16.
Four hatte Lexas Überwachung in den letzten Stunden übernommen. Die angeforderten Candor waren eingetroffen und Eric hatte somit keine Zeit, ein Auge auf die Ausbilderin zu haben.
Lucien führte Raphael in den kargen Verhörraum, ab da hatten dann die Angehörigen der Freimütigen das Zepter in der Hand. Nur Max und Eric durften im Raum verbleiben und dabei sein, wenn Raphael unter dem Einfluss des Serums stand.
Kaum war dem Mechaniker dieses gespritzt worden, wand er sich unter Schmerzen. Seine Augen und die großen Arterien an Hals, Schläfen und Stirn traten dick hervor. Dabei stieß er animalisch klingende Laute aus, atemloses Stöhnen und Keuchen unterstrichen seinen besorgniserregenden Anblick. Max und Eric aber, waren an das bedenkliche Schauspiel schon gewöhnt. Beide hatten schon einige solcher Befragungen miterlebt, das Schauspiel das sich ihnen jetzt bot, brachte sie nicht aus der Ruhe.
Jeder, der das Serum der Candor injiziert bekam, reagierte anders darauf. Manche ruhig, andere wiederum umso heftiger.
Raphael befand sich mit seiner Reaktion im Mittel, also kein Grund zur Sorge.
Zur Sicherheit war er von dem dunkelhaarigen Candor mit todernstem Gesichtsausdruck, an einen medizinischen Monitor angeschlossen worden. Aber noch schien alles im grünen Bereich zu sein, denn der fast gleichgültig wirkende Mann mittleren Alters schien nicht im Geringsten besorgt.
Sobald Raphael sich beruhigte, fingen die Candor mit ihrer Befragung an.
Kurz zuvor hatte Eric mit diesen, die wichtigsten Fragen besprochen.
Die Formulierung derer, übernahmen die zwei in schwarz und weiß gekleideten Männer Mitte 30.
Alles lief so, wie von Eric vorausgeahnt, Raphael war tatsächlich unschuldig.
Sein einziges Vergehen bestand darin, Lexas Freund zu sein. Er hatte sich, wie schon vermutet, nicht das Geringste zu Schulden kommen lassen.
Dahingehend fand sich kein Grund mehr, ihn weiter in Haft zu belassen.
Vorerst musste er allerdings hierbleiben.
Das Wahrheitsserum würde noch etwa eine Stunde lang wirken, erst dann konnte man ihn wieder bedenkenlos frei lassen. Sonst würde er noch jedem, dem er begegnete, jede Einzelheit ungefragt auf die Nase binden. Und damit wäre definitiv niemandem geholfen.
Nachdem der Hellblonde zurück in seine Zelle gebracht worden war, wies Eric eine der Wachen an, ein Auge auf ihn zu haben. Sobald der Mechaniker wieder alle Sinne beisammenhatte, sollte dieser seinem Anführer Bescheid geben.
Eric entschied final, dass Raphael weiterhin inhaftiert bleiben würde - zu Lexas und auch seiner eigenen Sicherheit.
Wer auch immer hier etwas im Schilde führte, sollte in dem Glauben gelassen werden, dass Lexas Freund weiterhin ein Verdächtiger war.
Auf das ihm bevorstehende Gespräch mit dem Mechaniker hatte Eric schon jetzt keine Lust. Hoffentlich war Lexas Kumpel nicht einer von der quengeligen Sorte und wäre einsichtig.
*
Es klopfte laut an der Tür.
Völlig orientierungslos, schreckte Lexa aus ihrem traumlosen Schlaf hoch und schielte benommen auf die Uhr. Mühsam schälte sie sich aus ihrer Decke und tapste mit nackten Füßen zur Eingangstür ihrer Wohnung.
Aiden sah ihr durch seine dicken Brillengläser entgegen, hielt ihr grußlos ein Tablett der Kantine vor die Nase.
„Dein Essen und ein weiteres Medikament. Nimm es während des Essens ein.“
Irritiert und noch immer nicht ganz bei Sinnen fragte Lexa nach, „ich habe doch schon haufenweise Tabletten bekommen, wofür sind die?“
Aiden schien genervt von ihrer Fragerei und sah kurz zu dem Wachmann neben sich, bevor er wieder zu Lexa blickte.
„Frag Eric, ich soll sie nur bringen.“
Lexa bedankte sich pflichtbewusst und schloss die Tür, nachdem Aiden sich ohne ein weiteres Wort einfach umdrehte.
Dieser Typ war ein solch unsympathischer Lauch, Ken durch und durch.
Wie in aller Welt war es möglich, dass ein solch dürrer Vogel überhaupt hier in dieser Fraktion lebte?
Lexa stellte das Tablett auf dem Küchentresen ab und holte sich schlurfend Besteck aus ihrer Küche.
Sobald sie die Box, in der das Essen warmgehalten wurde öffnete, stieg ihr schon der Geruch dessen entgegen.
Etwas Undefinierbares stand vor ihr. Prüfend stocherte sie mit ihrer Gabel darin herum.
Schon wieder kein Fleisch.
Wollten die Anführer sie zum Veganismus umerziehen?
Aber Lexa hatte Hunger, also aß sie ihre Portion und spülte die ovale Tablette, die neben der Box lag, mit einem Schluck kaltem Tee herunter.
Wieder klopfte es, diesmal energischer.
Stirnrunzelnd rutschte Lexa behäbig von ihrem Hocker und öffnete diese erneut.
Coulter - sofort schnellte ihr Puls nach oben.
Wortlos wandte sie sich wieder dem Küchentresen zu und setzte sich. Eric schloss die Tür und stellte sich in ihrer Nähe aufrecht hin, seine Arme wie üblich hinter dem Oberkörper verschränkt.
Wenn es ihm nicht passte, dass sie sich grußlos setzte und weiterhin aß, würde er das schon sagen. Wäre ja nicht das erste Mal, dachte sich Lexa.
Sie bemerkte, dass dieser sie in seiner typisch offensiven Art beobachtete.
„Raphael konnte von allen Vorwürfen freigesprochen werden“, begann er.
Lexa hielt mitten in der Bewegung inne und sah zu ihm auf. „Wirklich? Wo ist er?“
Der massige Anführer zog sich einen Hocker heran und setzte sich, einen Arm auf dem steinernen Küchentresen gestützt. „In Schutzhaft. Wer auch immer es auf dich abgesehen hat, soll in dem Glauben bleiben, dass er weiterhin unter Verdacht steht. Seine Freundin habe ich zu einer Weiterbildung zu den Ken geschickt, sie kommt in zwei Wochen wieder. Tina hat ab sofort ebenfalls einen ständigen Begleiter. Aber sie weiß nichts davon und ich will, dass das so bleibt.“
Lexa war klar, was er damit meinte. Aber in erster Linie fiel ihr ein Stein vom Herzen, dass Raphis Unschuld bewiesen war.
Normalerweise zogen sich solche Untersuchungen immer ewig hin, dass ihr Kumpel so schnell entlastet worden war, lag mit ziemlicher Sicherheit an Eric.
Sie musste ihm danken, also sprang sie über ihren Schatten und räusperte ihren verschleimten Hals frei.
„Danke Eric. Ich weiß, dass es nicht selbstverständlich ist, dass du jemandem hilfst. Und bei meinen Freunden war es jetzt schon das zweite Mal. Danke.“
*
Eric sah zu ihr, ihre letzten Worte hatte er kaum verstanden, sie nuschelte stark. Normalerweise tat sie das nicht.
Er folgte mit seinem Blick ihrer Hand, die sie gerade erneut zu ihrem Mund führen wollte, um sich einen Bissen in den Mund schaufeln.
Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Ihre Bewegungen wirkten fahrig, fast schon ungelenk.
Vor noch nicht einmal zwei Minuten war ihm noch nichts davon aufgefallen. Doch ihre plötzlich so unkoordinierten Bewegungen ließen den Anführer stutzig werden.
„Geht es die besser?“ Sie reagierte im ersten Moment nicht auf seine Frage. Erst spät antwortete sie ihm, allerdings verstand er sie auch dieses Mal nur schlecht. Lallte sie etwa?
„Ja, wir können dann los.“
Eric sah Lexa alarmiert an, was redete sie da?
„Lexa, sieh mich an!“
Sofort sprang er auf und huschte beunruhigt zu ihr, drehte ihr Gesicht grob zu sich und zwang sie dazu, ihre Augen zu öffnen.
Er spürte ihr kaltes, schweißnasses Gesicht in seinen Händen und sah ihr in ihre Augen, die sie nur mit Mühe offenhalten konnte. Zwei gerade einmal stecknadelgroße Pupillen sahen ihm trüb entgegen.
Die Erkenntnis durchfuhr ihn wie ein scharfes Messer.
Er zerrte Lexa wie einen nassen Sack vom Hocker ins Badezimmer und hielt ihren Kopf über die Badewanne.
„Lexa! Du musst dich übergeben, sofort!“ Eric schnappte sich Lexas Zahnbürste und versuchte diese so behutsam, wie es ihm in der jetzigen Situation möglich war, in deren Mundhöhle einzuführen, ohne sie dabei zu verletzen.
Lexa zeigte kaum noch Reaktion. Schlaff hing sie über dem Badewannenrand und rutschte sofort zur Seite, sobald er sie nicht mehr festhielt.
„Man, du musst schon mithelfen, verdammt! Bleib wach!“ Er wollte ihr nicht weh tun, aber in Anbetracht der Tatsache, dass er sie dazu bringen musste, sich zu übergeben, brauchte er sie wach. Zwei leichte Backpfeifen würden sie vielleicht wieder klarer werden lassen.
Tatsächlich blinzelte sie kurz.
Er nutzte dieses kurze Zeitfenster und versuchte erneut, sie dazu zu bringen, ihren Mageninhalt zu erbrechen. Endlich, sie würgte.
Eric stand über ihr, hielt ihren Kopf und Oberkörper fest und hoffte, dass sie alles von sich gab, was sich in ihrem Magen befand. Viel war es nicht.
Er stabilisierte die Ausbilderin mit seinen Beinen und griff nach seinem Funkgerät, um damit ein Notfallteam herbeizurufen.
Ihren Kopf hielt er weiterhin mit einer Hand fest, damit sie nicht mit diesem auf den Rand der Badewanne knallte.
Lexa gab keinen Mucks mehr von sich. Er legte sie sachte auf dem Boden des Badezimmers ab und kontrollierte mit zittrigen Fingern ihren Puls. Er konnte ihn fühlen, aber nur sehr schwach, auch ihre Atmung verlangsamte sich zusehends. Ihre Haut war leichenblass und sie zeigte keinerlei Reaktion mehr.
Sorgenvoll schob er eine Strähne ihres Haares zur Seite und machte ihren Mund mit Toilettenpapier sauber.
Er hätte sie ebenfalls in Schutzhaft belassen sollen!
Es war ein Fehler gewesen, sie in ihre Wohnung zu lassen!
Er allein war schuld an dieser Situation, nur er und sein verdammtes Mitleid mit ihr!
Er hörte Stimmen von der Wohnungstür. Laut rief er ihnen entgegen, damit sie wussten, wo sich die Patientin befand.
Jede Minute zählte. Wer weiß, was sie so ausgeknockt hatte.
Nur einen Augenblick später stand Dr. Jenner vor ihm. „Eric, was ist passiert?“
„Ich vermute eine Vergiftung. Ich habe Erbrechen herbeigeführt. Sie ist nicht mehr ansprechbar.“
Eric sah dabei zu wie seine Schülerin von Dr. Jenners Assistenten auf eine Trage gelegt und eilig verkabelt wurde.
„Mit ihr wird es nicht langweilig, das muss man ihr lassen. Hast du eine Vermutung, was diesen Zustand herbeigeführt hat?“
„Ich tippe auf Opiate, aufgrund der Symptome. Aber ich bin mir nicht sicher. Ich werde ihren Mageninhalt analysieren lassen und gebe dir sofort Bescheid.“
Der Doktor nickte und legte Eric freundschaftlich seine Hand auf die Schulter. „Ja tu das. Mach dir keine Sorgen, sie ist zäh. Das schafft sie schon. Finde lieber raus, wie es dazu kommen konnte.“
Die Sanitäter legten Lexa behutsam auf die mobile Trage, machten sie fest und brachen innerhalb von wenigen Augenblicken auf.
Eric sah dem Arzt mit fragendem Blick hinterher.
Seit wann sprach Dr. Jenner mit ihm, wie mit einem hysterischen Weib?
War dem Doktor nicht bewusst, wen er da vor sich hatte?
Bevor sein Groll über dessen unbedachte Aussage noch weiter anwuchs, kümmerte er sich besser um die Analyse dessen, was Lexa überhaupt erst in diese Situation brachte.
War es in ihrem Essen gewesen? In ihrem Getränk?
Oder handelte es sich sogar um ein Kontaktgift? Eric dachte nach.
Erst musste geklärt werden, um welche Substanz es sich handelte. Anschließend konnte er nach der Quelle Ausschau halten.
Vorerst war Lexas Wohnung Sperrgebiet und all ihre Freunde würden lückenlos überwacht werden müssen.
Auch er selber musste vorsichtiger sein. Und von all dem Aufriss durfte im besten Falle niemand etwas mitbekommen.
Er knotete die Tüte mit Lexas Hinterlassenschaft, die er aus der Badewanne gekratzt hatte, mit unruhigen Fingern zu. Ließ diese in einer kleinen Plastikbox verschwinden, die er in einer der vielen Schränke in Lexas Küche fand. Weitere Boxen füllte er mit allem, was er sonst noch im Verdacht hatte.
Der Tee, der nur zu Hälfte geleert neben ihrer Mahlzeit stand. Das Essen an sich und die Medikamente, die ihr von Dr. Jenner verordnet worden waren. Es kam so viel infrage, aber er musste sich beeilen. Der Doc brauchte so schnell wie möglich die Auskunft, mit was sie es zu tun hatten, damit er eine entsprechende Behandlung einleiten konnte.
Noch während Eric zum feroxeigenen Labor neben dem Krankenflügel hetzte, gab er Max Bescheid. Dieser sollte die Sicherheitsvorkehrungen für alle relevanten Personen verstärken. Eric würde kein Risiko mehr eingehen. Zweifellos wollte jemand Lexa beseitigen und wer sagte ihm, dass diese Person es nicht auch noch auf weitere Fraktionsmitglieder abgesehen hatte.
Aber das würde er unter keinen Umständen zulassen!
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