstanden?“
Lexa nickte nur und seufzte innerlich auf.
Auch ohne seine unmissverständliche Anweisung wurde ihr klar, dass sie die undankbare Aufgabe bekommen würde, diesen Haufen hysterischer Kinder zu beaufsichtigen.
Auch das Wissen, nicht mehr zurück in ihr warmes Bett kriechen zu können, trug dazu bei, dass sich Lexas Laune zunehmend gen Tiefpunkt bewegte.
Es würde keinen Sinn machen, sich jetzt noch einmal hinzulegen. So wie es aussah, würde auch die Aufklärung des ganzen Schlamassels an ihr hängen bleiben.
Die nervige Stimme von Tris durchschnitt die Stille, Lexa war kurz davor der Blonden den Hals umzudrehen. Genau jetzt musste sie wieder diejenige sein, die sich ungefragt einmischte.
„Unter uns ist der Täter, Lexa! Du kannst uns doch jetzt nicht einfach mit jemanden hier drin lassen, der gerade eben versucht hat, einen von uns zu töten!“
Amar trat einen Schritt nach vorne, war im Begriff der Stiff zu antworten, doch Lexa kam ihm zuvor.
„Du weißt, wo du dich hier befindest oder, Tris? Wenn nicht, dann steht es dir frei, zu gehen. Ansonsten erinnere dich daran, was dir mittlerweile schon mehrmals von Eric nahegelegt wurde. Achte darauf, was hinter deinem Rücken passiert. Nur die Stärksten überleben. Wie du das sicherstellst, ist deine Sache.“
Ihr mahnender Blick glitt von der Blonden zu den anderen farblosen Gesichtern, die ihr verschreckt entgegenblickten.
Verdammt, sie steckten mitten in der Initiation bei den Ferox, was hatten sie erwartet?
Singen und klatschen mit anschließendem Gruppenkuscheln?
Jeder war sich selbst der Nächste und hatte dementsprechend dafür zu sorgen, dass er heil durch diese erbarmungslose Auswahlphase kam.
Lexa kannte die Erzählungen der älteren Ferox zu Genüge. Kaum ein Jahr verging, ohne dass es Verluste oder zumindest so schwer Verletzte gab, die daraufhin die Fraktion verlassen mussten. Dieses Jahr handelte es sich bei der Tatwaffe also um einen simples Buttermesser, welches dem führenden Initianten mitten in der Nacht ins Auge gerammt worden war. Nicht besonders kreativ, aber trotzdem verhängnisvoll.
Lexa hatte genug gesehen.
Sie hegte einen Verdacht, aber von diesem würde sie Eric erst später unterrichten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hatte er sich in der kurzen Zeit, in der er hier unten gewesen war, schon selbst ein Bild gemacht.
Seine Auffassungsgabe war bemerkenswert, er schaffte es, in kürzester Zeit Dinge zu analysieren, für die sie selbst, mindestens dreimal so lange brauchen würde.
Die Tatsache, dass er geborener Ken war, bewies sich immer wieder als unbestreitbar.
Herzhaft gähnend stieg Lexa die Treppen zum unterirdisch gelegenen Trainingsraum herunter. An Schlaf war nicht mehr zu denken gewesen, deshalb war sie nur für die Morgentoilette und einen Kaffee zurück in ihre Wohnung gegangen.
Um die Zeit bis zum Wecken der Anwärter zu überbrücken, hatte sie sich dafür entschieden, Trainieren zu gehen. So konnte sie wenigstens heute Abend eher ins Bett und den verpassten Schlaf nachholen.
Als sie die schwere Metalltür, die in die Halle führte, aufdrückte, sah sie, dass diese wider Erwarten hell erleuchtet war.
Lexa hatte nicht damit gerechnet, um diese frühe Uhrzeit jemanden hier anzutreffen, dementsprechend überrascht sah sie sich im Raum um.
Natürlich - sie war schließlich nicht die Einzige, deren Nacht abrupt geendet hatte.
Er schien sie noch nicht bemerkt zu haben, also huschte Lexa leise zu den Umkleiden und überlegte, während sie sich umzog, mit welcher Taktik sie nun wohl besser beraten wäre.
Warum hatte sie auch ausgerechnet heute dieses bauchfreie Bustier eingepackt? Sich selbst verfluchend zupfte sie das knappe Stück Funktionswäsche tiefer, aber ohne nennenswerten Erfolg.
Den Pulli von gerade eben konnte sie unmöglich beim Training tragen, es half also nichts.
Ihre Unsicherheit verbergend, kehrte sie in die Halle zurück und begann mit der Umrundung dieser.
Immer wieder schielte sie unauffällig zu Coulter rüber, der sie noch immer nicht zu bemerken schien und weiterhin sein Pensum absolvierte. Den Grund dafür sah Lexa erst, als sie sich auf einer Höhe mit ihm befand. Schwarze Knöpfe steckten in seinen Ohren, er hörte also Musik, das erklärte seine fehlende Aufmerksamkeit. Im selben Moment sah er zu ihr, reagierte aber nicht weiter. Zog sich ein weiteres Mal an der Klimmzugstange nach oben und ignorierte die Anwesenheit der Ausbilderin völlig.
Immer wieder sah sie während ihres Laufes zu ihm, es war wie ein Zwang.
Sein breites Kreuz war beeindruckend, sie konnte sich von dem verschwitzten und unfassbar muskulösen Anblick kaum lösen.
Und so kam es, wie es kommen musste, nur wenige Meter von ihm entfernt stolperte Lexa mitten im Lauf und legte sich krachend auf die Nase.
*
Ein dumpfes Poltern ließ ihn mitten in der Bewegung innehalten.
Hinter ihm musste irgendetwas heruntergefallen sein.
Noch während er sich von der Stange herunterließ und seinen Kopf in Richtung des Rumpelns drehte, sah er einen Schatten links neben sich.
Sofort drehte er sich um und doch war er zu spät.
Außer abstrakt fliegender Gliedmaßen, sah er nur eine Lexa, die unelegant der Länge nach vor seine Füße knallte.
Im ersten Moment überrascht, konnte er im zweiten, aber nicht mehr an sich halten und lachte entgegen seiner Gewohnheit laut auf. Die Art und Weise wie sie scheinbar vor lauter Starren über ihre eigenen Füße gestolpert war, war zum Schreien komisch.
Noch dazu ihr peinlich berührtes Gesicht und der hochrot angelaufene Kopf - seine sonst so stoische Contenance war dahin. Sie wollte vor Scham im Erdboden versinken, so viel war klar.
Darauf bedacht ihn bloß nicht anzusehen, versuchte sich Lexa aufzurappeln.
Eric biss sich auf die Lippen und bemühte sich, nicht wieder laut loszulachen, beugte sich anschließend zu ihr runter und reichte ihr helfend eine Hand. Zögerlich griff sie nach dieser, wich seinem Blick aber dennoch aus.
„Vielleicht hättest du mehr auf deine unmittelbare Umgebung achten sollen, anstatt auf mich. Wie war das noch gleich, letztens in meinem Büro? Die Sache mit den unangebrachten Blicken? Ich denke wir sind quitt, oder?“
Ein verschüchtertes Nicken ihrerseits, ließ ihn abermals dreckig schmunzeln.
Er hatte nicht gesehen, ob sie ihn tatsächlich beobachtet hatte und daraufhin gestürzt war. Aber ihre Reaktion auf seine Unterstellung verriet sie sofort.
Blondchen hatte also in der Tat Interesse an ihm, er lag mit seiner Vermutung demnach doch richtig. Vor kurzem war er noch davon ausgegangen, dass dem nicht so wäre und sie nur aus Nettigkeit und Respekt so manches Mal wie ein verschrecktes Reh wirkte. Aber er hatte sich wohl getäuscht. Doch auch wenn es seinem Ego schmeichelte, dieser Umstand würde ihre zukünftige Zusammenarbeit nicht einfacher machen.
Außerdem spukte sie ihm gleichermaßen im Kopf herum, ohne dass er etwas dagegen tun konnte.
Ein Dilemma, wenn er bedachte, in welchen Positionen sie sich befanden.
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